Euro-Rettungsschirm: Praktische Vernunft in Karlsruhe
Ich war leider heute nicht dabei in Karlsruhe, aber Isabel Feichter, Völkerrechtlerin aus Frankfurt, war vor Ort und hat sich freundlicherweise bereit erklärt, uns ihre Eindrücke zu schildern:
Von Isabel Feichtner
Es war die letzte Verhandlung im alten Saal, bevor das BVerfG renovierungsbedingt in ein Übergangsquartier am Stadtrand zieht – und die Spannung war gewaltig: Schon im Zug aus Heidelberg herrschte eine freudig-nervöse Stimmung unter den zahlreich anreisenden Verfassungstouristen, Journalisten, Prozessvertretergattinnen und anderen Interessierten, nebst einer Handvoll Theaterleute, die ein anderes Spektakel nach Karlsruhe lockte: das XX. baden-württembergische Theatertreffen unter dem beziehungsreichen Titel “Ungerecht“.
Um 10 ging die Verhandlung los und dauerte bis 18 Uhr. Jetzt, nach vielen Stunden konzentrierten Zuhörens, bin ich sehr erschöpft und ganz gerührt. Ich fühle mich, als habe ich gerade ein gutes Stück Demokratie besucht.
Ich war leider heute nicht dabei in Karlsruhe, aber Isabel Feichter, Völkerrechtlerin aus Frankfurt, war vor Ort und hat sich freundlicherweise bereit erklärt, uns ihre Eindrücke zu schildern:
Von Isabel Feichtner
Es war die letzte Verhandlung im alten Saal, bevor das BVerfG renovierungsbedingt in ein Übergangsquartier am Stadtrand zieht – und die Spannung war gewaltig: Schon im Zug aus Heidelberg herrschte eine freudig-nervöse Stimmung unter den zahlreich anreisenden Verfassungstouristen, Journalisten, Prozessvertretergattinnen und anderen Interessierten, nebst einer Handvoll Theaterleute, die ein anderes Spektakel nach Karlsruhe lockte: das XX. baden-württembergische Theatertreffen unter dem beziehungsreichen Titel “Ungerecht“.
Um 10 ging die Verhandlung los und dauerte bis 18 Uhr. Jetzt, nach vielen Stunden konzentrierten Zuhörens, bin ich sehr erschöpft und ganz gerührt. Ich fühle mich, als habe ich gerade ein gutes Stück Demokratie besucht. Einen sehr ernsthaften und erstaunlich wenig polemischen Austausch von Argumenten über die ökonomischen, rechtlichen und politischen Aspekte der Griechenlandhilfe und des Euro-Rettungsschirms habe ich erlebt. Das Bundesverfassungsgericht verkörperte mit den intelligenten und präzisen Fragen der RichterInnen dabei tatsächlich so etwas wie die praktische Vernunft (auch wenn die Aussage Schachtschneiders, es sei die Aufgabe des BVerfG, die praktische Vernunft zu wahren, zu Raunen im sonst so gesitteten Publikum führte) und auch den „wirtschaftlich vorgebildeten Laien“ (wobei das ökonomisch Laienhafte die Vertreter der EZB etwas zu schmerzen schien).
Rechtsdogmatische Erörterungen kamen dabei nicht zu kurz. Sie stellten im Wesentlichen eine Fortführung der Rechtsgespräche vor dem BVerfG zu Lissabon und auch Maastricht dar, wie der Prozessvertreter des Bundestages Franz Mayer bemerkte. Und das sollte es ja auch nur sein: eine Erörterung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausübung hoheitlicher Gewalt durch Bundesregierung und Bundestag, insbesondere die Autorisierung von Gewährleistungen für Kredite an Griechenland und andere Mitgliedstaaten der Eurozone im Rahmen des sogenannten Euro-Rettungsschirms. Außerdem eine Erörterung der Durchsetzbarkeit dieser Vorgaben durch Einzelne, in diesem Fall den CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler, vertreten durch den Staatsrechtsprofessor Dietrich Murswiek und die Klägergruppe um Karl Albrecht Schachtschneider, vertreten durch denselben.
Ökonomie und Verfassungsrecht
Gleich zweimal betonte Senatspräsident Andreas Voßkuhle in seiner Einführung, dass weder die richtige ökonomische Strategie im Umgang mit der Eurokrise noch die Zukunft Europas Gegenstand des Verfahrens seien. Aber natürlich wurden diese Fragen relevant, etwa bei der Interpretation von Art. 125 Abs. 1 AEUV, die oft als „no-bail-out Klausel“ bezeichnet wird, der Frage nach einer faktischen Vertragsänderung, etwa durch Schaffung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), als einer neuen Institution der EU, der Verantwortlichkeit des Bundestags für Entscheidungen im internationalisierten Kontext, den möglichen Alternativen zur Autorisierung von Gewährleistungen für Kredite durch den Bundestag.
Es mögen also die Verfassungsjuristen diese Verhandlung zufrieden zum Anlass genommen haben, sich in der Debatte um die Eurokrise auch als Experten fühlen zu können, doch zeigte die Verhandlung recht schnell, dass eine juristische Entscheidung, die wirtschaftliche und politische Rationalitäten außer Acht lässt, zu keinem befriedigenden Ergebnis führen würde. Man mag zwar die Auffasung nicht teilen, dass was ökonomisch falsch ist, nicht rechtmäßig sein könne (Schachtschneider), aber die Aussage, dass Verfassungsrecht in Zeiten der Globalisierung nur begrenzt kontrafaktisch wirken könne, die Mayer zu seinem Schlusswort machte, wird nicht auf sehr viel Widerstand stoßen.
Möglicherweise unzulässig
Allerdings erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass das Gericht die Beschwerden für unzulässig halten wird. Problematisch ist zum einen, ob Akte der EU wie die Verordnung 407/2010, welche den Europäischen Stabilisierungsmechanismus etabliert, oder die Ankäufe von Staatsanleihen durch die EZB überhaupt rügefähig sind. Das gilt auch für die Mitwirkung der Bundesregierung an Rechtsakten des Rats der Europäischen Union oder ihre Zustimmung zu intergouvernementalen Vereinbarungen, wie die über die Schaffung der EFSF.
Was die Rügefähigkeit der EU-Rechtsakte betrifft, stützen sich die Beschwerdeführer auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in Maastricht und Lissabon zu ultra-vires-Akten und deren Konkretisierung im Honeywell-Beschluss. So argumentiert Murswiek, dass die Finanzhilfen einen evidenten Verstoß gegen Art. 125 AEUV darstellten. Da es sich bei dem bail-out-Verbot um ein fundamentales Prinzip der Währungsunion handele, und diese sich durch die bail-outs von einer Stabilitäts- zu einer Transferunion wandele, handle es sich nicht nur um einen evidenten, sondern auch um einen Verstoß mit strukturellen Folgen. Verordnung 407/2010 sei damit ein ultra-vires-Akt der EU in Überschreitung ihrer Kompetenzen, der nicht mehr vom Zustimmungsgesetz gedeckt und damit nicht demokratisch legitimiert sei. Dies könne das BVerfG feststellen.
Vorlage zum EuGH?
Überraschend an den Ausführungen Murswieks war allerdings, dass er selbst es war, der vorschlug, das BVerfG solle, bevor es eine solche Prüfung vornehme, die Frage der Europarechtskonformität der Verordnung dem EuGH zur Entscheidung vorlegen, bevor es selbst diese Prüfung vornehme. Sein Argument: So demonstriere es Europafreundlichkeit. Problematisch bleibt bei dieser rechtlichen Konstruktion, dass sich die Verfassungsbeschwerde direkt auf den angeblich ausbrechenden Akt europäischer Hoheitsgewalt stützt, es also keinen Akt deutscher Hoheitsgewalt gibt (wie in Honeywell), gegen den sich die Beschwerde in dieser Konstellation richtet. In Bezug auf die vorgebrachte faktische Vertragsänderung soll dagegen das Unterlassen eines formalen Vertragsänderungsverfahrens unter Einhaltung der Garantien des Art. 23 GG einen rügefähigen Beschwerdegegenstand darstellen.
Unklar ist auch, ob die Beschwerdeführer beschwerdebefugt sind. Sie berufen sich auf die Verletzung eigener Grundrechte aus Art. 14, 2 GG und insbesondere auf ein Grundrecht auf Teilhabe an demokratischer Legitimation aus Art. 38 GG, welches der zweite Senat in seinem Lissabon Urteil selbst anerkannt habe. Selbst wenn es jedoch ein Grundrecht auf Demokratie gäbe, so fragt sich, durch welche Handlungen es genau verletzt wird, soll es nicht zu einem allgemeinen Recht auf Rechtmäßigkeit werden.
Haushaltsautonomie
Mitglieder des zweiten Senats scheinen die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 38 GG in Erwägung zu ziehen, wenn der Bundestag sich seiner Haushaltsautonomie und damit auch seiner parlamentarischen Verantwortlichkeit für den Haushalt begibt, etwa durch Entscheidungen, die Prozesse auf supra- oder internationaler Ebene in Gang setzen, die der Bundestag allein nicht mehr revidieren kann. So wurde von den Richtern die Frage aufgeworfen, ob es über die ausdrücklich verfassungsrechtlich normierten Grenzen hinaus weitere gäbe, die die parlamentarische Verantwortlichkeit für den Haushalt sicherten.
An dieser Stelle wurden dann auch zwei der zahlreich erschienenen Bundestagsabgeordneten dazu befragt, wie sie selbst die Beherrschbarkeit des Prozesses um weitere Gewährleistungen von Rettungskrediten einschätzten. Die darauf folgende Stellungnahme des Bundestagsabgeordneten Florian Toncar (FDP), Mitglied des Haushaltsausschusses, gehörte zu einer der überzeugendsten des Nachmittags. Eloquent und präzise legte er seine Sicht zur Rolle des Bundestags und die verschiedenen Kontrollmechanismen dar. Es erschienen die Parlamentarier nun plötzlich überhaupt nicht mehr so überrumpelt und hilflos wie noch im Schriftsatz von Murswiek.
Richterliche Zurückhaltung
Bei der Diskussion um die möglichen Spielräume des Bundestags und prozessualen Mechanismen, seine Verantwortlichkeit zu schützen (etwa durch Informationsrechte, Herstellung von Einvernehmen mit der Bundesregierung vor Zustimmung zur Auszahlung weiterer Kredittranchen), wurden zwei weitere Punkte relevant. Zum einen die Frage nach der ökonomischen Alternativlosigkeit der Euro-Rettungsmaßnahmen, zum anderen die nach dem Gebot des „judicial self-restraint“ bzw. dem Einschätzungsspielraum von Bundestag und Bundesregierung zur ökonomischen Gebotenheit der Hilfsmaßnahmen.
Zu Beginn der Verhandlung hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble eindringlich die Dramatik der Situation im Mai 2010 beschworen, als die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands drohte. Die Folgen einer Zahlungsunfähigkeit seien unabsehbar gewesen, Kettenreaktionen hätten gedroht, eine Krise von potentiell größerem Ausmaß als die Finanzkrise von 2008. Über die ökonomische Bewertung lässt sich gewiss streiten, sicher ist aber wohl auch, dass das Bundesverfassungsgericht in diesem Streit nicht Stellung beziehen wird.
Und die Beschwerdeführer werden die Demokratie nicht retten, indem sie ihre Rechte auf Demokratie geltend machen. Dennoch hat dieser Tag gezeigt, dass es Räume gibt in Deutschland, in denen mit großer Ernsthaftigkeit über die rechtliche, politische und ökonomische Bewertung der Krise, wenn nicht gestritten, so doch gesprochen wird. Schade nur, dass diese Räume so klein und oft stickig sind, man sich anmelden und nach Karlsruhe fahren muss, um eine Verhandlung zu erleben. Vielleicht wäre es der Demokratie da tatsächlich noch förderlicher, wenn wir die Verhandlungen in Radio und Fernsehen verfolgen und dann gleich parallel darüber streiten könnten.Einen sehr ernsthaften und erstaunlich wenig polemischen Austausch von Argumenten über die ökonomischen, rechtlichen und politischen Aspekte der Griechenlandhilfe und des Euro-Rettungsschirms habe ich erlebt. Das Bundesverfassungsgericht verkörperte mit den intelligenten und präzisen Fragen der RichterInnen dabei tatsächlich so etwas wie die praktische Vernunft (auch wenn die Aussage Schachtschneiders, es sei die Aufgabe des BVerfG, die praktische Vernunft zu wahren, zu Raunen im sonst so gesitteten Publikum führte) und auch den „wirtschaftlich vorgebildeten Laien“ (wobei das ökonomisch Laienhafte die Vertreter der EZB etwas zu schmerzen schien).
Rechtsdogmatische Erörterungen kamen dabei nicht zu kurz. Sie stellten im Wesentlichen eine Fortführung der Rechtsgespräche vor dem BVerfG zu Lissabon und auch Maastricht dar, wie der Prozessvertreter des Bundestages Franz Mayer bemerkte. Und das sollte es ja auch nur sein: eine Erörterung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausübung hoheitlicher Gewalt durch Bundesregierung und Bundestag, insbesondere die Autorisierung von Gewährleistungen für Kredite an Griechenland und andere Mitgliedstaaten der Eurozone im Rahmen des sogenannten Euro-Rettungsschirms. Außerdem eine Erörterung der Durchsetzbarkeit dieser Vorgaben durch Einzelne, in diesem Fall den CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler, vertreten durch den Staatsrechtsprofessor Dietrich Murswiek und die Klägergruppe um Karl Albrecht Schachtschneider, vertreten durch denselben.
Ökonomie und Verfassungsrecht
Gleich zweimal betonte Senatspräsident Andreas Voßkuhle in seiner Einführung, dass weder die richtige ökonomische Strategie im Umgang mit der Eurokrise noch die Zukunft Europas Gegenstand des Verfahrens seien. Aber natürlich wurden diese Fragen relevant, etwa bei der Interpretation von Art. 125 Abs. 1 AEUV, die oft als „no-bail-out Klausel“ bezeichnet wird, der Frage nach einer faktischen Vertragsänderung, etwa durch Schaffung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), als einer neuen Institution der EU, der Verantwortlichkeit des Bundestags für Entscheidungen im internationalisierten Kontext, den möglichen Alternativen zur Autorisierung von Gewährleistungen für Kredite durch den Bundestag.
Es mögen also die Verfassungsjuristen diese Verhandlung zufrieden zum Anlass genommen haben, sich in der Debatte um die Eurokrise auch als Experten fühlen zu können, doch zeigte die Verhandlung recht schnell, dass eine juristische Entscheidung, die wirtschaftliche und politische Rationalitäten außer Acht lässt, zu keinem befriedigenden Ergebnis führen würde. Man mag zwar die Auffasung nicht teilen, dass was ökonomisch falsch ist, nicht rechtmäßig sein könne (Schachtschneider), aber die Aussage, dass Verfassungsrecht in Zeiten der Globalisierung nur begrenzt kontrafaktisch wirken könne, die Mayer zu seinem Schlusswort machte, wird nicht auf sehr viel Widerstand stoßen.
Möglicherweise unzulässig
Allerdings erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass das Gericht die Beschwerden für unzulässig halten wird. Problematisch ist zum einen, ob Akte der EU wie die Verordnung 407/2010, welche den Europäischen Stabilisierungsmechanismus etabliert, oder die Ankäufe von Staatsanleihen durch die EZB überhaupt rügefähig sind. Das gilt auch für die Mitwirkung der Bundesregierung an Rechtsakten des Rats der Europäischen Union oder ihre Zustimmung zu intergouvernementalen Vereinbarungen, wie die über die Schaffung der EFSF.
Was die Rügefähigkeit der EU-Rechtsakte betrifft, stützen sich die Beschwerdeführer auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in Maastricht und Lissabon zu ultra-vires-Akten und deren Konkretisierung im Honeywell-Beschluss. So argumentiert Murswiek, dass die Finanzhilfen einen evidenten Verstoß gegen Art. 125 AEUV darstellten. Da es sich bei dem bail-out-Verbot um ein fundamentales Prinzip der Währungsunion handele, und diese sich durch die bail-outs von einer Stabilitäts- zu einer Transferunion wandele, handle es sich nicht nur um einen evidenten, sondern auch um einen Verstoß mit strukturellen Folgen. Verordnung 407/2010 sei damit ein ultra-vires-Akt der EU in Überschreitung ihrer Kompetenzen, der nicht mehr vom Zustimmungsgesetz gedeckt und damit nicht demokratisch legitimiert sei. Dies könne das BVerfG feststellen.
Vorlage zum EuGH?
Überraschend an den Ausführungen Murswieks war allerdings, dass er selbst es war, der vorschlug, das BVerfG solle, bevor es eine solche Prüfung vornehme, die Frage der Europarechtskonformität der Verordnung dem EuGH zur Entscheidung vorlegen, bevor es selbst diese Prüfung vornehme. Sein Argument: So demonstriere es Europafreundlichkeit. Problematisch bleibt bei dieser rechtlichen Konstruktion, dass sich die Verfassungsbeschwerde direkt auf den angeblich ausbrechenden Akt europäischer Hoheitsgewalt stützt, es also keinen Akt deutscher Hoheitsgewalt gibt (wie in Honeywell), gegen den sich die Beschwerde in dieser Konstellation richtet. In Bezug auf die vorgebrachte faktische Vertragsänderung soll dagegen das Unterlassen eines formalen Vertragsänderungsverfahrens unter Einhaltung der Garantien des Art. 23 GG einen rügefähigen Beschwerdegegenstand darstellen.
Unklar ist auch, ob die Beschwerdeführer beschwerdebefugt sind. Sie berufen sich auf die Verletzung eigener Grundrechte aus Art. 14, 2 GG und insbesondere auf ein Grundrecht auf Teilhabe an demokratischer Legitimation aus Art. 38 GG, welches der zweite Senat in seinem Lissabon Urteil selbst anerkannt habe. Selbst wenn es jedoch ein Grundrecht auf Demokratie gäbe, so fragt sich, durch welche Handlungen es genau verletzt wird, soll es nicht zu einem allgemeinen Recht auf Rechtmäßigkeit werden.
Haushaltsautonomie
Mitglieder des zweiten Senats scheinen die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 38 GG in Erwägung zu ziehen, wenn der Bundestag sich seiner Haushaltsautonomie und damit auch seiner parlamentarischen Verantwortlichkeit für den Haushalt begibt, etwa durch Entscheidungen, die Prozesse auf supra- oder internationaler Ebene in Gang setzen, die der Bundestag allein nicht mehr revidieren kann. So wurde von den Richtern die Frage aufgeworfen, ob es über die ausdrücklich verfassungsrechtlich normierten Grenzen hinaus weitere gäbe, die die parlamentarische Verantwortlichkeit für den Haushalt sicherten.
An dieser Stelle wurden dann auch zwei der zahlreich erschienenen Bundestagsabgeordneten dazu befragt, wie sie selbst die Beherrschbarkeit des Prozesses um weitere Gewährleistungen von Rettungskrediten einschätzten. Die darauf folgende Stellungnahme des Bundestagsabgeordneten Florian Toncar (FDP), Mitglied des Haushaltsausschusses, gehörte zu einer der überzeugendsten des Nachmittags. Eloquent und präzise legte er seine Sicht zur Rolle des Bundestags und die verschiedenen Kontrollmechanismen dar. Es erschienen die Parlamentarier nun plötzlich überhaupt nicht mehr so überrumpelt und hilflos wie noch im Schriftsatz von Murswiek.
Richterliche Zurückhaltung
Bei der Diskussion um die möglichen Spielräume des Bundestags und prozessualen Mechanismen, seine Verantwortlichkeit zu schützen (etwa durch Informationsrechte, Herstellung von Einvernehmen mit der Bundesregierung vor Zustimmung zur Auszahlung weiterer Kredittranchen), wurden zwei weitere Punkte relevant. Zum einen die Frage nach der ökonomischen Alternativlosigkeit der Euro-Rettungsmaßnahmen, zum anderen die nach dem Gebot des „judicial self-restraint“ bzw. dem Einschätzungsspielraum von Bundestag und Bundesregierung zur ökonomischen Gebotenheit der Hilfsmaßnahmen.
Zu Beginn der Verhandlung hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble eindringlich die Dramatik der Situation im Mai 2010 beschworen, als die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands drohte. Die Folgen einer Zahlungsunfähigkeit seien unabsehbar gewesen, Kettenreaktionen hätten gedroht, eine Krise von potentiell größerem Ausmaß als die Finanzkrise von 2008. Über die ökonomische Bewertung lässt sich gewiss streiten, sicher ist aber wohl auch, dass das Bundesverfassungsgericht in diesem Streit nicht Stellung beziehen wird.
Und die Beschwerdeführer werden die Demokratie nicht retten, indem sie ihre Rechte auf Demokratie geltend machen. Dennoch hat dieser Tag gezeigt, dass es Räume gibt in Deutschland, in denen mit großer Ernsthaftigkeit über die rechtliche, politische und ökonomische Bewertung der Krise, wenn nicht gestritten, so doch gesprochen wird. Schade nur, dass diese Räume so klein und oft stickig sind, man sich anmelden und nach Karlsruhe fahren muss, um eine Verhandlung zu erleben. Vielleicht wäre es der Demokratie da tatsächlich noch förderlicher, wenn wir die Verhandlungen in Radio und Fernsehen verfolgen und dann gleich parallel darüber streiten könnten.
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