19 July 2024

Vereinsverbote zum Schutze der Menschenwürde

Der Fall „Compact“

Mit dem Verbot der „COMPACT-Magazin GmbH“ und der „CONSPECT FILM GmbH“ ist nach Ansicht der zuständigen Bundesinnenministerin Nancy Faeser „ein harter Schlag gegen die rechtsextremistische Szene“ erfolgt, mit dem zugleich die Bereitschaft zum Vorgehen gegen „die geistigen Brandstifter“ signalisiert werden soll, die „unseren demokratischen Staat überwinden wollen“.

Anders als frühere Verbote verfassungsfeindlicher Vereinigungen hat dieser Vorgang ein umfangreiches Echo in den Medien und der Öffentlichkeit ausgelöst. Schnell meldeten sich Stimmen, die die Frage aufwarfen, ob der Rechtsstaat vorwiegend publizistische Aktivitäten gegen die verfassungsmäßige Ordnung mit Blick auf die Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) nicht aushalten müsse; das Spektrum der Statements reicht von gewagten Metaphern (Öffnen der „Büchse der Pandora“) über vorweggenommene Rücktrittsforderungen für den Fall, dass die Verbotsverfügungen vor Gericht aufgehoben werden, bis hin zum Diktum eindeutiger Verfassungswidrigkeit durch einen Verfassungsrechtler und ehemaligen Bundesminister.

Tatsächlich handelt es sich bei dem Vereinsverbot nach Art. 9 Abs. 2 GG neben dem Verbot politischer Parteien (Art. 21 Abs. 2 GG) und der Möglichkeit der Grundrechtsverwirkung (Art. 18 GG) um einen zentralen – und den praktisch wichtigsten – Teil des grundgesetzlichen Konzepts der „streitbaren“ Demokratie.1) Dessen Instrumente mögen in der Vergangenheit angesichts jahrzehntelanger politischer Stabilität etwas in den Hintergrund getreten und in der Rechtsprechung durch Rückgriff auf Aspekte der Verhältnismäßigkeit relativiert worden sein, bleiben aber bedeutsam. Richtig ist indes, dass die jetzt erfolgten Verbote von zwei Vereinigungen – nicht deren Publikationen – auf „wenig bestelltes Terrain“ (C. Gusy) vorstoßen.

Als in der Verfassung vorgesehenes Instrument spricht vieles dafür, Vereinsverbote angesichts der aktuellen Herausforderungen, denen sich der freiheitliche Verfassungsstaat gegenübersieht, verstärkt in den Blick zu nehmen. Der schlichte Hinweis auf die grundrechtliche Gewährleistung der Meinungs- oder Pressefreiheit, so die These dieses Textes, reicht auch im Kontext von Vereinsverboten nicht aus, um die Schutzmechanismen der streitbaren Demokratie beiseitezuschieben.

Ein Zuständigkeitsproblem

Zunächst ergibt sich allerdings ein Zuständigkeitsproblem: Der Bund besitzt zwar die Gesetzgebungszuständigkeit für das Vereinsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG) und das Gesellschaftsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG), nicht aber beispielsweise für das Presse- oder Versammlungswesen. Auch gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtete Aktivitäten können indes über öffentliche Äußerungen erfolgen, die dann durch (eigene) Medien – seien dies (Internet-) Videos oder Publikationen – oder auch im Rahmen von Versammlungen propagiert werden. In diesen Fällen stellt sich daher die Frage, ob der Bund die Zuständigkeit besitzt, gegen entsprechende Aktivitäten vorzugehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage bejaht: Die Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Medienrecht komme insoweit nicht zum Tragen, als es um das Verbot von Publikationen als Folge eines vereinsrechtlichen Organisationsverbots gehe.2) Dem ist zuzustimmen, da auch verfassungsfeindliche Vereinigungen typischerweise verbal – etwa im Rahmen von Versammlungen – oder durch Publikationen wie Flug- oder Zeitschriften für ihre Positionen werben. Versuche einer Unterscheidung zwischen einem Presse- und einem Vereinsverbot sehen sich daher dem Einwand ausgesetzt, dass Publikationen gerade ein Instrument zur Verfolgung der (verfassungsfeindlichen) Ziele einer Organisation sind. Von der Bundeszuständigkeit für Vereinsverbote gem. § 3 VereinsG bliebe auch kaum etwas übrig, wenn man in diesem (Regel-) Fall eine Landeszuständigkeit für Verbote aufgrund der Gesetzgebungszuständigkeit für das Presserecht annehmen würde. Mit Blick auf bundesweit agierende Organisationen käme hinzu, dass Maßnahmen eines Landes sich in ihren Wirkungen auf das jeweilige Land beschränken müssten.

Ausgrenzung durch einen „ethnischen Volksbegriff“

Auf der Tatbestandsebene ist zentrale Voraussetzung des Art. 9 Abs. 2 GG, dass Zwecke oder Tätigkeit einer Vereinigung den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten. Das Bundesinnenministerium stützt seine Verbotsverfügungen insbesondere darauf, dass die betroffenen Vereinigungen sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richteten. Zur Konkretisierung dieses Merkmals kann auf die Definition der freiheitlichen demokratischen Grundordnung i.S.v. Art. 21 Abs. 2 GG zurückgegriffen werden.3) Diese umfasst nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allein zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind;4) hierzu werden die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip gezählt.5)

In der Mitteilung des Bundesinnenministeriums zu den Verbotsverfügungen wird ausgeführt, dass die betroffenen Vereinigungen ein „völkisch-nationalistisches Gesellschaftskonzept“ verfolgten, das nach deren Ansicht „ethnisch Fremde“ aus dem Staatsvolk ausschließen wolle. Ferner würden Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen als „Menschen zweiter Klasse“ herabgewürdigt, indem man ihnen „pauschal Negativeigenschaften“ zuschreibe. Es darf angenommen werden, dass diese Würdigung in der umfangreichen Verbotsverfügung durch hinreichendes Tatsachenmaterial unterlegt ist. Auf dieser Grundlage steht eine Verletzung der Menschenwürde der Angehörigen bestimmter Bevölkerungsgruppen sowie auch der egalitären Seite des Demokratieprinzips in Form der Gleichheit aller Staatsbürger*innen unabhängig von ihrer Herkunft und ethnischen Zugehörigkeit im Raum: Ein solcher „ethnischer Volksbegriff“ ist auf Ausgrenzung gerichtet und verletzt den sich aus der Menschenwürde ergebenden Achtungsanspruch der Person;6) wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ist aus Sicht der Verfassung unabhängig von seiner ethnischen Herkunft gleichberechtigter Teil des Volkes.7)

Weitere Anforderungen an Verbote von Vereinigungen?

Geht man auf dieser Grundlage davon aus, dass sich die betroffenen Vereinigungen gegen zentrale Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wenden und – wie das Bundesinnenministerium annimmt – den „demokratischen Staat überwinden“ wollen, so stellt sich die Frage, ob weitere Anforderungen für ein Vereinsverbot vorliegen müssen. Damit angesprochen sind insbesondere das Erfordernis eines aggressiv-kämpferischen Agierens der betreffenden Organisationen sowie die Reichweite des Verhältnismäßigkeitsprinzips.

Aggressiv-kämpferisches Agieren

Das Erfordernis eines aggressiven und kämpferischen Vorgehens gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung entstammt der frühen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Parteiverboten.8) In der neueren Rechtsprechung wird hingegen für das Tatbestandsmerkmal des „Darauf Ausgehens“ iSv Art. 21 Abs. 2 GG gefordert, dass planvoll gehandelt9) werden muss und die Erreichung verfassungsfeindlicher Ziele möglich ist („Potentialität“).10) Auf eine solche Potentialität kann es für ein Vereinsverbot aber nicht ankommen,11) da Vereinigungen i.S.v. Art. 9 GG anders als Parteien nicht auf eine Beteiligung an der Staatswillensbildung abzielen. Mit Blick auf Art. 9 Abs. 2 GG wird daher vom Bundesverfassungsgericht an dem Erfordernis eines aggressiv-kämpferischen Vorgehens festgehalten.12) Hierin spiegelt sich wider, dass sich ein Vereinsverbot auch im Bereich der Kommunikationsgrundrechte, namentlich der Meinungs- oder auch der Pressefreiheit auswirken kann. Das Grundgesetz garantiere die Meinungsfreiheit im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Feinden der Freiheit und vertraue mit der Vereinigungsfreiheit grundsätzlich auf die freie gesellschaftliche Assoziation und die Kraft des bürgerschaftlichen Engagements im freien und offenen politischen Diskurs.13)

Dies kann andererseits aber nicht heißen, dass schon die Einschlägigkeit gegenläufiger Grundrechte wie der Meinungs-, Presse- oder Versammlungsfreiheit einem Vereinsverbot entgegensteht. Wenig ergiebig ist es daher, wenn etwa das Bundesverwaltungsgericht ausführt, ein Vereinigungsverbot sei unzulässig, wenn es nur das Mittel ist, um Meinungsäußerungen oder Publikationen zu untersagen, die für sich genommen den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG genießen; der Schutz durch andere Grundrechte dürfe von einem Vereinigungsverbot nicht unterlaufen werden.14) Das ist zwar abstrakt richtig, verhindert aber nicht, dass die Schutzwirkung anderer Grundrechte durch Art. 9 Abs. 2 GG als besonderer Schrankenregelung und Instrument präventiven Verfassungsschutzes15) eingeschränkt werden kann. Sofern eine aggressive Haltung gegenüber elementaren Verfassungsgrundsätzen wie etwa der Menschenwürde festzustellen ist, wird vielmehr durch Art 9 Abs. 2 GG die grundsätzliche (Abwägungs-) Entscheidung getroffen, dass kollidierende Grundrechte dem Verbot einer Vereinigung nicht entgegenstehen. Zwar darf die Rechts- und Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland offen kritisiert werden; Meinungs- und Pressefreiheit müssen aber zurücktreten, wenn sie ausschließlich der Verwirklichung verbotswidriger Vereinszwecke dienen.16)

Nach dem Konzept der „streitbaren Demokratie“ sind zudem keine überzogenen Anforderungen an ein solches Wirken zu stellen. Dies folgt schon daraus, dass nach dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 2 GG nicht nur die Tätigkeit, sondern auch der Zweck einer Organisation ein Verbot rechtfertigen kann. Daher wird sich das Ziel einer Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung auch aus fortgesetzten Verletzungen der Menschenwürde Dritter mit ihren Folgewirkungen für das gesellschaftliche Klima ableiten lassen. Eines Aufrufs etwa zur „gewaltsamen Revolution“ oder anderweitiger Aufforderungen zur Gewaltanwendung bedarf es nicht. Vielmehr muss der Staat in der Lage sein, gegen die Rechte anderer Personen gerichteten Bestrebungen entgegenzutreten, bevor der Frieden in der Gemeinschaft und die Demokratie im Land konkret gestört werden.17)

Desgleichen ist kein strafrechtlich relevantes Verhalten etwa in Form von Beleidigungen oder gar der Volksverhetzung (§ 130 StGB) zu verlangen. Insoweit gilt für Parteiverbote, dass Art. 21 Abs. 2 GG kein strafrechtlich relevantes Handeln voraussetzt,18) die Verfassungswidrigkeit einer Partei sich also auch aus strafrechtlich irrelevanten Äußerungen ergeben kann. Davon für Art. 9 Abs. 2 GG abzuweichen, besteht kein Anlass, zumal eine den Strafgesetzen zuwiderlaufende Tätigkeit nach Art. 9 Abs. 2 GG einen eigenständigen Verbotsgrund bildet. Im Ergebnis kommt es mithin darauf an, ob die Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland planvoll untergraben werden soll. Sofern dabei die Menschenwürde als „oberste[r] Wert des Grundgesetzes“