24 June 2021

Was heißt hier eigentlich ausufernd?

Die widersprüchliche Dialektik von „Rasse“ und Rassismus zum Ende der Legislatur bei Einbürgerungsrecht und Grundgesetz

Über „Rasse“ und Rassismus im Recht wird in letzter Zeit so intensiv diskutiert wie nie zuvor in Deutschland (z.B. hier; hier; hier und hier). In welche Widersprüche man dabei geraten kann, wurde in dieser Woche im Bundestag sichtbar: Während im Rechtsausschuss der Begriff „rassistisch“ im Grundgesetz abgelehnt wurde, weil er „völlig unbestimmt“ sei und eine ausufernde Rechtsprechung zu befürchten sei, einigte man sich fast zeitgleich im Innenausschuss darauf eben diesen Begriff im Staatsangehörigkeitsgesetz als Ausschlussgrund für Einbürgerungen zu verwenden. Auch diese Episode der Rechtspolitik zeigt erneut, dass Deutschland beim Umgang mit „Rasse“ und Rassismus im Recht immer noch erheblichen Entwicklungsbedarf hat.

Rassismus als Hinderungsgrund für die Einbürgerung

Nach Forderungen aus der CDU hatte sich die Koalition in buchstäblicher letzter Minute im Innenausschuss darauf geeinigt, einen neuen Ausschlussgrund für Einbürgerungen ins Vierte Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes aufzunehmen. Dieses enthält eigentlich hauptsächlich (endlich) weitreichende Regelungen zum Erwerb der Staatsangehörigkeit wegen Nazi-Unrechts und geschlechterdiskriminierender Regelungen (dazu hier und hier). Ausgeschlossen von der Einbürgerung soll künftig sein, wer wegen einer rassistisch, fremdenfeindlich oder antisemitisch motivierten Straftat verurteilt worden ist (§ 12a Abs. 1 Satz 2 neu StAG). Hintergrund für die Einführung des neuen Ausschlussgrundes für Einbürgerungen waren die Diskussionen um antisemitische Vorfälle bei den Palästina-Demonstrationen im Zusammenhang mit dem letzten Jerusalem/Gaza-Konflikt.

Schon bisher ist eine Einbürgerung bei einer Verurteilung oberhalb der Bagatellgrenze von 90 Tagessätzen Geldstrafe ausgeschlossen. Im Gegensatz dazu soll nach der Neuregelung für den Fall, dass das Gericht nach der Strafzumessungsregelung in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB festgestellt hat, dass die Täterin oder der Täter „rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende“ Beweggründe oder Ziele hatte, die Einbürgerung unabhängig von der Höhe der Strafe, also auch unterhalb der sonst unbeachtlichen Bagatellgrenze, ausgeschlossen sein. Die vorgesehene Neuregelung fügt dem Einbürgerungsrecht zu einer Reihe von wertegebundenen Ausschlussgründen und Voraussetzungen einen weiteren Ausschlussgrund hinzu. Schon bisher ist eine Einbürgerung außer bei Vorliegen von strafrechtlichen Verurteilungen oberhalb der Bagatellgrenze u.a. ausgeschlossen, wenn zumindest tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass jemand Bestrebungen verfolgt oder unterstützt, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten (§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG). Die Einbürgerung setzt zudem u.a. ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes voraus verbunden mit einer Erklärung, dass keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt wurden, die sich gegen diese richten. Nach der Rechtsprechung soll bei einem unaufrichtigen Bekenntnis die Rücknahme der Einbürgerung möglich sein.

Ob daher wirklich eine praxisrelevante Lücke im Einbürgerungsrecht besteht, die die Aufnahme eines neuen Ausschlussgrundes rechtfertigt, mag man daher diskutieren.

Zu fragen wäre dabei, inwieweit sich dies in eine ganze Reihe von Verschärfungen des Einbürgerungsrechts einfügt. Eine wichtige Frage ist aber auch, wie sich die Änderung zu einem republikanisch-demokratischen Verständnis der Staatsangehörigkeit verhält. Danach sind einerseits die Regeln der Zugehörigkeit demokratisch zu bestimmen, aber andererseits ist auch zu beachten, dass die Regeln nicht so ausgestaltet werden dürfen, dass sich zwischen Wohn- und Wahlbevölkerung so eine Kluft (Kelsen) auftut, die in Spannung zur demokratischen Grundlage des Gemeinwesens steht (siehe dazu hier).

Unterdessen nebenan im Rechtsausschuss…

Diese Analyse muss aber auf einen anderen Tag verschoben werden. Denn manchmal gibt es Tage, an denen andere Erkenntnisse in den Vordergrund drängen. So wie derzeit, dass Bedeutung durch Differenz entsteht (Derrida). Denn buchstäblich fast zur gleichen Zeit, als sich die Koalition auf den Ausschlussgrund im Staatsangehörigkeitsgesetz einigte, fand, gewissermaßen im Nebenzimmer eine Veranstaltung statt, die es bei der hier angesprochenen Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes mit zu betrachten gilt, auch wenn beide Vorgänge am Ende schwer zusammen zu denken sind: Im Rechtsausschuss des Bundestags fand nämlich am Montag dieser Woche eine Anhörung statt zu zwei Oppositionsanträgen zur Ersetzung des Diskriminierungsverbots „wegen seiner Rasse“ in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG durch das Verbot, dass niemand „rassistisch benachteiligt oder bevorzugt werden“ darf. Die Bundesregierung hatte sich zwar eigentlich doch noch – nach wohl zähem Ringen – auf eine ähnliche Änderung geeinigt, s. hier S. 10 („aus rassistischen Gründen“, was wegen der „Gründe“ als Einführung eines neuen subjektiven Elements im Diskriminierungsverbot verstanden werden könnte und daher nicht ganz unkritisch ist, auch wenn die Begründung des Diskussionsentwurfs des Bundesjustizministeriums, die diese Formulierung ebenfalls enthalten hatte, die Bedenken zu zerstreuen sucht). Sie war dann aber von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf den letzten Metern ausgebremst worden. Aufgrund des Zeitablaufs wären die Fristen für eine Grundgesetzänderung ohnehin nur noch durch eine parallele Einbringung des (wortgleichen) Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung im Bundesrat und die Koalitionsfraktionen im Bundestag zu erreichen gewesen. Der Justiziar der Unions-Fraktion, Ansgar Heveling, begründete diese Aufkündigung der Kooperation bei einem Vorhaben der Bundesregierung mit dem bemerkenswerten Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz. Das Bundesverfassungsgericht hatte aus der Staatszielbestimmung in Art. 20a GG zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen Vorgaben für den Klimaschutz abgeleitet. Dies erfordere sorgsame Überlegungen eine Grundgesetzänderung, da „jede Änderung der Verfassung die Tür zu neuen Auslegungen der Verfassung öffnet.“ Das ist in seiner Aussage zwar so schlicht wie wahr, was damit wohl aber eigentlich gemeint gewesen ist, neben einer doch recht populistischen Breitseite gegen die Klimaschutzentscheidung, erklärte sich erst im Zuge der erwähnten Anhörung.

Hatte sich die Bundeskanzlerin schon früh offen für eine Grundgesetzänderung gezeigt und die Bundesregierung sich schließlich eben immerhin zusammengerauft, so ließ die Auswahl der Sachverständigen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Anhörung klar erkennen, dass hier zumindest derzeit offenbar keine Offenheit mehr für eine Grundgesetzänderung besteht (hier und hier). Von der Notwendigkeit, die möglichen Folgen einer Grundgesetzänderung noch weiter und intensiver abwägen zu müssen, ob nun vorgeschoben oder nicht, war hier jedenfalls nicht mehr die Rede. Gewarnt wurde vielmehr vor den verheerenden Folgen, die eine Ersetzung von „Rasse“ durch „rassistisch“ haben könnte. Denn „rassistisch“ so die bereits im Vorfeld der Anhörung geäußerte Warnung, – die offenbar zumindest bei Teilen der CDU/CSU-Fraktion auf offene Ohren traf –, sei etwas völlig anderes als das Diskriminierungsverbot wegen der „Rasse“. Unter Verweis auf die Verwendung des Begriffs Rassismus in den Sozialwissenschaften wurde dann in den Stellungnahmen und z.T. in der Anhörung ein recht schrilles Bild der Gefahr einer ausufernden Auslegung gemalt, bei der so ziemlich jeder gesellschaftliche Missstand als Rassismus verstanden werden könne.

Auch wenn die Verwendung des Begriffs Rassismus in den Sozialwissenschaften nicht immer ganz trennscharf erfolgt, ist das Schreckgespenst einer ausufernden Rechtsprechung zu rassistischer Diskriminierung in Deutschland angesichts der Tatsache, dass wir bis dato nur zwei Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen und nicht mal eine Handvoll von Verwaltungsgerichtsverfahren kennen, die sich mit dem Diskriminierungsverbot „wegen seiner Rasse“ in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG befassen, selbst dann, wenn die Rechtsprechung den Impuls einer Grundgesetzänderung positiv aufnehmen würde, doch alles andere als ein realistisches Szenario (hier; hier und hier). Ein Schreckgespenst eben.

Bestimmt genug für die Strafzumessung

Der unterschiedliche Umgang mit dem Begriff „rassistisch“ einerseits bei der Last-Minute-Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes und andererseits bei der Diskussion in der Anhörung zur Änderung des Diskriminierungsverbots „wegen seiner Rasse“ in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG lässt auch hartgesottene Beobachter.innen des Berliner parlamentarischen Betriebs staunen, um es vorsichtig auszudrücken. Hier ging es nicht nur darum, dass die Rush Hour der endenden Legislaturperiode noch schnell für bisher nicht abgearbeitete Restposten des Koalitionsvertrages oder sonstige besondere Wünsche genutzt werden soll. Jenseits davon haben wir es hier mit einem besonderen Beispiel von différance im parlamentarischen Betrieb zu tun: Denn es ist schließlich genau das vermeintlich uferlose „rassistisch“, das angeblich im Grundgesetz Verheerungen anrichten würde, das aber bereits seit 2015 – als eine Konsequenz aus dem NSU-Untersuchungsausschuss – in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB bei der Strafzumessung zu berücksichtigen ist – neben antisemitischen, fremdenfeindlichen und anderen menschenverachtenden Beweggründen und Zielen des Täters. Dabei gilt auch für die Strafzumessung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bekanntlich das strenge Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG. Es ist eben genau diese Strafzumessungsregelung, an die jetzt der Ausschluss von Einbürgerungen geknüpft werden soll.

Um die beiden Vorgänge im Parlament nochmal zusammenzuführen: Das „rassistisch“, das zu ausufernd unbestimmt sein soll, um den notorisch unklaren Begriff der „Rasse“ im GG zu ersetzen, gilt andererseits als bestimmt genug für eine strafrechtliche Regelung,– an die nunmehr auch noch staatsangehörigkeitsrechtliche Konsequenzen geknüpft werden sollen. Und Bestimmtheit wie Unbestimmtheit des Begriffs „rassistisch“ sollen quasi auch noch in der gleichen logischen Sekunde gelten. Das ist schon eine schwindelerregende „Logik“.

Schaut man aber nun genauer darauf, welche Rolle die antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Beweggründe in der Strafzumessung bislang gespielt haben, wird das ganze Bild noch verwirrender. Schaut man auf Juris, der umfassendsten Datenbank zur Rechtsprechung in Deutschland, findet sich zu § 46 Abs. 2 StGB und „antisemitisch“ oder „rassistisch“ jeweils kein einziger Beitrag. Nur zu „fremdenfeindlich“ findet sich eine Entscheidung des BGH vom 20.8.2020. Hier hat der BGH eine Verurteilung bei Absehen von Strafe (§ 60 StGB) beanstandet, weil das Landgericht die fremdenfeindlichen Beweggründe und Ziele des Täters nicht gewürdigt hatte. Dieser hatte u.a. an Schulen gemeinschaftlich Parolen gesprüht wie „Hitzefrei statt Völkerbrei“ und „Die Deutsche Jugend wehrt sich“. Außerdem hatte er sich an einem sog. „Marsch der Unsterblichen”, einer damals neuen Aktionsform der rechten Szene, beteiligt, bei dem vorweg ein Banner getragen wurde, das beschriftet war mit „Volkstod stoppen – Damit die Nachwelt nicht vergisst, dass du Deutscher gewesen bist“ und Parolen wie „frei, sozial und national“ skandiert wurden. Wie der BGH festgestellt hat, erweckte der Aufmarsch mit Fackeln und einheitlich dunkler Kleidung der Absicht Marschierenden entsprechend den Eindruck einer Militärformation, die an Fackelzüge des „Dritten Reichs“ erinnerte. In dem Alptraum, in dem der BGH in Erwägung ziehen würde, Beweggründe und Ziele eines Täters nicht „nur“ als fremdenfeindlich, sondern als rassistisch einzustufen, möchte man lieber nicht aufwachen. Aber „Fremdenfeindlichkeit“ ist ohnehin eine höchst problematische Kategorie, denn es fragt sich generell, welche Fremdenfeindlichkeit, die sich ja auch häufig gegen Inländer richtet, eigentlich nicht rassistisch ist. Die Gesetzesbegründung zur Einführung der Strafzumessungserwägungen der menschenverachtenden Beweggründe und Ziele des Täters hat insoweit jedenfalls keine überzeugende Differenzierung vorgenommen.

„Rassische Herkunft“?

Aber nicht genug der aktuellen Irrungen und Verwirrungen zur Rasse und „rassistisch“. Neben der Grundgesetzänderung und weiteren Maßnahmen hat sich der Kabinettsausschuss der Bundesregierung zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus noch auf die Einführung eines neuen Straftatbestandes § 192a StGB (Verhetzende Beleidigung) verständigt. Dieser soll Minderheiten vor bestimmten Formen der der Beschimpfung, Verächtlichmachung und Verleumdung schützen. Genannt werden im Gesetz durch ihre „nationale, rassische, religiöse oder ethnische Herkunft, ihre Weltanschauung, ihre Behinderung oder ihre sexuelle Orientierung bestimmte Gruppe[n]“. Gruppen, die durch ihre „rassische Herkunft“ bestimmt sind? Gut gemeint ist hier offensichtlich besonders schlecht gemacht. Schließlich handelt hier nicht der historische Gesetzgeber des Grundgesetzes, der noch nicht auf der Grundlage eines durchgehend reflektierten Antirassismus agiert hat (siehe hier). Hier handelt der Gesetzgeber im Jahre 2021 – der offenbar die gerichtliche Feststellbarkeit von Gruppen, die durch ihre „rassische Herkunft“ bestimmt sein sollen, für möglich hält. Das fäll