Range vs. Maas: Zu wenig Eingriff, nicht zu viel
Ein “unerträglicher Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz” hat also stattgefunden. Der amtierende Bundesjustizminister hat also den amtierenden Generalbundesanwalt zu hindern versucht, pflichtgemäß seine Arbeit zu tun und dem Verdacht auf journalistischen Landesverrat nachzugehen, nur weil ihm diese Arbeit politisch nicht in den Kram passte. Einen regelrechten Verfassungsbruch hat der Minister damit also begangen, indem er die Unabhängigkeit der Justiz brutal der Logik politischer Opportunität unterwarf.
Das ist sicherlich ein strammer Vorwurf und als politischer und sicherheitsadministrativer Vorgang zweifellos höchst bemerkenswert, aber inhaltlich meines Erachtens ein rechter Schmarren. Erstens ist hier von Unabhängigkeit der Justiz gar keine Rede, und zweitens hat, selbst wenn, Minister Maas in dieselbe eher zu wenig als zu viel eingegriffen.
Der Generalbundesanwalt ist, wie jeder Staatsanwalt, bekanntlich Teil der Exekutive und unterliegt der Rechts- und Fachaufsicht des Bundesjustizministeriums. Anders als Richter_innen sind Staatsanwält_innen mitnichten unabhängig, sondern müssen tun, was die Politik in Gestalt des jeweiligen Bundes- bzw. Landesjustizministeriums ihnen befiehlt. Das müssen sie aber nur, wenn sie ihnen etwas befiehlt. Was aber nur äußerst selten passiert, und zwar aus gutem Grund: In dem Moment, wo das Ministerium Weisung erteilt, wie zu verfahren ist, hat es die Verantwortung für das Verfahren an der Hacke, und die will es nur selten tragen. Politisch sieht es gar nicht gut aus, wenn das Ministerium die Staatsanwaltschaft anweist, bei wem durchsucht wird und bei wem nicht, wer angeklagt wird und wer nicht. So sehr die Politik auch die Verlockung verspüren mag, Freunde zu decken und Feinde zu drangsalieren – in einer leidlich offenen Gesellschaft wie der unseren schafft dies politische Kosten, die den politischen Nutzen regelmäßig weit übersteigen, und deshalb unterbleibt das in der Regel (jedenfalls außerhalb Bayerns, wo das mit dem politischen Kosten-Nutzen-Kalkül womöglich gelegentlich anders aussehen mag).
Hier kommt noch etwas weiteres hinzu. Unabhängigkeit der Justiz von der Politik klingt toll, aber ihr Preis ist, dass sich diese Unabhängigkeit dann halt auch auf die institutionellen Eigeninteressen der Justiz erstreckt. In vollkommener Unabhängigkeit entscheidet die deutsche Justiz, dass das Verbrechen der Rechtsbeugung etwas ist, zu dem strukturell eigentlich nur DDR-Richter fähig sind. Im Fall des Generalbundesanwalts kommt dazu, dass dieser nicht nur Teil der Justiz (im Sinne der Strafrechtspflege), sondern auch Teil eines mächtigen administrativen Sicherheitsapparates ist. Zu dem auch der Verfassungsschutzpräsident gehört, der die angeblichen Landesverräter von Netzpolitik.org angezeigt hatte. Das sind alles Leute, die sich als Kämpfer gegen allerhand supergefährliche Feinde empfinden und von denen man nicht allzu viel kritische Selbstdistanz erwarten sollte. Aus der Binnensicht des Sicherheitsapparats heraus betrachtet sieht dann so ein kritischer Pressebericht enthüllenden Charakters schnell mal wie etwas aus, das verboten sein müsste und ganz bestimmt auch verboten ist, und schon ist aus dem Kritiker ein Rechtsbrecher geworden und aus einem Schlag gegen einen Gegner ein Akt sauberster juristischer Pflichterfüllung.
In einem solchen Moment ist die politische Verantwortung des Bundesjustizministers gefragt. Wenn er zu dem Schluss kommt, dass hier nicht juristische Subsumtionskunst, sondern das institutionelle Eigeninteresse des Sicherheitsapparats im Vordergrund steht, dann sollte er nicht nur, dann muss er Weisung erteilen, dass kein Ermittlungsverfahren zu eröffnen ist. Und dafür dann politisch in der Öffentlichkeit gerade stehen.
Was Heiko Maas stattdessen getan hat, wenn ich das richtig sehe, ist die Hände zu heben und “Unabhängigkeit der Justiz” zu murmeln, aber öffentlich zu erkennen zu geben, dass er das doof findet, was der Generalbundesanwalt da macht.
Das ist läppisch und hat mit politischer Verantwortung nichts zu tun.
Folgenden Text möchte ich zu dem Thema beitragen, persönlich halte ich diesen für überzeugender und den demokratischen Grundsätzen von Gewaltenteilung wesentlich gerechter werden!
“Die Abhängigkeit der deutschen Staatsanwaltschaft
Der Generalbundesanwalt ist der Generalstaatsanwalt des Bundes. Für die Bundesanwaltschaft gelten dieselben Rechtsvorschriften wie für die Staatsanwaltschaften der Länder. Hierzu ein Beitrag:
Aus dem Text:
“…. Es ist nämlich eine Fehlinformation,…..dass mit der Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft in Deutschland keine unzulässige politische oder sonst unsachgemäße Einflussnahme verbunden sei. Vielmehr lässt sich der Missbrauch der Staatsanwaltschaft in Deutschland als »Organ der Staatsregierung« bis zu ihren…..Anfängen zurückverfolgen ….”
Die Abhängigkeit der deutschen Staatsanwaltschaft
von Dr. Erardo Cristoforo Rautenberg, Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg
Brandenburg a.d. Havel
(veröffentlicht in GA (Goltdammers Archiv für Strafrecht) 2006 S. 356 ff.)
Zu den eindrucksvollsten Erlebnissen meines Berufslebens wird die Festrede gehören, die Roxin zum 150 jährigen Jubiläum der Berliner und damit der ersten deutschen Staatsanwaltschaft im modernen Sinn am 1. 10. 1996 im Berliner Rathaus gehalten hat. (1) Seine Ausführungen »Zur Rechtstellung der Staatsanwaltschaft damals und heute« befassen sich zu einem wesentlichen Teil mit der »Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit des Staatsanwalts«, womit ich bei meinem Thema angelangt bin. Dabei sollte zwischen der Abhängigkeit des einzelnen Staatsanwalts und der der Staatsanwaltschaft als Institution von der Regierung unterschieden werden.
Dem einzelnen Staatsanwalt die gleiche Unabhängigkeit zu geben, wie sie Art. 97 I GG ausdrücklich nur den Richtern einräumt, und damit das »interne Weisungsrecht« zu beseitigen, wäre nicht nur verfassungsrechtlich bedenklich, sondern auch sachwidrig. Mit der heute ganz h.M. (2) ist auch Roxin (3) der Auffassung, dass die Staatsanwaltschaft einer Organisationsform bedarf, die eine gleichmäßige und berechenbare Anklage und Einstellungspraxis sicherstellt. Das ist de lege lata mit ihrem traditionell hierarchischen Aufbau, dem in § 146 GVG verankerten Weisungsrecht der staatsanwaltlichen Vorgesetzten und den in § 145 GVG geregelten Rechten der »ersten Beamten der Staatsanwaltschaft« zur Devolution und Substitution der Fall. Gleichwohl ist zu begrüßen, dass der 2003 von der Kommission für die Angelegenheiten der Staatsanwälte im Deutschen Richterbund vorgelegte Gesetzentwurf zur Neuregelung des Amtsrechts der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte (4) die Stellung des einzelnen Staatsanwalts stärken will, indem etwa Weisungen nur schriftlich erfolgen und für den Bereich der Tätigkeit des Staatsanwalts in der Hauptverhandlung ganz ausgeschlossen werden sollen.
Kommen wir nun zu der höchst problematischen Abhängigkeit der Staatsanwaltschaft als Institution, d. h. der des an der Spitze der Hierarchie stehenden obersten Anklägers vom Justizministerium, worin die Gefahr politischer Einflussnahme auf staatsanwaltschaftliche Entschließungen begründet liegt. Dieser Problembereich kann mit den Stichworten »politischer Beamter« und »externes Weisungsrecht« gekennzeichnet werden.
Was den obersten Ankläger als politischen Beamten betrifft, der jederzeit ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden darf, hat sich Roxin in seiner Festrede unmissverständlich ablehnend positioniert (5): Es liege auf der Hand, dass die Aufgabe eines leitenden Beamten der Staatsanwaltschaft nicht mit der Legaldefinition des § 31 Abs.1 BRRG zutreffend beschrieben sei, wonach der politische Beamte »ein Amt bekleidet, bei dessen Ausübung er in fortdauernder Übereinstimmung mit den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen der Regierung stehen muss«. Der oberste Ankläger solle nämlich »nicht die politischen Ansichten und Ziele der Regierung, sondern das Recht durchsetzen«, und so hat Roxin den betroffenen Gesetzgebern »den Abschied von dieser historisch überlieferten Konstruktion« empfohlen.
Seinem Appell ist man 2000 in Nordrhein Westfalen und 2002 in Berlin gefolgt, so dass nur noch der Bund und die Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg Vorpommern, Schleswig Holstein und Thüringen an dem Status des »politischen Beamten« für ihre obersten Ankläger entgegen der nunmehr ganz h. M. (6) festhalten. Dies sind somit die Adressaten eines im September 2004 mit großer Mehrheit gefassten Be Schlusses des 65. Deutschen Juristentages: »Das Amt des politischen Beamten ist im Bereich der Staatsanwaltschaft abzuschaffen.« (7) Eine entsprechende Empfehlung hat die Staatengruppe gegen Korruption (GRECO) des Europarates den betroffenen vier Bundesländern im Rahmen der Ersten Evaluierungsrunde zugeleitet und in dem »Umsetzungsbericht über Deutschland« vom 14.5.2004 begrüßt, dass Schleswig Holstein die Abschaffung der Stellung des Generalstaatsanwalts als politischer Beamter durch Änderung seines Landesbeamtengesetzes bereits erwäge. (8) Während der so erzeugte Druck dazu führen dürfte, dass in Deutschland bald kein Staatsanwalt mehr »politischer Beamter« sein wird, ist eine Beschneidung des Weisungsrechts der deutschen Justizminister gegenüber den Staatsanwaltschaften in absehbarer Zeit wohl nicht zu erwarten.
Der Deutsche Richterbund hat vorgeschlagen, dass es zwar bei allgemeinen Weisungen der Justizminister an die Staatsanwaltschaften verbleiben, das »externe Weisungsrecht« in Einzelfällen aber durch Änderung des GVG abgeschafft werden sollte. (9) Abgelehnt worden ist dies vom 65. Deutschen Juristentag, (10) vom Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins” (11) und vor allem von den Rechtspolitikern der nunmehrigen Regierungsfraktionen in ihren vor der Wahl des 16. Deutschen Bundestages erbetenen Stellungnahmen zu den »Wahlkampfprüfsteinen« des Deutschen Richterbundes. (12) In der Tat lassen die Zuordnung der Staatsanwaltschaft zur Exekutive durch die Regelung des Art. 92 GG, die die rechtsprechende Gewalt ausschließlich den Richtern zuweist, und der verfassungsmäßige Grundsatz, dass es innerhalb der Exekutive keine »ministerialfreien Räume« geben dürfe, weil dadurch der Exekutivspitze die Lenkungsmöglichkeit entzogen und gleichzeitig die parlamentarische Kontrolle beschränkt werde, (13) eine derartige Beschneidung des ministeriellen Weisungsrechts als zweifelhaft erscheinen. (14) Da es m. E. aber dem Prinzip der Gewaltenteilung, das allen demokratischen Rechtsordnungen zugrunde liegt, mehr entsprechen würde, wenn der oberste Ankläger nicht den Weisungen des Justizministeriums unterworfen wäre, plädiere ich für eine Zuordnung der Staatsanwaltschaft zur Judikative durch Änderung des Art. 92 GG, (15) wodurch ihre Weisungsunabhängigkeit sogar verfassungsmäßig geboten sein und damit die Gefahr politischer Einflussnahme vermindert werden dürfte.
Es ist nämlich eine Fehlinformation, die aber »German authorities« GRECO mitgeteilt haben, dass mit der Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft in Deutschland keine unzulässige politische oder sonst unsachgemäße Einflussnahme verbunden sei. (16) Vielmehr lässt sich der Missbrauch der Staatsanwaltschaft in Deutschland als »Organ der Staatsregierung« bis zu ihren auch von Roxin in seiner Festrede beschriebenen Anfängen zurückverfolgen (17) und steht ihre Weisungsgebundenheit in der Bundesrepublik seit langem in der Kritik. (18) Politisch motivierte Einflussnahmen kommen auch nicht nur in einzelnen Verfahren vor, sondern sind sogar bei der Ausübung des externen Weisungsrechts durch allgemeine ministerielle Weisungen anzutreffen. Diese bezeichnet Roxin als »um der Einheitlichkeit der Strafverfolgung willen notwendig«, (19) was etwa bezüglich der bundesweit geltenden »Richtlinien für das Straf und Bußgeldverfahren« auch zutrifft. Doch übersieht er, dass die Vorschriften, mit denen der Bundesgesetzgeber die Einstellung des Ermittlungsverfahrens aus Opportunitätsgründen unter Einräumung gewisser Beurteilungsspielräume ermöglicht hat, die Gefahr bergen, von den Landesjustizministern durch allgemeine Anwendungshinweise an die ihnen nachgeordneten Staatsanwälte kriminalpolitisch instrumentalisiert zu werden.
Das lässt sich exemplarisch durch die bundesweit stark divergierende Anwendung des § 31a BtMG (Absehen von der Verfolgung bei »geringer Menge« zum »Eigenverbrauch«) belegen, wobei die in der Regel von den Ministerien gezogenen Obergrenzen für die Annahme einer geringen Menge Cannabis eine Spanne von 6 bis 30 Gramm aufweisen. (20) Das BVerfG hat dies in einem Beschluss vom 9.3.1994 beanstandet und die Länder auf ihre Pflicht hingewiesen, bei der Anwendung des Bundesrechts »für eine im Wesentlichen einheitliche Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften zu sorgen«, (21) die sie immer noch nicht erfüllt haben. Auch haben Landesjustizminister für ihre Geschäftsbereiche den staatsanwaltlichen Anwendungsbereich der § § 153 f. StPO bei Ladendiebstählen durch Bestimmung von Wertgrenzen nach ihrem kriminalpolitischen Gusto festgelegt. (22)
Problematischer als die ministeriellen Einflussnahmen durch allgemeine Weisungen sind aber zweifellos diejenigen in Einzelfällen, die allerdings nur verhältnismäßig selten durch eine förmliche Ausübung des externen Weisungsrechts erfolgen. (23) Der für einen Justizminister gefährliche Anschein unlauterer politischer Einflussnahme kann bei einer Weisung im Einzelfall nämlich nur dann vermieden werden, wenn eindeutig feststeht, dass die Staatsanwaltschaft von einem falschen Sachverhalt ausgegangen oder die rechtliche Wertung fehlerhaft ist, und dies auch der Öffentlichkeit vermittelt werden kann. Da derartige Konstellationen selten vorkommen, halten sich besonnene Justizminister bei der Ausübung des formellen Weisungsrechts entsprechend zurück. Daraus darf jedoch nicht gefolgert werden, dass das externe Weisungsrecht in Einzelfällen geringe praktische Auswirkungen habe, was aber auch Roxin meint. (24) Denn unter politischen Druck geratene Justizminister, die bei ihren mit der besonderen Stellung der Staatsanwaltschaft innerhalb der Exekutive zumeist wenig vertrauten Parteifreunden mit dem Verzicht auf Ausübung des formellen Weisungsrecht auf wenig Verständnis stoßen, pflegen das »Recht der Aufsicht und Leitung« gemäß § 147 GVG zum Anlass zu nehmen, durch Erzeugung von subtilem Druck unterhalb der förmlichen Ebene in Gestalt geäußerter »Wünsche«, angeforderter »Absichtsberichte« (25) oder ausführlicher Dienstbesprechungen darauf hinzuwirken, dass die Staatsanwaltschaft die politisch erwünschte Entscheidung als eigene herbeiführt. (26) Da es in der Geschichte der Bundesrepublik zu zahlreichen, zum Teil gut dokumentierten Fällen politisch motivierter Einflussnahmen in Einzelfällen gekommen ist (27) und eben auch allgemeine Weisungen politisch instrumentalisiert werden können, hat sich die Weisungsabhängigkeit der Staatsanwaltschaft von der Regierung als parteipolitisches Einfallstor und damit als eine strukturelle Schwachstelle unseres demokratischen Rechtsstaats erwiesen. In anderen europäischen Ländern und auf internationaler Ebene ist man zu der gleichen Einsicht gekommen und hat daraus bereits die Konsequenz gezogen:
Für eine von der Regierung unabhängige Staatsanwaltschaft haben sich nach Italien (28) unter dem Eindruck überwundener Diktaturen Ungarn (29), Kroatien (30), Lettland (31), Litauen, Estland, Slowenien und die Slowakei entschieden. In den Statuten der Internationalen Straftribunale für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und für Ruanda (ICTR) sowie denen des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) ist festgelegt, dass die Ankläger Organe dieser Gerichte sind und keinem externen Weisungsrecht unterliegen. (32) Nach derzeitigem Stand der Überlegungen soll auch der künftige »Europäische Staatsanwalt«, dessen Einsetzung durch ein Europäisches Gesetz des Ministerrats Art. 111 175 des Entwurfs der Europäischen Verfassung vorsieht (Abs. 1), von Gemeinschaftseinrichtungen und nationalen Behörden unabhängig sein und für eine nicht verlängerbare Amtszeit von sechs Jahren gewählt werden. (33) Das Leitbild künftiger europäischer Staatsanwälte kann bereits der Europäischen Grundsatzerklärung zur Staatsanwaltschaft (34) entnommen werden, die am 2. 3.1996 in Neapel von der Vereinigung Magistrats Européens pour la Democratie et les Libertés (MEDEL) beschlossen worden ist: »Die Staatsanwaltschaft ist ein Organ der Justiz, folglich unabhängig gegenüber der Exekutive; denn die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Unabhängigkeit der Justiz und die Gleichheit aller vor dem Gesetz. Hieraus folgt, dass allgemeine oder besondere Weisungen der Exekutive unzulässig sind.«
Falls man sich endlich auch in Deutschland auf dieses rechtsstaatliche Niveau begeben wollte, wäre die Macht weisungsunabhängiger oberster Ankläger allerdings durch geeignete Regelungen zu begrenzen (35) und sollte ihre demokratische Legitimation wie in den vorgenannten neuen EU Staaten in der Wahl durch die Parlamente bestehen.
Der Wunsch, den Roxin am Ende seiner Festrede der Staatsanwaltschaft mitgegeben hat, soll auch am Ende meiner Ausführungen stehen: »Sie möchte immer ein nur dem Recht verpflichteter Gesetzeswächter sein und bleiben und es dort, wo sie es noch nicht oder nicht mehr in wünschenswertem Umfang ist, in Zukunft werden!«
Anmerkungen
1 DRiZ 1997, 109ff.
2 Etwa Kissel, GVG, 4. Aufl., 2004, § 146 Rn 10; LR Boll, 25. Aufl., 1997ff., § 146 Rn 9, 16 m.w.N.; s.auch Satzger Verh. 65. DJT, Bd. 1, 2004, C 131.
3 DRiZ 1997,118. Anders aber noch in DRiZ 1969, 387f.
4 DRiZ 2003, 249ff.
5 DRiZ1997,117
6 Etwa Weiß JR 2005,370; Pflieger Verh. 65. DJT, Bd. 111, 2004, 2004,0 26,30; Rautenberg NJ 2003,170; ders. DRiZ 2000, 141ff. mw. N.; a. A. Faupel DRiZ 2000, 312ff.; Krumsiek, PS Stern, 1997,65S f..
7 C VI. 1. b) (84:15:26), Verh. 65. DJT, Bd. 111, 2004,030.
8 Group of States against Corruption, First Evaluation Round, Compliance Report on Germany, Stras bourgh, 14. May 2004, Rn 12, 13.
9 DRiZ 2003,252L; s. auch DRiZ 2005,275; zustimmend Weiß JR 2005,370; Satzger Verh. 65. DJT, Bd. 1, 2004, C 131f.,148; Pflieger, ebenda, Bd. 111, 02Sf., 30.
10 Beschluss C. VI. 2. a) (42:70:17), Verh. 65. DJT, Bd. 111, 2004, 2004,0 30.
11 DRiZ 2005, 74ff.
12 DRiZ 2005,282.
13 So die ganz h. M., etwa Paeffgen, GS Schlüchter, 2002, 563 m.w. N.
14 Rautenberg NJ 2003, 172 f.; Paeffgen, GS Schlüchter, 570 m.w. N.; a. A. Satzger (Fn 9), C 133.
15 Rautenberg NJ 2003,174f.
16 Fn 8, Rn 12.
17 Rautenberg NJ 2003, 170f. m.w.N.
18 Heghmanns GA 2003, 441f. m.w.N.
19 DRiZ1997,119.
20 Körner, BtMG, 5. Aufl. 2001, § 31a Rn 29 ff.
21 BVerfGE 90, 145, 190.
22 Dazu Ostendorf, ZRP 1995, 18ff.
23 Kunert, FS Wassermann, 1985, 925; Faupel DRiZ 2000, 314; Litten, in: GStA Celle (Hrsg.), Staatsan waltschaft gestern, heute und in der Zukunft, 2000, 19; Dieckmann DRiZ 2002, 44;
24 DRiZ 1997, 119
25 Berichte an das Ministerium über vorgesehene abschließende Entscheidungen der Staatsanwaltschaft sind mit der neuen nordrhein-westfälischen BeStra (JMB1. NRW 2006, 3) abgeschafft worden, in der es heißt (4d): »Dem Justizministerium wird über die abschließende Entscheidung oder sonstige wichtige Verfügung der Staatsanwaltschaft erst berichtet, nachdem sie getroffen worden ist.« Die nordrhein westfälische Justizministerin Müller Piepenkötter, zuvor Landesvorsitzende des DRB, hatte diese Änderung der Berichtspflichten in Strafsachen nach ihrem Amtsantritt in einer Pressemitteilung vom 19. 7. 2005 bereits angekündigt, um die Stellung der Staatsanwaltschaften zu stärken und »den bösen Anschein politischer Einflussnahme« von vornherein auszuschalten (s. zur Problematik der Absichtsberichte auch Focus 32/2004, 14). Die nordrhein-westfälischen Staatsanwaltschaften dürften damit die derzeit unabhängigsten in Deutschland sein.
26 Dass der Druck auf die Staatsanwaltschaft besonders groß ist, wenn es sich bei dem Generalstaatsanwalt um einen »politischen Beamten« handelt, bedarf keiner näheren Ausführungen, denn bei jeder bevorstehenden staatsanwaltschaftlichen Entscheidung, die voraussichtlich der Regierung missfallen und auch in den Medien auf Kritik stoßen wird, stellt sich natürlich die Sorge um den eigenen Status ein. Das Gleiche gilt bei Anwendung des § 12 b BRRG auf Staatsanwälte in Führungspositionen. Nach dieser 1999 neu geschaffenen Regelung kann durch Gesetz ein Amt mit leitender Funktion »im Beamtenverhältnis auf Zeit« mit nochmaliger Verlängerungsmöglichkeit bis zu einer Dauer von zehn Jahren übertragen werden, wobei das Amt »auf Lebenszeit« nach der ersten Amtszeit übertragen werden »kann« und nach der zweiten Amtszeit übertragen werden »soll« (s. aber BayVGH ZBR 2005, 32 ff.). Lediglich Hessen wendet aber bisher die auf § 12b BRRG gestützte landesgesetzliche Regelung ( 19b HBG) auch auf die Funktionen des Generalstaatsanwalts und die der Leitenden Oberstaatsanwälte an. Daran unakzeptabel ist nicht die zeitliche Begrenzung der Amtszeit als solche, die sich für von der Regierung unabhängige oberste Ankläger sogar als ein Mittel der Machtbegrenzung empfiehlt, sondern die Gefahr opportunen Verhaltens der staatsanwaltschaftlichen Führungskräfte gegenüber der politischen Führung des Justizministeriums, die in deren Option zur Verlängerung der Amtszeit begründet liegt.
27 Pförtner Betrifft JUSTIZ, Nr. 79,2004, 324ff.; Maier ZRP 2003, 387ff.; Krebs, Die Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft, 2002, 269 ff., 287; Günter DRiZ 2002, 57fL; Rudolph NJW 1998, 1205; Schäfer NJW 1994,2877; s. auch Der Spiegel 33/2003,38f., 24/2004,22.
28 Ausführlich zum speziellen »italienischen Modell«: Mu/tm, in: Muhm/Caselli (Hrsg.), Die Rolle der Staatsanwaltschaft Erfahrungen in Europa, 2005, S.75 ff.,82ff.
29 Küpper, Justizreform in Ungarn, forost Arbeitspapier Nr. 23,2004, S. 26
30 Pintariç, Justizreform in Kroatien, forost Pintariç, Justizreform in Kroatien, forost Arbeitspapier Nr. 21,2004, S. 15.
31 Rautenberg NJ 2003, 175.
32 Weiß JR 2005, 363ff., 368 mit näheren Angaben.
33 Dazu etwa Radtke GA 2004,1ff., 5L; Weiß JR 2005, 366f.; s. auch DRiZ 2002, 209ff
34 Betrifft JUSTIZ, Nr. 47,1996, 34Sf.
35 Neben der Begrenzung der Amtszeit ohne Verlängerungsmöglichkeit (s. Fn 26) ist auch an die Möglichkeit der Abberufung in einem förmlichen Verfahren bei Amtsmissbrauch, das Verbot einer Parteizugehörigkeit sowie die Ausweitung des Klageerzwingungsverfahrens zu denken.
___________________________________________________________________________
Zur Person:
Dr. Erardo Cristoforo Rautenberg
Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg
1972 Abitur in Northeim, 1977, 1. Staatsexamen in Celle, 1980, Dr.jur. in Göttingen, 1982 2. Staatsexamen in Hannover, 1982-1987 Staatsanwalt in Lübeck, 1987-1990 Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe, Januar 1991 Beförderung zum Oberstaatsanwalt beim Generalstaatsanwalt in Schleswig, Januar 1992 Beförderung zum Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Juli 1992 Abordnung in das Land Brandenburg zur Aufarbeitung des DDR-Systemunrechts, Dezember 1993 Versetzung als Leitender Oberstaatsanwalt nach Neuruppin, März 1996 Ernennung zum Generalstaatsanwalt, Juni 2005 Verleihung des Offizierskreuz des Verdienstordens der Republik Polen, Mitglied von amnesty international.”
Wenn man in der SZ liest, dass Maas/das BMJ Range vor den Ermittlungen “gewarnt” habe, muss man sich schon Sorgen machen. Seit wann warnen weisungsbefugte Vorgesetzte ihre Mitarbeiter vor Diensthandlungen? Das ist Verantwortungsverschleierung.
@schorsch: Das kam mit derselben memo, auf der auch stand, dass heikle Informationen mündlich kommen, superheikle Information mündlich von der Staatssekretärin und superduperheikle Informationen mündlich von der Staatssekretärin ohne Nachricht an den Minister.
Sehr geehrter Herr Steinbeis,
zur Rechtslage darf ich höflich auf die Presseerklärung des Vereins der Richter am BGH und der Bundesanwälte sowie den Artikel der Stuttgarter Zeitung dazu (vgl. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.juristen-greifen-justizminister-maas-an-aufstand-in-karlsruhe.463cfe26-99b3-46cc-b934-850073056044.html) verweisen. Wenigstens an diesem von der Welt abgeschiedenen Ort soll auch die andere Perspektive Gehör finden.
Danke.