09 September 2022

Übergewinnsteuer durch die Hintertür

Zur Verfassungskonformität der Übergewinnsteuer des drittens Maßnahmenpakets

Am 3. September 2022 einigte sich der Koalitionsausschuss auf das dritte Maßnahmenpaket, das mehrere Instrumente enthält, die das Einkommen der Bürger stärken und insbesondere eine bezahlbare Energieversorgung gewährleisten sollen. Hierzu auf eine Strompreisbremse zurückgegriffen, die Privathaushalten einen gewissen Basisverbrauch von Strom zu einem vergünstigten Preis sichern soll. Die dabei entstehenden Kosten sollen gedeckt werden, indem Zufallsgewinne von denjenigen Energieunternehmen abgeschöpft werden, deren Stromproduktion gerade besonders profitabel ist. Durch diese umgekehrte EEG-Umlage wird die Finanzverfassung geschickt umgangen.

Derartige Finanzierungskonzepte wurden in den letzten Monaten unter dem Schlagwort der Übergewinnsteuer diskutiert. Windfall-Profits sollten als Ausdruck eines Missverhältnisses von Risiko und Chance nicht bei den Unternehmen verbleiben, sondern dem Fiskus zur Krisenbewältigung zur Verfügung stehen. Während die politische Diskussion um die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme heftig entlang der üblichen Grabenlinien geführt wurde, verlief die juristische Diskussion eher unauffällig. Hervorzuheben ist der Verfassungsblog-Beitrag von Meickmann, der bereits frühzeitig die (finanz-)verfassungsrechtliche Problematik dieser Idee umfassend und überzeugend erörtert hat.

Übergewinnsteuern sind grundsätzlich verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht (Rn. 111 ff.) geht davon aus, dass sich der Gesetzgeber bei der Schaffung von Steuertatbeständen innerhalb der durch Art. 105 und Art. 106 GG festgelegten Typusbegriffe bewegen muss. Ihm steht kein freies Steuerfindungsrecht zu. Auch diejenigen, die eine Übergewinnsteuer für zulässig halten (S. 13 f.), kommen in dieser Hinsicht zu demselben Ergebnis wie Kritiker der Übergewinnsteuer. In Betracht kommen lediglich die Einkommens- und Körperschaftssteuer (Art. 105 II 2 Var. 2, 106 III 1 Var. 1 und Var. 2 GG) sowie eine an diese anknüpfende Ergänzungsabgabe (Art. 106 I Nr. 6 GG). Ergänzungsabgaben unterscheiden sich von den genannten Steuern in der Ertragskompetenz: Das Aufkommen fließt nicht dem Bund und den Ländern (Art. 106 III 1 GG), sondern alleine dem Bund zu (Art. 106 I Nr. 6 GG), um einen besonderen Finanzbedarf zu decken (BVerfG Rn. 35). Im Übrigen entsprechen die Anforderungen an Ergänzungsabgaben denjenigen, die an eine Anpassung der Einkommens- und Körperschaftssteuer (BVerfG Rn. 32) gestellt werden. Zu diesen Voraussetzungen gehört die Vereinbarkeit mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip als bereichsspezifische Ausprägung von Art. 3 I GG, aus dem resultiert, dass die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu bemessen ist (BVerfG Rn. 70). Die Bedeutung dieses Grundsatzes wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Steuerrecht weitestgehend versagt (Hey, T/L Rn. 3.182). Steuern befriedigen den allgemeinen staatlichen Finanzbedarf, ohne einen Bezug zu einer konkreten staatlichen Leistung aufzuweisen. Wenn dieser unstillbare Finanzhunger des Staates im Rahmen der Angemessenheitsprüfung mit der Belastung abgewogen werden soll, die die Steuerlast für den Einzelnen bedeutet, überwiegt bis zur völligen finanziellen Erschöpfung der Bürger immer der legitime Zweck, für die Erfüllung staatlicher Aufgaben Mittel zu generieren. Anstelle des freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes schützt daher das gleichheitsrechtliche Leistungsfähigkeitsprinzip die Bürger.

Hiervon weicht die Abschöpfung von Übergewinnen ab: Zwei wirtschaftlich gleich leistungsfähige Steuerpflichtige werden unterschiedlich belastet, weil die Leistungsfähigkeit des einen als Zufalls- beziehungsweise Übergewinn bewertet wird. Abweichungen vom Leistungsfähigkeitsprinzip sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Rn. 83 ff.) unter anderem zulässig, wenn mit ihnen außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke aus Gründen des Gemeinwohls verfolgt werden. Damit entfällt von vornherein der fiskalische Förderzweck, mit dem generierten Aufkommen die Folgen der Energiekrise zu bekämpfen. Auch der Verweis darauf, dass Zufallsgewinne Gerechtigkeitsvorstellungen widersprechen, trägt nicht. Dabei handelt es sich um keinen Lenkungszweck. Schließlich sollen die von der Übergewinnsteuer Betroffenen nicht zu einem bestimmten Verhalten motiviert werden. Auch das vielzitierte Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages bleibt einen Lösungsansatz schuldig. Es umgeht diese zentrale Problematik durch die tautologische Unterstellung, das Vorliegen von Übergewinnen genüge zur Abschöpfung von Übergewinnen (S. 25 ff.).

Aufkommenswirkung als Voraussetzung einer Abgabe

Aus diesen Gründen wäre eine Übergewinnsteuer verfassungsrechtlich hochgradig riskant. Anstatt eine unsichere Lösung für das finanzverfassungsrechtliche Problem zu finden, bevorzugt die Bundesregierung, diese Risiken zu umgehen. Das gelingt ihr, indem sie eine Abgabe kreiert, die keine Abgabe ist.

Um diese Konstruktion und ihre Konsequenzen zu verstehen, ist es erforderlich, sich die Grundlagen der Art. 105 bis 108 GG bewusst zu machen. Diese Vorschriften regeln unter anderem, ob der Bund oder die Länder für den Erlass einer Steuer zuständig sind und wem der Ertrag der Steuern zusteht. Die Entscheidung über diese Fragen ist zentral für die Kräfteverteilung im Bundesstaat (BVerfG Rn. 103). Schließlich entscheidet die Finanzausstattung darüber, welche Projekte realisiert werden können und welche nicht. Die genannten Vorschriften enthalten (jenseits vernachlässigbarer Bestimmungen über Finanzmonopole) ausschließlich Regeln über Steuern. Das Bundesverfassungsgericht (Rn. 56) folgert daraus, dass Deutschland ein Steuerstaat ist, für den diese Art der Finanzierung wesensprägend ist. An nichtsteuerliche Abgaben sind daher nach Auffassung des Gerichts strenge Anforderungen zu stellen, anderenfalls könnten die fein austarierten Regeln der Steuerverfassung durch diese umgangen werden. Diese Regeln sollen die endlichen Finanzmittel der Bürger vor einem doppelten Zugriff durch Bund und Länder bewahren (BVerfG Rn. 56 und Rn. 81).

Voraussetzung für die Anwendung dieser Steuerverfassung ist, dass eine steuerliche oder nichtsteuerliche Abgabe (wie beispielsweise Gebühren oder Beiträge) vorliegt. Der Terminus „Abgabe“ bildet den Oberbegriff. Voraussetzung für das Vorliegen einer Abgabe ist nach Auffassung einer Kammerentscheidung und nach Auffassung des BGH (Rn. 19), ob eine Aufkommenswirkung erzielt wird. Dafür ist entscheidend, ob die Norm eine Geldleistungspflicht des Bürgers vorsieht, aus der für den Staat verfügbare Finanzmittel resultieren. Wenn das nicht der Fall ist, dann liegt weder eine steuerliche noch eine nichtsteuerliche Abgabe vor.

Die Übergewinnsteuer ist eine umgekehrte EEG-Umlage

Genau diesen Weg beschreitet die „Übergewinnsteuer“ des dritten Entlastungspaketes. Verfassungsrechtliches Neuland wird damit nicht betreten. Bereits die EEG-Umlage griff auf eine derartige Konstruktion zurück, die aus einem vier- (bzw. fünf-)stufigen, gesetzlich geregelten Ausgleichsmechanismus bestand und für mehrere Privatpersonen (EEG-Anlagenbetreiber, Netzbetreiber, Elektrizitätsversorgungsunternehmen) Leistungs- Abnahme- und Zahlungspflichten vorsah. Durch mehrfache Überwälzungen wurden die Kosten dafür, dass das EEG den Anlagenbetreibern für 20 Jahre bestimmte Abnahmepreise garantiert, auf die Verbraucher verlagert. Dadurch wurde der Ausbau erneuerbarer Energien gefördert. Bei der EEG-Umlage handelte es sich nicht um eine Abgabe, sondern um eine komplexe Preisregelung (Rn. 17). Die EEG-Umlage floss nämlich zu keinem Zeitpunkt der öffentlichen Hand zu und erzielte daher keine Aufkommenswirkung.1)

Die „Übergewinnsteuer“ des dritten Maßnahmenpakets will diesen Mechanismus in umgekehrter Reihenfolge nutzen. Die EEG-Umlage erhöhte den Preis für die Verbraucher und sicherte damit die Profitabilität der Stromerzeugungsanlagen. Die „Übergewinnsteuer“ hingegen soll die Profitabilität der Anlagen um den als Zufallsgewinn definierten Betrag schmälern und den Preis für die Verbraucher senken.

Wie Zufallsgewinne bestimmt werden

Zur Bemessung des Zufallsgewinns wird an das Marktdesign des europäischen (Spot-)Strommarktes angeknüpft. Es wird immer nur von so vielen Stromerzeuger Energie bezogen, wie zur Deckung der Nachfrage erforderlich ist. Darüber, auf welche Stromerzeuger zurückgegriffen wird, entscheidet die Merit Order. Beginnend beim „günstigsten“ Stromerzeuger (niedrigste Grenzkosten) werden aufsteigend weitere hinzugenommen, bis die Nachfrage gedeckt ist. Dadurch werden „teure“ Erzeuger (hohe Grenzkosten) verdrängt. Bei der Preisbildung wird im Rahmen der Versteigerung des Stroms auf das Einheitspreisverfahren zurückgegriffen: Das höchste Gebot bestimmt den Preis, der allen Anbietern gezahlt wird. Entscheidend ist damit der Preis des teuersten Stromerzeugers, auf den nicht verzichtet werden kann. Aufgrund der hohen Gaspreise sind das momentan oft Gaskraftwerke, die teures Gas kaufen müssen. Das dritte Maßnahmenpaket sieht nun eine Erlösobergrenze vor. Die Differenz zwischen dieser und dem Einheitspreis ist der Zufallsgewinn, der in den umgekehrten EEG-Umlagen-Mechanismus eingespeist wird und die Strompreisbremse finanzieren soll.

Darf man die Finanzverfassung umgehen?

Bei dieser Preisregelung handelt es sich um keine Abgabe, weil der gesamte Geldfluss gesetzlich bestimmt wird. Das Aufkommen fließt nicht in den Haushalt beziehungsweise einen von der öffentlichen Hand verwalteten Sonderfonds. Durch dieses herrschende formelle Verständnis der Aufkommenswirkung ist es möglich, die Finanzverfassung zu umgehen. Schließlich entfaltet die Preisregelung Wirkungen wie eine Übergewinnsteuer.

Diese Gefahr wurde bereits im Rahmen der EEG-Umlage erkannt und diskutiert (Manssen, DÖV 2012, 499). Wenn der durch die „Übergewinnsteuer“ finanzierte Basisverbrauch die Haushalte spürbar entlasten soll, dann muss ein erheblicher Betrag an der Steuerverfassung vorbei abgeschöpft werden. Die mit ihr verfolgten und oben skizzierten Zwecke (Austarierung der Kräfteverhältnisse im Bundesstaat; Schutz der Bürger vor doppeltem Zugriff) werden nicht erreicht. Auch die individualschützende Wirkung der Haushaltsverfassung (Art. 110 GG) wird umgangen. Indem das unmittelbar demokratisch legitimierte Parlament über den Haushalt entscheidet, soll es unter anderem die Übersicht über die den Bürgern auferlegten finanziellen Lasten behalten. Das ist nicht möglich, wenn erhebliche Geldflüsse außerhalb des Haushaltsgesetzes vorgesehen sind.

Als Alternative zu einem formellen Verständnis der Aufkommenswirkung wird vereinzelt vorgeschlagen darauf abzustellen, ob eine Vorschrift materiell wie eine Abgabe wirkt. Dann wären (entgegen der expliziten Auffassung des Bundesverfassungsgerichts) auch Preisreglementierungen wie Mindestvergütungen oder Zwangsrabatte an den strengen Maßstäben der Finanzverfassung zu messen. Sogar die Mietpreisbremse des § 556d könnte bei einem extensiven materiellen Verständnis eine Abgabe darstellen. Damit ginge eine starke Beschränkung der gesetzgeberischen Gestaltungsmöglichkeiten einher. Jedoch kann die Finanzverfassung nicht bezwecken, dem Gesetzgeber wesentliche Instrumente der Wirtschaftssteuerung vorzuenthalten. Der Anwendungsbereich der Finanzverfassung sollte daher auf Abgaben mit formeller Aufkommenswirkung beschränkt bleiben.

Resümee

Damit bleibt es bei dem Befund, dass die umgekehrte EEG-Umlage mangels Aufkommenswirkung keine Abgabe ist. Inwiefern ihr grund- und unionsrechtliche Fragestellungen entgegenstehen, kann erst beantwortet werden, wenn ihre nähere Ausgestaltung feststeht. Das gilt insbesondere für die Höhe der Erlösobergrenze und die erforderlichen Ausnahmetatbestände. Schließlich ist die Marktrealität deutlich komplexer als es der Beschluss des Koalitionsausschusses vermuten lässt, so dass Ausgestaltungsfehler wie die unzureichende Berücksichtigung des forward hedgings sogar zu zusätzlichen Zufallsgewinnen führen können. Das gilt auch für die realistische Möglichkeit einer unionsweiten Anpassung des Strommarktes, die entsprechende Einigkeit zwischen den Mitgliedsstaaten voraussetzt.

Die Erklärungsnot des Bundesfinanzministers, den Unterschied zwischen der geplanten Abschöpfung von Zufallsgewinnen und der Einführung einer Übergewinnsteuer zu erläutern, bleibt nachvollziehbar: Formell liegt mit der umgekehrten EEG-Umlage eine Preisregelung und keine Abgabe vor. Unter dem Strich handelt es sich aber um eine Übergewinnsteuer im Energiebereich. Sie unterscheidet sich von (fast) allen anderen Steuern zum einen dadurch, dass die Verwendung ihres Aufkommens bereits exakt und rechtsverbindlich vorgegeben ist. Der maßgebliche Unterschied zu regulären Steuern besteht jedoch darin, dass die Übergewinnsteuer des dritten Maßnahmenpakets eine (grundsätzlich) zulässige Umgehung der Finanzverfassung darstellt.

References

References
1 Seit dem ersten Juli 2022 wird die EEG-Umlage nicht mehr von den Verbrauchern getragen. Die durch das EEG entstehenden Kosten werden nunmehr aus dem Energie- und Klimafonds bestritten.