Progressive Reform mit regressiven Untertönen
Der Gesetzentwurf zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts
Die Passagen im Koalitionsvertrag der Ampel zum Staatsangehörigkeitsrecht ließen aufhorchen (s. hierzu hier und hier und hier und hier). Schickt sich die Ampel hier an, die unter Rot-Grün begonnene, aber dann doch nur halb durchgeführte Staatsangehörigkeitsreform zu vollenden? Nach Lektüre des kürzlich veröffentlichten Referentenentwurfs des Gesetzes zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts lautet die Antwort: Vieles wird besser, manches wird schlechter, und von einem Staatsangehörigkeitsrecht, das den Realitäten der Postmigrantionsgesellschaft gerecht wird, kann immer noch keine Rede sein.
Rechtsrealismus postmigrantisch
Seit Jahrzehnten wächst die demokratische Lücke zwischen Wohn- und Wahlbevölkerung, und seit fast 25 Jahren scheitern alle Versuche, sie zu schließen. Die Zahl der Nettozuwanderer*innen über steigt die der jährlichen Einbürgerungen um mehr als das Drei-bis Vierfache.
Man kann dem jetzt vorgelegten Entwurf durchaus attestieren, dass er erkennbar anstrebt, die demokratische Funktion, die dem Staatsangehörigkeitsrecht in der Postmigrationsgesellschaft zukommt, zu aktualisieren. Vor allem schneidetder Entwurf aller reflexhaften Kritik zum Trotz einen alten Zopf des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts recht gründlich ab: Viel zu lange hielt sich in Deutschland die in Europa, aber auch international und völkerrechtlich überholte „Übeltheorie“, nach der Mehrstaatigkeit per se von Übel und unbedingt zu vermeiden sei. Die Vermeidung dieses Übels wurde historisch zunächst auf dem Rücken der Frau ausgetragen, die durch Heirat eines Ausländers bis ins anfangende 20. Jahrhundert in fast allen Ländern der Welt automatisch ihre Staatsangehörigkeit verloren.1)
Im geltenden Staatsangehörigkeitsrecht findet faktisch eine Differenzierung nach Herkunftsstaaten statt. Manche Herkunftsstaaten entlassen ihre Staatsangehörigen nicht (derzeit insbesondere relevant für Syrien und Afghanistan), bei EU-Staaten wird Mehrstaatigkeit aus europapolitischen Gründen akzeptiert. Zuletzt wurden fast 70 Prozent der Einbürgerungen unter Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit vorgenommen, was aber nicht auf eine liberale Einbürgerungspraxis, sondern auf eine einbürgerungsrechtliche Segregation hinweist. Im Jargon des Einbürgerungsrechts wird auch vom „Anti-Türken-Gesetz“ gesprochen, weil es insbesondere die größte Migrant*innengruppe in Deutschland ist, von der (abgesehen von wenigen anerkannten Flüchtlingen) ausnahmslos die Aufgabe ihrer türkischen Staatsangehörigkeit für die Einbürgerung in Deutschland verlangt wird.
Die Akzeptanz der Mehrstaatigkeit eröffnet die Chance zu einem postmigrantischen Staatsbürgerschaftsverständnis, in dem sich Angestammte wie Hinzukommende wiederfinden könnten. In der Praxis führt sie allen Unkenrufen zum Trotz in aller Regel zu keinen nennenswerten Problemen, kann aber dazu beitragen, migrantische Realität nicht nur hinzunehmen, sondern anzuerkennen und wertzuschätzen und das nicht nur, wenn eine besonders qualifizierte Fachkraft dringend angeworben werden soll.
Schneller deutsch
Ein großer Schritt in die richtige Richtung ist auch die Verkürzung der für die Einbürgerung von erforderlichen Aufenthaltszeiten von jetzt im Regelfall acht auf fünf Jahre. Dadurch kommt es im Normalfall zum Gleichlauf mit der in Deutschland erforderlichen Aufenthaltszeit für ein Daueraufenthaltsrecht. Der Schritt impliziert das Angebot und, bei entsprechender politischer Kommunikation, das Werben dafür, dass Migrant*innen sich nicht erst in einem ausländerrechtlichen Daueraufenthaltsstatus einrichten, sondern dass der politisch gewünschte Normalverlauf einer absehbar dauerhaften Migration so bald wie möglich zu einer Einbürgerung führt.
Bei besonderen Integrationsleistungen wie besonders guten schulischen oder beruflichen Leistungen oder bei bürgerschaftlichem Engagement verkürzt sich die Frist auf drei Jahre statt wie bisher sechs bzw. sieben Jahre. Solche Belohnungen mit weiten Ermessenspielräumen für die Behörden sind aber der mit einem demokratischen Verständnis von Staatsangehörigkeit fundamental verbundenen Idee gleichberechtigter Zugehörigkeit eher fremd. Jedenfalls wäre es wünschenswert, wenn der Gesetzgeber hier klarere Kriterien vorgeben würde, die zumindest einen Regelanspruch gewährleisteten.
Wertschätzen statt nationaler Biopolitik
Diese Erleichterungen haben das Potential, dass Deutschland endlich die Tradition hinter sich lässt, wie schon in der Weimarer Zeit Einbürgerung mit Selektion zu verknüpfen, woran die Rechtsprechung in der Bundesrepublik in terminologischer Kontinuität anschloss. Das Bundesverwaltungsgericht verlangte 1957 von der zuständigen Behörde, „nicht nur zu prüfen, ob der Bewerber um die deutsche Staatsangehörigkeit nach seinen persönlichen Verhältnissen einen wertvollen Bevölkerungszuwachs darstellt, sondern auch ob seine Einbürgerung unabhängig von seiner Person nach allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gesichtspunkten erwünscht ist“ (I C 165.55, Rn. 16). Diese Formel findet sich noch bis in die 2000er Jahre in der Rechtsprechung (z.B. VG Dessau vom 6. März 2007, Az.: 3 A 391/05, Rn. 19) und wirft bis heute Schatten auf die Haltung mancher Behörden und Gerichte zur Einbürgerung.
Auch wenn damit zu rechnen ist, dass allein durch die Zulassung der Mehrstaatigkeit die Einbürgerungszahlen durch Nachholeffekte steigen werden, so zeigen die vielfach relativ niedrigen Einbürgerungszahlen von Unionsbüger*innen, dass es mehr braucht, um die demokratische Lücke zu schließen. Es bedarf einer Ansprache, in der sich die potenziellen Neubürger*innen wertgeschätzt fühlen und nicht das Gefühl haben, sich einem von Misstrauen geprägten Prüfungsprozess unterziehen zu müssen. Es geht dabei nicht darum, dass Einbürgerungen voraussetzungslos sein sollten, aber dass die Kriterien mit Augenmaß gebildet werden und möglichst wenig Wertungsspielräume für die Einbürgerungsbehörden enthalten. Die Betroffenen reagieren nachvollziehbarerweise höchst sensibel darauf, wenn sie mehr oder weniger dem guten Willen von Behördenmitarbeiter*innen ausgeliefert sind. Jedenfalls Drittstaatsangehörigen sitzen nicht selten als höchst hierarchisch erlebte Besuche bei der Ausländerbehörde in den Knochen.
Zu einem etwas gemischten Bild führt es daher, dass der gegenwärtige Entwurf jenseits der der Zulassung von Mehrstaatigkeit und der Verkürzung der erforderlichen Aufenthaltszeiten, allenfalls noch zaghafte Reformansätze und sogar einigen Verschärfungen des bestehenden Einbürgerungsrechts enthält.
Deutschkenntnisse und schmale Lippen
Im Koalitionsvertrag findet sich die Aussage, dass für die sogenannte Gastarbeitergeneration das nachzuweisende Sprachniveau (gemeint sind Deutschkenntnisse) gesenkt werden solle, weil deren Integration lange Zeit nicht unterstützt wurde. Dieser begrüßenswerte Impuls wurde jetzt aber in seiner denkbar schmallippigsten Variante umgesetzt. Verzichtet werden soll lediglich auf die schriftlichen Deutschkenntnisse (mündliche Kenntnisse werden weiterhin geprüft) und zwar nur für ehemalige Gastarbeiter, die 67 Jahre oder älter sind. Als einzige Erweiterung sind die Vertragsarbeitnehmer*innen der DDR vorgesehen.
Wie schmal dieses Zugeständnis ist, zeigt sich zum einen daran, dass in Kanada, das in puncto Fachkräfteeinwanderung gern als Vorbild bemüht wird, Menschen ab 55 Jahren von einem Nachweis von Englisch- oder Französischkenntnissen ebenso wie von einem Einbürgerungstest ganz befreit sind. Hinzu kommt, dass manche Bundesländer bereits jetzt eine Ausnahmemöglichkeit nutzen und von Personen ab 65 weder einen schriftlichen noch einen mündlichen Deutschnachweis mehr verlangen (z.B. hier Ziff. 10.6). Hier hat der Entwurf offenbar weniger die Praxis als politische Stimmungen im Blick.
Unsozial bei der Lebensunterhaltssicherung
Die bemerkenswerteste Verschärfung enthält der neue Entwurf bei der Lebensunterhaltssicherung. Dieser Punkt war weder im Koalitionsvertrag noch in dem ersten BMI-Entwurf im Herbst vergangenen Jahres enthalten. Anders als einige europäische Staaten und Kanada, wo nur das Begleichen der Steuerschuld verlangt wird, fordert Deutschland auch jetzt schon in § 10 Abs. 1 Nr. 3 StAG, dass Einzubürgernde „den Lebensunterhalt für sich und (ihre) unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten“ können. Das geltende Recht stellt dies allerdings unter den Vorbehalt, dass der Leistungsbezug nicht zu vertreten ist. Demgegenüber soll es nach dem neuen Entwurf nur noch drei Ausnahmekonstellationen geben: Gastarbeiter*innen und Vertragsarbeitnehmer*innen, Personen, die in den letzten 24 Monaten 20 Monate vollzeitbeschäftigt waren, und schließlich Ehegatt*innen oder eingetragene Lebenspartner*innen einer aus der vorgenannten Gruppe, wenn sein sie mit einem minderjährigen Kind in familiärer Gemeinschaft leben.
Hier stellen sich offensichtlich umgehend gleichheitsrechtliche Fragen. Was ist mit Rentner*innen, die (aufstockende) Grundsicherung erhalten und damit gänzlich von der Einbürgerung ausgeschlossen sind? Was ist mit Menschen mit Behinderungen? Wurde hier Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG bzw. die UN-Behindertenrechtskonvention bedacht? Bei Alleinerziehenden oder Pflegenden drängt sich ein Problem mit Art. 3 Abs. 2 GG auf, da es überproportional Frauen treffen dürfte, denen dann nicht nur kurzfristig der Zugang zur demokratischen Teilhabe verwehrt bleiben würde.
In der Begründung findet sich nicht einmal der Ansatz einer Argumentation, die diese Engführung von Ausnahmen gleichheitsrechtlich plausibel machen könnte. All diese auf der Hand liegenden Bedenken wurden offensichtlich um der politischen Botschaft willen („keine Einwanderung (sic!) in die sozialen Sicherungssysteme“) verdrängt. Verstärkt wird dieser Eindruck noch dadurch, dass bereits nach geltendem Recht die Ausnahmemöglichkeiten von der Praxis sehr restriktiv ausgelegt werden, da eine Prognose der Lebensunterhaltssicherung gefordert wird, die Menschen ohne unbefristete Anstellung oder Solo-Selbständige mit geringem Einkommen allenfalls mit großen Schwierigkeiten nach aufwändiger Prüfung nachweisen können (hier).
Unmittelbare Grundrechtsverpflichtung für Einzubürgernde?
Seit 2019 wird bei allen Einbürgerungen verlangt, dass die „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ gewährleistet ist. Diese Formel stammt aus den vormodernen Zeiten des Staatsangehörigkeitsrechts, als es noch keinen (generellen) Rechtsanspruch auf Einbürgerung gab, sondern Einbürgerungen in erster Linie durch nicht verbindliche Einbürgerungs-Richtlinien (restriktiv) gesteuert wurden. Auf Basis der Einordungs-Formel wurden u.a. Deutschkenntnisse und die geforderte Aufenthaltsdauer verlangt, aber auch, dass Einbürgerungsbewerber keine Mehrehe führen.2)
Letzteres war nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2018 auch der Anlass, die alte Formel, die im Rahmen der privilegierten, sogenannten Ehegatteneinbürgerung alle bisherigen Modernisierungen des Staatsangehörigkeitsrechts fast unbemerkt überdauert hatte, ins Zentrum des Einbürgerungsrechts zu rücken und nun für alle Einbürgerungstatbestände ins Gesetz zu schreiben. Denn der Gesetzgeber des 3. Staatsangehörigkeitsänderungsgesetzes meinte, anders Einbürgerungen bei in Deutschland wirksamen Mehrehen nicht verhindern zu können. Schon vor seiner Verabschiedung wurde davor gewarnt, dass die Nutzung dieser Formel eine Brückenfunktion zum alten kulturalistisch geprägten Recht der Einbürgerungs-Richtlinien haben könnte (hier und hier).
Und es zeigte sich auch recht schnell, dass die Sorge vor einem neuen Kulturvorbehalt für Einbürgerungen nicht unbegründet war. So wurde mit der Einordungs-Formel Einbürgerungen von Personen ausgeschlossen, die Personen anderen Geschlechts aus religiösen Gründen nicht die Hand zur Begrüßung geben. Es tauchten unter der Formel aber auch schnell Versatzstücke aus der Zeit der Einbürgerungs-Richtlinien auf wie die Aussage, dass eine Einordnung wegen einer deutschen Ehefrau und einem deutschen Kind gegeben sei, oder dass ein Einbürgerungsbewerber seinem Heimatland noch nicht vollständig „entrückt und faktisch zu einem Inländer“ geworden sei.3)
Diese sehr elastische Formel will die Koalition laut Koalitionsvertrag durch „klare Regeln“ ersetzen. Herausgekommen ist dabei allerdings eine Regelung, die zwar die angestaubte Terminologie der Einbürgerungs-Richtlinien hinter sich lässt, aber klare Regeln weiterhin vermissen lässt. Eine Einbürgerung soll nämlich nunmehr ausgeschlossen sein, wenn „der Ausländer durch sein Verhalten zeigt, dass er die im Grundgesetz festgelegte Gleichberechtigung von Mann und Frau missachtet.“ Bei dieser wiederum fast wörtlich aus der bereits erwähnten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts entlehnten Formel zeigt sich ein konzeptionelles Grundproblem des derzeitigen Entwurfs.
Ein zentraler politischer Begründungsstrang ist es nämlich, die Einbürgerung von der Akzeptanz von Werten abhängig zu machen, wie es u.a. Bundesinnenministerin Nancy Faeser in der Pressemitteilung zur Veröffentlichung des aktuellen Entwurfs formuliert hat: „Wer unsere Werte nicht teilt, kann nicht Deutscher werden.“ Die Berufung auf geteilte Werte ist als politische Aussage unproblematisch, als rechtliche Voraussetzung führt sie aber schnell auf dünnes Eis. Denn der pluralistische Rechtsstaat zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er Werte nicht vorschreibt, wiewohl er für sie wirbt und (auch) von ihnen lebt. Rechtliche Verbindlichkeit kann im pluralistischen Rechtsstaat nur das allgemeine Gesetz verlangen.
Die Berufung auf die in Art. 3 Abs. 2 GG garantierte Gleichberechtigung ist natürlich als politisches Anliegen über jeden Zweifel erhaben. Die gesetzgeberische Umsetzung bleibt dennoch höchst fragwürdig, denn im Grunde wird hier eine unmittelbare Bindung der Einbürgerungsbewerber an die Grundrechte oder, was im Ergebnis auf das gleiche hinausläuft, grundrechtlicher Werte statuiert. Dabei ist nicht nur höchst fraglich, wie das praktisch auch nur einigermaßen einheitlich ausgelegt werden soll zwischen Hamburg und Passau. Die konzeptionelle Unausgegorenheit zeigt sich daran, dass hier – im Namen geteilter Werte – eine Art unmittelbarer Grundrechtswerteverpflichtung für Einzubürgernde aufgemacht wird, wie sie für alle anderen deutschen Staatsangehörigen so eben nicht gilt. Und dabei drängt sich die Frage auf, ob hier nicht in der Praxis die Gefahr eines anti-muslimischen racial profiling im Einbürgerungsrecht wie einst unter dem sogenannten Muslim-Test in Baden-Württemberg entstehen könnte. Diese Art von doppelten Standards werden jedenfalls sehr genau registriert und könnten weiter Zweifel nähren, ob man hier wirklich gewollt ist.
Eine Norm auf der Suche nach ihrer Anwendung
Auch im Sicherheitsbereich gibt es Irritierendes. Erst 2021 wurde eine Regelung eingefügt, die sonst eigentlich unerhebliche Bagatellstraftaten (bis zu 90 Tagessätze) zum Ausschlussgrund für eine Einbürgerung macht, wenn das Gericht antisemitische, rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe nach § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB festgestellt hat (§ 12a Abs. 1 Satz 2 StAG). Der jetzige Entwurf sieht nur eine verfahrensmäßige Flankierung dieses Ausschlussgrundes vor. Die Einbürgerungsbehörden sollen verpflichtet werden, bei einem Katalog von über 20 Straftatbeständen (u.a. Nötigung, Sachbeschädigung und Beleidigung) bei Bagatellstraftaten die Staatsanwaltschaften aufzufordern, die jeweiligen Urteile daraufhin zu überprüfen, ob dort entsprechende Beweggründe festgestellt wurden.
Einem fachlich dringenden Bedürfnis scheint dieser Schritt kaum geschuldet. Zumindest in der Datenbank Juris findet sich nach wie vor überhaupt nur eine Entscheidung, in der Feststellungen im oben genannten Sinne getroffen wurden (dazu bereits hier). Es mag zwar sein, dass die Vorschrift zur Konkretisierung der Strafzumessung, die 2015 eingeführt und 2021 um antisemische Beweggründe erweitert wurde, in Zukunft praktische Bedeutung erfahren wird (wobei grundsätzlich fraglich ist, ob dies im Bereich von Bestrafungen im Bagatellbereich der Fall sein wird). Hier wäre es dann aber angezeigt, zunächst die Entwicklung zu beobachten und dann ggf. gesetzgeberisch darauf zu reagieren.
Staatsbürgerschaft der postmigrantischen Gesellschaft
Eigentlich setzt der Gesetzentwurf zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts dazu an, die Vorstellungen kultureller Homogenität, die so lange das deutsche Staatsangehörigkeit belastet haben und heute noch in seinen schattigeren Winkeln immer wieder zu finden sind, endlich hinter sich zu lassen. Mehrstaatigkeit nicht mehr nur noch wohl oder übel (!) in Ausnahmefällen hinzunehmen, sondern zur legitimen Regel auszurufen, ist weit mehr als nur der Abbau praktischer Einbürgerungshürden. Dieses Mehr an Einlösung des demokratischen Versprechens gleicher Teilhabe (vgl. hier) muss sich derzeit aber noch gegen Unterströmungen des politischen Botschaftsmanagements behaupten. Es bleibt zu hoffen, dass problematische Kontersignale einer doch wieder auf Homogenität ausgerichteten nationalen Identitätspolitik alter Prägung, wenn auch neuerdings im Gewand der „geteilten Werte“, im weiteren Gesetzgebungsverfahren aufgefangen werden. So könnte eine Konzeption der Staatsbürgerschaft formuliert werden, in der sich die Angestammten und immer Dazukommenden in der postmigrantischen Gesellschaft als Gleiche wiederfinden.
References
↑1 | Hierzu Nicholas Courtman/Tarik Tabbara, Wiedergutmachung im Staatsangehörigkeitsrecht: Zu gesetzlichen Änderungen in Bezug auf NS-Unrecht und Geschlechterdiskriminierung, Asylmagazin, 2022, S. 145, 150 f. |
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↑2 | Tarik Tabbara, Zur Gewährleistung der Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse als Einbürgerungsvoraussetzung: Anzeichen in der Praxis für einen allgemeinen Kulturvorbehalt für Einbürgerungen, Die öffentliche Verwaltung (DÖV) 2023, Heft 5, S. 185-195. |
↑3 | Tarik Tabbara, Zur Gewährleistung der Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse als Einbürgerungsvoraussetzung: Anzeichen in der Praxis für einen allgemeinen Kulturvorbehalt für Einbürgerungen, Die öffentliche Verwaltung (DÖV) 2023, Heft 5, S. 185, 191-194. |