30 November 2023
Vertrauen ist gut, verfassungsrechtliche Kodifizierung ist besser
In seinem Artikel „In schlechter Verfassung“ in der ZEIT vom 16. November 2023 äußert der ehemalige Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle seine Skepsis gegenüber Vorschlägen, die im Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) geregelte Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Grundgesetz (GG) zu verankern. Für Voßkuhle erscheint die Situation in Deutschland im Vergleich zu Ländern wie Ungarn, Polen, den USA oder Israel, in denen Verfassungsgerichte attackiert und entmachtet werden, „noch einigermaßen gefestigt“. Doch dieser Anschein könnte sich schneller als gedacht als trügerisch erweisen. Die fehlende verfassungstextliche Konkretisierung von Struktur, Arbeitsweise und Zusammensetzung des höchsten deutschen Gerichts bietet auch hierzulande ein Einfallstor für politische Angriffe und Kaperungsversuche. Continue reading >>
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27 November 2023
Die Länderbremse
Die neuen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse dürften viele Landeshaushalte in Schwierigkeiten bringen. Eine Analyse verschiedener Landeshaushalte zeigt darüber hinaus, wie beliebig die demokratischen Parteien je nach Regierungs- oder Oppositionsrolle mit der Schuldenbremse umgehen. Besteht die Schuldenbremse in ihrer aktuellen Fassung fort, führt das für die Länder zu Jahren verfassungsgerichtlicher Streitigkeiten und unsicherer Haushalte. Continue reading >>16 November 2023
Die Repolitisierung des Politischen
Das Verfahren um den zweiten Nachtragshaushalt 2021 gab dem Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit, grundlegende Fragen des Finanzverfassungsrechts rund um die Schuldenbremse zu klären. Die Entscheidung, das Gesetz zu kassieren, war die juristisch einzig richtige ‒ und beraubt die deutsche Politik einer schützenden Selbsttäuschung. Continue reading >>08 November 2023
Freispruch bleibt Freispruch
Die Entscheidung des 2. Senats des BVerfG ist mit Spannung erwartet worden, jetzt ist sie da: Ein rechtskräftig Freigesprochener darf auch dann nicht wieder verfolgt werden, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel dringende Gründe dafür ergeben, dass er wegen Mordes oder eines schweren Kriegsverbrechens verurteilt wird. Die 2021 in § 362 Nr. 5 StPO ins Gesetz geschriebene Möglichkeit, in solchen Fällen die Wiederaufnahme des Verfahrens zu betreiben, ist verfassungswidrig und nichtig. Continue reading >>16 October 2023
Asylrechtliche Einzelfallgerechtigkeit und Demokratieprinzip
Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit wurde eine Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs durch das Bundesverfassungsgericht auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüft. Nachdem die gegen die Verwerfung des Parité-Wahlrechts durch den Verfassungsgerichtshof eingelegte Verfassungsbeschwerde als unzulässig zurückgewiesen wurde, wählte die 3. Kammer des Zweiten Senats nun die verfahrensrechtliche Alternative der Nichtannahme zur Entscheidung wegen Unbegründetheit. Das eröffnet die Möglichkeit, zu den wesentlichen Streitfragen auch inhaltlich Stellung zu nehmen. Continue reading >>
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13 October 2023
Wehrhafte Demokratie
Die Rede von der „wehrhaften Demokratie“ bezog sich ursprünglich auf die militärische Wehrhaftigkeit nach außen. Das änderte sich mit Karl Loewensteins Überlegungen zur „Militant Democracy“ (1937)“, in denen es um die notwendige Wehrhaftigkeit der Demokratie nach innen ging, gegen den Faschismus, der ihr den Krieg erklärt hatte. In dem seither vorherrschenden innengerichteten Sinn gilt das Prinzip der wehrhaften oder, weniger prägnant, der streitbaren Demokratie heute in Deutschland als Verfassungsprinzip. Inzwischen haben wir in Deutschland eine sich zunehmend radikalisierende der Partei, die „Alternative für Deutschland“, die vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall der Verfassungsfeindlichkeit geführt und deren thüringischer Landesverband vom thüringischen Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird. Continue reading >>17 August 2023
Thüringen-AfD verbieten?
Der Blick auf den Deutschlandtrend ist beängstigend. Die AfD liegt bundesweit zwischen 19 und 23 %, in Sachsen und Thüringen, wo am 01. September 2024 gewählt wird, bei 32-33 %. Die deutsche Demokratie ist bewusst nicht allein eine deliberative, sie ist auch eine wehrhafte. Sie bietet einen Instrumentenkasten zum Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Der besonders radikale Thüringer Landesverband bietet Anlass, ein Parteiverbotsverfahren nach Art. 21 II, IV GG „föderal zu durchdenken“. Continue reading >>18 July 2023
Changing Tides in European Election Law
On 15 June, the Bundestag approved a minimum percentage threshold for elections to the European Parliament (EP). Shortly before the summer break, the Bundesrat (Federal Council) also agreed to the clause. German lawmakers already failed twice in this endeavour before the Federal Constitutional Court (Bundesverfassungsgericht, short BVerfG). This time, the German legislator can refer to a binding EU legal act backing its reform efforts. This means the electoral threshold must now be treated (also by the constitutional court) as determined by EU law – with all consequences. However, even a 2% hurdle is not 100% safe from the BVerfG. Continue reading >>
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14 July 2023
Vorzeichenwechsel im Europawahlrecht
Der Bundestag hat am 15. Juni einer Sperrklausel für die Wahlen zum Europäischen Parlament zugestimmt. Kurz vor der Sommerpause schloss sich auch der Bundesrat an. Der deutsche Gesetzgeber unternimmt auf ein Neues, womit er schon zweimal vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert ist. Dieses Mal hat der deutsche Gesetzgeber bei der Einführung der Sperrklausel einen verbindlichen EU-Rechtsakt im Rücken. Damit geht allerdings einher, dass die Sperrklausel nun (auch verfassungsgerichtlich) mit allen Konsequenzen als determiniertes Unionsrecht behandelt werden muss. Doch auch eine 2 %-Hürde ist nicht zu 100% sicher vor dem BVerfG. Continue reading >>22 June 2023