30 March 2024

Ungleichgestellt

Was das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs zu rein weiblichen Gleichstellungsbeauftragten übersieht

Am 6. März 2024 wies der Thüringer Verfassungsgerichtshof einen Normkontrollantrag der AfD-Fraktion des Thüringer Landtags gegen das Thüringer Hochschulgesetz in allen Punkten als unbegründet zurück. Neben der gesetzlichen Frauenquote im Hochschulrat rügte die Antragsstellerin insbesondere, dass laut Gesetz nur Frauen zur zentralen Gleichstellungsbeauftragten gewählt werden dürfen. Das Amt der Gleichstellungsbeauftragten auf Frauen zu beschränken ist – entgegen der Ansicht des Thüringer Verfassungsgerichtshofs – nicht verfassungsgemäß.

Die progressive Hochschulreform 2018

Mit dem „Gesetz zur Stärkung der Mitbestimmung an Hochschulen“ hat der Landesgesetzgeber das Thüringer Hochschulgesetz (ThürHG) aus dem Jahr 2006 novelliert und an die jüngere hochschulrechtliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (insb. zum HambHG und zur MHH) angepasst (zu den Neuerungen ausführlich hier und hier).

Eine wesentliche Neuerung ist, dass die Kollegialorgane (Senat, Fakultätsrat) grundsätzlich paritätisch besetzt und die Hochschullehrermehrheit in wissenschaftsrelevanten Bereichen fallbezogen sichergestellt wird. Die Gesetzesnovelle normiert zudem Größe und Zusammensetzung des Hochschulrats als externem Aufsichtsgremium und sieht nunmehr die Mitwirkung hochschulinterner Mitglieder zwingend vor. Zudem legt das neue Gesetz eine Mindestquote von Frauen (drei von acht) in Form einer Soll-Vorschrift fest. Senat und Hochschulrat zusammen bilden die Hochschulversammlung, die eine zentrale Rolle in der Wahl und Abwahl des Präsidiums einnimmt.

Neu ist auch der Diversitäts- und Anti-Diskriminierungsauftrag für die Hochschulen (§ 5 Abs. 7, 8 ThürHG), um Benachteiligungen aufgrund unterschiedlichster Merkmale auszuschließen. Dafür ist ein eigener Diversitätsbeauftragter zuständig (§ 7 ThürHG), der neben die Gleichstellungsbeauftragte (§ 6 ThürHG) tritt. Eine Gleichstellungsbeauftragte war schon im Vorgängergesetz 2006 vorgesehen (§ 6 ThürHG a.F.), aber erst mit der Novellierung 2018 sprachlich auf Frauen beschränkt worden.

Direkt nach Verabschiedung des Gesetzes im Mai 2018 beantragte die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag ein abstraktes Normkontrollverfahren vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof in Weimar. Dieser lehnte einen Befangenheitsantrag gegen einen Richter ab. Mit Urteil vom 6. März 2024 wies der Verfassungsgerichtshof alle Rügen als unbegründet zurück. Dieser Beitrag beschränkt sich auf diejenigen Regelungen, die die Antragstellerin als mit dem Gleichbehandlungsgebot unvereinbar rügte – und die zumindest mit Blick auf die Gleichstellungsbeauftragte hätten durchgreifen müssen.

Frauenquote im Hochschulrat

Hinsichtlich der Regelung des § 34 Abs. 3 S. 1 ThürHG, wonach mindestens drei der acht Mitglieder des Hochschulrates Frauen sein sollen, sieht der Verfassungsgerichtshof zwar das Gleichbehandlungsgebot beeinträchtigt. Dies sei aber durch das Gleichberechtigungsgebot des Art. 2 Abs. 2 S. 2 ThürVerf verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Denn vor dem Hintergrund der hochschulrechtlichen Gleichstellungsklausel des § 6 Abs. 1 ThürHG und der allgemeinen Bestimmungen des Thüringer Gleichstellungsgesetzes (ThürGleichG) bette sich die Norm in ein hinreichend schlüssiges Gesamtkonzept ein. Zu Recht verweist der Verfassungsgerichtshof darauf, die Vorschrift sei auch verhältnismäßig, da sie als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist. So könnten atypische Konstellationen berücksichtigt werden, etwa wenn nicht genügend geeignete Bewerberinnen für die Mitgliedschaft im Hochschulrat zur Verfügung stünden.

Nur Frauen als Gleichstellungsbeauftragte

Kontrovers diskutierte der Gerichtshof die Regelung des § 6 Abs. 3 ThürHG, wonach nur Frauen zur zentralen Gleichstellungsbeauftragten gewählt werden können. Das Urteil kommt zu dem Ergebnis, dass diese Beschränkung mit der Thüringer Verfassung vereinbar ist. Die Entscheidung erging bezüglich des Ergebnisses mit sechs zu drei Stimmen, die Begründung tragen gar nur fünf der neun Richterinnen und Richter. Zudem hat Verfassungsrichter Hinkel ein Sondervotum dazu abgegeben.

Der Gerichtshof sieht die offensichtliche Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts durch das Gebot, die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern, nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 ThürVerf als gerechtfertigt. Damit werde ein legitimer Zweck verfolgt, der sich insbesondere zusammen mit dem Thüringer Gleichstellungsgesetz in ein plausibles Gesamtkonzept einbette. Dem ist grundsätzlich zu folgen.

Die übrige Verhältnismäßigkeitsprüfung begegnet hingegen einiger Bedenken. Wegen der Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts gelten hier strenge Anforderungen (BVerfGE 133, 377, Rn. 88).

Die Regelung ist zwar nicht ungeeignet, das Gleichstellungs- und Fördergebot zu erreichen. Anders als der Thüringer Verfassungsgerichtshof meint, ist sie aber nicht erforderlich. Der Gerichtshof argumentiert, strukturelle Nachteile könnten besonders gut aus Sicht des benachteiligten Geschlechts (hier: Frauen) erkannt, beurteilt und behoben werden. Es sei nicht sicher feststellbar, dass die Vorschrift ebenso wirksam Gleichstellung erreichen würde, wenn sie für Personen jeden Geschlechts geöffnet wäre. Diese These bleibt indes in ihrer Begründung lückenhaft. Dass rein weibliche Gleichstellungsbeauftragte frauenspezifischer Diskriminierung effektiv(er) abhelfen ist nicht ohne Weiteres erkennbar und bleibt eine schlichte Rechtsbehauptung. Die vorgelegten Zahlen setzen sich weder mit der konkreten Situation in Thüringen noch spezifisch mit dem Hochschulbereich auseinander, worauf das Sondervotum zutreffend hinweist. Zwar kommt dem Gesetzgeber in Gleichstellungsfragen ein gewisser Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu. Dieser darf aber gerade bei einer unmittelbaren Diskriminierung nicht zu weit verstanden werden, sodass hier eine genauere Prüfung durch den Thüringer Gerichtshof erforderlich gewesen wäre.

Wenn er dazu und auch an anderer Stelle auf das Urteil des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (Az. 7/16) zur Beschränkung im dortigen Gleichstellungsgesetz verweist, verkennt der Thüringer Verfassungsgerichtshof die Unterschiede zwischen den beiden zugrunde liegenden Normen: Vor dem LVerfG M-V ging es um das allgemeine Gleichstellungsgesetz im öffentlichen Dienst, dass höhere Schwellenwerte anlegt als das äquivalente Thüringer allgemeine Gleichstellungsgesetz (in Thüringen gilt ein Geschlecht als unterrepräsentiert, wenn es einen Anteil von weniger als 40% hat). Das ThürGleichG öffnet das Amt der Gleichstellungsbeauftragten für alle Geschlechter, das ThürHG wiederum verengt es für den Bereich des Hochschulrechts auf Frauen. Insoweit sind die Sachzusammenhänge beider Entscheidungen anders gelagert. Ungeachtet dessen hätte sich der Thüringer Verfassungsgerichtshof zumindest mit der Kritik an der Entscheidung des LVerfG M-V auseinandersetzen müssen, die sich etwa am zu weiten Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers aufhängt (so die abweichende Meinung des Richters Brinkmann, Rn. 113 ff.) oder daran, dass sich Gruppenzugehörigkeit und Interessenwahrnehmung dieser Gruppe nicht gleichsetzen ließen.

Bedauerlicherweise berücksichtigt die Mehrheitsentscheidung auch nicht, dass es sich bei der Norm um eine Muss-Vorschrift handelt. Während der Gerichtshof bei der Quotierung für den Hochschulrat darauf verweist, dass die Soll-Vorschrift zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung beiträgt, geht er im Fall der Gleichstellungsbeauftragten nicht darauf ein, dass eine solche Soll-Vorschrift eine weniger belastende Maßnahme hätte darstellen können.

Auch Männer sind Frauen?

Das Sondervotum von Verfassungsrichter Hinkel kommt hingegen richtigerweise zu dem Ergebnis, das passive Wahlrecht für das Amt der zentralen Gleichstellungsbeauftragten auf Frauen zu beschränken sei unverhältnismäßig. Dies gilt auch und gerade vor dem Hintergrund der antidiskriminierungsrechtlichen Rechtsprechung des EuGH, worauf das Sondervotum ausführlich hinweist. Allerdings zieht Hinkel daraus nicht den Schluss, die Vorschrift sei damit auch verfassungswidrig. Vielmehr sei die Norm verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass Personen aller Geschlechter Frauen im Sinne der Vorschrift sind. Die dafür gelieferte Begründung ist rechtsmethodisch äußerst fragwürdig.

Richtigerweise steht bereits der Wortlaut der Vorschrift einem solchen Verständnis entgegen. Zudem ordnet § 141 ThürHG explizit an, dass „Status- und Funktionsbezeichnungen in diesem Gesetz […] mit Ausnahme der Funktion der Gleichstellungsbeauftragten nach § 6 jeweils in männlicher und weiblicher Form“ gelten. Wenn nun entgegen diesem eindeutigen Wortlaut auch Männer oder Personen anderen Geschlechts unter die Vorschrift gefasst werden sollen, fehlt es schon an der erforderlichen Gesetzeslücke.

Das Sondervotum stellt auf die verfassungsrechtliche Diskussion um nicht binäre Personen des sogenannten „dritten“ Geschlechts und den diesbezüglichen Willen des Gesetzgebers ab. Der Gesetzgeber 2018 (der sich die Begründung zum ThürHG 2006 zu eigen gemacht habe) habe in binären Verhältnissen gedacht und sich die Frage gar nicht gestellt, inwieweit Personen, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen, gleichwohl zentrale Gleichstellungsbeauftragte werden können. Es könne aber angesichts der Aufgabenbeschreibung der Gleichstellungsbeauftragten in § 6 ThürHG nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, andere Geschlechter von der Wahrnehmung dieses Amtes auszuschließen. Vielmehr habe der Landesgesetzgeber den verfassungsrechtlichen Schutz von Personen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, schlicht übersehen. Somit müssten nicht binäre Personen und – um gegenüber diesen nicht ungerechtfertigt benachteiligt zu werden – auch männliche Personen als Frauen im Sinne des § 6 Abs. 3 ThürHG angesehen werden.

Ebenso lässt sich fragen, was der Gesetzgeber hätte wissen müssen – und was er wider dieses Wissen anders geregelt hat. Die Landesregierung hat ihren Gesetzentwurf Mitte September 2017 vorgelegt. Am 10. Oktober 2017 verkündete das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss zur sogenannten Dritten Option. Selbst wenn die zuständigen Ministerien den Entwurf unter völliger Ausblendung aller gesellschaftlicher Debatten um dieses Thema erarbeitet hätten, so hätte spätestens der Landtag diese Frage diskutieren müssen. Dass es der Gesetzgeber nicht getan hat, kann letztlich nur bedeuten, dass er es nicht anders geregelt wissen wollte. Insofern liegt schon keine Regelungslücke vor. Somit lässt sich die Norm des § 6 Abs. 3 ThürHG auch nicht mit der im Sondervotum vorgeschlagenen verfassungskonformen Auslegung retten. Sie ist als unverhältnismäßiger Eingriff in das Diskriminierungsverbot verfassungswidrig.

Gesetzesänderung nicht ausgeschlossen

Um nicht missverstanden zu werden: Es kann in einer konkreten Stellenbesetzung durchaus zulässig sein, ein vorrangig auf die Förderung und die Belange eines Geschlechts zugeschnittene Stelle (z.B. mit Blick auf sexuelle Belästigung gegenüber Frauen) mit einer Person ebendieses Geschlechts zu besetzen (zur Ablehnung einer AGG-relevanten Diskriminierung etwa LAG Niedersachsen v 24.02.2023, Az. 16 Sa 671/22). Davon zu trennen ist aber die verfassungsrechtlich problematische Regelung, die das Amt der Gleichstellungsbeauftragten gesetzlich auf Frauen beschränkt.

Mit seinem Urteil vom 6. März 2024 hat der Thüringer Verfassungsgerichtshofs diesen Streit für das Thüringer Hochschulgesetz zunächst beendet. Mit Blick auf die Regelung zur Gleichstellungsbeauftragten erkennt aber auch die Politik Handlungsbedarf. So räumte der für die Hochschulen zuständige Staatssekretär Carsten Feller (SPD) in Reaktion auf das Urteil bereits ein: „Ich sehe tatsächlich, dass es da eine Regelungslücke gibt.“ Dass es aber in absehbarer Zeit zu einer Änderung kommt, ist insbesondere mit Blick auf die schwierigen politischen Mehrheitsverhältnisse in Thüringen und die Landtagswahl im Herbst eher unwahrscheinlich. Verfassungsrechtlich führt jedoch auf kurz oder lang kein Weg daran vorbei, die Gleichstellungsarbeit an Thüringer Hochschulen für Personen aller Geschlechter zu öffnen.


SUGGESTED CITATION  Böttner, Robert: Ungleichgestellt: Was das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs zu rein weiblichen Gleichstellungsbeauftragten übersieht, VerfBlog, 2024/3/30, https://verfassungsblog.de/ungleichgestellt/, DOI: 10.59704/7e4bffde75a79437.

One Comment

  1. cornelia gliem Wed 3 Apr 2024 at 12:49 - Reply

    ja ich verstehe das problem: tatsächlich ist es nicht nur diskriminierend, dass nur Frauen hier als Gleichstellungsbeauftragte tätig sein können (= das kann ja unter vielen Umständen gerechtfertigt und grundgesetzkonform sein). Es ist zudem “falsch”, insofern es die “dritte Option” ausschließt, was sicher nicht im Sinne der aktuellen Gleichberechtigungsdebatte sein dürfte. ob der Gesetzgeber hier tatsächlich wie der Autor ausführt, dies ausdrücklich nicht wollte, will ich mal dahin gestellt sein lassen.

    ja, die Gleichstellungsbeauftragten nur mit Frauen zu besetzen, klingt somit falsch. Allerdings einen Mann auf diesen Posten zu setzen, erscheint in den meisten Fällen absurd.
    und ich will damit nicht mal behaupten, dass Zugehörigkeit automatisch Interessenswahrnehmung bedeutet.

    ändern wir den Bezug:
    ein quotenbezogener Post zb für People of Color – und ein Weißer bekommt den Job. glaubt jemand wirklich, dass das gut funktioniert?
    allein schon weil er von der entsprechenden Community sicher nicht völlig akzeptiert würde.

    hm.

    Der Artikel zeigt meiner Ansicht nach zwei (bzw. drei) Probleme auf:
    1. diese Positionen nur auf Frauen zu beschränken, ist ungerecht (den Männern gegenüber).
    2. Sie ist ungerecht, da es so formuliert auch Non-Binäre und Queere ausschließt.
    (3. Dass das Gericht hier der AFD nicht zustimmte sozusagen, erscheint insofern … politisch. Ich glaube zwar, dass man juristisch annehmbar dies erklären kann (wie es das Gericht ja tat), aber es gibt unnötig Argumente für die Behauptung, dass der AFD unrecht getan würde.)

    zu 1) durch artikel 3, 3 GG ist eine Bevorzugung von Frauen grundsätzlich gestattet und zt sogar gefordert, wenn nötig.
    zu 2) dies ist ein gewichtiger punkt. Gerade wenn man siehe 1 durch die Gruppenzugehörigkeit eine Tendenz zur Interessenswahrnehmung begründet, kann man Dritte NICHT einfach bei / durch Frauen mit-meinen.

    Beide Probleme sind meiner Meinung nach zu lösen, indem man a) neben Frauen auch andere marginalisierte Gruppen als Berechtigte nennt, b) eine Soll-Vorschrift daraus macht und vorallem (!) c) sie zeitlich begrenzt.

    letzteres meint, dass sobald die statistischen Gegebenheiten aufzeigen sollten, dass Frauen (und Dritte) nicht mehr stark benachteiligt werden, das Amt des/der Gleichstellungsbeauftragten offen für jedes Geschlecht ist.

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