15 Januar 2017

Warum Vertrauen in die Neutralität der Justiz ein schützenswertes Verfassungsgut ist

Verhüllende Bekleidung wie der Hidschab (das Haare, Hals und Teile der Stirn abdeckende Kopftuch) signalisieren die Zugehörigkeit zu einer islamischen Glaubensrichtung. Gleichzeitig handelt es sich um eine Sittsamkeitspraktik, die europäische Gesellschaften mit der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ konfrontiert: Es kehren Erwartungen an die „ehrbare“ Frau zurück, die diesen Status durch ihr Auftreten nach außen demonstrieren soll. Verfassungsrechtlich wird darüber diskutiert, in welchen Kontexten rechtliche Verbote zu begründen sind. In ihrem Beitrag zum Verfassungsblog spricht sich Aquilah Sandhu dafür aus, dass das Tragen eines Hidschab in der Rolle einer Richterin zulässig sein müsse.

Frau Sandhu hat 2015 vor dem Verwaltungsgericht Augsburg geklagt, weil ihr bei Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst durch eine Auflage untersagt worden war, bei Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten mit Außenwirkung, etwa Sitzungsdienst der Staatsanwaltschaft oder Zeugenvernehmung, „Kleidungsstücke, Symbole und andere Merkmale“ zu tragen, „die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die religiös-weltanschauliche Neutralität der Dienstausübung“ zu beeinträchtigen. Das erstinstanzliche Urteil (das Rechtsmittelverfahren ist offenbar noch nicht abgeschlossen) gab der Klägerin deshalb Recht, weil bislang das für den Grundrechtseingriff erforderliche Parlamentsgesetz fehlt (VG Augsburg, Urteil vom 30.06.2016 – Aktenzeichen Au 2 K 15.457). Rechtspolitisch gesehen ist die Frage, ob von einer gesetzlichen Verbotsnorm abzusehen ist, weil diese verfassungswidrig wäre. Das Verwaltungsgericht Augsburg, das nur auf den Gesetzesvorbehalt abstellt, deutet in einem Satz das Gegenteil an: Es liege nahe, dass der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit durch das Tragen eines religiös motivierten Kopftuchs gefährdet werde (a.a.O., Rn. 57).

Unstreitig ist der Ausgangspunkt: Auf grundrechtliche Freiheitsrechte können sich auch Personen im Richteramt berufen. Einschlägig ist auf jeden Fall Art. 2 Abs. 1 GG (freie Entfaltung der Persönlichkeit). Streiten könnte man sich darüber, ob auch das Recht auf Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) heranzuziehen ist. Der Wortlaut lässt es zu, den Schutzbereich auf religiöse Zeremonien und religiöse Handlungen zu beschränken. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht eine weite Auslegung festgeschrieben, die Alltagshandlungen und die Bekleidung in beruflichen Kontexten einschließt (s. die Nachweise in BVerfGE 138, 296, Rn. 85 ff.). Dies ist allerdings nicht so zu verstehen, dass religiöse Bedürfnisse absolut und kontextunabhängig vorrangig sind. Auch nach den religionsfreundlichen Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts ist Religionsausübung einschränkbar, wenn eine Gefahr für die Grundrechte Dritter oder Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang besteht (a.a.O., Rn. 98). Die zentrale Frage ist also: Gibt es Allgemeininteressen mit Verfassungsrang, die es rechtfertigen, Richterinnen das Tragen eines Hidschab zu untersagen?

Frau Sandhu vertritt, dass es kein hinreichend gewichtiges Interesse am neutralen Auftritt von Richtern gebe. Entgegenlautende Überlegungen würden auf „Putativgefahren“ verweisen, es werde „aufgrund subjektiver Fehlvorstellungen auf eine objektiv nicht bestehende Gefahrenlage geschlossen“. Der Erwerb der Befähigung zum Richteramt im vorgeschriebenen Ausbildungsgang müsse genügen. Sie geht nicht auf § 39 DRiG ein („Der Richter hat sich innerhalb und außerhalb seines Amtes, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird“). Ihre Ausführungen implizieren aber, dass diese Norm aufzuheben sei. Ein Richter müsse lediglich für sich selbst „gewissenhaft prüfen, ob er ausreichend Distanz und Neutralität zur konkreten Rechtsfrage aufbringen kann und sich im Zweifel selbst ablehnen“; wer dies nicht tue, dem drohe die „Schelte der Rechtsmittelinstanz“ oder unter Umständen Strafe wegen Rechtsbeugung.

Damit unterschätzt Frau Sandhu die Bedeutung von Neutralität und Vertrauen für die Justiz in demokratisch verfassten Rechtsstaaten. Ein Merkmal eines funktionierenden Rechtsstaates ist, dass nicht nur angestrebt wird, sondern es auch tatsächlich gelingt, mit Gerichtsentscheidungen Konflikte zu beenden. Dies setzt in freiheitlich-demokratischen Systemen voraus, dass Akte der Justiz auf breite Akzeptanz stoßen, die nur dann zu sichern ist, wenn der Richterschaft Vertrauen entgegengebracht wird. In Diktaturen oder in Staaten mit besonders fest verankerten Eliten mag es effektive Macht ermöglichen, breiten Rückhalt in der Bevölkerung als überflüssig zu erachten. Die Handlungsbedingungen für die Justiz in normativ egalitären, demokratischen Staaten sind jedoch komplizierter. Konflikte sind nicht durch das bloße Faktum des Entscheids durch eine Autoritätsperson abzuwürgen, sondern es bedarf der befriedenden Konfliktbeendigung. Dies erfordert, dass die freiwillig oder unfreiwillig von Gerichtsentscheidungen betroffenen Personen ein bestimmtes Maß an Vertrauen in die Richtigkeit haben. Vertrauen in die Richtigkeit der Entscheidung beruht aus der Perspektive der Betroffenen, die in der Regel nicht selbst rechtskundig sind, zu wesentlichen Teilen auf Vertrauen in die Unparteilichkeit der Richter. Es ist schwer, in quantifizierender Weise anzugeben, wieviel Vertrauen erforderlich ist und welches Maß an Misstrauen (das es natürlich immer geben wird) unterhalb einer schädlichen Schwelle bleibt. Für meine Argumentation muss der Verweis auf generelle Zusammenhänge genügen.

Vertrauen ist in sozial, kulturell und religiös fragmentierten Gesellschaften leicht zu erschüttern, wenn sich Richter im Gerichtssaal in augenfälliger Weise als Angehörige einer sozialen, kulturellen oder religiösen Gruppe zu erkennen geben. Vor allem diejenigen, die sich als Verlierer sehen, etwa weil sie in einem Zivilprozess unterliegen oder in einem Strafprozess Angeklagte sind, sind für Signale empfänglich, die auf eine ihnen ungünstige Vorprägung der entscheidenden Richter deuten. Die dritte Gewalt muss in ihren Begegnungen mit realen Menschen funktionieren, weshalb es nicht überzeugt, in diesem Kontext auf den normativ konstruierten „besonnenen Verfahrensbeteiligten“ (so Frau Sandhu) abzustellen. Es wäre wünschenswert, wenn im Vertrauen auf allseitig praktizierte Toleranz und Zurückhaltung Gruppenzugehörigkeiten im Gerichtssaal nicht mehr als relevant wahrgenommen würden – aber es wäre realitätsfremd, unbedingtes Vertrauen aller in die Unvoreingenommenheit oder Selbstdisziplin aller anderen vorauszusetzen.

Repräsentanten der Justiz müssen in einer nicht perfekten Welt deshalb schon den Anschein vermeiden, Vertreter von Partikularinteressen zu sein. Die Richterrobe sollte weder mit sichtbaren religiösen Symbolen kombiniert werden noch mit anderen augenfälligen Bekenntnissen zu politischen, moralischen, sozialen oder kulturellen Gruppen. Ein exklusiver Fokus auf die religiöse Signifikanz von verhüllender Bekleidung verkennt dabei einen Teil der Probleme. Über den Faktor „erkennbare Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft“ hinaus kann unter bestimmten Umständen das Vertrauen in die Neutralität einer Richterin auch dadurch beeinträchtigt werden, dass ihre Kopfverhüllung traditionelle sexualmoralische Vorstellungen zum Ausdruck bringt. Auch wenn mit der eigenen Sittsamkeitspraktik keinerlei Anspruch verbunden ist, andere dazu zu bekehren, ist es unter den Bedingungen fragmentierter Gesellschaften problematisch, deutlich sichtbar partikulare Moralvorstellungen und/oder Religionszugehörigkeit auszudrücken.

Wer nicht bereit ist, auf auffallende Symbole gruppenbezogener Identität zu verzichten, kann nicht ein Richteramt beanspruchen. Dies gilt auch, wenn Anwärter ernsthaft und glaubwürdig versichern, ihre Zugehörigkeiten bei konkreten Entscheidungen ausblenden zu können. Zu der verantwortungsvollen Richterrolle gehören nicht nur die fachliche Ausbildung und die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung, sondern auch Verständnis für die Funktionsbedingungen, die für das System Justiz von zentraler Bedeutung sind. Richter müssen sich der Fragilität des Vertrauens in die Justiz bewusst sein, und sie müssen bereit sein, das eigene Auftreten daran auszurichten. Es ist kein schlüssiger Gegeneinwand, dass, worauf Frau Sandhu ausführlich verweist, die äußere Wahrung des „Anscheins der Neutralität“ trügen könne. In diesem Punkt hat sie natürlich Recht: Es ist nie auszuschließen, dass hinter dem ordnungsgemäß-neutralen Auftritt eine Persönlichkeit steht, die wenig geneigt ist, sich um Reflektion ihrer Gruppenzugehörigkeiten und innere Distanz zu ihren Vorprägungen zu bemühen. Im Kontext einer über viele Jahre kulturell-christlich geprägten Gesellschaft gibt es Beispiele für richterliche Entscheidungen, bei denen ein Zusammenhang mit entsprechenden Vorprägungen auf der Hand liegt. Aber wie immer gilt: Probleme verschwinden nicht, indem man sie gegeneinander aufrechnet. Berechtigte Kritik an manchmal schwach ausgeprägter Selbstreflexion eliminiert nicht die Einschätzung, dass Richter es unterlassen müssen, ihre Gruppenzugehörigkeiten im Gerichtssaal sichtbar zu machen. Die sich beschleunigende Entwicklung zu multikulturellen und multireligiösen Gesellschaften sollte vielmehr Anlass sein, zukünftig auf allen Ebenen der Organisation von Justiz, auch in der Juristenausbildung, Verständnis für die Funktionsbedingungen zu fördern und zu äußerer Neutralität ebenso wie zu Selbstreflektion anzuhalten.


SUGGESTED CITATION  Hörnle, Tatjana: Warum Vertrauen in die Neutralität der Justiz ein schützenswertes Verfassungsgut ist, VerfBlog, 2017/1/15, https://verfassungsblog.de/warum-vertrauen-in-die-neutralitaet-der-justiz-ein-schuetzenswertes-verfassungsgut-ist/, DOI: 10.17176/20170116-164346.

47 Comments

  1. Norbert Fiedler So 15 Jan 2017 at 17:26 - Reply

    Die im Artikel genannten Argumente kann ich voll und ganz zustimmen. Es kommt noch ein weiteres Problem hinzu, die man die staatliche Neutralitätspflicht aufweichen: Wo endet dann die persönliche Religionsausübung im Amt? Darf der Richter dann z.B. eine kurze Messe vor der Urteilsverkündigung abhalten? Wenn nein, warum nicht?

  2. Pascal So 15 Jan 2017 at 17:35 - Reply

    Interessieren würde mich dann natürlich die weiteren rechtspolitischen Schlussfolgerungen von Frau Hörnle in Bezug auf (den Anschein) richterliche(r) Neutralität.
    Es scheint ja auch die Überzeung der Verfasserin zu sein, dass ein rein äußerliches Bekenntnis zur Richterlichen Neutralität nicht ausreichend ist.
    Entsprechende Diskussionen über grundsätzliches Misstrauen in Bezug auf die Neutralität gibt es in Bezug auf Richter*innen oder Staatsanwält*innen, die eine über die bloße Mitgliedschaft hinausgehende Funktion in Parteien haben (wie etwa ein leitender Oberstaatsanwalt und AfD-Landesvorstand oder ein Verwaltungsrichter und SPD-Landesvorsitzender), oder für Richter*innen, die in ihrem Rechtsgebiet wissenschaftlich oder beratend (nur) für eine Seite tätig sind (wie die Vorsitzende Richterin einer Mietrechtskammer, die für Haus- und Grundstücksverbände arbeitet).
    Wenn nun nicht mehr auf das konkrete Vorliegen einer Besorgnis der Befangenheit abgestellt werden soll, sondern schon der Eindruck fehlender Neutralität auf jeden Fall vermieden werden muss, so sollte auch die aktive politische Betätigung oder die parteiische Betätigung im eigenen Rechtsgebiet generell verboten werden.

  3. Christoph So 15 Jan 2017 at 18:31 - Reply

    Mich würde interessieren, ob Frau Hörnle Neutralität selbst als neutral ansieht oder vielmehr selbst als ein Partikularinteresse betrachtet werden könnte? (unabhängig von möglichen Ausführungen im positiven Recht)

  4. The Populist So 15 Jan 2017 at 19:37 - Reply

    > in Bezug auf Richter*innen oder Staatsanwält*innen, die eine über die bloße Mitgliedschaft hinausgehende Funktion in Parteien haben …

    Diesen Zustand gibt es in der deutschen Justiz seit Jahrzehnten und er hat bisher offenbar nicht zu Problemen geführt, die nicht im Rahmen der bestehenden Regularien (z.B. Befangenheitsantrag) gelöst werden können.

    Dass man nun eine Diskussion darüber eröffnen will, kann ich mir nur aus Frustration im Hinblick auf die Unvereinbarkeit von Kopftuch und Richteramt erklären.

  5. Peter Camenzind So 15 Jan 2017 at 20:17 - Reply

    Ein staatlich angeordnetes Kruzifix in Klassenräumen muss (nach bisheriger Rechtsprechung des BVerfG) bei nachgewiesener Belastung auf Antrag abnehmbar bleiben.
    Eine Lehrerin mit Kopftusch im Schuldienst muss bei nachgewiesener Belastung (eines Schulfriedens) umsetzbar sein o.ä.
    Dies gebieten grundrechtlich auszugleichende Interessen.
    Für eine Richterin kann eine solche Möglichkeit problematisch bleiben.
    Derzeit scheint dies kaum ausdrücklich geregelt.
    Soweit sich eine Kopftuchträgerin hierbei wehren wollte, was grundsätzlich nicht allgemein ausschließbar schiene, können Gerichtsverfahren im Hinblick auf einen zu gewährleistenden gesetzlichen Richter auf unbestimmte Zeit belastet sein.
    Das kann eventuell Eignungsmängel für eine richterliche Tätigkeit gegenüber anderen möglichen Richtern begründen.
    Insofern kann eine Besetzung von Richterstellen für Streitentscheidungen mit Koptuchträgerinnen vor anderen möglichen Richtern etc., probelmatisch bleiben.

  6. Peter Camenzind So 15 Jan 2017 at 20:22 - Reply

    Wer von vornherein für eine bestimmte amtlich richterliche Tätigkeit eine kaum generell auschließbare Art „Befangenheit“ für unbestimmt viele Fälle und Verfahren mitbringt, kann damit für solche Tätigkeit unter Umständen bereits anfänglich weniger geeignet als andere scheinen.

  7. Aqilah Sandhu So 15 Jan 2017 at 21:14 - Reply

    Sehr geehrte Frau Prof. Hörnle, danke für diese Replik!

    Sehe ich das richtig, dass Sie § 39 DRiG im Verhältnis zu Art. 97 GG einen eigenständigen Gehalt zusprechen und ihn als hinreichend konkrete Rechtsgrundlage für ein Kopftuchverbot erachten? Ich bin – entgegen Ihrer Annahme – gerade nicht für die Aufhebung von § 39 DRiG, sondern sehe ihn nur als einen konkretisierenden Ausschnitt des Art. 97 GG, der auch die Pflicht des Richters umfasst, „sich innerhalb und außerhalb des Amtes, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten, dass das Vertrauen in seine durch Art. 97 Abs. 1 GG garantierte Unabhängigkeit nicht gefährdet wird“ (BVerfG, B. v. 30.08.1983 – 2 BvR 1334/82). Und ich vertrete nicht, dass dieses Vertrauen etwa redundant wäre, sondern vielmehr, dass man es auch einer muslimischen Richterin entgegenbringen können muss.

    § 39 DRiG darüber hinaus glaubensbeschränkende Wirkung zuzusprechen, erachte ich angesichts der Rechtsprechung des BVerfG als mit der Verfassung unvereinbar, v.a. weil dann ja letztendlich ein vorbehaltslos gewährleistetes Grundrecht (so behandelt das BVerfG Art. 4 GG noch immer) durch einfaches, nicht mehr die Verfassung konkretisierendes Recht eingeschränkt würde. Denn das BVerfG sieht in seiner Kopftuch-Leitentscheidung im allgemeinen (aber inhaltlich im Prinzip identische) beamtenrechtlichen Mäßigungsgebot gerade keine Grundlage dafür, das religiös motivierten Tragen eines Kopftuchs zu untersagen (BVerfGE 108, 282 (308)).
    § 39 DRiG kann m.E. vielmehr mit Blick auf die Schrankendogmatik nur insoweit der Glaubensfreiheit entgegengehalten werden, als er Verfassungsrecht (hier: Art. 97 GG) konkretisiert. Deshalb auch mein Fokus auf dieser Verfassungsnorm. An der Relevanz von § 39 DRiG (allerdings primär als allgemeines Gesetz i.S.v. Art. 5 Abs. 2 GG) gedenke ich nicht zu zweifeln.

    Hingewiesen sei abschließend noch darauf, dass es nicht meinem frommen Wunschdenken entspricht, auf den „besonnenen Verfahrensbeteiligten“ abzustellen, sondern dies vielmehr ein gängiger topos ist. So nehmen Gerichte (vielleicht etwas pathetisch) bspw. die „ruhig und vernünftig denkende Partei“ (OLG Stuttgart, B. v. 28.11.2006, 3 W 83/06) oder die „vernünftige und besonnene Partei“ (OLG München, B. v. 7.1.16, 8 W 2476/15) als Maßstab – bleibt zu hoffen, dass dieser auch im zunehmend pluralistischen Gemeinwesen weiterhin gilt und dass der „homo sapiens“ (im wörtlichen Sinne) nicht zur aussterbenden Spezies wird…

    Freundliche Grüße

  8. The Populist So 15 Jan 2017 at 21:52 - Reply

    Das Kopftuch hat ohne jeden Zweifel auch eine politische Symbolik. Damit ist § 39 DRiG für den vorliegenden Fall relevant.

  9. Peter Camenzind So 15 Jan 2017 at 22:27 - Reply

    Verfassungsrechtliche Einschränkungen für Religion im Amt können etwa aus negativer Religionsfreiheit anderer und Gewährleistung von „Funktionieren des Staates und seiner Organe, wie seiner Gerichtsbarkeit“ folgen etc.
    Danach kann Religion im Amt nicht allgemein stets vorrangig, sondern nur abwägend zulässig sein. Bei Richterinnen mit Kopftuch kann ein danach eventuell nötig mögliches, abwägendes Zurücktreten von Religion im Amt in Konflikt mit einer Gewährleistung eines gesetzlichen Richters geraten o.ä. Das kann Probleme für das “ Funktionieren des Staates und seiner Organe, wie seiner Gerichtsbarkeit“ mit sich bringen.

  10. Wilhelm Tell Jr. Mo 16 Jan 2017 at 07:19 - Reply

    @Aqilah Sandhu

    Bezug nehmend auf den letzten Absatz Ihrers Kommentars soviel:
    Die „ruhig und vernünftig denkende Partei“ und/oder „besonnenen Verfahrensbeteiligte(n)“, muss zu allererste aufseiten des Gerichts wirken.

    Jemand der mit seinem Gewissen, das Ablegen eine Stück Stoffs oder des „Nudelsiebes des Spaghettimonsters“ nicht vereinbaren kann, erbringt geradezu den Gegenbeweis.

    Wenn Sie bereit und in der Lage wären, das eine mit dem anderen zu tauschen, damit ihr strenges (und natürlich gesetzeskonformes) Urteil von den Parteien anerkannt wird, haben sie ohne Zweifel die notwendige Eignung zum Richteramt erwiesen.

    Ach ja, das das Volk beschlossen hat, das Richter Beamte sind, die ihr leben lang vom Volk versorgt werden, hat bestimmt auch einen Grund …

  11. Wilhelm Tell Jr. Mo 16 Jan 2017 at 07:37 - Reply

    Hallo @Pascal,

    Wie Sie, auf den Vergleich, zwischen Religionszugehörigkeit und der Teilhabe/Teilnahme am verfassungsmäßigen Recht/Pflicht des mündigen, aufgeklärten Bürgers kommen, erschließt sich nicht.

    Recht ist der kodifizierte Wille des Souveräns unseres Staates, das Volk. Wenn eine Beamter seine Freizeit opfert, um seinem Souverän zusätzliche Dienste zu leisten – was soll daran schlecht sein.

    Der CDU-Beamte spricht ja sein Urteil eben nicht im Namen seiner Partei (sollte er zu mindestens nicht) sonder im Namen des Volkes, dem er sich über das normale Maß eines Bürger hinaus zum Dienste verpflichtet hat.

  12. Leser Mo 16 Jan 2017 at 10:47 - Reply

    @ Frau Sandhu
    „Und ich vertrete nicht, dass dieses Vertrauen etwa redundant wäre, sondern vielmehr, dass man es auch einer muslimischen Richterin entgegenbringen können muss.“

    Sie setzen meinem Verständnis nach voraus, dass eine muslimische Richterin immer – auch im Amt – ihr Kopftuch trägt, das quasi Islam = Kopftuch ist.

    Damit machen Sie – finde ich – einen Gedankensprung, der am Ende zu einer m. E. fehlerhaften Bewertung führt.

    Es gibt muslimische Frauen, die kein Kopftuch tragen – oder es abnehmen, wenn die Gelegenheit es erfordert.

    Man kann man ja gerne jedweder Religion folgen – aber bitte in einem Rahmen, der auch für andere gilt. Würden Sie das Ansehend es Gerichts als beschädigt ansehen, wenn der Richter ein Nudelsieb auf dem Kopf trägt? Wenn die Richterin einem kambodschanischen Fruchtbarkeitskult folgt, der das Tragen von Kleidung verbietet, und sie naher nackt an der Richterbank sitzt? Ist es für Sie okay, wenn der Staatsanwaltschaft, in Befolgung seiner tiefen radikalchristlichen Überzeugung vor Verlesung der Anklageschrift verkündet, dass Frauen ihren Männern zu gehorchen haben und Gott alle Sünderinnen in der Hölle schmoren lassen wird?

    Sie mögen das Tragen des Kopftuchs als weniger absurd oder weniger störend empfinden als meine o. g. Beispiele. Aber für viele gilt das nicht. Und auch auf die müssen wir Rücksicht nehmen.

    Was ist besser:
    – Frau Sandhu nimmt Ihr Kopftuch ab, bevor sie den Gerichtssaal betritt,
    oder
    – ein signifikanter Prozentsatz an Prozessbeteiligten nimmt ihre Urteile nicht ernst und hält sie für eine religiöse Radikale?

    Wie würden Sie als Vertreterin des Staates entscheiden? Würden Sie eher Gefahren von der Institution abwenden oder – bei allem Respekt vor religiösen Gefühlen – eher emotional geprägten Einzelinteressen eines gut bezahlten und privilegierten Staatsdieners höher stellen?

    Und noch mal die Frage:

    Wäre es Ihnen gleichgültig, wenn eine Richterin sich explizit als Hindu zu erkennen gibt, wenn gerade ein religiös aufgeladener Krieg zwischen Pakisten und Indien läuft?
    Falls ja:
    Könnten Sie sich vorstellen, dass vielleicht eine Person, die nicht so besonnen ist wie Sie, das anders sehen würde?

  13. Leser Mo 16 Jan 2017 at 11:02 - Reply

    @ Pascal
    „Wenn nun nicht mehr auf das konkrete Vorliegen einer Besorgnis der Befangenheit abgestellt werden soll, sondern schon der Eindruck fehlender Neutralität auf jeden Fall vermieden werden muss, so sollte auch die aktive politische Betätigung oder die parteiische Betätigung im eigenen Rechtsgebiet generell verboten werden.“

    Ein Fehler rechtfertigt nicht den nächsten. Dass bspw. diese Berliner Richterin sich dem starken Verdacht einer tendenziösen Rechtsprechung aussetzt, betrachtet wohl niemand als positiv. Das sind Fehlentwicklungen, die man vielleicht nicht immer gesetzlich verboten hat, aber die sicherlich nicht als Leitbild für andere gelten sollten.

    Ähnlich sieht es m. E. mit dem Kruzifix in Amtsräumen aus. Ja, diese Verwaltungs-/Gerichtspraxis existiert. Man mag sie kritisieren – ich persönliche tue das. Aus Protest nun gleiches (Un)Recht für alle zu fordern, ist m. E. nachvollziehbar und valides Argument. Aber dem sollte nicht nachgegeben werden. Bestes Ergebnis für alle wäre, wenn Kruzifix wie Kopftuch aus dem Gerichtssaal verschwinden würden.

    Gerade in Bayern – wo sich auch der Fall der Frau Sandhu abspielt – wurde doch kürzlich ein Richter (oder sogar Referendar?) abgelehnt, weil er sich rechtsradikal positioniert hatte. Dass das ausgerechnet in der stramm konservativen Bayerischen Justiz passiert, ist m. E. ein sehr gutes Zeichen: Radikalität nach links, rechts, oben, unten wird nicht geduldet.
    Nun hat man das doofe Kreuz zugelassen, ja – es ist halt Bayern. Aber wenn man diese eine Pille schluckt, wahrt man doch die Neutralität mit strengem Blick. Und das gilt für den Fascho wie die Muslima. Mir erscheint das fair.

  14. Christian Boulanger Mo 16 Jan 2017 at 11:54 - Reply

    @Leser: ich fasse es nicht. Sie vergleichen ernsthaft jemand, der sich rechtsradikal positioniert hat, mit einer grundgesetztreuen Muslima? Damit verlassen wir die Ebene einer ernsthaften Diskussion.

  15. Christian Boulanger Mo 16 Jan 2017 at 12:55 - Reply

    Frau Hörnle schreibt: „Repräsentanten der Justiz müssen in einer nicht perfekten Welt deshalb schon den Anschein vermeiden, Vertreter von Partikularinteressen zu sein“. Die Frage, die sich mir stellt, ist, wo hier die Grenzen zu ziehen sind. Selbstverständlich wäre der Fall einer vergewaltigten Frau, die in einem Sexualstraffall einen männlichen Richter ablehnt, weil dieser sexistische Einstellungen haben *könnte*, ein übertriebenes Gegenbeispiel. Gerade deshalb kann die verzerrte Perspektive der Rechtunterworfenen im Endeffekt bei Abwägung aller Rechtsgüter nicht entscheidend sein, sondern nur das *tatsächliche* Verhalten der Richterinnen und Richter.

  16. Leser Mo 16 Jan 2017 at 14:05 - Reply

    @ Christian Boulanger
    Ja, weil es um ein einheitliches Thema geht: Privatansichten bleiben zuhause, wenn es zum Dienst geht.

    Sie werden bemerken, dass die Rechtsfolge bei dem Rechtsradikalen und der Muslima unterschiedliche sind: beim ersten vollständiges Verbot, bei der zweiten die Auflage, das Kopftuch abzunehmen.

    Ich sehe das als abgestufte, angemessene Reaktionen, beide zu demselben Zweck („Anschein der Neutralität“ der Gerichte, wie Frau Sandhu es nennt).

  17. Leser Mo 16 Jan 2017 at 14:15 - Reply

    „Selbstverständlich wäre der Fall einer vergewaltigten Frau, die in einem Sexualstraffall einen männlichen Richter ablehnt, weil dieser sexistische Einstellungen haben *könnte*, ein übertriebenes Gegenbeispiel. Gerade deshalb kann die verzerrte Perspektive der Rechtunterworfenen im Endeffekt bei Abwägung aller Rechtsgüter nicht entscheidend sein, sondern nur das *tatsächliche* Verhalten der Richterinnen und Richter.“

    Geschlecht und Hautfarbe kann ein Richter nicht ablegen, Kopftuch / Nudelsieb / FC-Bayern-Schal / Kruzifix schon.

    Wenn ersteres ginge, wäre das auch toll, geht aber halt leider nicht. Fangen wir mit den Punkten an, die ggw. technisch umsetzbar sind.

    Soweit „nur“ private Gefühle – auch wenn es religiöse Gefühle sind – zurückzustellen sind, hat die Pflicht dem Staat und den Bürgern gegenüber m. E. Vorrang.

    Mal ehrlich: Wir sprechen über Stellen mit mindestens R1-Besoldung, Beihilfe und zahlreichen anderen Privilegien, dabei aber – trotz aller Arbeitsbelastung – letztlich ohne jede Ergebnisverantwortung. Man entscheidet kraft Amtes, notfalls mit Unterstützung staatlichen Zwanges, über das Schicksal anderer.
    Wenn man auf dieses Wohlfühlpaket nicht mit einer gewissen Rücknahme eigener Interessen reagieren kann, wenn man nicht sieht, dass diese Macht nur mit äußerster Zurückhaltung bzgl. der eigenen Person auszuüben ist, ist das m. E. unangebracht.

  18. Christian Boulanger Mo 16 Jan 2017 at 15:20 - Reply

    @Leser: Danke für Ihre Erläuterungen, die mich allerdings nicht überzeugen. Hier (in diesem Kommentarbereich) geht im Kern um den von Frau Hörnle genannten § 39 DRiG („Der Richter hat sich innerhalb und außerhalb seines Amtes, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird“) und die empirische Frage, ob das Kopftuch dieses Vertrauen gefährdet, sowie welche normativen Schlüsse daraus gezogen werden müssen. Die anderen von Ihnen genannten Punkte geben Ihre (legitime) persönliche Meinung zum Thema wieder, haben aber nur bedingt rechtliche Relevanz. Sollte bei einer Abwägung die Religionsfreiheit stärker wiegen als die abstrakte Gefahr, dass die Neutralität gefährdet werden könnte, ist es irrelevant, welche Besoldungshöhe oder Befugnisse im Spiel sind. Das Recht kann den Menschen nicht in den Kopf schauen und auch nicht für sie entscheiden, ob sie ein Kopftuch ablegen können oder nicht. Was man wissen kann, ist, ob sie sich allgemein rechts- und insbesondere grundgesetzkonform verhalten und äußern. Da weiß man beim Nazi ziemlich schnell Bescheid.

  19. Leser Mo 16 Jan 2017 at 16:30 - Reply

    „Sollte bei einer Abwägung die Religionsfreiheit stärker wiegen als die abstrakte Gefahr, dass die Neutralität gefährdet werden könnte, ist es irrelevant, welche Besoldungshöhe oder Befugnisse im Spiel sind.“

    Naja, eine gewisse Rolle spielt das m. E. schon. Jedenfalls würde ich persönlich an den Richter einen schärferen Maßstab anlegen als an den Rechtspfleger, an diesen wiederum einen schärferen als an den Justizwachtmeister. Je höher das Amt, je größer Spielraum und Befugnisse, desto mehr Zurückhaltung kann und muss m. E. auch verlangt werden. Für die gesteigerte Verantwortung, parallel dazu die größere Zurückhaltung, gibt es dann auch mehr Moneten. So schnöde das ist, korreliert damit m. E. die Kopftuchfrage durchaus mit der Besoldung.

  20. Christian Boulanger Mo 16 Jan 2017 at 17:36 - Reply

    Sie haben recht, dass man die Stellung innerhalb der behördlichen Hierarchie nicht einfach ignorieren kann. Jedoch würde auch eine Reinigungskraft (m/w, mit oder ohne Kopftuch), die antisemitische Flyer verteilt, wohl ebenso suspendiert wie eine Richterin, die gleiches tut. Nur: was hat das alles mit einem Stück Stoff zu tun? Es geht ja um die Zuschreibung, die von außen an diesen Stoff herangetragen wird. Wenn ich zeigen kann, dass die Person außer dem Stück Stoff noch ein Weltbild hat, das den Werten des Grundgesetzes widerspricht, und sich entsprechend äußert und agiert, dann ist die Person für die Justiz und den Beamtendienst ohne Frage ungeeignet. Ich bin aber nicht überzeugt, dass in anderen Fällen wegen der (sicherlich bestehenden) Vorurteile vieler Menschen die Vermutung der Neutralität aufgegeben werden muss.

  21. Erwin Rieger Mo 16 Jan 2017 at 22:05 - Reply

    In meinen Augen ist der Streit um das Kopftuch nur eine Scheindebatte, die vom Kern des Themas ablenkt, denn kein vernünftiger Mensch kann gegen das Tragen eines Kopftuches an sich ernsthaft etwas einzuwenden haben – schon gar nicht in der dezenten Form wie Frau Sandhu dies tut.

    Die Diskussion sollte sich m.E. künftig weniger um äußerliche Symbole drehen, sondern den Artikel 4 GG direkt in den Fokus nehmen.

    Eine bedingungslose Glaubensfreiheit – losgelöst von grundlegenden ethischen Normen – darf es meiner Meinung nach nicht geben.

    Zur Erläuterung sei beispielhaft auf das nachfolgend verlinkte kurze Video verwiesen:

    https://www.youtube.com/watch?v=BUJrd6J7TUY

  22. as Mo 16 Jan 2017 at 23:34 - Reply

    An die pastafari-Anhänger: kleiner Hinweis zum dogmatischen Unterschied zwischen „Kopftuch / Nudelsieb / FC-Bayern-Schal“.
    Ersteres ist von der vorbehaltlos (aber nicht grenzenlos) gewährleisteten Glaubensfreiheit geschützt, während das zweite als reine Satire ein Fall für den durch allgemeine Gesetze einschränkbaren Art. 5 GG ist und das letztgenannte wohl als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts den geringsten Hürden für eine Einschränkung unterliegt.

  23. The Populist Di 17 Jan 2017 at 07:15 - Reply

    > kein vernünftiger Mensch kann gegen das Tragen eines Kopftuches an sich ernsthaft etwas einzuwenden haben …

    Die zentrale Frage ist der Kontext:

    Ich habe selbstverständlich etwas gegen das Tragen des Kopftuchs, wenn das einen Zwang darstellt.

    Wenn Grundschulkinder in Deutschland ein Kopftuch tragen, dann stellt das einen Zwang dar.

    Wenn eine bedeutende Minderheit oder gar die Mehrheit der Frauen ein Kopftuch trägt, dann wird das Kopftuch zum Zwang.

    Ich habe selbstverständlich etwas gegen das Tragen des Kopftuchs, wenn das eine politische Manifestation darstellt.

    Sowohl im Iran als auch in der Türkei und in etlichen anderen islamischen Ländern waren und sind Kopftücher Vorboten und Manifestationen einer Islamisierung, die sich keineswegs auf den Bereich der Religion beschränkt hat, sondern massiv poltisch gewirkt hat und die Säkularisierung – ein zentraler Wert unseres Grundgesetzes – beendet haben.

    Der Islam muss damit auch als radikale poltische Bewegung gesehen werden und nicht nur als eine Religion unter anderen. Ein Vergleich mit Rechtsradikalen ist damit nicht nur legitim, sondern geboten.

    Ich will daran erinnern, dass in den vergangenen sechs Monaten im Namen des Islam in Deutschland etwa halbsoviel Menschen umgebracht wurden, wie von der RAF in zwanzig Jahren.

    Wer in diesem Kontext im Kopftuch einer Richterin kein Problem sieht, hat nicht Verstanden, welcher Voraussetzungen es für ein funktionierendes juristisches System bedarf.

    Abschließend der Hinweis, dass im Amt eines Richters der Religionstreue vielleicht auch mit angemessen geschlossener Kleidung oder besipielsweise Teilbedeckung der Haare oder mit künstlichen Haarteilen Ausdruck verliehen werden könnte. Das schaffen andere Regligionsgemeinschaften auch.

    Wem das zu wenig ist, der soll sich dann halt besser einen anderen Beruf suchen, statt sich als Opfer religiöser Diskriminierung zu inszenieren.

  24. Leser Di 17 Jan 2017 at 10:35 - Reply

    „Ersteres ist von der vorbehaltlos (aber nicht grenzenlos) gewährleisteten Glaubensfreiheit geschützt, während das zweite als reine Satire ein Fall für den durch allgemeine Gesetze einschränkbaren Art. 5 GG ist und das letztgenannte wohl als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts den geringsten Hürden für eine Einschränkung unterliegt.“

    Die Einordnung als Satire-Partei hat zur „Lex Sonneborn“ geführt, weil man erkannt hat, dass eine Zurückweisung von Parteien, letztlich weil man sie albern findet, die Demokratie gefährden kann.

  25. Moheb Shafaqyar Di 17 Jan 2017 at 10:58 - Reply

    Sehr geehrte Frau Prof. Hörnle,

    ist Ihr Beitrag eine Art Kolumne oder erhebt Sie den Anspruch, ansatzweise (soweit in ein Blog möglich) rechtlicher/verfassungsrechtlicher Wissenschaftlichkeit?

    Es mag nachvollziehbare Gründe geben, sich, insbesondere in spezifischen Fragen, die in etwa auch gerade im Rechtsstreit sexualmoralische Vorstellungen tangieren könnten, ‚unwohl‘ zu fühlen, sich einer Richterin mit augenscheinlich frommem Weltbild zu ‚unterwerfen‘. Unabhängig von der geschlechtlichen Dimension darüber hinaus, viel eher auf politisch/ideologischen Dimensionen wohl (jedenfalls für mich persönlich).

    Es mag auch verfassungstheoretisch kritisierbar sein, einen zu zu weiten Schutzbereich der Religionsfreiheit zu vertreten und ein solches Verbot auch mit dem Art. 4 GG für vereinbar zu halten.

    Ihr Beitrag hingegen vermischt die nachvollziehbare symbolische/Gefühlsebene des ersten Aspekts, während er vorgibt, Anspruch des Letzteren zu haben. Verfassungsdogmatischer Anforderung wird er jedenfalls nicht gerecht, so überheblich es von Seiten einem Ihrer Studierenden auch klingen mag.

    Abzusehen davon, dass Ihnen persönlich und auch einer Vielzahl von Rechtsunterworfenen im Geltungsbereich des GG derzeit, symbolische Abgrenzungs- und Identititätsfragen offenbar bedeutender erscheinen, als der tatsächliche Rechtsgehalt/Substanz eines Urteils etwa. Deshalb, weil Ihnen der äußerliche Schein mehr im Vordergrund steht, als Inhalte des Urteils. Offensichtlich subjektive Prägungen von RichterInnen, die sich in einem Urteil widerspiegeln erachten sie, für weniger problematisch, als den äußerlichen Schein der oder des Urteilenden. Danach erscheint es auch folgerichtig, dass die theoretischen Ausführungen der Klägerin zur Frage von grundsätzlicher „Objektivität“ der Richterschaft, mit keinem Wort ihrerseits Beachtung findet.

    „Aber wie immer gilt: Probleme verschwinden nicht, indem man sie gegeneinander aufrechnet.“

    Das mag eine anekdotisch/erzieherisch nett klingende Feststellung sein. Doch auch hier fehlt es an der Berücksichtigung der Wertung des Gleichheitssatz des Art 3 GG. Während die Neutralität einer Richterin und damit das Vertrauen für Sie und in gewisserweise zugegebenermaßen auch für mich, an der Frage des Kopftuchs einen gewissen Schaden nehmen kann, kann das Vertrauen anderer, entweder an anderen Aspekte die nicht mit dem äußerlichen Schein zusammenhängen oder aber, wie in meinem Fall, zusätzlich auf multidimensionaler Ebene an vielen Aspekten Schaden nehmen und viel schwerwiegender sein, als das Kopftuch.

    Neben der Auslegung des Eigentumsbegriffs und ob dieser Begriff von einem Mitglied der Partei FDP oder der Linken ausgelegt wird, können es, wie Sie sagen, in einer multiethnischen Gesellschaft auch an Aussagen wie diese sein, die von professoraler Seite kommen und bei denen das Vertrauen an die Neutralität und in der Fähigkeit zum Richteramt erheblichen Schaden nehmen können:

    „Damit unterschätzt Frau Sandhu die Bedeutung von Neutralität und Vertrauen für die Justiz in demokratisch verfassten Rechtsstaaten. Ein Merkmal eines funktionierenden Rechtsstaates ist, dass nicht nur angestrebt wird, sondern es auch tatsächlich gelingt, mit Gerichtsentscheidungen Konflikte zu beenden. Dies setzt in freiheitlich-demokratischen Systemen voraus, dass Akte der Justiz auf breite Akzeptanz stoßen, die nur dann zu sichern ist, wenn der Richterschaft Vertrauen entgegengebracht wird. In Diktaturen oder in Staaten mit besonders fest verankerten Eliten mag es effektive Macht ermöglichen, breiten Rückhalt in der Bevölkerung als überflüssig zu erachten. Die Handlungsbedingungen für die Justiz in normativ egalitären, demokratischen Staaten sind jedoch komplizierter.“

    Diese koloniale Attitüde, der Klägerin letztlich neben juristischen, (verfassungsdogmatisch nicht tatsächlich durchgreifenden Argumenten, da unklar bleibt, ob Sie nun sogar nicht einmal eine weitergehende gesetzliche Konkretisierung für ein Verbot notwendig erachten sondern vielmehr § 39 Drig hinreichend sein soll und welches Verfassungsgut genau es konkretisieren soll) auch ein fehlendes Verständnis für demokratischen Werte beiläufig zu unterstellen, mit dem ganz offensichtlich persönlichen und sinngemäßem Hinweis, dass Sie es ja wohl herkunftbedingt anders kennen würde, ist unerträglich.

    (Ironischerweise übrigens auch, kann gerade diese historisch kontinuierliche Attitüde überhaupt als Ursprung für das Entstehen von der heutigen „multikulturellen“ Gesellschaften anzusehen sein, über deren Ausgestaltung nun gestritten wird)

    Denn, wie Sie anmerken:

    „Vertrauen ist in sozial, kulturell und religiös fragmentierten Gesellschaften leicht zu erschüttern, (…) [Wenn] Angehörige einer sozialen, kulturellen oder religiösen Gruppe [sich] zu erkennen geben.“

    Hier kann man leicht den Anspruch verstanden sehen, sich als die demokratisch und kulturell „höherwertigere“ Diskutantin zu erheben.

    Sie schreiben,

    „Die dritte Gewalt muss in ihren Begegnungen mit realen Menschen funktionieren, (…) es wäre realitätsfremd, unbedingtes Vertrauen aller in die Unvoreingenommenheit oder Selbstdisziplin aller anderen vorauszusetzen“

    Es wäre hier noch dringend notwendig, das Verständnis von „realen Menschen“ und darüber, was unter „Selbstdisziplin“ eigentlich zu verstehen ist, zu erläutern.

  26. Wilhelm Tell Jr. Di 17 Jan 2017 at 12:54 - Reply

    @Moheb Shafaqyar, Di 17 Jan 2017 / 10:58

    Mit Ihrem Beitrag beweisen sie erneut das was ich schon auf Grund ihres Artikel zum Thema vermutet ha