Weil wir dich fürchten
Rassistische Fahrkartenkontrolle bei der BVG vor Gericht
Bei der Fahrkartenkontrolle beleidigen Kontrolleur:innen in Berlin einen Schwarzen Mann rassistisch und verletzen ihn. Das Amtsgericht Berlin (Mitte) erkennt eine rassistische Diskriminierung im Rahmen der Deliktshaftung der BVG an – was zu begrüßen ist! Auf der anderen Seite zeigt der Fall die Schwierigkeiten der engen rechtsgutsbezogenen Prüfung des Deliktsrechts in Diskriminierungsfällen auf. Laut Gericht trägt der Kläger sogar eine Mitverantwortung für die Gesundheitsschädigung, obwohl das Geschehen klar als rassistisch erkannt wird. Mit dem LADG, dessen Anwendbarkeit das Gericht fälschlicherweise verneint, wäre das nicht passiert.
Der Kläger, ein Schwarzer Mann, gerät im Oktober 2020 in Berlin in eine Fahrkartenkontrolle am U-Bahnhof, die eskaliert. Drei Kontrolleur:innen drangsalieren den Kläger, nehmen ihm seine gültige Fahrkarte ab, posieren mit ihm für ein Selfie und beleidigen ihn währenddessen rassistisch. Sätze fallen, wie er solle „sich in Deutschland benehmen“ und „Black Lives Matter ist keine Ausrede“, er wird als „Schwarzkopf“ betitelt. Das Geschehen wird körperlich, nachdem der Kläger in Richtung der Kontrolleur:innen spuckt – ein Kontrolleur packt ihn darauf am Hals und fixiert ihn auf einer Bank. Schürfwunden am Arm und Bein sind die Folge, die Polizei muss die Situation auflösen.
Wie ein solcher Fall im Lichte des seit 2020 geltenden Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG) zu bewerten ist, entschied das Amtsgericht Berlin (Mitte) am 10.07.2023. Der Kläger begehrte von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG, #Weil wir dich lieben) 2000 Euro Entschädigung aufgrund einer rassistischen Diskriminierung nach §§ 2, 4 Abs. 1, 8 Abs. 2 LADG. Diesen Anspruch lehnte das Amtsgericht zwar ab, sprach dem Kläger schlussendlich trotzdem 1000 € Schmerzensgeld aufgrund einer rassistischen Diskriminierung und Gesundheitsschädigung im Rahmen von §§ 823, 831 BGB zu. Dabei müsse sich der Kläger, so das Gericht, das Spucken als Überreaktion und Provokation entgegenhalten lassen.
Ich möchte in diesem Beitrag positiv hervorheben, dass das Amtsgericht Berlin (Mitte) eine rassistische Diskriminierung zumindest teilweise klar benannt und verurteilt hat, gleichzeitig aber den eingeschränkten Anwendungsbereich des LADG kritisch beleuchten.
Diskriminierungsverbot für das öffentlich-rechtliche Handeln des Landes Berlin
In Berlin gilt seit 21.06.2020 das LADG. Ziel des Gesetzes ist gemäß § 1 LADG, Chancengleichheit tatsächliche herzustellen und durchzusetzen, jede Form von Diskriminierung zu verhindern und zu beseitigen sowie eine Kultur der Wertschätzung von Vielfalt zu fördern. Das gewählte Mittel ist vor allem ein Diskriminierungsverbot für öffentlich-rechtliches Handeln des Landes Berlin. § 2 LADG normiert, dass kein Mensch im Rahmen öffentlich-rechtlichen Handelns auf Grund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, einer rassistischen und antisemitischen Zuschreibung, der Religion und Weltanschauung, einer Behinderung, einer chronischen Erkrankung, des Lebensalters, der Sprache, der sexuellen und geschlechtlichen Identität sowie des sozialen Status diskriminiert werden dürfe.
Im Fall einer Diskriminierung hat der:die jeweils Betroffene u.a. einen Anspruch auf Schadensersatz und Entschädigung (§ 8 Abs. 1 und Abs. 2 LADG). Verfahrenstechnisch ist nach § 8 Abs. 5 LADG der ordentliche Rechtsweg eröffnet, die Streitigkeiten werden somit an die Zivilgerichtsbarkeit verwiesen. Die vom Senat eingerichtete Ombudsstelle unterstützt und berät Betroffene kostenfrei bei der Durchsetzung Ihrer Rechte nach dem LADG, § 14 LADG.
Urteilsgründe: rassistische Diskriminierung im Rahmen von § 823 BGB, aber mit Verschulden?
In unserem Fall verneint das Gericht, dass das LADG anwendbar sei. Gemäß § 3 Abs. 1 LADG seien landesunmittelbare öffentlich-rechtlichen Anstalten nur dann über das LADG gebunden, soweit diese Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Eine Verwaltungsaufgabe liege nur vor, wenn öffentlich-rechtliches Handeln gegeben sei. Da die Fahrkartenkontrolle allerdings im Zuge eines privatrechtlichen Beförderungsvertrags zwischen der BVG und dem Kläger stattfinde, könne weder ein öffentlich-rechtliches Handeln, noch eine Verwaltungsaufgabe bejaht werden – und zwar auch dann, wenn die BVG eine Daseinsvorsorge ausführt. Nach den Ausführungen des Urteils liegt dann, wenn die Verwaltung privatrechtlich handelt, sog. „Verwaltungsprivatrecht“ vor. Anders sah das die LADG-Ombudsstelle des Landes Berlin, die in dem Verfahren einen Amicus Curiae abgegeben hatte. Der Anwendungsbereich sei eröffnet, da die BVG als Anstalt des öffentlichen Rechts öffentliche Daseinsvorsorge erbringt und somit auch bei der Durchführung der Beförderungspflicht an öffentlich-rechtliche Vorgaben gebunden ist.
Das Gericht erkennt dem Kläger im Ergebnis 1000 € Schmerzensgeld aus §§ 823 Abs. 1, 831 BGB zu. Bei den Kontrolleur:innen, die für eine Berliner Sicherheitsfirma arbeiten, handele es sich um Verrichtungsgehilfen der BVG iSv § 831 BGB. Das Gericht identifiziert anschließend zwei Rechtsgutsverletzungen: eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch die rassistischen Beleidigungen sowie eine Gesundheitsbeeinträchtigung.
Das Gericht begründet dann am Maßstab des § 286 ZPO umfassend die eigene Überzeugungsbildung bezüglich der rassistischen Beleidigungen. Gestützt wurde die Klägeraussage durch Videoaufnahmen, die allerdings keinen Ton wiedergeben. Die entgegenstehenden Aussagen der drei Kontrolleur:innen konnten die Überzeugungsbildung des Gerichts nicht erschüttern. Schlussendlich attestiert das Gericht „nicht nur eine grobe Beleidigung des Klägers […], sondern eine Verletzung der Menschenwürde und damit eine den Schmerzensgeldanspruch begründende schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung.“ Durchaus substantiiert setzt sich die Richterin dann mit dem Begriff des Rassismus auseinander. Dass sie jedoch als einzige Quelle “ Wikipedia“ ausweist, markiert die Leerstelle, die Rassismus in der juristischen Aus- und Weiterbildung nach wie vor darstellt.
Die Körperverletzung des Klägers ordnet die Richterin als Gesundheitsschädigung ein, an dieser Stelle hält sie dem Kläger allerdings die „eigene Provokation durch das Spucken in die Richtung“ des Kontrolleurs entgegen. Dadurch sei der Kläger für die weitere Eskalation zumindest teilweise mitverantwortlich. Ein durchaus überraschendes und problematisches Votum, wenn man den gesamten rassistischen Vorfall einheitlich betrachtet.
Ungenutzte Potenziale des LADG
Es ist begrüßenswert, dass das Gericht ohne die Beweiserleichterung des § 7 LADG oder § 22 AGG zu dem Schluss kommt, die rassistischen Beleidigungen haben auch tatsächlich stattgefunden. Auch ohne sonstige Zeug:innen wird dem Kläger folgerichtig Glauben geschenkt – und dass, obwohl die drei Mitarbeitenden die Vorfälle abstreiten. Durchaus ein Erfolg für den Kläger, dessen Aussage aber auch die Überwachungsvideos stützten. Die rassistischen Beleidigungen stellen, so die Richterin, einen schweren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers dar, werden sogar als Würdeverletzung klassifiziert.
An dieser Stelle liegen aber auch die Probleme der Entscheidung. Die Begründungslast wäre bei Anwendung des LADG leichter gewesen, denn hier greift eine Vermutungsregelung (§ 7 LADG). Zusätzlich wäre im Anwendungsbereich des LADG der gesamte Geschehensablauf als diskriminierend zu bewerten, anstatt wie hier, die rassistischen Beleidigungen von der Körperverletzung abzuspalten. Dadurch reduziert das Urteil die zweite Geschehenshälfte zu stark auf die Gesundheitsschädigung, der rassistische Charakter des Gesamtgeschehens geht verloren. Statt auf die rassistische Interaktion der Kontrolleur:innen abzustellen, die schon damit begann, dass der Kläger ausgesondert und ihm seine gültige Fahrkarte abgenommen wurde und die erst in der Gesundheitsschädigung ihren Höhepunkt fand, wird der Ablauf künstlich in seine Einzelteile aufgeteilt. Auf der einen Seite steht dann die rassistische Beleidigung als Persönlichkeitsverletzung, scheinbar losgelöst davon die Körperverletzung als eigene deliktische Handlung ohne rassistische Einfärbung.
Für diesen zweiten Handlungsabschnitt wird dem Kläger sogar noch eine Mitverantwortung zugesprochen. Sein Spucken wird zuerst im Tatbestand des §§ 823, 831 BGB berücksichtigt, dann erneut beim Mitverschulden in der Schmerzensgeldberechnung erwähnt. Dabei ist nicht ersichtlich, inwiefern eine mögliche „Provokation“ des Klägers bereits im Tatbestand des § 823 BGB relevant ist. Grundsätzlich können Provokationen in der haftungsbegründenden Kausalität berücksichtigt werden, allerdings nur dann, wenn unklar ist, ob der:die Anspruchsgegner:in eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung herausgefordert hat (Stichwort: Verfolgungsfälle). Hier liegt, so das Gericht selbst, allerdings der umgekehrte Fall vor. Ein mögliches Mitverschulden kann daher nur in der Bemessung des Schadensersatzes eine Rolle spielen. Ob innerhalb des gesamten Geschehensablaufs das (auf den Boden) Spucken des Klägers wirklich als signifikantes Mitverschulden gewertet werden kann, ist fraglich, zumal § 254 BGB nicht eins zu eins anwendbar ist. Eine Kürzung um 1000 € hinsichtlich der begehrten 2000 € ist in Anbetracht der aggressiven und rassistischen Entgleisungen der Kontrolleur:innen fragwürdig. Auch hier war das Ergebnis mit dem LADG und einer einheitlichen Betrachtung des diskriminierenden Geschehens anders ausgefallen.
Warum nun ist das LADG nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht anwendbar? Für das Gericht ist maßgeblich, ob eine Verwaltungsaufgabe ausgeübt wird, was es aus § 3 Abs. 1 LADG herauszieht. Zwar rekurriert § 3 Abs. 1 LADG zwar auf Verwaltungsaufgaben, dieser Halbsatz bezieht sich allerdings primär auf die Judikative und Staatsanwaltschaft Berlins („Dieses Gesetz gilt für die Berliner Verwaltung, für landesunmittelbare öffentlich-rechtliche […] Anstalten […] sowie für die Gericht und die Behörden der Staatsanwaltschaft […], soweit diese Verwaltungsaufgaben wahrnehmen.“ – Herv. durch Verf.). Die Aufzählung des § 3 Abs. 1 LADG unterbricht ein „sowie“, das verdeutlicht, dass nur für die Letztgenannten der Geltungsbereich über das Tatbestandsmerkmal „Verwaltungsaufgaben“ eingeschränkt werden soll. Das macht auch gerade aus einer Gewaltenteilungsperspektive Sinn. Es wird somit eine zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung in § 3 LADG hineingelesen, die so nicht existiert.
Damit versteift sich das Gericht unnötigerweise auf die konkrete Rechtsnatur der Maßnahme, vorliegend zivilrechtlicher Art, und landet somit in der 2-Stufen-Theorie („Ob“ der Leistung ist öffentlich-rechtlich/ „Wie“ der Leistung ist privatrechtlich). Eine solche strenge Trennung widerspricht jedoch dem Sinn und Zweck des Gesetzes, da ja gerade anerkannt wird, dass im Bereich der öffentlichen Verwaltung und der Daseinsvorsorge eine Diskriminierung im „Wie“ die Inanspruchnahme des „Obs“ signifikant beeinflusst. Bürger:innen können sich gerade nicht aussuchen, zu welcher Behörde sie gehen, welche Sachbearbeiter:innen ihnen zugeteilt werden oder mit welchem Verkehrsbetrieb sie fahren. Dies drückt sich auch im Begriff des Verwaltungsprivatrechts aus, den das Gericht wohl missversteht. Denn selbst wenn sich die Verwaltung bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben auf das Zivilrecht bezieht, wird es vom öffentlichen Recht überlagert und modifiziert – das meint Verwaltungsprivatrecht.
Somit bleiben einige Folgefragen bei dieser Abgrenzung offen: Ist das LADG anwendbar, wenn ein Busfahrer sich aus rassistischen Gründen dagegen entscheidet, eine Person mitzunehmen? Lege ich, sobald ich eingestiegen bin, aber den Schutz des LADG ab? Oder gilt das LADG auch bei der Frage des Einsteigens (und somit der 1. Stufe, dem Ob) nicht, weil ich mich in der Anbahnung eines Beförderungsvertrags befinde? Schlussendlich erkennt das Amtsgericht Berlin (Mitte) zwar im Unterschied zur landgerichtlichen LADG-Entscheidung im Plansche-Fall die Diskriminierung grundsätzlich an. Trotzdem bleibt Luft nach oben und zu wünschen, dass Gerichte in künftigen Verfahren die Potenziale des LADG erkennen und nutzen.
Transparenzhinweis: Die Autorin absolviert ihre Referendariatsstation bei der Ombudsstelle für das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz. Die Ombudsstelle hat im Verfahren einen Amicus Curiae eingereicht.
Anm. d. Red.: Nachträglich wurden zwei Datumsfehler korrigiert und die Gerichtsbezeichnung präzisiert.
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