06 December 2022

Transparenz? Ja, aber bitte nicht für alle

Über Verhältnismäßigkeit und das Ende des öffentlichen Geldwäsche-Transparenzregisters

Mit Urteil vom 22. November 2022 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Informationen über wirtschaftlich Berechtigte von Unternehmen nicht über ein öffentliches Transparenzregister zur Verfügung gestellt werden dürfen.

Die Zivilgesellschaft erhält über Journalisten und NGOs aber weiterhin umfassenden Zugriff auf diese Informationen, die essenziell sind, um wirtschaftliche Strukturen im Rahmen von Recherchen nachvollziehen und prüfen zu können. Befürchtungen dieser Gruppen, von den Informationen abgeschnitten zu werden, sind daher unbegründet.

Im Gegenteil: Der EuGH hat en passant den Kreis der Personen, die fortan im Einzelfall Zugriff auf das nicht-öffentliche Register nehmen können, sehr weit gezogen: Journalisten, NGOs und potenzielle Vertragspartner gehören hierzu.

Der Zweck, Geldwäsche und Terrorismus zu bekämpfen sowie die Verantwortlichkeit der wirtschaftlich Berechtigten als eine Form der Accountability sicher zu stellen, wird daher weiterhin gewahrt bleiben. Der EuGH ermahnt in einem – nur sekundär datenschutzrechtlichem – Urteil den europäischen Gesetzgeber zur Verhältnismäßigkeit bei Eingriffen in die Privatsphären- und Datenschutzgrundrechte (insb. Art. 7, 8 GRCh). Auf dieser Grundlage hält er die Änderung des Art. 30 Abs. 5 Unterabs. 1 lit. c Geldwäscherichtlinie (EU) 2015/849 durch die Richtlinie (EU) 2018/843, umgesetzt in § 23 Geldwäschegesetz (GwG), für unwirksam. Die Änderung sah vor, das Geldwäsche-Register öffentlich zugänglich zu machen. Der EuGH erkennt zwar die hohe Bedeutung der Geldwäsche- und Terrorismusbekämpfung an, scheint aber keinen Gewinn in öffentlich verfügbaren Informationen über Private zu sehen. Dabei stellt der EuGH vergleichsweise hohe Anforderungen an den Wortlaut von Unionsvorschriften.

Hintergrund

Die Richtlinie soll Geldwäsche und zur Terrorismusbekämpfung bekämpfen und sieht dazu Maßnahmen vor, die sich primär an Kredit- und Finanzinstitute richten. Darüber hinaus erlegt sie den Mitgliedschaften die Pflicht auf, die Informationen über die wirtschaftlich Berechtigten bzw. wirtschaftlichen Eigentümer von Unternehmen in zentralen Registern zu sammeln. Nach Art. 3 Nr. 6 RL 2015/849 sind dies die Personen, „in deren Eigentum oder unter deren Kontrolle“ ein Unternehmen letztlich steht.

Nicht nur Behörden sowie Kredit- und Finanzinstitute haben Zugang zu den erhobenen Daten, sondern seit der Änderung durch die RL 2018/843, die bis zum 10. Januar 2020 umzusetzen war, hat auch die Öffentlichkeit Zugang zu Informationen „mindestens zum Namen, Monat und Jahr der Geburt, dem Wohnsitzland und der Staatsangehörigkeit des wirtschaftlichen Eigentümers sowie zu Art und Umfang des wirtschaftlichen Interesses“ (Art. 30 Abs. 5 Unterabs. 1 lit. c RL 2015/849 in der geänderten Fassung). Zuvor war die Bereitstellung der o.g. Informationen beschränkt auf „Personen oder Organisationen, die ein berechtigtes Interesse nachweisen können“. Wer das genau ist, war aber schwer zu definieren, weshalb der Unionsgesetzgeber dies für nicht mehr handhabbar hielt (vgl. Rn. 68 m.w.N.). Seit der Änderung können die Mitgliedstaaten eine Registrierung für den Zugang zum öffentlichen Register verlangen und einzelne Einträge ganz oder teilweise sperren bei einem „unverhältnismäßigen Risiko von Betrug, Entführung, Erpressung, Schutzgelderpressung, Schikane, Gewalt oder Einschüchterung ausgesetzt würde, oder für den Fall, dass der wirtschaftliche Eigentümer minderjährig oder anderweitig geschäftsunfähig ist“ (Art. 30 Abs. 9 RL 2015/849 in der geänderten Fassung).

In Deutschland geschah die Bereitstellung durch das Transparenzregister auf Grundlage von § 23 GwG. Zwischenzeitlich wurde der Zugang der Öffentlichkeit in Reaktion auf das Urteil bereits eingeschränkt. Luxemburg sah ebenfalls ein online abrufbares Register vor. Einzelne Unternehmen in Luxemburg hatten die Sperrung ihrer Einträge beantragt, was abgelehnt worden war. Dagegen hatten sie geklagt, was letztlich dem EuGH eine Gelegenheit bot, über die Vereinbarkeit der Änderung mit dem Unionsrecht zu entscheiden.

Wenn sich Transparenz und Rechte Dritter gegenüberstehen

Der Bedarf nach Transparenz zur Sicherstellung der Verantwortlichkeit (Accountability) und zur Nachvollziehbarkeit von Vorgängen kollidiert in unterschiedlichsten Konstellationen mit den Rechten der Personen, deren Informationen öffentlich gemacht werden sollen. Beispielhaft genannt sei hier auch die Pflicht zu einem öffentlichen Impressum (§ 5 TMG), Rechte Dritter als Begrenzung des datenschutzrechtlichen Rechts auf Kopie (Art. 15 Abs. 4 DSGVO) oder als Begrenzung des Zugangs nach den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes und der Länder.

In all diesen Fällen kann ein Eingriff in die Grundrechte auf Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 GRCh) und auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 7 GRCh) im Raum stehen. Dabei kann gerade die öffentliche Zurverfügungstellung von Informationen im Internet für eine hohe Eingriffsintensität sprechen (vgl. auch Rn. 41 ff.). Wenn Informationen einem potenziell unbegrenzten Personenkreis zugänglich sind, steigt das Risiko von Zugriffen, die nicht im Zusammenhang mit dem verfolgten Transparenzzweck stehen, sondern stattdessen Ausgangspunkt für eine missbräuchliche Verwendung sind. Außerdem können solche Informationen beliebig oft und auf Vorrat gespeichert werden. Betroffene können sich daher nur schwer gegen die missbräuchliche Verwendung zur Wehr setzen, sobald diese Informationen einmal in der Welt sind. Ob ein solcher Eingriff gerechtfertigt ist, hängt letztlich von der Verhältnismäßigkeit der Informationsbereitstellung ab (z.B. nach Art. 52 Abs. 1 S. 2 GRCh). Das heißt, der Eingriff muss sich insbesondere auf das beschränken, was absolut notwendig ist, um das Ziel zu erreichen (vgl. z.B. Rn. 65). Dabei ist also in den Blick zu nehmen, welcher Adressatenkreis Zugriff auf welche Informationen erhalten soll und inwieweit dies zur Erreichung der mit der Transparenz verfolgten Ziele beiträgt.

Die Entscheidung des EuGH

Im konkreten Fall hat der EuGH eine hohe Eingriffsintensität nicht nur aus der öffentlichen Zurverfügungstellung im Internet, sondern auch aus den Informationskategorien abgeleitet, die es zusammengenommen ermöglichten, ein umfangreiches Profils der wirtschaftlich Berechtigten zu erstellen (Rn. 41 ff.).

Das Ziel der „Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems der Union zum Zweck der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung“ könne grundsätzlich auch schwerwiegende Eingriffe in das Datenschutzgrundrecht der wirtschaftlichen Berechtigen rechtfertigen (Rn. 55, 83). Der EuGH scheint aber der Kontrolle durch die breite Öffentlichkeit – zumindest bei Informationen über Private (vgl. Rn. 60 ff.) und ihrer abschreckenden Wirkung, die von einer solchen Kontrolle womöglich ausgeht, keine Bedeutung beizumessen (Rn. 85). Spiegelbildlich zur hohen Eingriffsintensität der öffentlichen Verfügbarkeit hätte es nahe gelegen, sich intensiver mit der Bedeutung ebendieser Öffentlichkeit für die Erreichung der Ziele auseinander zu setzen – selbst wenn diese letztlich den schwerwiegenden Eingriff nicht rechtfertigen kann. Der EuGH hingegen kommt unmittelbar auf die Beschränkung auf Adressaten mit berechtigtem Interesse zu sprechen; die Zugänglichkeit auf diesen Adressatenkreis zu beschränken, sei ausreichend zur Zweckerreichung (Rn. 85). Der Gerichtshof hält dem Unionsgesetzgeber implizit vor, dieser habe sich der vermeintlich schwierigen Aufgabe, das „berechtigte Interesse“ legal zu definieren, durch die Entscheidung der Zugänglichkeit für die gesamte Öffentlichkeit entziehen wollen (Rn. 68 ff.).

Besonders relevant, um Bedenken aus der Praxis auszuräumen: Der EuGH liefert sodann gleich Beispielsfälle für die Auslegung des berechtigten Interesses mit. Der Sorge von NGOs und anderen Akteuren, zukünftig keinen Zugriff mehr auf Informationen über die wirtschaftlich Berechtigten für eigene Recherchen und Untersuchungen zu erhalten, wird so der Wind aus den Segeln genommen. Nach dem EuGH haben „die Presse, die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die einen Bezug zur Verhütung und zu Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusbekämpfung aufweisen“, aber auch Personen, „die die Identität der wirtschaftlichen Eigentümer einer Gesellschaft […] in Erfahrung bringen möchten, da sie mit dieser Geschäfte abschließen könnten“ ein berechtigtes Interesse an dem Informationszugang (Rn. 74). Da aufgrund der Ungültigkeit der Änderung nun wieder die frühere Fassung der Richtlinie durch die Mitgliedstaaten anzuwenden ist, sind diese entsprechend gehalten, das – nun wieder maßgebliche – berechtigte Interesse weit auszulegen.

Angesichts der weiten Definition des berechtigten Interesses durch den EuGH, wird es dabei im deutschen Recht nicht (so aber) bloß bei der Vorgängerregelung § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GwG a.F. und der Auslegung entsprechend der damaligen Gesetzesbegründung bleiben (BT-Drucks. 18/11555, S. 133). Der Gesetzgeber verwies dort beispielhaft auf die satzungsmäßigen Ziele einer Organisation oder die Arbeit als Fachjournalist und verlangte, dass jeweils die „Recherche der Vorbereitung einer ernsthaften und sachbezogenen Auseinandersetzung dien[t]“. Zumindest letzteres Erfordernis würde bei strenger Handhabung dem Informationszugang durch potenzielle Vertragspartner entgegenstehen – diese sieht der EuGH aber gerade als berechtigt an. Der deutsche Gesetzgeber ist bei einer Neuregelung also gehalten, sich an den vom EuGH genannten Beispielen zu orientieren; bis zur Neuregelung gilt gleiches für die Rechtspraxis bei unionskonformer Auslegung des § 23 GwG.

Allerdings: Was der EuGH in der einen Rn. fordert – die Auslegung –, lässt er in der anderen Rn. selbst vermissen. Der EuGH hängt sich im Anschluss nämlich an dem Wort „mindestens“ bzgl. der zu bereitzustellenden Informationen auf und begründet letztlich auch mit Verweis hierauf die Unwirksamkeit der Änderung des Art. 30 Abs. 5 Unterabs. 1 lit. c RL 2015/849. Wenn der EuGH zuvor noch die Auslegbarkeit des Begriffs des „berechtigten Interesses“ betont und diesen sehr weit definiert, hätte eine Auslegung von „mindestens“ anhand der in der Vorschrift genannten Beispiele und des Verweises auf die DSGVO in Art. 41 Abs. 1 der geänderten RL 2015/849 (vgl. auch Rn. 53) nahegelegen.

Ausblick

Sieht man hierüber hinweg, lassen sich dem Urteil aber gleich mehrere wichtige Botschaften entnehmen:

Die Zivilgesellschaft und Rechtspraxis kann auf die benötigten Informationen aufgrund des weit auszulegenden berechtigten Interesses (weiterhin) Zugriff über das Transparenzregister nehmen. Der EuGH hat den Kreis berechtigter Personen dabei weit gezogen. Das ist bei der Anwendung des nationalen Rechts zu berücksichtigen und bedeutet gar eine Ausweitung des Kreises berechtigter Personen gegenüber dem § 23 GwG a.F.

Der Unionsgesetzgeber kann Definitionsschwierigkeiten nicht umschiffen, indem er Informationen statt einem umgrenzten Personenkreis gleich der gesamten Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Er muss vielmehr die Verhältnismäßigkeit beachten und sorgfältig die Notwendigkeit einer öffentlichen Zurverfügungstellung prüfen, da eine solche einen schweren Eingriff in Art. 7, 8 GRCh darstellen kann.

Die Öffentlichkeit selbst – und diese Feststellung mag man zurecht für bedauerlich halten – nimmt nur durch die Presse und NGOs eine ernstzunehmende (private) Wächterfunktion im Bereich der Geldwäsche- und Terrorismusbekämpfung wahr. Im Übrigen ergeben sich nach dem EuGH keine Vorteile aus einer zusätzlichen Kontrolle durch eine informierte Öffentlichkeit.