Einstweilige im NSU-Prozess: Karlsruhe ex machina
Die 3. Kammer des Ersten Senats hat dem Vorsitzenden des für das NSU-Verfahren am OLG München zuständigen Strafsenats per einstweiliger Anordnung aufgegeben, ausreichend Platz für türkische Journalisten im Sitzungssaal zu schaffen.
Maßstab ist das Recht derselben auf “Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb” aus Art. 3 I und 5 I 2 GG. Wenn man die Presseplätze nach dem Motto “Wer zuerst kommt, mahlt zuerst” vergibt, dann ist das zwar im Prinzip geeignet, dieses Recht zu wahren. Aber dabei muss man darauf achten, dass auch alle davon erfahren, dass sie sich besser sputen sollten auf dem Weg zur Mühle. Die Kammer stellt auch klar, dass sie es für denkbar hält, dass
in Anbetracht der Herkunft der Opfer ausnahmsweise ein zwingender Sachgrund für eine eventuell teilweise Differenzierung zwischen verschiedenen Medien beispielsweise im Sinne einer Quotenlösung gegeben gewesen wäre.
Jedenfalls darf das Gericht nicht so verfahren, als brauche sie die politische und mediale Brisanz des Verfahrens nicht zu interessieren. Um in der Terminologie meines letzten Posts zu diesem Thema zu bleiben: Sich uneingeschränkt auf die Seite des theatralen Dispositivs zu schlagen, ist dem Gericht verwehrt; es muss auch für das agonale Dispositiv offen bleiben.
Meine Vermutung: Den oberbayerischen OLG-Richtern entfährt in diesen Minuten ein Seufzer der Erleichterung. Das gibt jetzt noch mal einen Tag peinliche Presse. Aber dann ist es vorbei. Karlsruhe weist ihnen einen Weg, wie sie aus der Sache herauskommen. Und höflich, wie sie sind, formulieren sie den sogar als Vorschlag:
Möglich wäre, ein Zusatzkontingent von nicht weniger als drei Plätzen zu eröffnen, in dem nach dem Prioritätsprinzip oder etwa nach dem Losverfahren Plätze vergeben werden. Es bleibt dem Vorsitzenden aber auch unbenommen, anstelle dessen die Sitzplatzvergabe oder die Akkreditierung insgesamt nach anderen Regeln zu gestalten.
Das muss er jetzt nur tun, und alles wird gut. Einen Revisionsgrund kann er ja wohl nicht schaffen, wenn er nur der Anweisung aus Karlsruhe folgt.
Welcher Anweisung denn? Wie muss das OLG jetzt vorgehen?
Laut BVerfG
– entweder komplette Neuvergabe aller Plätze (ist zwei Werktage vor dem Verhandlunsbeginn kompletter Irrsinn)
– oder 3 zusätzliche Plätze
– oder es fliegen 3 Medienvertreter raus, die schon einen Platz haben (laut BVerfG ist das dann weniger schlimm als das Risiko, das quasi neu erfundene “Grundrecht auf vorrangigen Zugang wegen besonderen Interersses” zu verletzen, s. Randnrummer 26).
Verfahren für die 3 Plätze dann:
Windhund oder Los
Aber, und hier hört die Weisheit aus Karlsruhe schon auf:
Welche “ausländischen Medien mit besonderem Bezug, die noch dazu vielleicht mit Vergabemodalitäten nicht vertraut sind, muss mann wie und wann von der Neuvergabe informieren? Ankündigung auf Deutsch und Türkisch? 24 Stunden vorher? Auf der Homepage oder nur per Email_Verteiler an die, die bislang schon Interesse angemeldet haben? Auch griechische Medien bei den 3 Plätzen dabei?
Das BVerfG bietet außer einer Neuanordnung keine Lösung an, weil es genau so hilflos dasteht. EInerseits ein “weiter Ermessensspielraum” des Vorsitzenden, andererseits könnte das Vergabeverfahren nach der konkreten Durchführung problematisch gewesen sein, wie man es dann aber richtig machen soll: keiner weiß es.
Schon blöd, wenn der Tenor nicht vollstreckbar ist.
@malnefrage „Auch griechische Medien bei den 3 Plätzen dabei?“: Das Problem stellt sich offenbar nicht. Aus den Entscheidungsgründen: „Griechische oder iranische Medien, aus deren Ländern ebenfalls Opfer der angeklagten Taten stammen, haben kein Akkreditierungsgesuch gestellt.“
@chi: Das Problem stellt sich schon, nämlich bei der Frage, ob und wie man die 3 zusätzlichen Plätze jetzt vergibt. Der Sache nach beginnt nämlich für “Medien mit besonderer Nähe zu den Opfern” , denen ein Kontingent zu gewähren ist (also türkisch und griechisch) das Rennen /eine Verlosung von vorne, also könnten jetzt zumindest ein paar vielleicht mittlerweile wach gewordene griechische Medienvertreter mitmischen. Was dann passiert, wenn z.B. jetzt bei einer Verlosung der 3 Plätze türkische Medien leer ausgehen, weil 3 griechische Glück haben, wäre sicher sehr spannend.
Kleine Korrektur:
Nach eigener Einlassung hat die politische und mediale Brisanz Herrn Götzl schon interessiert. Er hat aber keine geeigneten Kriterien gefunden, um sachgerecht zwichen allen Interssen zu differnezieren.
Wie ist die Vorgabe des BVerfG auszulegen, “Medien mit besonderer Nähe zu den Opfern” mit mindestens drei Plätzen zu berücksichtigen? Reicht es da nur türkische und griechische Medienvertreter zu berücksichtigen oder gehören auch Pressevertreter der arabischen Presse dazu, weil die Opfer überwiegend muslimischen Glaubens waren? Da hat Karlsruhe dem OLG ein ziemliches Kuckucksei ins Nest gelegt.