Ruiz-Zambrano: Es lebe die Unionsbürgerschaft
Das epochale Ruiz-Zambrano-Urteil des EuGH ist, soweit ich sehe, von der deutschen Presse mal wieder weitgehend verschlafen worden. Die Süddeutsche jedenfalls hat eine winzige Notiz ganz unten in der Meldungsspalte Ausland, mehr nicht. Online finde ich auch weit und breit nichts dazu.
Ruiz-Zambrano befiehlt den EU-Mitgliedsstaaten, ausländischen Eltern, deren Kinder durch Geburt in einem EU-Land dessen Staatsbürgerschaft erhalten haben, Aufenthalt und Arbeitsaufnahme zu erlauben, ganz egal, ob sie legal oder illegal ins Land gekommen sind. Denn die Kinder sind Unionsbürger, und sie wären am “tatsächlichen Genuss des Kernbestands” dieses Rechts gehindert, wenn ihre Eltern, von denen sie abhängen, aus dem Land gewiesen würden oder nicht ihren Lebensunterhalt erarbeiten dürften.
Dass das ein ziemlicher Hammer ist, bedarf eigentlich nicht allzu viel Scharfsinns.
“Grundlegend” oder “abgeleitet”
Vielleicht ist der Grund, dass das Urteil untergegangen ist, dass es Urteile mit ähnlichem Tenor in den letzten Jahren immer wieder mal gab: Es ist nur der letzte Schritt einer ganzen Kette von Urteilen, seit der EuGH mit Grzelczyk 2001 die Unionsbürgerschaft in den Rang des “grundlegenden Status” politischer Zugehörigkeit der Staatsangehörigen der EU-Mitgliedsstaaten erhoben hat.
Neu an Ruiz-Zambrano ist, dass es überhaupt keinen grenzüberschreitenden Aspekt mehr gibt: Die beiden Kinder Ruiz-Zambrano hatten ihr Heimatland Belgien noch nie verlassen. Ohne ein Wort über Freizügigkeit und freie Arbeitsaufnahme zu verlieren, marschiert der EuGH umstandslos direkt auf die Unionsbürgerschaft los und sagt, man kann diesen grundlegenden Status nicht auf diese Weise entwerten. Ob das ein rein innerbelgischer Vorgang war oder nicht, ist ihm total egal.
Das hat eine neue Qualität. Jetzt hat der “grundlegende Status” der Unionsbürgerschaft seine gemeinschaftsrechtlichen Eierschalen abgestreift und ist, was er ist: Wie einst im römischen Reich kann jetzt jeder Angehörige eines EU-Staats von Lissabon bis Bukarest den nationalstaatlichen Behörden seinen Rechtsstatus als EU-Bürger entgegen halten und sagen: Civis europaeus sum! Und zwar auch, wenn er noch nie eine innereuropäische Grenze überschritten hat.
Wie das der Zweite Senat des BVerfG aufnehmen wird, darauf bin ich auch gespannt. Im Lissabon-Urteil hatte der Senat noch düster darauf gepocht, dass die Unionsbürgerschaft niemals mehr als einen “abgeleiteten Status” haben dürfe und der Nationalstaat das primäre Objekt staatsbürgerschaftlicher Zugehörigkeit bleiben müsse. (Wobei es freilich formell auch jetzt weiterhin bleibt; es wird ja niemand Unionsbürger, der keinen Pass eines EU-Mitgliedsstaats hat.)
Udo Di Fabios Amtszeit endet im Dezember; er wird also voraussichtlich nicht mehr Gelegenheit bekommen, seinen Standpunkt in Form eines verfassungsgerichtlichen Votums zu artikulieren. Vielleicht ist er da auch ganz froh darüber.
Civis europaeus sum!
In Deutschland sind die Auswirkungen einerseits etwas begrenzt, weil nach § 4 des Staatsangehörigkeitsgesetzes Kinder von Illegalen die deutsche Staatsangehörigkeit sowieso nicht per Geburt bekommen. Die Eltern müssen seit mindestens acht Jahren rechtmäßig im Lande sein, bevor sie für ihr Neugeborenes einen deutschen Pass beantragen können. Eine Diskussion wie in den USA, wo die US-Staatsbürgerschaft von Kindern Illegaler und die daraus folgenden Möglichkeiten der Eltern, im Land bleiben zu können, ein Riesenthema ist, kann also bei uns gar nicht entstehen.
Andererseits sind auch bei uns Fallkonstellationen denkbar, die noch für massiven politischen Ärger sorgen könnten: Wenn beispielsweise jemand nach acht Jahren rechtmäßigem Aufenthalts in Deutschland ein Kind bekommt und dann eine Straftat begeht, dann kann er womöglich nicht mehr ausgewiesen werden, und zwar unmittelbar kraft Unionsrechts: Civis europaeus sum! (sagt sein Kind).
Kurios dabei: Ist einer der Elternteile Deutscher, dann zieht das nicht mehr. Dann könnten sich die Behörden auf den Standpunkt stellen, dass das Kind ja bei seinem deutschen Elternteil bleiben kann, der natürlich nicht ausgewiesen wird.
Rollback in Richtung Ius Sanguinis?
Wenn es ganz blöd läuft, dann könnte das Urteil für die Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts sogar mehr Schaden als Nutzen anrichten: Denn die Mitgliedsstaaten könnten das Urteil dadurch ins Leere laufen lassen, dass sie den Erwerb der Staatsangehörigkeit durch Geburt wieder erschweren.
Das gab es schon mal: Nach dem Urteil Chen von 2004, das einem in Nordirland geborenen Kind chinesischer Eltern mit irischem Pass ein Aufenthaltsrecht in Großbritannien sicherte, änderte Irland seine Verfassung und schaffte das dort verankerte Recht aller auf der irischen Insel geborenen Kinder auf einen irischen Pass ab.
Wenn es tatsächlich zu einem solchen Rollback in Richtung Ius Sanguinis kommen sollte, dann wäre das ziemlich schlimm.
Insofern ist es vielleicht gar nicht so schlecht, wenn vorerst niemand von Ruiz-Zambrano Notiz nimmt…
Foto: European Parliament, Flickr Creative Commons
Mal kurz zusammengefasst:
“Wenn nicht EU-Ausländer in einem EU-Land ein Kind bekommen,
haben sie dadurch unbegrenztes Aufenhalts- und Arbeitserlaubnis.”
Als Begründung muss Art. 20 AEUV herhalten.
http://dejure.org/gesetze/AEUV/20.html
Nur da steht nichts von dem, was das Gericht hineininterpretiert.
Verkommt der EuGH zur Märchenstunde ?
Achja die Folgen.
Auf Lampedusa dürfte es demnächst zu einer Kinderschwemme kommen.
Und wer soll das dann bezahlen ?
Naja, ganz so ist das nun auch nicht.
Wenigstens muss das Kind auf irgendeine Weise die jeweilige Staatsbürgerschaft erhalten. Und das ist bei Ländern, die nicht dem ius soli folgen (die sind begrenzt), sondern dem ius sanguinis, schon ziemlich schwer bis fast unmöglich.
[…] interesting legal development must be the Court of Justice’s Zambrano judgment, which marks the further development of the status of EU citizenship as a distinct legal status independent of the exercise of free movement […]
Das Urteil ist tatsächlich von herausragender Wichtigkeit und wurde in der Presse stiefmütterlich behandelt. Wir haben dazu folgenden Beitrag geliefert: http://www.mth-partner.de/rechtsanwaltsblog/auslanderrecht-drittstaatsangehorige-eltern-von-unionsburgern-haben-recht-auf-aufenthaltserlaubnis-und-arbeitserlaubnis/
[…] weist auf eutopialaw.com darauf hin, dass es aus europarechtlicher Perspektive nach Rottmann und Ruiz-Zambrano kaum gehen dürfte, die Schotten ihrer Unionsbürgerschaft zu berauben. Daher würde der EuGH […]
[…] ist – zumal in Zeiten, wo der EuGH mit wachsender Dringlichkeit die Unionsbürgerschaft als grundlegendes Zugehörigkeitsverhältnis nach vorne pusht – ein ziemlich spannendes […]
Wir haben die Frage der Staatsbürgerschaft Ihres Sohnes nochmals ausführlich erörtert, auch
anhand der von Ihnen angesprochenen Broschüre Wege zur Einbürgerung der Beauftragten der
Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration aus dem Internet.
Da weder Sie, noch Ihre Ehefrau seit acht Jahren in Deutschland leben, ist eine deutsche
Staatsbürgerschaft Ihres Sohnes aufgrund der Geburt in Deutschland aktuell nicht gegeben.
Sie werden die Ihnen bereits vorliegenden Unterlagen des spanischen Konsulats bei dem
spanischen Konsulat einreichen. Bitte lassen Sie sich vom spanischen Konsulat eine Bestätigung
geben, dass Ihr Sohn spanischer Staatsbürger ist. Diese legen Sie wie abgesprochen bitte auch
beim Standesamt in Rüsselsheim vor.
Unabhängig hiervon unterzeichnen Sie und Ihre Ehefrau bitte möglichst umgehend die Erklärung,
dass Ihr Sohn Marouan nach spanischem Recht den Nachnamen führt und somit den
Familiennamen Laoukili führt.
Für Rückfragen gleich welcher Art, egal ob in dieser Angelegenheit oder einer anderen
Angelegenheit, stehe ich wie gehabt jederzeit gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen