25 July 2024

Volksfeste ohne Cannabis

Die formelle Verfassungskonformität des bayerischen Cannabisfolgenbegrenzungsgesetzes

Der Nordbayerische Kurier titelte „Kiff-Verbot mit hohen Strafen – Wiesnwirte zufrieden“. Der bayerische Landtag hat am 17.07.2024 einen Gesetzesentwurf der Fraktionen CSU und FREIE WÄHLER für ein Cannabisfolgenbegrenzungsgesetz angenommen. Dieses Gesetz nimmt den Gastronomen des Oktoberfests eine konfliktträchtige Entscheidung ab. Denn nach Wirtesprecher Peter Inselkammer stellt sich die Frage so: Halten sich Gäste (noch) an das Cannabisgesetz des Bundes oder konsumieren sie (schon) entgegen § 5 Abs. 1 KCanG in unmittelbarer Gegenwart von Minderjährigen?

Geht es auf Europas größtem Volksfest wieder eng zu, drohen in großem Umfang Verstöße gegen das Bundesrecht, erwägt der bayerische Landesgesetzgeber (LT-Drs. 19/2073, S. 10) und verbietet deshalb das Rauchen, Erhitzen und Verdampfen von Cannabisprodukten auf Volksfestgeländen. Das Bayerische Cannabisfolgenbegrenzungsgesetz ordnet daneben weitere Konsumverbote im öffentlichen Raum an, die zum bundesrechtlichen Konsumverbot nach § 5 KCanG1) und zu Nichtraucherschutznormen hinzutreten sollen. Solche ergänzenden Regelungen sind den Landesgesetzgebern kompetenziell untersagt, wenn der Bund einen Gegenstand bereits geregelt hat, diese Regelung abschließend ist oder die Wertungen der ergänzenden Normen in Widerstreit mit dem (nicht abschließenden) Bundesrecht geraten. Soweit das Cannabisfolgenbegrenzungsgesetz Cannabiskonsum im Außenbereich verbietet oder den Gemeinden Verbote ermöglicht, hält es diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht Stand.

Was alles verboten wird

Um zu überprüfen, ob der Gegenstand landesrechtlicher Regelungen durch Bundesrecht abschließend normiert und deshalb durch Art. 72 Abs. 1 GG gesperrt ist2), muss dieser identifiziert werden. Das neue Cannabisfolgenbegrenzungsgesetz nimmt Änderungen am bayerischen Gesundheitsschutzgesetz (GSG) vor. Letzteres untersagt bisher das Rauchen (von Tabak und aller anderen durch den Akt des Rauchens konsumierten Suchtmittel) in öffentlichen Gebäuden, etwa in Gaststätten (Art. 3 Abs. 1 GSG). Ein neuer Satz Eins soll nunmehr klarstellen, dass das Rauchen von Tabakwaren wie auch von (synthetischen) Cannabisprodukten untersagt ist. Das zeitigt die – ungewollte – Folge, dass etwa das Rauchen von Crack nach dem Wortlaut (unter Beachtung des Art. 103 Abs. 2 GG) dem Verbotstatbestand nicht mehr unterfällt.

Anders als Tabak darf nach Art. 3 Abs. 1 S. 3, 4, Abs. 2 GSG n.F. Cannabis nicht mehr in Außenbereichen von Gaststätten, Volksfestgeländen und dem Gelände des Maximilianeums als Sitz des Bayerischen Landtags geraucht werden. Das sog. Vapen, also der Konsum durch Erhitzen und Verdampfen mithilfe von E-Zigaretten, Vaporisatoren und vergleichbaren Verdampfern, steht dem Rauchen von Cannabisprodukten gleich. In Räumen der Polizei und der Staatsanwaltschaften sollen keine Ausnahmen vom Cannabiskonsumverbot gestattet (Art. 5 Nr. 2 GSG n.F.) und Cannabisprodukte in Raucherräumen (Art. 6 GSG n.F.) geraucht werden dürfen. Verstöße gegen Art. 3 Abs. 1, 2 GSG werden nach Art. 10 GSG n.F. mit Bußgeld geahndet, welcher im Abs. 2 einen erhöhten Rahmen für Verstöße durch Cannabiskonsum vorsieht.

Das Gesundheitsschutzgesetz wird in Art. 8 um eine Verordnungsermächtigung für die Gemeinden erweitert. Diese dürfen das Rauchen, Erhitzen und Verdampfen von Cannabisprodukten, einschließlich jeglicher mit synthetischen Cannabinoiden versetzter Stoffe, sowie die Nutzung von zu diesem Zweck verwendeten E-Zigaretten oder vergleichbaren Produkten auf bestimmten öffentlichen Flächen verbieten, auf denen sich eine Vielzahl von Menschen gleichzeitig auf engem Raum aufhält. Gemäß Art. 30 Abs. 1 LStVG n.F. können die Verbotszonen auf öffentliche Flächen erweitert werden, wenn dort gehäuft Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten auf Grund von übermäßigem Alkoholkonsum oder wegen des Konsums von Cannabisprodukten begangen werden.

Was bereits verboten ist

Das Bundesrecht untersagt bereits den Konsum von Cannabisprodukten in unmittelbarer Gegenwart von Kindern und Jugendlichen, das heißt am gleichen Ort, in räumlich unmittelbarer Nähe bzw. im gleichen Raum einer Wohnung.3) Daneben (BT-Drs. 20/8704, S. 97 – mit „Satz 2“ ist hier „Absatz 2“ gemeint; so auch VG Kassel Rn. 19) tritt ein Verbot des Konsums an gesetzlich bezeichneten Orten, um Konsumanreize zu verhindern. Umfasst sind Einrichtungen, in deren Umkreis der Konsum nach Auffassung des Gesetzgebers Gefahren für den Kinder- und Jugendschutz bietet. Dazu gehören etwa Schulen, Spielplätze und Jugendeinrichtungen. Auch Fußgängerzonen während der üblichen Geschäftszeiten schlägt der Bundesgesetzgeber diesen jugendschutzsensiblen Bereichen zu.

Einen gänzlich anderen Schutzzweck verfolgt er mit dem Konsumverbot rund um befriedetem Besitztum von Anbauvereinigungen: Keine geselligen Orte mit erhöhten Konsumanreizen zu schaffen und durch das KCanG nicht zu einer Konsumsteigerung von Cannabisprodukten beizutragen (BT-Drs. 20/8704, S. 98). § 5 Abs. 3 KCanG untersagt schließlich den Konsum in militärischen Bereichen zum Schutz der Wehrfähigkeit (BT-Drs. 20/8704, S. 98).

Nach Gesetzeswortlaut und -materialien ist diese Aufzählung der Örtlichkeiten abschließend (BT-Drs. 20/8704, S. 97), was schon das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG einfordert. Damit ist jedoch keine Aussage darüber getroffen, ob der Bund Konsumverbote abschließend geregelt hat. Das Rauchen einschließlich der Benutzung von elektronischen Zigaretten und Verdampfern als besondere Konsumform untersagt das Bundesnichtraucherschutzgesetz in geschlossenen Räumen von Einrichtungen des Bundes sowie der Verfassungsorgane des Bundes, Verkehrsmitteln des öffentlichen Personenverkehrs und Personenbahnhöfen der öffentlichen Eisenbahnen, § 1 BNichtrSchG.

Eine abschließende Regelung

Aus der Zusammenschau von § 5 KCanG und § 1 BNichtrSchG leitet der bayerische Gesetzgeber ab, das Bundesrecht würde keine abschließende Regelung für Konsumverbote treffen, sondern Raum für landesrechtliche Vorschriften des Nichtraucherschutzes belassen (LT-Drs. 19/2073, S. 1).

Umstritten ist bereits, ob dem Bund eine Kompetenz zur umfassenden Regelung des Nichtraucherschutzes zukommt.4) Dagegen wird eingewandt, eine im Grundgesetz faktisch-deskriptiv umschriebene Teilmaterie, das Gaststättenrecht, sei den Ländern zugewiesen. Deshalb hat der Bund den Nichtraucherschutz bisher nur partiell geregelt. Davon weicht das Cannabisgesetz nicht ab. Dementsprechend bleibt den Ländern weiterhin ein Regelungsraum für Vorschriften des Nichtraucherschutzes, besonders in Gaststätten.

Soweit das Cannabisfolgenbegrenzungsgesetz Regelungen zum Schutz vor dem Passivrauchen trifft, steht diesen Art. 72 Abs. 1 GG nicht entgegen. Art. 3 Abs. 1 S. 1, 6 GSG n.F. stützen sich mithin auf eine Landeskompetenz. Das gilt auch für Art. 3 Abs. 2 GSG n.F., soweit dieser Räumlichkeiten der bayerischen Verfassungsorgane betrifft, deren Hoheit kraft Natur der Sache dem Landesgesetzgeber zusteht.

Problematisch erscheinen Art. 3 Abs. 1 S. 3 f. und Abs. 2 GSG, soweit sie keine geschlossenen Räume, sondern den Außenbereich betreffen. Während auf Volksfestgeländen regelmäßig Festzelte stehen, die man noch als Räumlichkeiten betrachten könnte, in denen spezifische Gefahren durch Passivrauchen drohen, erscheint dies für die Außenbereiche von Festplätzen und die Außengastronomie fernliegend. An der „frischen Luft“ verflüchtigen sich Rauch und Dampf umgehend. Dass Regelungen für Außenbereiche Gesundheitsgefahren durch Passivrauchen adressieren (obschon nach LT-Drs. 19/2073, S. 10 erklärtes Ziel), erscheint zweifelhaft, besonders weil Gefahren durch Tabakpassivrauchen (bewusst) nicht erfasst werden. Diese Zweifel werden dadurch verstärkt, dass der Landesgesetzgeber einen weiteren Regelungszweck benennt: „gehäuften Verstößen gegen das Konsumverbot aus § 5 Abs. 1 KCanG präventiv entgegenzuwirken“, um den Jugendschutz zu verbessern (LT-Drs. 19/2073, S. 10). Konsumanreize habe der Bundesgesetzgeber nicht hinreichend bekämpft (LT-Drs. 19/2073, S. 8 f.). Schließlich wolle man Ordnungswidrigkeiten und Straftaten verhüten und damit Gefahren für die öffentliche Sicherheit abwehren (LT-Drs. 19/2073, S. 9).

Zwar ist den Landesgesetzgebern die Gefahrenabwehr unzweifelhaft überantwortet. Doch ist eine Regelungsmaterie nicht automatisch dem Polizeirecht zuzuordnen, weil kontextrelevante Verhaltensweisen in anderen Gesetzen unter Strafe gestellt sind. Ob und wie weit der Bundesgesetzgeber ein Verhalten unter Heranziehung seiner Gesetzgebungskompetenz für das Strafrecht in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG untersagt, entscheidet er abschließend. Demnach darf Bayern den Konsum von Cannabisprodukten nicht in Gänze untersagen, weil ihm eine womöglich strafbewehrte Beschaffung vorausgeht oder er unter Verletzung des § 5 KCanG erfolgen kann. Weitergehende Gefahren, etwa aus Folgen des Konsums, können landesrechtlich adressiert werden, weshalb Art. 30 Abs. 1 LStVG n.F. die Landeskompetenz nicht überschreitet. Dagegen knüpfen Art. 3 Abs. 1 S. 3 f., Abs. 2, 8 GSG n.F. an die Gefährlichkeit des Konsums an sich – für Jugendschutz und die sog. Volksgesundheit durch Konsumanreize – an, der mit § 5 KCanG bereits Rechnung getragen ist.

Eine ergänzende Landesregelung wäre dennoch möglich, wenn § 5 KCanG keine abschließenden Vorkehrungen gegen diese Gefahren treffen würde. Das VG Kassel verneint dies, weil den Ländern in § 7 KCanG der Vollzug der Vorschriften des Cannabisgesetzes übertragen sei. Diese Überlegung geht schon deshalb fehl, weil § 7 KCanG keine umfassende Zuständigkeitsregelung trifft, sondern nur einen eng begrenzten Teilbereich des Vollzuges, namentlich die Frühintervention bei Minderjährigen5), adressiert. Der Verweis der Kammer auf das Plenarprotokoll des Bundesrates vom 29.09.2023 (S. 298) ist nicht in der Lage, ihre Wertung zu untermauern. Die Landesministerin Sütterlin-Waack hat darin nicht ausgeführt, dass Personalkosten für die Ausweisung und Überwachung weiterer Konsumverbotszonen, etwa zum Schutz von Kindern und Jugendlichen, zu erwarten sind. Deshalb kann dahinstehen, ob Stellungnahmen von Ländervertretern im Bundesrat überhaupt herangezogen werden können, um den Regelungswillen des Bundesgesetzgebers zu bestimmen.

Der Normwortlaut ohne Einschränkungen oder Öffnungsklauseln und nicht zuletzt die Gesetzesmaterialien des Cannabisgesetzes streiten dafür, dass der Bundesgesetzgeber diejenigen Örtlichkeiten abschließend aufgezählt hat, an denen aus Gründen des Kinder- und Jugendschutzes, zur Verhütung von Konsumanreizen und zum Erhalt der Wehrfähigkeit Cannabis nicht konsumiert werden darf (BT-Drs. 20/8704, S. 97). Um die Aufzählung hat der Bundestag im Detail gerungen, die Reichweite der Regelung eingehend geprüft und in den Ausschussberatungen präzisiert, um den Kinder- und Jugendschutz zu verstärken (BT-Drs. 20/10427, S. 2; BT-Drs. 20/10426, S. 21 und 126).

Anders als etwa konkret-generelle Verbote, die an § 5 Abs. 1 KCanG anknüpfen und damit normkonkretisierend wirken, typisiert der Landesgesetzgeber abstrakt-generell weitere Orte als riskant für den Jugendschutz. Damit setzt er sich über die Entscheidung des Bundesgesetzgebers hinweg und überschreitet seine Regelungskompetenz. Art. 3 Abs. 1 S. 3, 4, Abs. 2, 8 GSG n.F. steht insoweit Art. 72 Abs. 1 GG entgegen.

Konzeptionswidersprüche zwischen Land und Bund

Erachtete man die Bundesregelung nicht für abschließend, so begegnen Art. 3 Abs. 1 S. 3, 4, Abs. 2, 8 GSG n.F. und Art. 30 Abs. 1 LStVG auch dahingehend verfassungsrechtlichen Bedenken, weil ihnen eine vom Bundesrecht abweichende Konzeption zugrunde liegt. Das Cannabisfolgenbegrenzungsgesetz ist an der grundlegenden Wertung orientiert, dass der Cannabiskonsum gefährlich und zu vermeiden ist. Das zeigt sich bereits in den Gesetzesmaterialien, die dem Cannabiskonsum generell negative gesundheitliche Folgen unterstellen, sodass Konsumanreize zum Schutz des Gemeinwohls bekämpft werden müssen (LT-Drs. 19/2073, S. 8). In den Redebeiträgen von Parlamentariern der Mehrheitsfraktionen kommt eine Ablehnung der bundesgesetzlichen Konzeption manifest zum Ausdruck. Susann Enders von den FREIEN WÄHLERN etwa fragte die Vertreter der GRÜNEN-Fraktion, was sie geritten habe, in Berlin.6)

Das Bundesrecht stuft zwar ebenfalls den Konsum als gesundheitsgefährdend ein, bekämpft jedoch nicht generell den Konsum, sondern will nur gesteigerte Konsumanreize vermeiden (BT-Drs. 20/8704, S. 98). Während das Cannabisfolgenbegrenzungsgesetz den Konsum (in der Öffentlichkeit) eindämmen will, beabsichtigt das Cannabisgesetz des Bundes, Erwachsenen den „verantwortungsvollen Umgang mit Cannabis“ zu erleichtern (BT-Drs. 20/8704, S. 68 f.).

Die Konzeptionsunterschiede zeigen sich besonders anhand von Art. 8 GSG und Art. 30 Abs. 1 LStVG. Der bayerische Landesgesetzgeber sieht nicht nur an spezifisch Kindern und Jugendlichen gewidmeten Orten Konsumgefahren, sondern unterstellt eine Gefahr überall dort, wo eine Vielzahl von Menschen zusammenkommt (ob Innen- oder Außenbereich). Jeder Konsum von Cannabis, dezidiert nicht nur der übermäßige, wie dieselbe Norm für Alkohol verlangt, wird mit Ordnungswidrigkeiten und Straftaten in Verbindung gebracht. Es wird dem Grunde nach unterstellt, dass Cannabiskonsum mit nach § 2 Abs. 1 KCanG verbotenen Verhaltensweisen wie Handeltreiben, Abgabe und Überlassen einhergeht (LT-Drs. 19/2073, S. 13).

Nutzer:innen sehen sich damit zwei widerstreitenden Wertungen ausgesetzt: Cannabis als zum Eigenkonsum im Grundsatz geduldete „weiche Droge“ einerseits und als gesundheitsgefährliches Rauschmittel, das es nach Möglichkeiten zu bekämpfen gilt, andererseits. Solche axiologischen Widersprüche7) zwischen Wertungen von Landes- und Bundesrecht adressiert das Bundesverfassungsgericht au