Zugang im Lockdown – das Symposium
Wie wirkt sich die Pandemie auf das rechtswissenschaftliche Arbeiten, Studieren und Publizieren aus? Diese Frage stellten wir den Verfassungsblog-Leser*innen und baten um Essays, in denen sie über ihre Erfahrungen berichten. Aus den Texten ist das Online-Symposium „Zugang im Lockdown“ entstanden.
Wir freuen uns sehr, dass uns so viele verschiedene Perspektiven erreicht haben, nicht nur aus der Wissenschaft und von Studierenden, sondern auch aus der Praxis und der Welt der Bibliotheken. Die Beiträge zeigen uns auch, dass gerade viel passiert: Es gibt viele Projekte und Initiativen, die sich mit dem Thema Zugang in der Rechtswissenschaft beschäftigen und neue Wege einschlagen. Und alle machen sich Gedanken darüber, welche Spuren diese teilweise neuen Formen des Arbeitens und Studierens hinterlassen werden.
Arbeiten unter Corona
MAX STEINBEIS und EVIN DALKILIC eröffnen das Symposium und rekapitulieren, wie die Pandemie den Verfassungsblog im Frühjahr 2020 völlig unerwartet überrollt hat. Für sie hat das gezeigt, wie wichtig Zugang in dieser Situation war, und zwar sowohl für die Autor*innen als auch die Leser*innen. Nicht zuletzt diese Erfahrung hat den Anstoß dazu gegeben, sich um eine Förderung beim BMBF zu bewerben, aus der nun das Projekt „Offener Zugang zu Öffentlichem Recht“ (OZOR) hervorgegangen ist, in dessen Rahmen wir dieses Sympoisum verwirklichen konnten.
Was die Kontaktreduzierungen für die Universitäten und das studentische Lernen bedeuten, das zeichnet OLIVER LEPSIUS in seiner Analyse nach. Er betont, dass das Recht diskursive Räume braucht und Studierende und Lehrende für ein erfolgreiches Studium den persönlichen Kontakt untereinander.
ELISABETH SCHEMMER berichtet, wie die Pandemie ihren Alltag als Promovierende, ihren Zugang zu Literatur und zur Bibliothek verändert hat und wie das neue wissenschaftliche Arbeiten vielleicht auch die Rechtswissenschaft verändern wird – zumindest in kleinen Schritten.
Rechtswissenschaft und Offenheit
Die Pandemie hat in vielen Bereichen den Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen geöffnet. Auch deshalb war es möglich, in so kurzer Zeit Therapien und Impfstoffe gegen COVID-19 zu entwickeln. RAFFAELA KUNZ hält es allerdings für „naiv zu glauben, dass Corona nun die große ,Zugangsrevolution‘ bringt und das wissenschaftliche Publikationssystem nun offener und gerechter wird“.
Auch rechtswissenschaftliche Lehrmaterialien verbergen sich häufig hinter Zugangsschranken. Die Initiative OpenRewi möchte das ändern und entwickelt frei zugängliche Lehrmaterialien in verschiedenen Bereichen der Rechtswissenschaft. Die Initiative beschränkt sich nicht auf Open Access, sondern folgt auch selbst den Arbeitsweisen von Open Science, was in der Rechtswissenschaft wahre Pionierarbeit sein dürfte. Mit Open Peer Review, einer kollaborativen Arbeitsweise und offenen Tools ist es möglich, den Entstehungsprozess der Werke nachzuvollziehen, wie MAXIMILIAN PETRAS darstellt.
Studentische Perspektiven
Wer an einer Fernuniversität studiert, für den bleibt in der Pandemie alles beim Alten. Das könnte man zumindest meinen. Wie es wirklich ist, etwa wenn man aufgrund geschlossener Bibliotheken keinen Zugang zu rein gedruckter Literatur hat oder sich per Fernüberwachung beim Klausurenschreiben beobachten lassen muss, darüber berichtet FRANK MIENER, Student der Rechtswissenschaften an der Fernuniversität Hagen.
Die Möglichkeiten des digitalen Publizierens austesten und erproben, wenn man gerade sowieso auf das Home Office zurückgeworfen ist – warum nicht? Das dachten sich einige Jurastudierende der Universität Bayreuth im Pandemiejahr. Sie entschlossen sich kurzerhand dazu, eine rechtswissenschaftliche Zeitschrift zu gründen. Eine von ihnen ist LENA BITZ und sie zeichnet für das Symposium den Weg von der Idee zum Heft nach.
Fokus Bibliotheken
Die rechtswissenschaftliche Fußnote ist das Thema von SARAH PRAUNSMÄNDEL. In ihrer Glosse analysiert sie, warum Rechtswissenschaftler*innen häufig so verschwendereisch mit Fußnoten hantieren, und plädiert für eine Reflexion dieser Praxis. Gerade die Pandemie mit ihrem erschwerten Zugang zu rechtswissenschaftlicher Literatur habe gezeigt, dass es auch eine weniger üppige Fußnotenkultur tue.
Auf der Suche nach Literatur nehmen Wissenschaftler*innen, Studierende, Lehrpersonal, aber auch Journalist*innen und die interessierte Öffentlichkeit Umwege, wenn ihnen der Zugang über Bibliotheken und Datenbanken fehlt. Nicht wenige greifen dafür auf Schattenbibliotheken wie Sci-Hub zurück – und begeben sich damit in die Illegalität. GEORG FISCHER beschreibt die Umwege als desire paths, die das Potential haben, zu Hauptwegen zu werden.
Für das wissenschaftliche Arbeiten von Zuhause braucht es elektronische Literatur und die Pandemie hat den Trend zum digitalen Arbeiten weiter verstärkt. Das merken auch die Bibliotheken, denn es hat seinen Preis, vermehrt elektronische Medien anzuschaffen – und das nicht nur in finanzieller Hinsicht. MICHAEL ERNST gibt einen Einblick, was dieser Trend für Bibliotheken und letztlich auch für Nutzer*innen bedeutet: Wenn sich nicht etwas ändert, wird man sich auf eine (elektronische) Grundversorgung einstellen müssen.
Wissenschaft für alle
Nicht nur Forscher*innen und Studierende sind in ihrer Arbeit auf wissenschaftliche Literatur angewiesen. Wie aber können Praktiker*innen arbeiten, wenn die Bibliotheken geschlossen sind und Zugänge am Arbeitsplatz fehlen? FRANCESCA MASCHA KLEIN beschreibt, was fehlender Zugang zu Wissen für ihre Arbeit bei einer NGO und für den gesamtgesellschaftlichen Diskurs bedeutet.
Geschlossene Universitäten und Bibliotheken haben nicht alle gleichermaßen getroffen. Wo jemand arbeitet, an welcher (Auslands-)Uni jemand studiert (hat) und an welche Institutionen befreundete Kommiliton*innen, Forschende, Lehrende, die einem mal aushelfen können, angebunden sind, spielt eine große Rolle bei der Literaturbeschaffung. KONSTANTIN GAST macht sich über solche und andere Privilegien Gedanken und wieso sie ein Problem sind.
Vom Scrollen zum Schmökern
Das Symposium hat uns nicht nur vielfältige und interessante Einblicke in die Erfahrungen unserer Leser*innen gewährt, sondern auch den Anstoß gegeben, ein neues Design für dieses Format zu entwickeln. Bei der Konzeption des Symposiums merkten wir, dass die Zusammenstellung der Texte nicht so recht in unser übliches Symposiums-Format passt, bei dem eine These zur Debatte gestellt wird, sondern viel eher einer Anthologie entspricht. Damit sich dieser Charakter auch in der Darstellung spiegelt, können wir jetzt ein Inhaltsverzeichnis abbilden, in dem wir unter thematischen Kapiteln die Beiträge sammeln. Besonders gelungen finden wir außerdem die Bilderleiste, die unseren Leser*innen auch einen ganz lebendigen Eindruck vom Arbeiten und Studieren in der Pandemie vermittelt.
Wir sind noch nicht fertig
Wir betrachten das Symposium nicht unbedingt als abgeschlossen. Wenn es Sie nach der Lektüre der Beiträge doch noch in den Fingern juckt, freuen wir uns über Ihren persönlichen Erfahrungsbericht. Hier finden Sie den ursprünglichen Call, den Sie als Orientierung nutzen können, wenn Sie uns einen Text zum Thema „Zugang im Lockdown“ schicken möchten. Ansonsten wünschen wir Ihnen viel Spaß beim Lesen!