29 January 2024

Wirksam gegen „Gehsteigbelästigung“?

Zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes

Bald ist es wieder so weit: Vom 14. Februar bis 24. März 2024 halten Abtreibungsgegner:innen weltweit sogenannte „Mahnwachen“ vor Beratungsstellen und Abtreibungseinrichtungen ab, um Abtreibungen zu verhindern. Dahinter steht die US-amerikanische christliche Organisation „40 Days For Life“, die inzwischen international Anti-Abtreibungsproteste koordiniert – ihr Slogan: „The Beginning of the End of Abortion“. Auch in München und Pforzheim wurden wieder Proteste angemeldet. Die Abtreibungsgegner:innen stehen dann vierzig Tage lang vor den Beratungsstellen (von pro familia), singen und beten, kniend, mit Marienbildern um dem Hals und appellierenden Plakaten (etwa „ICH WILL LEBEN!“ und „ICH BIN EINE PERSON“ neben dem Bild eines Fötus). Bei anderen Formen sog. Gehsteigbelästigung werden Frauen auch direkt angesprochen, beschimpft oder gar mit Schockfotos und Plastik-Embryonen belästigt.

Die Anti-Abtreibungsproteste stigmatisieren Schwangere und Personal. Das gefährdet einerseits das gesetzliche Beratungskonzept aus dem Schwangerschaftskonfliktberatungsgesetz (SchKG), das die staatlichen Schutzpflicht für das ungeborene Leben umsetzt. Andererseits beeinträchtigen die Versammlungen das Persönlichkeitsrecht der Schwangeren, die schlimmstenfalls ihr Recht auf straffreie, sichere Abtreibung nicht ausübt.

Deshalb kündigte der Koalitionsvertrag 2021 „wirksame gesetzliche Maßnahmen“ gegen „sogenannte Gehsteigbelästigungen“ an. Nachdem Bundesfamilienministerin Lisa Paus zunächst einen Gesetzesentwurf noch vor Ende 2022 versprochen hatte, verzögerte sich das Verfahren. Im April 2023 nahm die zuständige „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ ihre Arbeit auf, im November 2023 legte das Bundesfamilienministerium einen Referentenentwurf vor. Nun hat das Kabinett am 24. Januar den Gesetzentwurf beschlossen. Wird was lange währt auch endlich gut?

Warum es ein Gesetz braucht

Zwar gibt es bereits rechtliche Mittel gegen die Anti-Abtreibungsproteste: Versammlungsbehörden können sie verbieten oder von (etwa örtlichen) Auflagen abhängig machen. Weil aber mit der Meinungs- und Versammlungsfreiheit auch für die Abtreibungsgegner:innen gewichtige Grundrechte streiten, entscheiden Behörden oft verunsichert und im Zweifel für die Versammlungsfreiheit. Auch die Gerichte beurteilen die Proteste unterschiedlich. Weder gibt es eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung noch eine bundeseinheitliche Gesetzesregelung. Zuletzt haben die Oberlandesgerichte Hessen und Baden-Württemberg die „Mahnwachen“ (anders als noch das VG Karlsruhe) für zulässig gehalten und die behördlich angeordnete örtliche Verschiebung für rechtswidrig erklärt, allerdings mit zweifelhafter grundrechtlicher Begründung. Statt sauber zwischen Persönlichkeitsrecht der Schwangeren und der Meinungs- und Versammlungsfreiheit der Abtreibungsgegner:innen abzuwägen, haben sie verkürzt geprüft, ob es für die Schwangere vor der Beratungsstelle zu einem „Spießrutenlauf“ kommt – und dabei an der Lebensrealität vorbeisubsumiert. Die Stadt Pforzheim erhob dagegen Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht, das den Fall im Mai 2023 (aus rein prozessualen Gründen) nicht zur Revision annahm. Also alle Hoffnung auf Berlin.

Rufe nach einer gesetzlichen Regelung (wie sie in anderen Ländern schon existiert und vom Europarat empfohlen wird) wurden vor allem deshalb laut, weil individueller Rechtsschutz in solchen Situationen unzumutbar ist bzw. zwangsläufig zu spät kommt. Dabei spielt Zeit beim Schwangerschaftsabbruch eine kritische Rolle: Nur innerhalb von 12 Wochen kann der Abbruch straffrei sein – und nur, wenn sich die Schwangere mindestens drei Tage vor dem Eingriff von einer staatlich anerkannten Stelle beraten ließ (§ 218 a Abs. 1 StGB). Gerade diese Beratungspflicht erfordert Schutzmaßnahmen, wie auch der Entwurf klarstellt: „Erlegt der Staat der Schwangeren diese Pflicht auf, so muss er dafür Sorge tragen, dass sie dieser ohne wesentliche Hindernisse nachkommen kann“ (S. 1-2).

Was Grund- und Menschenrechte erfordern

Erklärtes Ziel des Gesetzentwurfs ist es, „einen bundeseinheitlichen und rechtssicheren Umgang mit den sogenannten Gehsteigbelästigungen sicherzustellen“ (S. 2), der „den grundrechtlichen Anforderungen und völkerrechtlichen Vorgaben genügt“ (S. 10).

Grundrechtlich soll das Gesetz sowohl das Persönlichkeitsrecht der Schwangeren als auch das Beratungskonzept schützen, das die Schutzpflicht für das ungeborene Leben umsetzt. Dazu ist vom Staat verlangt, „den sicheren, effektiven und diskriminierungsfreien Zugang zu Beratungsstellen und Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, zu gewährleisten“ (S. 12). Richtigerweise erfordert das Persönlichkeitsrecht der Schwangeren dabei ein hohes Schutzniveau, insbesondere wegen der Nähe zur Intimsphäre im ersten Drittel der Schwangerschaft und weil sich die Betroffenen in einer „physischen und psychischen Belastungssituation“ befinden (S. 11).

Daneben ist Deutschland auch menschenrechtlich verpflichtet, „einen ungehinderten, sicheren und diskriminierungsfreien Zugang zu den Beratungsstellen und Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen zu gewährleisten“ (S. 14, 18), aus Art. 12, 16 Abs. 1 e) der UN-Frauenrechtskonvention, Art. 23 Abs. 1 b) der UN-Behindertenrechtskonvention, Art. 17 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte und Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Was der Gesetzentwurf vorsieht

Zur Umsetzung dieser grund- und menschenrechtlichen Schutzpflichten sieht der Entwurf insbesondere drei Änderungen vor: eine Ergänzung des Sicherstellungsauftrags der Länder (1.), neue Verbotsnormen (2.) und Bußgeldtatbestände (3.).

Der Reihe nach:

1. Sicherstellungsauftrag der Länder

Begrüßenswert ist, dass der Entwurf in § 8 Abs. 1 S. 1 SchKG-E (für Beratungsstellen) und § 13 Abs. 2 SchKG-E (für Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen) den Sicherstellungsauftrag der Länder klarstellt: Danach haben die Länder nicht nur ein entsprechendes ausreichendes Angebot, sondern zugleich faktisch „den ungehinderten Zugang“ zu diesem Angebot sicherzustellen. Doch dies können die Länder nur, wenn sie um die Versorgungslage wissen. Dabei sollen ihnen neue Vorschriften zur Datenerhebung helfen. Bisher wurde die Versorgungslage nur auf der Länderebene ausgewertet, nicht aber regional. § 16 Abs. 3 Nr. 2 SchKG-E sieht nun eine jährliche Auskunft über regionale Verteilung von Schwangerschaftsabbrüchen vor.

2. Verbotsnormen

Um den ungehinderten Zugang sicherzustellen, stellt der Entwurf „Belästigungsverbote“ in § 8 Abs. 2 SchKG-E (Beratungsstellen) und § 13 Abs. 3 SchKG-E (Einrichtungen) auf. Die jeweiligen Nr. 1-5 untersagen unterschiedliche Verhaltensweisen „in einer für die Schwangeren wahrnehmbaren Weise, die geeignet ist, die Inanspruchnahme der Beratung in der Beratungsstelle durch die Schwangere zu beeinträchtigen“, und zwar in einem räumlichen Radius von 100 Metern um den Eingangsbereich.

Die Norm hat nicht nur wichtige Signalwirkung, sondern wirkt vor allem als Hebel für versammlungsrechtliche Maßnahmen: Die normierten Verhaltensweisen betreffen das Schutzgut der „öffentlichen Sicherheit“ in Form der objektiven Rechtsordnung, sodass eine versammlungsrechtliche Gefahr vorliegt, die Auflagen oder Verbote rechtfertigt. Dies vereinfacht und vereinheitlicht die Behördenpraxis. Gut daran ist, dass die Verbotsnormen nicht als Erfolgsdelikt ausgestaltet sind, die Eignung des Verhaltens genügt. Sonst hinge die Tatbestandsverwirklichung „von der jeweiligen Reaktion der einzelnen Schwangeren“ ab, was Rechtssicherheit verhindern würde (S. 23).

Problematisch ist jedoch, dass die einzelnen Tatbestände teilweise zu weitgehende subjektive Anforderungen aufstellen.

Praktisch am relevantesten dürfte Nr. 1 werden, wonach es verboten ist, „der Schwangeren das Betreten der Beratungsstelle durch das Bereiten eines Hindernisses absichtlich zu erschweren“. Eine tatsächliche Beeinträchtigung ist nicht erforderlich, es genügt die (ex ante) abstrakte Eignung des konkreten Verhaltens, die Inanspruchnahme der Beratung zu beeinträchtigen. Das umfasst nicht nur den physischen Zugang, sondern „auch die eingeschränkte Möglichkeit, sich auf die Beratung emotional beziehungsweise psychisch einzulassen“ (S. 22). Allerdings: Es muss der Person gerade auf das Bereiten eines Hindernisses ankommen, Reines Im-Weg-Stehen oder Bauarbeiten sollen der Norm nicht unterfallen (S. 23). Das Absichtserfordernis ist jedoch ungeeignet, diese Fälle auszuschließen. Bei Baustellen dürfte es zur Gefahrenabwehr gerade beabsichtigt sein, den Zugang zu behindern. Besser wäre es deshalb, nicht an den Vorsatz, sondern an den Zweck des Hindernisses spezifische Anforderungen zu stellen, worauf auch der Deutsche Juristinnenbund in seiner Stellungnahme hinweist. Untersagt werden sollte nicht das absichtliche Errichten eines Hindernisses, sondern das Errichten eines Hindernisses, um die Schwangere in ihrer Entscheidung über die Fortsetzung der Schwangerschaft zu beeinflussen.

Nr. 2 verbietet es, „der Schwangeren entgegen ihrem erkennbaren Willen durch Ansprechen wissentlich die eigene Meinung zu ihrer Entscheidung über die Fortsetzung der Schwangerschaft aufzudrängen“. Das verkehrt jedoch die Schutzverantwortung: Denn das verlangt von der Schwangeren, einen entgegenstehenden Willen zu bilden und zu äußern, sich also in einer besonders vulnerablen Situation selbst zu schützen. Das Persönlichkeitsrecht der Schwangeren erfordert jedoch ein hohes Schutzniveau, wie der Entwurf zutreffend anerkennt. Deshalb muss vielmehr der Staat die Schwangere schützen, weil er sie durch die Beratungspflicht erst der Gefährdung aussetzt. Dies gilt trotz des hohen Rangs der Meinungsfreiheit. Schließlich schützt die Meinungsfreiheit das Äußern, nicht aber das Aufdrängen von Meinungen. Deshalb braucht es auch keine „Wissentlichkeit“ der Abtreibungsgegner:innen, deren Meinungsfreiheit wird bereits durch das einschränkende Merkmal „Aufdrängen“ ausreichend geschützt, auf das sich auch der Vorsatz beziehen muss.

Nr. 3 untersagt, die Schwangere zu bedrängen, einzuschüchtern oder auf andere vergleichbare Weise erheblich unter Druck zu setzen, um sie in ihrer Entscheidung über die Fortsetzung der Schwangerschaft zu beeinflussen. Hier besteht die Gefahr, dass das Tatbestandsmerkmal „erheblich“ restriktiv ausgelegt wird. Besser wäre es, das Merkmal zu streichen, da „auf andere vergleichbare Weise“ bereits eine konkrete Erheblichkeitsschwelle einzieht.

Schließlich verbietet Nr. 4, der Schwangeren gegenüber unwahre Tatsachenbehauptungen zu Schwangerschaft oder Schwangerschaftsabbruch zu äußern; Nr. 5 untersagt dies spezifisch für verkörperte Inhalte im Sinne von § 11 Abs. 3 StGB wie Flyer und Plakate oder auch Datenträger – zu Recht ohne subjektive Voraussetzungen.

Neben der Schwangeren will der Entwurf auch das Personal schützen. So soll verboten werden, das Personal der Beratungsstellen (§ 8 Abs. 3) und der Einrichtungen (§ 13 Abs. 4) „bei der Durchführung“ ihrer Arbeit „bewusst zu behindern“. Auch hier sind die subjektiven Anforderungen wieder zu streng, statt direktem Vorsatz sollte einfacher Vorsatz genügen. Denn die Beratung wird – unabhängig vom Vorsatz – bereits objektiv durch die normierten Verhaltensweisen gestört. Dabei ist der Schutz des Personals nicht nur für die jeweilige Beratung entscheidend wichtig, sondern generell für die Versorgungslage. So schildern die Beratungsstellen, dass die „Mahnwachen“ direkt vor den Einrichtungen bei der aktuellen Personalknappheit Bewerber:innen abschrecken, Berater:innen zermürben und es immer schwieriger wird, Stellen nachzubesetzen. Dies gefährdet übrigens das gesamte Beratungsangebot aus § 2 SchKG, das auch Informationen zu Sozialleistungen und psychosozialen Hilfsmöglichkeiten umfasst. Ratsuchende sind auch Nichtschwangere, Eltern, Kinder und Jugendliche, die sich vertrauensvoll an die Stellen wenden. Die wochenlangen „Mahnwachen“ schränken diese – staatlich beauftragte – Beratungsarbeit empfindlich ein.

3. Bußgeldtatbestände

Die untersagten Verhaltensweisen werden in § 35 SchKG-E als Ordnungswidrigkeiten ausgestaltet, mit einem Bußgeldrahmen bis zu 5.000 Euro. Das ist zur Abschreckung und effektiven Rechtsdurchsetzung wichtig. Soweit die Bußgeldtatbestände ebenso wie die Verbotsnormen subjektive Voraussetzungen aufstellen, sollten jedoch auch diese gestrichen werden. Wünschenswert wäre außerdem eine Klarstellung, dass auch die Bußgeldvorschriften keinen Erfolg voraussetzen. Für die betroffenen Rechtsgüter macht es nämlich keinen Unterschied, ob die Schwangere tatsächlich in ihrer Entscheidungsfindung beeinflusst oder am Zugang gehindert wird, weil allein der Versuch die Grundrechte der Schwangeren sowie das Beratungskonzept erheblich beeinträchtigt und ein Bußgeld rechtfertigt.

Was das Gesetz leistet – und was es nicht leisten kann

Der Entwurf hält überwiegend, was er verspricht:

Er richtet sich an grund- und menschenrechtlichen Standards aus. Dabei zieht er zutreffend ein hohes Schutzniveau für das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Schwangeren ein und verankert die Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch völkerrechtlich im Recht auf reproduktive Selbstbestimmung (S. 11). Das Zusammenspiel aus deutlichem Sicherstellungsauftrag, Verbotsnormen und Bußgeldtatbeständen ist dabei grundsätzlich geeignet, einen rechtssicheren und bundeseinheitlichen Umgang mit den Protesten sicherzustellen. Die neuen Regelungen zur Datenerhebung erlauben zudem, die Wirksamkeit des Gesetzes auch überprüfen zu können.

Entscheidend ist nun, die zu weitgehenden subjektiven Anforderungen in den Verbotsnormen zu streichen, um die Verantwortungslasten grundrechtsgemäß zu verteilen: Wenn der Staat die Schwangere zu einer Beratung verpflichtet und sie so einer Grundrechtsgefährdung aussetzt, muss er die Schwangere wirksam vor dieser Gefährdung schützen. Nur so ist gewährleistet, dass sich die Schwangere autonom und diskriminierungsfrei für oder gegen einen Abbruch entscheiden kann.

Doch auch wenn mit dem Gesetz der Weg zu den Beratungsstellen frei gemacht wird: Für eine sichere Versorgungslage und ein Ende des Stigmas rund um den Schwangerschaftsabbruch führt kein Weg an der Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs vorbei.