Auto fahren oder Klima retten?
Vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten finden zurzeit Prozesse gegen Aktivist:innen von Letzte Generation statt. Diese hatten sich an verschiedenen Straßen in Berlin festgeklebt, um auf die unzureichenden Klimaschutzmaßnahmen aufmerksam zu machen (die BZ prägte deshalb auch den Begriff „Klima-Kleber“). Dadurch kam es teilweise zu Straßensperren und Staus. Die jüngst ergangenen Urteile werfen die Frage nach den strafrechtlichen Grenzen von zivilem Widerstand auf: Kann Klimaschutz ein strafrechtlicher Rechtfertigungsgrund sein? Continue reading >>Konventionswidrig aber rechtssicher
Mit Beschluss vom 08. Juli 2022 verwarf das OLG Frankfurt a.M. eine sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung eines auf § 359 Nr. 6 StPO gestützten Wiederaufnahmeantrags durch das LG Kassel - obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits die deutsche Handhabung möglicher Befangenheit von Richtern kritisiert hatte. Continue reading >>Nochmals: Cannabis-Entkriminalisierung und Europarecht
Ich habe kürzlich an dieser Stelle argumentiert, dass das Europarecht mit Blick auf die geplante Entkriminalisierung des Cannabiskonsums „die völkerrechtlichen Vorgaben im Wesentlichen“ nachvollzieht. Dem ist nun widersprochen worden und zwar unter Hinweis auf Art. 71 Abs. 2 SDÜ und den Beitritt der EU zur Wiener Drogenkonvention von 1988. Darauf ist kurz zu replizieren, weil die vorgebrachte Argumentation einerseits europarechtlich zu kurz greift und andererseits in der Sache an der Dominanz der völkerrechtlichen Abkommen nichts ändert. Continue reading >>Mehr soziale Gerechtigkeit im Strafrecht wagen
Seit erstem Juni werden auch in Berlin wieder Ersatzfreiheitsstrafen vollstreckt. Seit März 2020 war die Vollstreckung mehrfach ausgesetzt worden, weil man aufgrund der Coronapandemie den Strafvollzug schützen und nicht mit der häufigen Aufnahme von Personen mit kurzen Haftstrafen gefährden wollte. Damit wurde etwas umgesetzt, das viele kritische Beobachter*innnen des Strafvollzugs seit langem fordern: Das Ende der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen. Continue reading >>Sexualverbrechen sind nicht grenzüberschreitend
Pünktlich zum Internationalen Frauentag am 8. März 2022 hat die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vorgelegt. Auch wenn der Inhalt der Richtlinie politisch wünschenswert ist, hat die EU hierfür nicht die Kompetenz, da Vergewaltigungen (und Femizide) keine grenzübergreifende Kriminalität darstellen. Vor diesem Hintergrund dürfte die Bundesrepublik der Vergewaltigungs-Vorgabe in Art. 5 des Richtlinien-Entwurfs nicht zustimmen, will sie nicht die Vorgaben aus dem Lissabon-Urteil des BVerfG ignorieren. Continue reading >>Die Rechtfertigung von Straftaten angesichts der Klimakrise
Die Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ hat durch ihre Aktionen an der Berliner Autobahn aktuell eine öffentliche Diskussion über die Legitimität und Legalität von Protestaktionen in Deutschland entfacht. Erfordert die voranschreitende Klimakrise eine Neubeurteilung dessen, was strafbar ist? In Deutschland hat bislang noch kein Gericht entschieden, dass Straftaten im Zusammenhang mit Klimaprotesten gerechtfertigt sind. In Großbritannien, der Schweiz und Frankreich hingegen schon. Die Argumente dafür lassen sich auch auf den deutschen Kontext übertragen, sodass es durchaus vertretbar sein könnte, Straftaten angesichts der sich verschärfenden Klimakrise für gerechtfertigt zu befinden. Continue reading >>Bombe ohne Sprengkraft
Am Mittwoch dieser Woche gab die Staatsanwaltschaft Berlin bekannt, sie habe Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts der Untreue (§ 266 StGB) gegen Verantwortliche der Partei Bündnis90/Die Grünen aufgenommen. Boulevardmedien sprechen von einer „politischen Bombe“. Dass sie strafrechtliche Sprengkraft enthält, ist jedoch zu bezweifeln. Das liegt – paradoxerweise – an der Weite des Untreuetatbestandes.
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