04 November 2025

Rechtsextreme Betriebspolitik vor Gericht

Die Pseudogewerkschaft „Zentrum“ wagt kollektivarbeitsrechtliche Experimente

Vor dem Arbeitsgericht Braunschweig hat die selbsterklärte „alternative Gewerkschaft Zentrum“, die für ihre Kontakte zur AfD und ins rechtsextreme Milieu bekannt ist, beim Versuch, gewerkschaftliche Zutrittsrechte zu einem niedersächsischen VW-Betrieb geltend zu machen, im August 2025 eine herbe Niederlage erlitten. Anlass zur Entwarnung gibt diese Gerichtsentscheidung aber nicht. Zwar steht in den Sternen, ob das „Zentrum“ den hohen Anforderungen, die deutsche Arbeitsgerichte an Organisationen stellen, die Gewerkschaftsrechte für sich reklamieren wollen, jemals gerecht werden wird. Bei seiner Teilnahme an den bundesweiten Betriebsratswahlen im kommenden Frühjahr wird es darauf aber gar nicht ankommen. Und in den Betriebsratsgremien können rechtsextreme Betriebsratsmitglieder viel Schaden anrichten – auch wenn das „Zentrum“ nie von einem Arbeitsgericht als Gewerkschaft anerkannt werden sollte.

„Gewerkschafter“ mit Naziszenehintergrund

Je näher die bundesweiten Betriebsratswahlen im Frühjahr 2026 rücken, desto mehr rücken die Aktivitäten der selbsternannten Belegschaftsvertreter*innen, die sich in der Organisation „Zentrum – die alternative Gewerkschaft“ (vormals „Zentrum Automobil“) zusammengeschlossen haben, in den Fokus antifaschistischer Gewerkschafter*innen. Diese Unruhe ist vor allem dem politischen Selbstverständnis der neuen Konkurrenz geschuldet. Das „Zentrum“ bemüht sich in den Betrieben zwar um einen „unpolitischen“ Auftritt gegenüber den Belegschaften, macht aber auf Pressenachfrage keinen Hehl daraus, eine stramm rechte Organisation mit Wurzeln in verschiedenen rechtsextremen Organisationen und Splittergruppen zu sein. Eine aktuelle Recherche in der Wochenzeitung „Der Freitag“ kommt zu dem Ergebnis, dass derzeit „nahezu der komplette Zentrums-Vorstand aus Personen besteht, die sich in der Vergangenheit rechtsextremistisch oder neonazistisch betätigt haben sollen“. Ihr Gründer Oliver Hilburger musste 2007 die konservative „Christlichen Gewerkschaft Metall“ verlassen, als sein Engagement in der Rechtsrockband „Noie Werte“ bekannt wurde, in der zeitgleich u.a. der baden-württembergische NPD-Landesvorsitzende Gitarre spielte. 2009 gründete er das „Zentrum Automobil“, das seitdem als Sammelbecken rechter und rechtsextremer Beschäftigter gilt, zunächst nur in der Schwerindustrie, neuerdings auch in der niedersächsischen Abfallentsorgungsbranche.

Einige Monate nach der Gründung eines neuen niedersächsischen Regionalbüros versucht das „Zentrum“ nun auch seinen Einfluss im Automobilcluster Ost-Niedersachsen zu verstärken und begehrt Zutritt zu einem VW-Betrieb in Isenbüttel, gegen den Willen der dortigen Werksleitung. In der ersten Instanz des Rechtsstreits, den das „Zentrum“ deswegen nun angestoßen hat, musste es eine empfindliche Niederlage einstecken. Die Entscheidungsbegründung liegt jetzt vor. Das Arbeitsgericht Braunschweig hat die Zentrums-Klage zurückgewiesen, weil es den Nachweis, im Betrieb bereits „durch Mitglieder vertreten“ zu sein, nicht erbracht habe (Aktenzeichen 8 Ca 182/25). Nach Auffassung des Gerichts hätte es belegen müssen, dass Beschäftigte des Volkswagenwerks in Isenbüttel bereits Zentrums-Mitglieder sind.

Gewerkschaftliche Zutrittsrechte

Tatsächlich hat das Arbeitsgericht Braunschweig mit dieser Anforderung einiges durcheinandergebracht. Im System des kollektiven Arbeitsrechts der Bundesrepublik gibt es zwei verschiedene Rechtsgrundlagen, die einer Vereinigung von Beschäftigten gestatten, gegen den Willen der Arbeitgeberseite einen Betrieb zu betreten. Zum einen regelt § 2 Abs. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) ein solches Zutrittsrecht für Gewerkschaften im engeren Sinne (dazu sogleich), die im Betrieb bereits über Mitglieder verfügen. Dieses Recht dient der Wahrnehmung der im BetrVG geregelten Gewerkschaftsrechte, etwa zur beratenden Unterstützung eines Betriebsrats oder zur Teilnahme an einer Abteilungsversammlung. Daneben bejaht das Bundesarbeitsgericht seit Mitte der 2000er Jahre nun ausdrücklich auch ein Zutrittsrecht, das sich direkt aus dem in Art. 9 Abs. 3 GG geregelten Grundrecht der Koalitionsfreiheit ergibt und insbesondere der Mitgliederwerbung der Gewerkschaft im Betrieb dienen soll. Dieses Recht steht nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch solchen Zusammenschlüssen offen, die (noch) nicht als Gewerkschaft im engeren Sinne angesehen werden können und setzt nach der Instanzrechtsprechung anders als das betriebsverfassungsrechtliche Zutrittsrecht gerade nicht voraus, dass die Gewerkschaft im Betrieb bereits Mitglieder vorweisen kann. Sinn des Zutrittsrechts ist ja gerade, solche Mitglieder anzuwerben. Ausgerechnet an diesem Punkt hätte die Klage der Zentrumsvertreter*innen daher nicht scheitern dürfen.

Der Rechtsstreit dürfte daher in die nächste Instanz gehen. Doch auch wenn das „Zentrum“ vor dem Landesarbeitsgericht in Hannover als Sieger vom Platz gehen sollte – über die Frage, ob das „Zentrum“ als eine „echte“ Gewerkschaft angesehen werden muss, wäre damit noch nichts gesagt. Das Arbeitsgericht Braunschweig geht in seiner Beschlussbegründung davon aus, dass es sich beim „Zentrum“ um eine „nicht tariffähige Arbeitnehmervereinigung“ handelt. Derartige Vereinigungen unterfallen zwar dem in Art. 9 Abs. 3 GG geregelten Grundrecht der Koalitionsfreiheit und können daher i.d.R. zweimal jährlich ein Zutrittsrecht zum Betrieb für sich reklamieren – wie oben ausgeführt. Das macht sie aber noch nicht zu „Gewerkschaften“ im engeren Sinne und der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Daher können sie sich nicht auf die besonderen Rechte berufen, die den Gewerkschaften einfachgesetzlich eingeräumt werden, insbesondere im Tarifvertragsgesetz (TVG). Sie können also insbesondere weder zu Tarifverhandlungen auffordern noch Arbeitskämpfe führen. Und auch die besonderen Gewerkschaftsrechte, die das BetrVG den Gewerkschaften einräumt (etwa die Teilnahme an Abteilungsversammlungen, s.o.), stehen nur „echten“ Gewerkschaften offen.

Eine Gewerkschaft zu werden, ist schwer

Die Frage, was eine „echte“ Gewerkschaft ausmacht, ist nicht ganz einfach zu beantworten. Da weder im TVG noch im BetrVG ausdrücklich geregelt ist, wann eine Arbeitnehmerkoalition als tariffähig und damit als Gewerkschaft anzusehen ist, ist diese Definitionsarbeit den Arbeitsgerichten zugefallen. Nach den so entwickelten und erst jüngst sowohl vom Bundesarbeitsgericht als auch vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Grundsätzen muss sich eine Vereinigung, die sich auf Gewerkschaftsrechte berufen will,

„… als satzungsgemäße Aufgabe die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder in deren Eigenschaft als Arbeitnehmer gesetzt haben und willens sein, Tarifverträge zu schließen. Sie muss zudem frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein und das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennen. Darüber hinaus muss sie über Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler und über eine leistungsfähige Organisation verfügen“ (BAG v. 22. Juni 2021 – 1 ABR 28/20).

Zwar hat das „Zentrum“ diese Anforderungen in seiner Satzung fast wortgetreu abgeschrieben. Ob es aber auch die von der BAG-Rechtsprechung geforderte „Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler“ verfügt, das werden die Arbeitsgerichte nicht anhand seiner Satzung, sondern anhand seiner Praxis beurteilen und fragen, ob die Zentrumsmitglieder tatsächlich willens und auch zahlenmäßig dazu in der Lage sind, ihre sozialen Gegenspieler, also Arbeitgeberverbände oder wenigstens einzelne Unternehmer, durch Streikdrohungen oder Arbeitskampfmaßnahmen an den Verhandlungstisch zu zwingen und so Tarifabschlüsse zu erzielen. Diese gemeinhin als „soziale Mächtigkeit“ bezeichnete Anforderung ist tatsächlich eine hohe Hürde, an der in der Arbeitsrechtsgeschichte der Bundesrepublik bereits über ein Dutzend Organisationen gescheitert sind – „gelbe“ Scheingewerkschafter*innen ebenso wie linke Klassenkämpfer*innen.

Für das „Zentrum“ dürfte diese Anforderung in absehbarer Zukunft nicht einfach zu erfüllen sein. Zwar kann es bequem auf der Faschisierungswelle mitschwimmen, die der AfD derzeit einen Wahlerfolg nach dem anderen einbringt. Spätestens dann, wenn es darum geht, Mitglieder in einer Größenordnung präsentieren zu müssen, die im Ernstfall in der Lage wären, es in einem Arbeitskampf mit der deutschen Metall- und Elektroindustrie oder dem kommunalen Arbeitgeberverband aufzunehmen, werden seine Funktionär*innen aber feststellen, dass es wesentlich leichter ist, die Menschen zur Abfuhr von Ressentiments auf Social Media oder zur „Protestwahl“ an der Wahlurne anzuhalten, als sie zu einer Gewerkschaftsmitgliedschaft zu animieren. Letztere ist zum Nulltarif nämlich nicht zu haben, ganz anders als das „Engagement“ der allermeisten AfD-Wähler*innen auf Facebook und Co. Denn auch das „Zentrum“ wird in nicht unerheblichem Umfang Mitgliedsbeiträge erheben müssen, wenn es nicht als Papiertiger enden will. Und seine Mitglieder müssten früher oder später auch bereit sein, im Betrieb ihr Gesicht zu zeigen und Arbeitskampfmaßnahmen ihrer Organisation mitzutragen. Das würde nicht nur ein gewisses Maß an Mut erfordern, über das viele zeitgenössische Smartphone-Patriot*innen gar nicht verfügen. Außerdem ist zumindest derzeit noch unklar, gegen wen sich solche Arbeitskampfmaßnahmen eigentlich richten sollten. Schließlich arbeitet sich das „Zentrum“ bisher fast ausschließlich an den DGB-Gewerkschaften ab. Kritik an den Unternehmen, deren Betriebe es bestreiken müsste, lassen die Zentrumsverlautbarungen bislang weitgehend vermissen. Auf die Frage, ob das „Zentrum“ eine rechtsextreme Gruppierung ist, wird es bei seinen Bemühungen um Anerkennung als „echte“ Gewerkschaft daher gar nicht ankommen. Solange es keine aktive Mitgliedschaft und keine kämpferische Tarifpraxis vorweisen kann, werden die Arbeitsgerichte es nicht als Gewerkschaft im engeren Sinne anerkennen.

Keine Entwarnung für die kommenden Betriebsratswahlen

Für die anstehenden Betriebsratswahlen bedeutet das allerdings keine Entwarnung. Da kann nämlich jede*r mitmachen. Betriebsratsmitglieder müssen gerade nicht Mitglied einer Gewerkschaft sein. Zwar besteht auch für Betriebsrats-Kandidaturen („Wahlvorschläge“) eine Sonderregelung für Gewerkschaften. Grundsätzlich kann aber jede Wahlvorschlagsliste, die fristgerecht Stützunterschriften von mehr als 5% der wahlberechtigten Beschäftigten einsammelt (50 Stimmen genügen immer), zur Betriebsratswahl antreten. Treten mehrere Listen gegeneinander an, werden die Sitze im Betriebsratsgremium genau wie bei der Bundestagswahlzweitstimme vergeben – allerdings ohne Fünf-Prozent-Hürde oder sonst irgendeine Sperrklausel. Es ist daher relativ einfach, einzelne Betriebsratsmandate zu erringen, wenn man in der Lage ist, ein Zwanzigstel der Belegschaft zu einer Unterschrift zu überreden und dann im Anschluss einen halbwegs lebendigen (oder eben ressentimentgeladenen) Wahlkampf zu bestreiten. Je besser man dabei abschneidet, desto einfacher wird es, im neu gewählten Gremium wichtige Positionen zu besetzen, da auch die Wahlen der Mitglieder der verschiedenen Betriebsratsausschüsse und derjenigen Betriebsratsmitglieder, die gemäß § 38 BetrVG vollständig von der Arbeitspflicht freizustellen sind, im Regelfall per Verhältniswahl durchgeführt werden, so dass auch Minderheiten-Listen Berücksichtigung finden.

Damit kann man zwar die Arbeit des Betriebsrats nicht obstruieren – dafür bräuchten die entsprechenden Listen stets eine Stimmenmehrheit bei Abstimmungen. Insbesondere die Freistellungen erschließen aber kostbare Ressourcen und Freiräume für politische Aktivitäten, denn was die Freigestellten mit ihrer Zeit im Betriebsratsbüro tatsächlich anstellen, lässt sich für die Arbeitgeberseite nur schwer überprüfen. Und spätestens dann, wenn es einer Zentrum-nahen Wahlvorschlagsliste gelingen sollte, die Mehrheit der Sitze in einem Betriebsratsgremium zu erringen, können seine Mitglieder durchregieren – Abstimmungsdisziplin der Mitglieder vorausgesetzt. Dasselbe Mehrheitsprinzip, das die Betriebsratsgremien bisher vor dem rechtspopulistischen Absturz bewahrt, würde dann den Erfolg der rechten Listen bis zur nächsten Wahl garantieren. Kein Arbeitsgericht der Republik könnte dagegen etwas ausrichten. Daher darf sich niemand, der gegen die Faschisierung in den Betrieben Widerstand leisten möchte, der Illusion hingeben, dass sich die rechtspopulistische Landnahme bei den nächsten Betriebsratswahlen mit rein juristischen Mitteln verhindern lässt. Wer der Faschisierung im Betrieb etwas entgegensetzen will, muss eine politische Antwort auf die herrschenden Krisen formulieren und in den Betrieben Mehrheiten dafür organisieren. Bis zu den Betriebsratswahlen bleibt dafür nun noch ein halbes Jahr Zeit.


SUGGESTED CITATION  Weidmann, Daniel: Rechtsextreme Betriebspolitik vor Gericht: Die Pseudogewerkschaft „Zentrum“ wagt kollektivarbeitsrechtliche Experimente, VerfBlog, 2025/11/04, https://verfassungsblog.de/rechtsextreme-betriebspolitik-vor-gericht/, DOI: 10.17176/20251106-141937-0.

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