Staatssekretär wider Willen?
Warum Parlamentarische Staatssekretäre nicht auf eigenes Verlangen aus dem Amt entlassen werden können
Die parlamentarische Demokratie der Bundesrepublik betritt dieser Tage in großen wie in kleinen Fragen teils unbekanntes Terrain. Minderheitsregierung, Neuwahlen, Entlassung eines Ministers, Parteiaustritt und Regierungsverbleib eines anderen. Eine interessante Randnotiz waren dabei die etwas kuriosen Geschehnisse im Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) am Donnerstag: Die Parlamentarischen Staatssekretäre des Ministers (allesamt FDP) verkündeten, als Konsequenz von Volker Wissings Verbleib in der Regierung, zurücktreten zu wollen und baten um ihre Entlassung. Wenig später berichteten Journalisten in den sozialen Medien, dass der Minister dem bisher nicht entsprechen wolle und deshalb der Bundespräsident auf direktem Wege angerufen werden würde, was der betroffene Parlamentarische Staatssekretär Oliver Luksic mit einem Retweet versah. Allerdings: Die Entlassung eines Parlamentarischen Staatssekretärs nur auf sein eigenes Verlangen ist rechtlich gar nicht möglich.
Ernennung und Entlassung Parlamentarischer Staatssekretäre
Parlamentarische Staatssekretäre fungieren als Scharnier der Bundesregierung ins Parlament hinein. Schon dadurch, dass sie in aller Regel auch selbst Mitglieder des Bundestages sind, kommt ihnen diese Brückenfunktion zu.1) Sie nehmen Termine für ihre Minister war, wirken als Sprachrohr des Ministers in ihre jeweilige Fraktion und nehmen dafür an den entsprechenden Sitzungen der Fraktionsgremien teil. Dort sind sie gleichzeitig Ansprechpartner für die Fraktionsmitglieder zu Gesetzesvorhaben aus ihrem Haus. Nicht zuletzt stehen sie im Plenum als Vertreter des Ministers bei Regierungsbefragungen Rede und Antwort (s. Anlage 7 zur Geschäftsordnung der Bundesregierung). Sie verkörpern die parlamentarische Demokratie, sind gewissermaßen politische Vertraute des Ministers mit formellem Status. Sie werden einem Bundesminister „beigegeben“ (§ 1 Abs. 1 ParlStG), um ihn bei der Erfüllung der Regierungsaufgaben zu unterstützen (§ 1 Abs. 2 ParlStG).
Sowohl die Ernennung als auch die Entlassung nimmt stets der Bundespräsident vor, dem diese Kompetenz in §§ 2, 4 ParlStG übertragen worden ist. Wenn er diese Aufgabe ausführt, hat der Bundespräsident, ganz gleich der konkreten Konstellation, lediglich ein Recht zur Überprüfung der formellen Voraussetzungen.2) Ernannt wird nach § 2 ParlStG auf Vorschlag des Kanzlers und im Einvernehmen mit dem Bundesminister, in der Regel abgedeckt durch eine politische Absprache in der regierenden Koalition.
Wie steht es um die Entlassung? Die erfolgt nach § 4 ParlStG zunächst im exakt gleichen Verfahren. Möchte der Kanzler einen Parlamentarischen Staatssekretär aus der Regierung entfernen, kann der Minister diesen allerdings nicht dauerhaft gegen den Willen des Kanzlers im Amt halten und gewissermaßen vor diesem abschirmen. Ohne politische Einigung kann der Kanzler als ultima ratio schließlich stets den Minister entlassen (Art. 64 Abs. 1 GG) und damit auch die Amtszeit des Parlamentarischen Staatssekretärs beenden (§ 4 S. 3 ParlStG). In den meisten Fällen wird es freilich einen politischen Kompromiss zwischen Kanzler und Minister mit anschließender Personalrochade geben. Interessant ist aus dem beschriebenen aktuellen Anlass vor allem die zweite Alternative von § 4 S. 1 ParlStG: Die Parlamentarischen Staatssekretäre können jederzeit ihre eigene Entlassung verlangen. Das haben die Betroffenen am Donnerstag offenbar auch getan. In Zusammenschau mit dem folgenden Satz (§ 4 S. 2 ParlStG) bleibt allerdings unklar, ob sich das Verlangen direkt an den Bundespräsidenten richten kann,3) oder ob auch in diesem Fall als Zwischenschritt zunächst Kanzler und Minister dem Ersuchen zustimmen müssen.
Wie gewonnen, so zerronnen
Zunächst kann man sich dieser Frage anhand einer actus-contrarius-Überlegung nähern: Offensichtlich kann der Bundespräsident nicht eigenhändig einen Parlamentarischen Staatssekretär ins Amt hieven, der die Chuzpe besitzt, sich ohne Rückendeckung der Regierungskoalition einfach an ihn zu wenden. Diese Möglichkeit findet schon keinen Anknüpfungspunkt in § 2 ParlStG. Die gegenteilige Handlung, also die Entlassung, sieht in § 4 S. 1 Alt. 2 ParlStG aber zumindest irgendeine Form der Eigeninitiative des Parlamentarischen Staatssekretärs vor. Kann er sich also möglicherweise direkt an den Bundespräsidenten wenden und damit insbesondere ohne Mitwirkung des Kanzlers seine Entlassung erzwingen? Diese Lesart widerspricht fundamental der grundgesetzlichen Idee davon, wie die Kreation der Bundesregierung vor sich geht. Alles steht und fällt hier mit dem Kanzler, er hat das materielle Kabinettsbildungsrecht. Das parlamentarische Vertrauen in sein Kabinett wird ultimativ nur über ihn vermittelt, er wird als einziges Kabinettsmitglied vom Parlament gewählt und bei einem erfolgreichen konstruktiven Misstrauensvotum auch abgewählt. Alternativ zerbricht die Regierung zwar politisch – das ist aktuell für alle sichtbar –, verfassungsrechtlich aber eben nicht schon mit dem Aufkündigen einer Koalition oder der Entlassung eines Ministers, sondern erst wenn der Bundestag ihm, dem Kanzler, das Vertrauen entzieht. Insofern ist eine Beteiligung des Bundeskanzlers an dem Entlassungsvorgang in jedem Fall notwendig. Er muss dem Ersuchen des Parlamentarischen Staatssekretärs zustimmen, auch wenn dieser die Entlassung selbst verlangt.
Keine Geschäftsbereiche, nur ein Chef
Nicht nur die Richtlinienkompetenz des Kanzlers (Art. 65 S. 1 GG) spricht dagegen, dass ein eigenmächtiges Entlassungsverlangen des Parlamentarischen Staatssekretärs möglich ist. Auch seine besondere politische Vertrauensbeziehung zu dem Kabinettsmitglied, dem er beigegeben ist, macht die Gegenansicht überzeugender. Die Minister genießen bekanntermaßen nach dem Ressortprinzip in ihrem Geschäftsbereich einige Freiheiten (Art. 65 S. 2 GG). Schon der Wortlaut der Ernennungsurkunde Parlamentarischer Staatssekretäre macht deutlich, wie nahe beim Minister sie sich in das Regierungsgefüge einordnen: Sie werden keinem Ministerium oder Geschäftsbereich zugewiesen, obwohl das ausweislich des § 7 ParlStG in Verbindung mit § 2 Abs. 3 BMinG grundsätzlich auf der Urkunde vermerkt werden soll. Vielmehr werden sie einem Kabinettsmitglied persönlich zugeordnet und dementsprechend in ihrer Urkunde zum Parlamentarischen Staatssekretär „beim Bundesminister für/des/der…“ ernannt.4) Insofern ist es, ebenso wie beim Kanzler, unplausibel, den Minister über § 4 S. 1 Alt. 2 ParlStG aus dem Entlassungsvorgang herauszuhalten. Dem Parlamentarischen Staatssekretär würde rechtlich sanktionierte Verhandlungsmasse gegenüber seinem Minister zugestanden, die seine Position über die Maßen stärkt und ihn fast schon zu einem eigenständigen Akteur in der Bundesregierung macht.
Keine präsidiale Personalpolitik innerhalb der Bundesregierung
Auch dem Bundespräsidenten kann keine eigene Personalpolitik am Kanzler vorbei erlaubt werden. In Ernennungs- und Entlassungsfragen steht dem Bundespräsidenten nach ganz überwiegender Meinung nur ein formelles Prüfungsrecht zu.5) Schon bei den Ministern kann er die Entlassung nur mit Zustimmung des Kanzlers vornehmen, den viel zitierten „Rücktritt“ eines Ministers kann es in dieser Form nach überzeugender Ansicht rechtlich nicht geben.6) Noch weniger kann dies aber dann für die Parlamentarischen Staatssekretäre gelten, deren Schicksal rechtlich und politisch auf das Engste mit dem Minister persönlich verknüpft ist.
Mit manchem Recht kann man dementgegen zwar die Reduktion vieler Kompetenzen des Bundespräsidenten auf formelle Rechtsüberprüfung kritisch sehen. Insbesondere wenn die parlamentarische Unterstützung des Kanzlers bröckelt, kann die hinzutretende Legitimation des Bundespräsidenten eine ausgleichende und stabilisierende Wirkung haben.7) Das kann gegebenenfalls etwa für eine Ministerernennung gelten, wenn der Regierungskoalition wie aktuell eine stabile parlamentarische Mehrheit fehlt. Anders als der Minister benötigt ein Parlamentarischer Staatsekretär aber keine zusätzliche Legitimation. Er empfängt die seinige ja direkt aus der Zugehörigkeit zum Parlament und leitet zusätzlich weitere über den Minister und den Kanzler ab. Die personellen Befugnisse des Bundespräsidenten hier gewissermaßen „unter“ die Ebene des Ministers auf dessen politische Vertraute auszuweiten, leuchtet daher selbst bei einem robusteren Verständnis der Kompetenzen des Bundespräsidenten nicht ein.
Die Politik wird schon regeln
Insofern können Minister und Kanzler im Ergebnis durchaus einen Parlamentarischen Staatssekretär gegen seinen Willen im Amt halten, zumindest, solange dieser nicht sein Bundestagsmandat niederlegt und damit auch sein Amt verliert, § 4 S. 4 ParlStG.8)
Die damit verbundene Härte für die betroffene Person hält sich allerdings durch die politischen Bewegungsgesetze in Grenzen. Die Amtsinhaberschaft geht schließlich nicht mit rechtlich konkret bestimmbaren Amtspflichten einher. Ebenso wenig bestehen Weisungs- oder Versetzungsbefugnisse des Ministers gegenüber dem Parlamentarischen Staatssekretär. Er ist kein Beamter, sondern direkt legitimierter Bundestagsabgeordneter. Aus rechtlicher Perspektive hat der in den Amtsverbleib gedrängte Staatssekretär also wenig zu befürchten und kann sich in der weitestgehenden Untätigkeit einrichten. Eine freie Mandatsausübung ist also weiterhin möglich.
Auf der anderen Seite der Gleichung werden Parlamentarische Staatssekretäre, die einer Oppositionsfraktion angehören und sich öffentlich gegen den Minister wenden, politisch für die Bundesregierung sehr zügig nutzlos bis belastend. Sie können nicht mehr in eine Fraktion hineinwirken, die die Regierung trägt und werden dem Minister im Plenum nicht mehr den Rücken freihalten – eher im Gegenteil. Aus ihrer Position im Grenzgebiet zwischen Regierung und Parlament bewegen sie sich zurück in Richtung Bundestag und reihen sich dort bei der Opposition ein. Früher oder später hat dann wohl jeder Minister, gerade in unruhigen Zeiten, lieber einen loyalen Unterstützer an seiner Seite. So können wir davon ausgehen, dass die personelle Neuaufstellung einer Minderheitsregierung früher oder später auch eine Neuverteilung der Parlamentarischen Staatssekretärsposten zur Folge hat. Ganz gleich, ob diese es wünschen oder nicht.
Der Autor dankt Pola Marie Brünger, Regina Mies und Justus Walter für wertvolle Anmerkungen zu diesem Text.
References
↑1 | Einzige Ausnahme können Parlamentarische Staatssekretäre beim Bundeskanzler sein, § 1 Abs. 1 ParlStG. |
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↑2 | V. Busse, in: ders., Parlamentarische Staatsekretäre-Gesetz, 2. Auflage 2014, § 2 Rn. 4. |
↑3 | So wohl V. Busse, in: ders., Parlamentarische Staatsekretäre-Gesetz, 2. Auflage 2014, § 4 Rn. 1. |
↑4 | V. Busse, in: ders., Parlamentarische Staatsekretäre-Gesetz, 2. Auflage 2014, § 2 Rn. 6. |
↑5 | M. Schröder, in: P. Huber/A. Voßkuhle (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 8. Auflage 2024, Art. 64 Rn. 29 m.w.N. |
↑6 | R. Herzog, in: G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Stand: Mai 2008, Art. 64 Rn. 51. |
↑7 | J. Lennartz, Kanzlerdemokratie, 2023, S. 317 ff. |
↑8 | Eine andere Lesart des Entlassungsverlangens und der Kompetenz des Bundespräsidenten im Falle schlechthin unzumutbarer persönlicher Umstände des Betroffenen muss damit nicht kategorisch ausgeschlossen sein. |
Der Beitrag erörtert eine Beteiligung von Bundeskanzler, Minister und Bundespräsident.
Soweit ersichtlich, wird eventuell nicht ausreichend verständlich erört, inwiefern jeweils diesen Beteiligten gegenüber eine Entlassung verlangt werden kann?