27 November 2023

Sprachrohr für zwei Seiten

Strukturelle Defizite im Polizeibeauftragtengesetz

Der Trend geht zu parlamentarischen Polizeibeauftragten. Nachdem bereits acht Bundesländer derartige Stellen geschaffen haben, legen die Ampel-Fraktionen nun den Gesetzesentwurf für eine:n Polizeibeauftragte:n beim Deutschen Bundestag vor. Vor dem Hintergrund, dass Deutschland seit Jahrzehnten massive institutionelle Defizite bei der unabhängigen und menschenrechtskonformen Aufarbeitung von polizeilichem Fehlverhalten hat, ist die Initiative überfällig. In seiner derzeitigen Ausgestaltung wird der:die Polizeibeauftragte des Bundestags diese Erwartungen nur begrenzt erfüllen können.

Menschenrechtlicher Handlungsbedarf

In den letzten Jahren haben zahlreiche Landtage Beauftragte für ihre jeweilige Landespolizei eingerichtet. Den Anfang machte 2014 Rheinland-Pfalz, das das bereits seit 1974 bestehende Amt der Bürger:innenbeauftragten um die Zuständigkeit einer Polizeibeauftragten ergänzte. Die Länder Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg folgten 2016 mit ähnlichen Ämtern. Ab 2020 erfolgte ein zweiter Entwicklungsschub mit Polizeibeauftragtengesetzen in Bremen, Berlin und Hessen – wobei das hessische Amt bis heute unbesetzt ist. 2021 wurde in Mecklenburg-Vorpommern die Zuständigkeit der:des Bürger:innenbeauftragten auf Eingaben aus der Landespolizei erweitert (ohne dass das Amt dafür spezifische Befugnisse erhielt), 2022 schaffte Brandenburg das Amt einer:eines Polizeibeauftragten beim Landtag. Charakteristisch für diese parlamentarischen Polizeibeauftragten ist, dass sie als Hilfsorgan des Landtages konzipiert sind, das unabhängig und weisungsfrei Eingaben bearbeiten soll. Sie unterscheiden sich damit auch von den zentralen Beschwerdestellen in den Innenministerien von Sachsen-Anhalt (seit 2009), Niedersachsen (seit 2014), Thüringen (seit 2016) bzw. in der sächsischen Staatskanzlei (dort seit 2019, zuvor seit 2016 im Innenministerium), die auch weisungsfrei arbeiten sollen, aber organisatorisch der Exekutive zuzuordnen sind (vgl. Piening et al. 2022, S. 17ff.).

Die Einrichtung von unabhängiger Polizeibeschwerdestellen ist jedoch nicht nur eine politische Mode, sondern entspringt der menschenrechtlichen Verpflichtung, polizeiliches Fehlverhalten effektiv aufzuklären. Im Jahr 1996 äußerte der UN-Menschenrechtsausschuss erstmals seine Besorgnis, dass kein unabhängiger Mechanismus zur Untersuchung von Beschwerden über Misshandlungen durch die Polizei bestehe. Seitdem haben zahlreiche Menschenrechtsgremien die Einrichtung unabhängiger Untersuchungsstellen gefordert (vgl. Töpfer/Normann 2014, S. 5). Zuletzt kritisierte der EGMR im Fall Basu/Deutschland, dass die Beschwerde über eine mutmaßlich rassistisch-begründete Polizeikontrolle durch die Bundespolizei lediglich polizeiintern untersucht und auch durch die Verwaltungsgerichte nicht aufgeklärt wurde. Zudem werden in der Studie „Gewalt im Amt“ die Defizite bei der Aufarbeitung von polizeilicher Gewaltanwendung aus Sicht der Betroffenen deutlich. Anders als im Ausland sind Polizeibeauftragte in Deutschland sowohl für Bürger:innen als auch Polizist:innen zuständig. Dies wirft die Frage auf, ob das geplante Amt wirksam gegen polizeiliches Fehlverhalten arbeiten kann, wenn es sich zugleich „Sprachrohr für beide Seiten“ versteht?

Unnötig enges Mandat

Mit dem Entwurf für ein Polizeibeauftragtengesetz (BT-Drs. 20/9148) planen die Regierungsfraktionen ein Amt, dass einerseits „strukturelle Mängel und Fehlentwicklungen“ bei den Polizeibehörden des Bundes, andererseits „mögliches Fehlverhalten [ihrer Beschäftigten] im Einzelfall“ untersuchen und bewerten soll (§ 1). Die Zuständigkeit erstreckt sich mithin auf die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und die Polizei beim Deutschen Bundestag. Nicht umfasst sind die Vollzugsbehörden der Bundeszollverwaltung, die mit polizeiähnlichen Befugnissen ausgestattet agieren.

Im Regelfall soll der:die Polizeibeauftragte auf Eingaben von Bürger:innen oder Polizeibeschäftigten hin tätig werden (§ 2 Abs. 1). Beschäftigten, die sich ohne Einhaltung des Dienstweges an den:die Beauftragten wenden, darf aus einer Eingabe kein Nachteil entstehen (§ 3 Abs. 1). Für Bürger:innen, die nicht bei der Polizei beschäftigt sind, setzt § 3 Abs. 2 voraus, dass „1. eine persönliche Betroffenheit der Person in einem Einzelfall geltend gemacht wird und 2. sich aus den Angaben Anhaltspunkte für strukturelle Mängel oder Fehlentwicklungen bezogen auf die Polizeibehörden des Bundes ergeben.“ Dies soll ausweislich der Begründung dazu führen, dass der:die Polizeibeauftragte „nur mit Angelegenheiten einer gewissen horizontalen Tragweite oder mit Einzelfällen von hinreichender Bedeutung beschäftigt werden soll“ (S. 18). Damit ist das Mandat der:des Bundespolizeibeauftragten deutlich enger als das vergleichbarer Ämter in den Ländern, die weder eine persönliche Betroffenheit noch eine strukturelle Dimension des Fehlverhaltens erfordern (vgl. §§ 17 BüBG BW, 4 Abs. 2 PolBG BB, 14 Abs. 1 BüPolBG BE, 4 Abs. 1 PolBG HB, 17 BüPolBG HE, 19 BüPolBG RP, 13 BüPolBG SH).

Auch sieht der Gesetzesentwurf eine Frist von maximal drei Monaten nach Bekanntwerden des zugrundeliegenden Sachverhalts (§ 3 Abs. 5) sowie bestimmte Pflichtangaben zu eingebender Person und Sachverhalt (§ 3 Abs. 4) vor. Auf Wunsch soll der:die Polizeibeauftragte der eingebenden Person jedoch Anonymität gegenüber der betroffenen Polizeibehörde zusichern (§ 3 Abs. 6), was in der Praxis etwa bei Beschwerden über Personenkontrollen, nur schwer umzusetzen sein wird. Anonyme Beschwerden sollen ausdrücklich nicht möglich sein. Auch hier unterscheidet sich der Gesetzesentwurf teilweise von den Landespolizeibeauftragtengesetzen. So sehen etwa Schleswig-Holstein, Bremen und Berlin auch anonyme Eingaben als zulässig an und überlassen es den Beauftragten zu entscheiden, ob die Untersuchung der Eingabe geboten erscheint (§§ 14 Abs. 4 BüPolBG BE, 6 Abs. 1 PolBG HB, 15 Abs. 2 BüPolBG SH). Auch lassen Berlin (6 Monate, § 14 Abs. 5 BüPolG BE), Brandenburg (9 Monate, § 5 Abs. 3 PolBG BB), Schleswig-Holstein (12 Monate, § 15 Abs. 3 BüPolBG SH) und Bremen (bis zu drei Jahre, § 6 Abs. 1 PolBG HB) zu, dass länger zurückliegende Sachverhalte zum Gegenstand von Eingaben gemacht werden. Die Vorgaben des Gesetzesentwurfs erscheinen hier unnötig restriktiv und wirken kontraproduktiv für das Ziel eines niedrigschwelligen Zugangs (vgl. dazu Kühne, KrimJ 2023, 117 (121ff.)).

Polizeibeauftragte sind für ihre Arbeit auf das Vertrauen der Betroffenen polizeilichen Fehlverhaltens und ihre zivilgesellschaftlichen Vertreter:innen angewiesen. Dieses Vertrauen aufzubauen, könnte sich als schwierig erweisen, da der:die Beauftragte einerseits für die Interessen der Polizeibeschäftigten und andererseits auch gegen deren Fehlverhalten im Einzelfall arbeiten soll. Der:die Beauftragte befindet sich also permanent im Spagat zwischen Kritik und Interessenvertretung. Um einen ‚engen Draht‘ zur Zivilgesellschaft zu pflegen, institutionalisiert etwa das Bremer Gesetz den Kontakt zu Menschenrechtsorganisationen, Wissenschaft und Personalräten durch einen Beirat (§ 19 PolBG HB) und räumt explizit auch juristischen Personen wie Beratungsstellen und NGOs das Recht zur Eingabe ein (§ 4 Abs. 1 PolBG HB). Der Ampel-Gesetzesentwurf geht einen umgekehrten Weg, indem er Eingaben von innerhalb und außerhalb der Polizei ungleich behandelt – den Eingaben von Polizist:innen ist immer nachzugehen (§ 2 Abs. 1 S. 1), den Eingaben von anderen Bürger:innen nur unter erhöhten Voraussetzungen und im Ermessen der:des Polizeibeauftragten (§§ 2 Abs. 1 S. 2, 3 Abs. 2). So gewinnt man kein Vertrauen!

Ein „Goldstandard“ für die Untersuchungsbefugnisse?

Bereits im Koalitionsvertrag vereinbarten die Regierungsparteien, dass der:die Polizeibeauftragte „Akteneinsichts- und Zutrittsrechte“ erhalten solle (S. 83). Damit verfügt das Amt über weitergehende Rechte als die Landespolizeibeauftragten in Baden-Württemberg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz, die sich auf ein Auskunftsrecht gegenüber dem zuständigen Landesinnenministerium beschränken müssen. Ohnehin scheint an der dortige Konstruktion verfehlt, dass die Bürger:innenbeauftragten mehr Befugnisse als die in Personalunion handelnden Polizeibeauftragten erhalten (vgl. dazu Botta, JZ 2022, 664 (667)).

Der vorgelegte Gesetzesentwurf regelt in § 4 detailliert, dass zur Untersuchung des Sachverhaltes eingebende Personen angehört (Abs. 1), Polizeibeschäftigte befragt (Abs. 3), Stellungnahmen angefordert und bewertet (Abs. 4), Akten eingesehen (Abs. 5, 6) sowie Räumlichkeiten der Polizeibehörden des Bundes jederzeit und ohne vorherige Anmeldung betreten werden dürfen (Abs. 7). Im Einvernehmen mit der jeweiligen Einsatzleitung kann der:die Polizeibeauftragte zudem bei größeren Einsatzlagen als Beobachter:in anwesend sein (§ 7 Abs. 8). Zwar lässt sich darüber streiten, ob es sich bei den erteilten Befugnissen um einen „Goldstandard für die Beauftragten“ handelt, wie sie ein SPD-Innenpolitiker in der ersten Lesung bezeichnete – immerhin stattet der Gesetzesentwurf das Amt mit den seit vielen Jahren von zivilgesellschaftlichen Akteur:innen und dem Deutschen Institut für Menschenrechte geforderten Untersuchungsbefugnissen aus. Daran werden sich künftige Polizeibeauftragtengesetze, wie sie etwa in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen geplant sind, messen lassen müssen.

Dies gilt auch für die (offenbar § 10 Abs. 2 PolBG HB nachempfundene) Befugnis, Untersuchungen parallel zu Disziplinar-, Bußgeld- und Strafverfahren zu führen, wenn damit ein eigenes Erkenntnisinteresse verbunden ist und das Verfahren dadurch nicht gefährdet wird (§ 6 Abs. 2). Folgerichtig soll der:die Beauftragte auch nicht an die Bewertung dieser Verfahren gebunden sein (§ 6 Abs. 4). Dies ist insbesondere hinsichtlich der Aufarbeitung struktureller Defizite von Bedeutung, bei denen es nicht primär auf die individuelle Verantwortlichkeit für ein Fehlverhalten ankommt. Im Unterschied dazu müssen bzw. sollen Polizeibeauftragte in Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg ihre Untersuchungen bis zum Abschluss anderer Verfahren vorläufig einstellen (§§ 2 Abs. 2 PolBG BB, 12 Abs. 2 BüBG BW; 16 Abs. 2 BüPolBG HE; 18 Abs. 2 BüPolBG RP). In Berlin und Schleswig-Holstein gibt es zumindest Einschränkungen bei der Weiterverfolgung (§§ 17, 18 Abs. 2 BüPolBG BE, 12 Abs. 2 BüPolBG SH).

Polizeibeauftragte:r im Spagat?

Die selbsternannte Fortschrittskoalition legt den Entwurf für ein Polizeibeauftragtengesetz vor, dass in Hinblick auf die Befugnisse der:des Beauftragten durchaus als fortschrittlich bezeichnet werden kann. Allerdings schränkt die „Ampel“ das Tätigkeitsfeld des Amtes erheblich ein, indem sie anonyme Beschwerden ausschließt und eine relativ kurze Beschwerdefrist festschreibt. Auch ist es unnötig restriktiv, eine persönliche Betroffenheit sowie Anhaltspunkte für strukturelle Defizite zu fordern. Letzteres dürfte dazu führen, dass der zukünftige Amtsinhaber über einen großen Spielraum hinsichtlich der Frage verfügt, welche Eingaben weitergehend untersucht werden. Denkbar schlecht wäre, wenn den im Zusammenhang mit polizeilichem Fehlverhalten sprichwörtlich gewordenen „Einzelfällen“ mangels ersichtlich struktureller Dimensionen nicht entschieden nachgegangen würde. Es dürfte auch für reichlich Frustration bei Zeug:innen eines Übergriffs durch Polizist:innen sorgen, die eine Eingabe machen, weil sich der:die Betroffene selbst dazu nicht in der Lage sieht, wenn diese dann auf Grund fehlender persönlicher Betroffenheit abgelehnt wird.

Da das Bundeskriminalamt und die Polizei beim Deutschen Bundestag wenig Berührung mit der Bevölkerung haben, wird der Polizeibeauftragte des Bundes in der Praxis vor allem ein „Bundespolizei-Beauftragter“ werden. Gerade hinsichtlich der auf §§ 22 Abs. 1a, 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG gestützten Praxis des Racial Profilings wäre wünschenswert, dass das neue Amt sich dieser Fälle annimmt. Zugleich sollte diese „nur“ menschenrechtswidrige, aber nicht strafbare Form polizeilichen Fehlverhaltens Anlass für weitere Überlegungen zur Ermittlung in Amtsdelikten sein. Dazu wird zu Recht ein 2-Säulen-Modell gefordert: Neben der Aufarbeitung von nicht-strafbarem Fehlverhalten und strukturellen Missständen durch den:die Polizeibeauftragte:n braucht es polizeiexterne Ermittlungspersonen in Strafverfahren gegen Polizist:innen (so auch Töpfer/Peter 2017, S. 8, 32; Sammet, DÖV 2023, 534 (544)).

Polizeibeauftragte sind kein Allheilmittel. Sie sind „Vermittlungs- statt Ermittlungsstellen“ und können das etablierte System administrativer Binnenkontrolle im Regel- und justiziellem Grundrechtsschutz im Ausnahmefall nur ergänzen, nicht aber von allen Defiziten befreien. Gleichzeitig werden sie durch den institutionellen Spagat, zugleich Fürsprecher:in und Kritiker:in der Polizei sein zu sollen, in ihrer Arbeit gebremst. Mit dem neuen Amt sollten daher keine unerfüllbaren Erwartungen verbunden werden. Gleichwohl ist der Gesetzesentwurf ein Schritt in die richtige Richtung – mit der Chance zur Nachbesserung im parlamentarischen Verfahren.


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