Irreführendes Versprechen
Der Bund selbst kann keinen bezahlbaren Wohnraum schaffen
Auch wenn mit dem Ampel-Aus und der Haushaltskrise die bisherigen Pläne auf Eis liegen: Sozialer Wohnungsbau dürfte ein wichtiges Wahlkampfthema werden. Denn in Deutschland fehlt es fast überall an bezahlbarem Wohnraum. In der jungen Bundesrepublik war sozialer Wohnungsbau ein Erfolgsrezept gegen die kriegsbedingte Wohnungsnot. Nachdem er in den 1980er Jahren in Verruf und später in Vergessenheit geriet, erlebt er nun ein politisches Comeback. Zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum wollte die Ampel-Regierung laut Koalitionsvertrag jährlich 100.000 neue, öffentlich geförderte Wohnungen bauen, vor allem durch mehr sozialen Wohnungsbau. Die Ampel-Regierung richtete wieder ein eigenständiges Bundesbauministerium ein (das von der rot-grünen Bundesregierung 1998 abgeschafft worden war) und Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) erklärte: „Wir wollen bauen und wir werden bauen”.
Allerdings: Dieses Versprechen ist nicht nur kaum umsetzbar – im Jahr 2023 wurden lediglich knapp die Hälfte der anvisierten 100.000 Wohnungen gebaut –, es ist vor allem auch irreführend. Der Bund ist für den sozialen Wohnungsbau nämlich seit der Föderalismusreform 2006 gar nicht mehr zuständig. Außerdem baut der Staat in Deutschland selbst gar keine Wohnungen, sondern schafft lediglich (finanzielle) Anreize und überlasst den Bau anderen. Die Bundesregierung kann hier zwar unterstützend eingreifen – doch ohne die Länder werden keine neuen Sozialwohnungen entstehen.
Für den sozialen Wohnungsbau sind die Länder zuständig
Lange Zeit war der Bund für den sozialen Wohnungsbau zuständig. Die erste Fassung des Grundgesetzes (GG) von 1949 ordnete den sozialen Wohnungsbau der konkurrierenden Gesetzgebung zu. Da die Bemühungen der Länder zur Bewältigung der kriegsbedingten Wohnungsnot weithin als unwirksam angesehen wurden, verabschiedete der Bund 1950 das Erste Wohnungsbaugesetz und 1956 das Zweite Wohnungsbaugesetz. Damit initiierte er ein groß angelegtes, öffentlich finanziertes soziales Wohnungsbauprogramm für breite Schichten der Bevölkerung (s. Harlander, Wohnungspolitik, S. 2957). Erst im Jahr 2001 zog sich der Bund mit dem Erlass des Wohnraumförderungsgesetzes (WoFG) aus dem sozialen Wohnungsbau zurück. Weil die regionale Wohnraumversorgung nach der Wiedervereinigung zunehmend auseinanderklaffte, definiert das WoFG den sozialen Wohnungsbau ausdrücklich als Aufgabe der Länder (s. Kiehle, Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, S. 1034).
Die Zuständigkeit wurde per einfachem Bundesgesetz an die Länder übertragen, verfassungsmäßig änderte sich 2001 erstmal nichts. Erst im Rahmen der Föderalismusreform I im Jahre 2006 erfolgte dann die verfassungsrechtliche Übertragung der Zuständigkeit für den sozialen Wohnungsbau, indem dieser aus Artikel 74 GG zur konkurrierenden Gesetzgebung entfernt wurde. Der soziale Wohnungsbau ist damit einer der wenigen Politikbereiche, in denen die Länder die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit haben. Dadurch verliert das WoFG seine Gültigkeit in all jenen Ländern, die eigene Regelungen erlassen (wie zum Beispiel das Land Baden-Württemberg; für einen Überblick über die landesrechtlichen Regelungen siehe hier).
Kurz gesagt: Wäre die Ampel in der Nachkriegszeit an der Regierung gewesen, hätte sie mit verfassungsrechtlichem Rückhalt versprechen können, den Bau von Sozialwohnungen fördern zu wollen. Inzwischen sind aber die Länder dafür zuständig.
In Deutschland baut der Staat gar nicht selbst
Doch selbst die Länder bauen keine Sozialwohnungen. In Deutschland baut der Staat die Wohnungen nicht selbst, sondern schafft Anreize, damit nicht-staatliche Akteure den Bau übernehmen. Das wichtigste Merkmal des sozialen Wohnungsbaus in Deutschland ist eine besondere Form der öffentlich-privaten Partnerschaft (s. für einen Überblick in anderen Staaten hier). Nicht-staatliche Akteure – darunter fallen etwa kommunale Wohnungsunternehmen und Genossenschaften, private und gewerbliche Investoren – erhalten einen öffentlichen Zuschuss, wenn sie den vom Staat als berechtigt definierten Personen und Haushalten für einen bestimmten Zeitraum (in der Regel 20 bis 40 Jahre) Sozialwohnungen vermieten. Während dieses Zeitraums werden die Wohnungen zu einer reduzierten Miete angeboten, wobei öffentliche Zuschüsse die Lücke zwischen der reduzierten Miete und der Kostenmiete decken. Anschließend werden die Wohnungen dem regulären Wohnungsmarkt zugeführt (s. Marquardt/Glaser, S. 363f.).
Anders als in anderen Staaten (beispielsweise Österreich) war die Sozialbindung der Wohnungen in Deutschland bisher zeitlich begrenzt. Das bedeutete im Umkehrschluss: Der Bestand von Wohnungen mit Sozialbindung geht zurück, sofern die Anzahl der Wohnungen, deren Sozialbindung ausläuft, nicht durch den Neubau von Sozialwohnungen ausgeglichen wird. Zwischen 2013 und 2023 war die Anzahl der Wohnungen, bei denen die Sozialbindung wegfiel und die auf den regulären Wohnungsmarkt kamen (etwa 403.000), allerdings fast doppelt so hoch wie die Anzahl neuer Sozialwohnungen (rund 230.000).1) Um die dadurch entstandene Lücke zu schließen, müsste also tatsächlich deutlich mehr gebaut werden. Aufgrund der föderalen Kompetenzgrenzen liegt es aber vor allem in der Hand der Länder, den Bau neuer Sozialwohnungen anzukurbeln.
Kann der Bund nur zuschauen?
Trotz der ausschließlichen Zuständigkeit der Länder im sozialen Wohnungsbau muss der Bund allerdings nicht untätig dabei zusehen, wie es nahezu überall in Deutschland an bezahlbarem Wohnraum fehlt. Die nächste Regierung kann durchaus darauf hinwirken, dass Sozialwohnungen gebaut werden, ist dabei jedoch auf die Zusammenarbeit der Länder angewiesen.
In den Verhandlungen über die Föderalismusreform I versprach der Bund den Ländern, diese für den Wegfall des Bundesanteils an der Finanzierung der zuvor mitfinanzierten öffentlichen Leistungen zu entschädigen. Diese „Entflechtungsmittel“ stellte der Bund aufgrund der fehlenden grundgesetzlichen Ermächtigung – also einer Art „Kooperationsverbot“, wie es auch in der Bildungspolitik bestand – weitgehend ohne Bedingungen bereit. Im Entflechtungsgesetz bestand die einzige Vorgabe darin, die Entflechtungsmittel für Investitionen in den sozialen Wohnungsbau zu verwenden. Infolge einer Änderung des Entflechtungsgesetzes entfiel die Zweckbindung der Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau im Zeitraum von 2014 bis 2019. Die Länder waren nicht mehr verpflichtet, die Mittel für Investitionen in den sozialen Wohnungsbau zu verwenden und haben sie auch für anderes eingesetzt. Kritik wurde laut, dass „einige Länder die eigene Haushaltsnot drückender empfanden als die Wohnungsnot ihrer Bürger.“ Der Bund konnte aufgrund der bestehenden Rechtslage jedoch nicht gegensteuern. Gleichwohl bleibt unklar, ob der Bund selbst bei entsprechender Steuerungsfähigkeit tatsächlich aktiv geworden wäre.
Inzwischen kann der Bund wieder steuern: Seit einer Verfassungsänderung 2019 darf er seinerseits erneut Anreize schaffen – allerdings für die Länder, die diese Anreize dann selbst im Rahmen ihrer Förderprogramme an die Baubranche weitergeben müssen. Die Neufassung von Artikel 104d GG ermächtigt den Bund, „den Ländern Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) im Bereich des sozialen Wohnungsbaus [zu] gewähren”. Auf Grundlage des neuen Artikels 104d GG und angesichts einer sich zuspitzenden Wohnungsnot versprach die Ampel-Regierung den Ländern Mittel in Höhe von 18,5 Milliarden Euro für 2022 bis 2027, wobei die Länder sich jedoch zur Mitfinanzierung verpflichten müssen. Sie müssen ergänzend zu den Bundesmitteln einen Betrag in Höhe von mindestens 30 Prozent des Bundeszuschusses für den sozialen Wohnungsbau bereitstellen – und zwar zusätzlich zu den bestehenden Landesausgaben. Dabei sind die Zuschüsse des Bundes nicht mehr ungebunden, sondern Investitionen in den sozialen Wohnungsbau gewidmet. Geregelt werden diese Modalitäten in Verwaltungsabkommen, die rechtliche Verbindlichkeit schaffen.
Die Bundesregierung hat außerdem im Rahmen eines Kabinettsbeschlusses zum Jahressteuergesetz 2024 (§ 52) vom 5.6.2024 die Wohngemeinnützigkeit wieder eingeführt, nachdem diese 1990 abgeschafft worden war. Durch die „Neue Wohngemeinnützigkeit“ (NWG) soll bezahlbarer Wohnraum im Gegenzug für steuerliche Begünstigungen dauerhaft zur Verfügung gestellt werden. Auch so kann der Bund dazu beitragen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Zudem kann eine engere Zusammenarbeit mit den Ländern, die politische Initiativen bündelt, den Bau neuer Sozialwohnungen erleichtern. Erst kürzlich haben Bund und Länder beschlossen, Bauplanungen und Baugenehmigungsverfahren zu beschleunigen, um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Der Bund wird dabei die Gesetze und Vorschriften überarbeiten, die in seine Zuständigkeit fallen. Im Zentrum steht die Novellierung des Baugesetzbuches des Bundes (BauGB), die das Bundeskabinett im 4.9.2024 verabschiedet hat und die sich mittlerweile im parlamentarischen Verfahren befindet – wobei angesichts des Endes des Ampel-Regierung allerdings unklar ist, wie es mit diesem Vorhaben weitergeht.
Kurzum: Der Bund kann zwar selbst weder bauen noch den Bau von Sozialwohnungen fördern. Doch die Bereitstellung von Finanzmitteln, die NWG sowie die Änderungen von Bundesgesetzen und -vorschriften bedeuten, dass das (Wahlkampf)versprechen zum sozialen Wohnbau – obgleich irreführend – zumindest kein leeres ist.
References
↑1 | Berechnungen auf Grundlage von BT-Drucksachen 18/11403, 20/1824, 19/12234, 19/21928, 20/2692, 20/7889 sowie tagesschau.de für das Jahr 2023. |
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