Vereinsverbote und wehrhafte Demokratie
Warum die Einwände gegen das Verbot der COMPACT-Magazin GmbH nicht überzeugen
Die Liste verbotener rechtsextremer Vereinigungen in Bund und Ländern ist nicht kurz, aber auch nicht übermäßig lang. In dieser Legislaturperiode hat das Bundesministerium des Innern (BMI) das statistisch gesehen schärfste Schwert der wehrhaften Demokratie – das Vereinigungsverbot des Art. 9 Abs. 2 GG – bereits gegen die „Hammerskins“ und die „Artgemeinschaft“ gezückt. Nun wird der rechtsradikalen Hydra ein weiterer Kopf abgeschlagen. Mit Verbotsverfügung vom 5. Juni 2024 hat das BMI die „COMPACT-Magazin GmbH“ als Vereinigung und die „CONSPECT Film GmbH“ als ihre Teilorganisation verboten und aufgelöst.
Das BMI hat damit nicht bloß eine rechtsextreme Vereinigung unter vielen verboten. Es hat vielmehr einen rechtsextremistischen Verlag samt seinen analogen und digitalen Publikationsorganen, Informationskanälen und Kommunikationsstrukturen aus dem politischen Diskurs geschmissen. Mit anderen Worten: Dieses Vereinsverbot trifft Presse und Rundfunk mit voller Wucht. Deshalb erstaunt es nicht, dass Presse und Rundfunk selbst über das Verbot eines ihrer Organe durch Zweckentfremdung des Vereinsgesetzes zu einem Maulkorb-Gesetz nicht übermäßig glücklich sind. Sie sprechen von juristischer Inakzeptabilität, moralischem Rigorismus, hemdsärmeliger Auslegung von Grundrechten und von einem Hochrisikoverhalten des BMI.
Sicher ist, dass die Verbotsverfügung angefochten wird. Zunächst vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), das nach § 50 Abs. 1 Nr. 2 VwGO als erste und letzte Instanz über Vereinsverbote durch das BMI entscheidet. Dann gegebenenfalls vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Für den Fall, dass eines der oder beide Gerichte das Verbot nicht halten sollten, wird bereits der Rücktritt der Bundesministerin des Innern, Nancy Faeser, gefordert. Eine Anfechtungsklage gegen ein Vereinsverbot im Hauptsacheverfahren vor dem BVerwG dauert mittlerweile knapp zwei Jahre und wird damit in dieser Legislaturperiode nicht zu bewältigen sein. Vor allem aber ist es richtig, dass die zuständige Verbotsbehörde die Grenzen des geltenden Rechts und damit der wehrhaften Demokratie gegen die COMPACT-Magazin GmbH austestet. Die Rechtsprechung zu Verboten von Medienorganisationen ist bisher nämlich nur bedingt aussagekräftig. Grundrechte wie die Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit stehen ihrem Verbot auf der Grundlage des Vereinsgesetzes allerdings nicht grundsätzlich entgegen. Der Zusammenschluss zu einer Medienorganisation ist kein Freifahrtschein für den Weg aus dem Vereinsgesetz hinaus.
Vereinsverbot überhaupt möglich?
Die Presse und die juristische Schnellexpertise suggerieren, dass das Verbot einer Vereinigung, deren Kerntätigkeit im Medienbereich liegt, per se verfassungswidrig sei. Nicht bloß das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG, das die Medien- und Meinungsfreiheit als für die Demokratie schlechthin konstituierend schützt, stehe dem Verbot einer Verlagsgesellschaft und damit dem „Totalverbot“ aller ihrer Publikationen und Informationskanäle entgegen. Nach den rechtlichen Kollisionsregeln sei die Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes und seines Verbotsinstrumentariums auch durch den Vorrang der spezielleren Landespressegesetze und des Rundfunkstaatsvertrags gesperrt. Denn beim Presserecht handele es sich um Sonderrecht für die Presse. Es betone den hohen Stellenwert einer freien Presse für die Demokratie, stelle diesen bei der Möglichkeit ihrer Beschränkung in Rechnung und halte deswegen mildere Mittel als ein Medientotalverbot bereit, etwa Untersagungs- oder Sperrverfügungen gegen einzelne verfassungswidrige Beiträge in einem Publikationsorgan. Und damit schließe letztlich die Verteilung von Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen, die das Grundgesetz auf dem Gebiet von Presse und Rundfunk den Ländern gegeben hat, den Bund als Akteur überhaupt aus. Das ist nicht höchstrichterliche Rechtsprechung.
Das BMI hat auch vor dem Verbot der COMPACT-Magazin GmbH Verbote gegen Vereinigungen ausgesprochen, die sich ausschließlich (oder überwiegend) im Medienbereich wie der Presse und dem Fernsehen oder als Betreiberinnen von Onlineplattformen und Internetportalen betätigt hatten (vgl. hierzu die Übersicht von Lukosek auf dem Verfassungsblog). Betroffen war das ganze politische Spektrum. Zeitgleich mit dem Betätigungsverbot gegen die PKK verbot das BMI bereits 1993 die kurdische Berxwedan-Verlags-GmbH und die Presseagentur Kurd-Ha als Teilorganisationen der PKK. Im Jahr 2019 erstreckte es das Verbot auf den Mezopotamien Verlag und die MIR Multimedia GmbH – ebenfalls als Teilorganisationen der verbotenen PKK. Die ROJ TV A/S und deren Holding, die Mesopotamia A/S, zwei dänische Medienorganisationen, die kurdisches Fernsehen nach Deutschland ausstrahlten, traf es 2008. 2013 verbot das BMI mit DawaFFM ein salafistisches Medienportal, 2016 mit Altermedia ein rechtsextremistisches Internetportal und 2017 traf es mit linksunten.indymedia eine linksextreme Onlineplattform.
Bis auf Altermedia haben alle betroffenen Vereinigungen oder deren Mitglieder gegen die Verbote Anfechtungsklage beim BVerwG, z.T auch Verfassungsbeschwerde beim BVerfG erhoben. Keine der Klagen kam durch. Und trotzdem sind die gerichtlichen Entscheidungsbegründungen nur beschränkt hilfreich. Sie lassen zwar erkennen, dass das Verbot einer Medienorganisation nach Art. 9 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 VereinsG zulässig ist. Wie die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG die materiellrechtlichen Voraussetzungen eines solchen Vereinigungsverbots aber im Detail steuern, lassen sie dagegen offen. Das liegt an der vertrackten prozessualen Situation im Vereinsrecht. Das Prüfprogramm der Gerichte im Vereinsverbotsverfahren richtet sich nämlich danach, wer klagt. Nur wenn die verbotene Vereinigung selbst gegen ihr Verbot klagt, überprüfen die Gerichte materiellrechtlich, ob die von der Behörde genannten Gründe für ein Verbot tatsächlich taugen. Klagt – wie bei linksunten.indymedia – lediglich ein Mitglied des verbotenen Vereins als Einzelperson, ist ihr Prüfprogramm abgespeckt. Sie untersuchen dann lediglich, ob das VereinsG anwendbar war und tatsächlich auch ein Verein verboten wurde. Klagt – wie bei den Verboten der kurdischen Medienvereinigungen – eine verbotene Teilorganisation, kann diese nur einwenden, sie sei keine Teilorganisation der PKK. Materiellrechtliche Verbotsgründe werden auch hier nicht geprüft. Bei DawaFFM stand die Religionsfreiheit im Fokus, die Meinungs- und Pressefreiheit waren kein Thema. Und bei den dänischen Fernsehgesellschaften ging es ausschließlich um unionale Fragen der Zuständigkeit Deutschlands oder Dänemarks für sendungsbegrenzende Maßnahmen. Trotzdem tappt man hier nicht völlig im Dunkeln. Ein Rückgriff auf die allgemeineren, gleichwohl aber umfangreichen Ausführungen von BVerwG und BVerfG zum Verhältnis von Vereinigungs-, Presse- und Meinungsfreiheit ist möglich.
Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes: Art. 5 Abs. 1 GG ist bloß zu berücksichtigen
Das Vereinigungsverbot aus Art. 9 Abs. 2 GG und § 3 VereinsG ist – neben der Grundrechtsverwirkung aus Art. 18 GG und dem Parteiverbot aus Art. 21 Abs. 2 GG – Teil des Konzepts der wehrhaften Demokratie. Es soll die organisierte Gefährlichkeit eines Personenzusammenschlusses für den demokratischen Staat unterbinden. Richtet sich eine Vereinigung gegen die verfassungsmäßige Ordnung, ist sie nach dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 2 GG verboten. Der Begriff der Vereinigung, die ein Verbot treffen kann, ist nach Art. 9 Abs. 1 GG, § 2 VereinsG denkbar weit gefasst. Die COMPACT-Magazin GmbH als organisierter Zusammenschluss von Personen, die sich einer gemeinsamen Willensbildung unterworfen haben, fällt unter ihn. Als Wirtschaftsvereinigung muss sie nach der privilegierenden Norm des § 17 VereinsG i.V.m. § 3 VereinsG verboten werden – wenn sie die entsprechenden Verbotstatbestände erfüllt und ein Verbot verhältnismäßig ist. Landespresse- und Rundfunkrecht stehen einem Vereinsverbot nicht entgegen. Sie wären einschlägig und würden die Anwendung des VereinsG ausschließen, wenn das Verbot selbst unmittelbar auf ein Medienprodukt zielte. Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids des BMI ist aber nicht das Verbot von Medienprodukten, sondern das Verbot der hinter ihnen stehenden Vereinigung. Dass deren Medienprodukte, Informations- und Kommunikationskanäle mitverboten werden, ist bloß eine Nebenfolge des Vereinigungsverbots selbst. Deshalb ist auch die immer wieder zitierte Entscheidung des EGMR gegen das zeitweise Verbot des Erscheinens von Zeitungen in der Türkei als Verstoß gegen Art. 10 EMRK als Referenzentscheidung nicht aussagekräftig. Dort ging es um das gezielte Verbot von Periodika, nicht um ein Vereinsverbot.
Und auch Art. 5 Abs. 1 GG sperrt das VereinsG nicht (BVerwGE 167, 293 Rn. 33 ff.) Immer, wenn von einer staatlichen Maßnahme mehrere Grundrechte mit unterschiedlichen Schrankenregelungen betroffen sind, stellt sich die Frage, welches dieser Grundrechte den rechtlichen Prüfungsmaßstab vorgibt. Auf dem Gebiet der Vereinigungsfreiheit und des Vereinigungsverbots ist diese Frage ausdiskutiert. Menschen schließen sich nach Art. 9 Abs. 1 GG in Vereinen zusammen, um andere Grundrechte gemeinsam auszuüben. Die Form des Zusammenschlusses wird dabei von Art. 9 Abs. 1 u. 2 GG geschützt, die durch das VereinsG einfachgesetzlich ausbuchstabiert werden. Die Betätigung selbst durch die anderen Grundrechte. Zwar ist der staatliche Umgang mit der Presse- und Meinungsfreiheit ein Gradmesser für den Zustand einer Demokratie. Inwieweit Vereinigungsverbote nach Art. 9 Abs. 2 GG mit Art. 5 Abs. 1 GG in Einklang stehen, ist aber ausschließlich bei der Frage zu prüfen, ob die Verbotsgründe tragen – und eben keine Frage der Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes selbst. In erster Linie wird die Dogmatik des Vereinsverbots nach Art. 9 Abs. 2 GG und § 3 VereinsG abgeprüft, da sich dieses eben gegen die Form des Zusammenschlusses richtet. Bei der Verbotsprüfung gibt Art. 5 Abs. 1 GG nicht den Ton an. Meinungs- und Pressefreiheit sind hier nicht einmal ein eigenständiger Prüfungsmaßstab. Sie finden im Rahmen der Prüfung von Art. 9 Abs. 2 GG lediglich Berücksichtigung (BVerfGE 149, 160 Rn. 93 ff.).
Aggressiv-kämpferisches Vorgehen gegen die Demokratie erforderlich
Meinungs- und Pressefreiheit sind bei allen Verboten von rechtsextremistischen Vereinigungen im Spiel. Üblicherweise knüpft die Frage, ob sich rechtsextremistische Vereinigungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, und damit den Verbotstatbestand aus Art. 9 Abs. 2 GG erfüllen, an ihre öffentlichen und veröffentlichten Äußerungen an. Ihr Verbot umfasst immer auch das Verbot ihrer Publikationsorgane. Die COMPACT-Magazin GmbH stellt hier keine Ausnahme dar. Um den Stellenwert der Meinungs- und Pressefreiheit auch im Vereinsverbotsverfahren zu betonen, warten BVerwG und BVerfG mit viel Wortgeklingel auf: Die Meinungs- und Pressefreiheit ist grundsätzlich auch den Feinden der Freiheit garantiert. Ein Vereinsverbot, das allein dazu diente, Publikationen und Meinungen zu untersagen, wäre verfassungswidrig. Es darf vor allem nicht allein (!) an die Äußerung von Meinungen anknüpfen (BVerfGE 149, 160). Das tut es in der Regel aber auch nicht. Macht die Behörde ihr Verbot an Meinungsäußerungen fest, die sich gegen die Kernelemente unserer Verfassung richten – Menschenwürde, Demokratieprinzip und Rechtsstaatlichkeit – dann muss sich in diesen Äußerungen zusätzlich eine aggressiv-kämpferische Haltung der Vereinigung spiegeln. Nur dann richtet sie sich tatbestandsmäßig gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Hier wird es dann allerdings schwammiger. Eine aggressiv-kämpferische Haltung soll mehr sein als Verbalradikalismus. Sie soll vorliegen, wenn die Vereinigung die Fundamente unserer demokratischen Verfassungsstaatlichkeit nicht nur ablehnt, sondern zum Kampf gegen sie bläst. Das allerdings muss sich meist durch Auslegung ihrer Texte ergeben – wenn ansonsten kein weiteres Handeln der Vereinsmitglieder, ihrer Unterstützer, ihrer Autoren oder sonstiger, der Vereinigung nahestehender Dritter verwertbar und zurechenbar ist. Kann das BMI also den Vollbeweis antreten, dass die COMPACT-Magazin GmbH in ihren Publikationen und sonstigen medialen Formaten nicht bloß daherschwätzt, sondern die Verfassung tatsächlich untergraben will, dann unterliegt ihr Verbot keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, die sich aus Art. 5 Abs. 1 GG ergeben könnten.
Zurechtgestutzter Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im VereinsG
Natürlich muss auch ein Vereinsverbot dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Wann und wo dieser Grundsatz zum Zuge kommt, weicht im VereinsG aber von den bekannten juristischen Prüfungsschemata ab. Bei einem Vereinsverbot wird die Verhältnismäßigkeit nämlich bereits im Tatbestand der Verbotsgründe geprüft. Soll ein Verein deswegen verboten werden, weil er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet, müssen ihm die aggressiv-kämpferischen und verfassungsfeindlichen Handlungen oder Äußerungen seiner Mitglieder, seiner Unterstützer, seiner Autoren oder sonstiger Dritter, die ihm nahestehen, zunächst zurechenbar sein. Das ist bei einem Vereinsverbot gegen eine Medienorganisation der erste Knackpunkt. Die Pressefreiheit umfasst auch die Entscheidung eines Verlags, ein Nachrichten- und Meinungsforum bloß für ein bestimmtes politisches Spektrum zu eröffnen und den Autoren dort größere Freiräume zu lassen. Eine Identifizierung des Verlags mit allen verfassungsfeindlichen Beiträgen muss damit nicht zwangsläufig verbunden sein, sondern im Einzelnen vom BMI nachgewiesen werden (BVerfGE 113, 63 (86).
Die aggressiv-kämpferischen, verfassungsfeindlichen Handlungen, Äußerungen und Beiträge müssen zusätzlich das Profil des Vereins bilden und ihn beherrschen. Sie müssen für den Verein prägend sein. Das ist der zweite Knackpunkt beim Verbot einer Medienorganisation. Die Verbotsbefugnis der Behörden ist insoweit eng auszulegen. Stützt sich ein Verbot auf verfassungsfeindliche Äußerungen, Presse- oder Rundfunkbeiträge, die im Vereinsleben insgesamt eher randständig bleiben, fehlt die entsprechende Prägung und der Verein darf nicht verboten werden. Dann, aber auch nur dann müssen die zuständigen Behörden gegen diese konkreten und vereinzelten Beiträge bzw. Beiträger*innen selbst medien- oder strafrechtlich vorgehen, anstatt den Verein als solchen ins Visier nehmen zu dürfen. Ist die Prägung da, muss die Vereinigung verboten werden. Davon geht das BMI in seiner 79-seitigen Verbotsverfügung gegen die COMPACT-Magazin GmbH offensichtlich aus. So ist es auch zu erklären, dass sie sich auf die dogmatisch missverständliche, dafür aber umso prosaischere Aussage des BVerwG stützt, nach der die Grundrechte der Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit dort zurückzutreten haben „wo sie ausschließlich (…) der Verwirklichung verbotswidriger Vereinszwecke dienen.“ Die Verbotsnormen räumen den Behörden kein Ermessen ein. Steht für die Behörde die verfassungswidrige Prägung des Vereins fest, hat sie keine milderen, gleichwirksamen Mittel, um der Gefahr zu begegnen, die von ihm ausgeht. Deswegen lesen sich Erwägungen zu milderen Mitteln am Ende von Verbotsverfügungen auch eher wie ein lebloser (weil überflüssiger) Appendix.
Höhere Hürden nötig und möglich?
Verlangen Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit danach, die vereinsgesetzlichen Hürden für das Verbot einer Medienorganisation höher zu hängen? Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stellt bestimmte Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit einer staatlichen Sanktion wie das Vereinsverbot. Sie ergeben sich aus dem Rang des mit dem Verbot zu schützenden Rechtsguts und der Intensität seiner Gefährdung auf der einen und dem Stellenwert sowie der Intensität der Beeinträchtigung des konfligierenden Rechtsguts auf der anderen Seite. Die freie Presse ist für die Demokratie konstituierend. Vereinsverbote schützen die Demokratie vor ihrer Zerstörung. Das ist ein Patt. Das andere Schwert der wehrhaften Demokratie, das Parteiverbot, hat das BVerfG kürzlich nachgeschärft. Bis zu seiner zweiten NPD-Verbotsentscheidung liefen Partei- und Vereinsverbot in ihren Tatbestandsvoraussetzungen parallel. Das Verbot von Parteien setzt wegen des hohen Rangs der Parteienfreiheit aus Art. 21 GG für unsere Demokratie nun voraus, dass eine verfassungsfeindliche Partei das Potential haben muss, den demokratischen Staat zu zerstören. Das Erfordernis von Potentialität macht beim Verbot von Vereinigungen, die ihr Personal nicht in der organisierten Staatlichkeit platzieren wollen, wenig Sinn. Das BVerfG betont deshalb stets, dass ein Vereinsverbot gerade keine konkrete Gefahr erfordert, dass ein Verein seine verfassungsfeindlichen Ziele auch erreichen kann. Das muss grundsätzlich auch für Medienorganisationen gelten. Zumindest im materiellrechtlichen Prüfprogramm kann man aber verbal nachjustieren, um die Voraussetzungen ihres Verbots zumindest denen des Verbots religiöser Vereinigungen anzugleichen. Religionsgemeinschaften können sich auf das vorbehaltlose Grundrecht aus Art. 4 GG berufen. Die Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit ist dagegen kein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht. Wegen des demokratiekonstituierenden Charakters von Medien macht ein Gleichschritt hier aber Sinn. So muss wegen des hohen Stellenwerts der Religionsfreiheit im Grundgesetz das Verbot religiöser Vereinigungen unerlässlich sein, um die Schutzgüter des Art. 9 Abs. 2 GG zu schützen. Ferner ist erhöhter Grundrechtsschutz durch Verfahren in Form einer Verschärfung von Sorgfalts-, Darlegungs- und Beweislasten auf Seiten des BMI möglich. Für das Verbot einer Religionsgesellschaft verlangt das BVerfG, dass die Verbotsbehörde den Sachverhalt, auf den sie ihr Verbot stützt, im Bewusstsein um die gravierenden Folgen ihrer Verbotsentscheidung so umfassend aufklärt, dass die komplexe Prognose einer Verfassungswidrigkeit einer Vereinigung auch zuverlässig getroffen werden kann. Das muss auch für Medienorganisationen gelten und reichen.
“Kann das BMI also den Vollbeweis antreten, dass die COMPACT-Magazin GmbH in ihren Publikationen und sonstigen medialen Formaten nicht bloß daherschwätzt, sondern die Verfassung tatsächlich untergraben will, dann unterliegt ihr Verbot keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, die sich aus Art. 5 Abs. 1 GG ergeben könnten”
Dieser Maßstab scheint unsauber herausgearbeitet, denn er deckt sich nicht mit den Ausführungen im Text zu Art. 5 Abs. 1, 2 GG. Zuvor wurde ja – ganz korrekt – ausgeführt, dass das Vereinsverbot (ich meine insb. wegen Art. 5 Abs. 1 Satz 3) nicht primär dazu dienen darf, Publikationen und Meinungen zu untersagen.
Bevor also irgendwelche Verhältnismäßigkeitserwägungen anzustellen sind, muss doch erst einmal die Zielrichtung des Vereinsverbots geprüft werden. Ist der Verein (hier die Compact-GmbH) oder das Medium das Problem? Das scheint in diesem Fall ganz offensichtlich. Das Vereinsverbot wird klar als Umgehung zum Verbot einer bestimmten Publikation genutzt. Das Medium könnte ja sonst einfach von einer anderen Rechtsperson neu aufgelegt werden, oder nicht? Es geht hier also gar nicht um eine Abwägung von Vereins-/Pressefreiheit vs. Gefährdung der Demokratie (in welcher Form auch immer diese durch das Schmutzblatt bestanden haben soll), sondern um ein Umgehungsproblem.
Das hat im Übrigen alles nichts mit wehrhafter Demokratie zu tun. Wehrhaft mag das Verhalten des BMI ja sein, aber demokratisch ist es doch nur, wenn es die Pressefreiheit, die ein wichtiger Bestandteil einer Demokratie ist, respektiert. Ob es sich bei dem Vorgehen um einen Akt wehrhafter Demokratie handelt, wissen wir also erst nach der Rechtmäßigkeitsprüfung. Daher können wir die Rechtmäßigkeitsprüfung nicht mit dem Argument zu beeinflussen suchen, es handle sich um wehrhafte Demokratie.
Wenn der Verein noch andere Medien veröffentlichen würde, die gerade nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind (z.B. Buchverlage) könnte ich Ihre Bedenken nachvollziehen, nicht aber wenn Verein und Medium identisch sind.
Hierauf darf und kann es meiner Meinung nach entscheidend nicht ankommen: Das deutsche Recht kennt kein Instrument des alleinigen Medien- oder Publikationsverbotes. Art. 5 GG schützt die Pressefreiheit umfassend, was in der Diskussion der letzten Tage auch treffend als “Wagnis” der grundgesetzlichen Pressefreiheitskonzeption beschrieben wurde.
Wenn also unter einer Vielzahl an Medien eines Vereins “nur” eines gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet ist, ließe sich dieses isoliert eben nicht verbieten.
Daher erschließt es sich systematisch zumindest nicht unmittelbar, wenn der Umstand, dass eine Kapitalgesellschaft nur ein Presseerzeugnis verlegt im Ergebnis dazu führt, dass dieses zielgerichtet verboten werden kann.
Systematisch weiterführend zu untersuchen wäre auch die Frage, wie verfahren werden hätte können, wenn eben keine GmbH zu verbieten gewesen wäre, sonder der Herausgeber als e.K. gehandelt hätte. Dann hätte eigentlich nur über die Grundrechtsverwirkung mit ihrem strengen Prozess und Maßstab als Mittel der Wahl herangezogen werden können.
Die Frage zum e .K. zielt ins Schwarze. Das Vereinsverbot ist m. E. n. klar auf die Gefahrenlage ausgerichtet, die sich daraus ergibt, dass eine Personenvielzahl in einer bestimmten Weise zusammenarbeitet. Das Vereinsverbot ist damit eine sicherheitsrechtliche Reaktion auf die Risiken, die sich aus der Betätigung des Grundrecht aus Art. 9 Abs. 1 GG ergeben. Die Publikation von Medien ist in Art. 5 Abs. 1 GG eigens geschützt. Es handelt sich nur faktisch um die Ausübung verschiedener Grundrechte gleichzeitig. Das gefahrenabwehrrechtliche Instrumentarium muss sich hinsichtlich seiner Anforderungen nach der jeweiligen Systematik richten. Vereinsverbote sind also nur zulässig, wenn eine Vereinstätigkeit die Gefahr begründet. Zum Verbot einer bestimmten Publikation können sie als Nebenwirkung führen, nicht aber primär.