Der falsche Weg
Warum eine Reformidee der Landesjustizminsterkonferenz zum Ausschluss rechter Referendar:innen die freie Advokatur bedroht
Jüngst hat das VG Dresden den rechten Referendar Matthias B. zum Examen zugelassen (Urt. v. 04.04.2023, Az.: 11 K 1918/21). Diesen Weg hatte ihm der Sächsische Verfassungsgerichtshof mit seinen argumentationsgleichen Entscheidungen aus dem Oktober und November 2021 sowie Oktober 2022 geebnet. Um ihn wieder zu schließen, strengt die Landesjustizministerkonferenz Berichten zufolge nun eine Reform der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) an. Damit legt die Ministerkonferenz die Axt an die freie Advokatur an und leistet einen Bärendienst im Kampf gegen Rechts.
Der Fall „Rechtsreferendar III. Weg“ kommt zum Abschluss
Mit der Entscheidung des VG Dresden kommt ein langer und gewundener Weg eines extrem rechten Bewerbers durch die Bundesländer und Instanzen an sein Ende. Angetreten hat Matthias B. ihn als Kader der Kleinstpartei „III. Weg“ in Bayern. Ihm wurde deswegen in Bayern, Thüringen und Sachsen als Verfassungsfeind der Zugang zum Referendariat verweigert, was von den Oberverwaltungsgerichten aller drei Bundesländer gehalten wurde. Nachdem das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung annahm, schlug der Verfassungsgerichtshof Sachsen im Oktober 2021 einen Sonderweg ein und erklärte den Ausschluss für unvereinbar mit der Berufs- und Ausbildungsfreiheit in Art. 28 I und 29 der Sächsischen Verfassung.
Das Land Sachsen hatte kurz zuvor die Zugangshürden in § 8 Juristenausbildungsgesetz Sachsen angehoben, da Brian E., ein anderer extrem rechter Referendar nicht ausgeschlossen wurde, obwohl er als Teilnehmer eines Angriffs von 200 rechten Hooligans auf den Szenestadteil Connewitz teilgenommen hatte (Maren Diener in der KJ). Der Sächsische Verfassungsgerichtshof ließ die Gesetzesreform nun leerlaufen: Weil nach § 7 S. 1 Nr. 6 BRAO die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erst zu versagen ist, wenn die antragstellende Person die freiheitlich demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpft, dürften für den juristischen Vorbereitungsdienst – als notwendigen und staatlich monopolisierten Zwischenschritt – keine höheren Zulassungshürden gelten. Damit wich der Sächsische Verfassungsgerichtshof sowohl von der alten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ab (Jonas Deyda auf dem Verfassungsblog), als auch von der jüngsten Entscheidung des VGH Bayern (Katharina Uharek auf lto). Thorsten von Roetteken vertrat sogar die Auffassung, dass eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 III Alt. 1 GG vor das Bundesverfassungsgericht hätte erfolgen müssen (jurisPR-ArbR 2/2022; ähnlich Klaus Ferdinand Gärditz auf lto). Dafür müsste allerdings geklärt werden, inwieweit nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus den 1970ern wiederum im Widerspruch mit der späteren EGMR-Rechtsprechung zum Schutz legaler Parteitätigkeit steht. Zwischen Matthias B. und dem Freistaat folgten zwar noch kleinere Scharmützel, an deren Ende das OLG Dresden entschied, dass es zulässig war, Matthias B. die Anwaltsstation beim rechten Szeneanwalt Martin K. aus Chemnitz zu verbieten (lto). Die Sache war aber entschieden: In Sachsen dürfen auch überzeugte Neonazis den juristischen Vorbereitungsdienst verrichten. Dies hat jetzt auch das VG Dresden zähneknirschend anerkannt und damit den Fall zum Abschluss gebracht
Ein sächsischer Sonderweg zieht seine Kreise
Die Landesjustizministerkonferenz will es bei diesem Ergebnis aber nicht bewenden lassen. Markus Sehl berichtet auf lto, dass die Landesjustizministerkonferenz eine Reform der BRAO angeregt hat, um dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof sein Argument aus der Hand zu schlagen, dass vom Vorbereitungsdienst nicht ausgeschlossen werden kann, wer zur Anwaltschaft zugelassen werden müsste. So soll entweder statt der strafbaren Bekämpfung schon jede Bekämpfung der freiheitlich demokratischen Grundordnung die Zulassung ausschließen oder ausdrücklich klargestellt werden, dass die Zulassungsregeln zum Vorbereitungsdienst nicht von der BRAO berührt werden. Markus Sehl weist richtigerweise darauf hin, dass in der verfassungsrechtlichen Argumentation die Zulassungshürden zum Vorbereitungsdienst an den Zulassungshürden für die Anwaltschaft hängen. Im Lichte der Ausbildungsfreiheit würde also nur eine Absenkung der Ausschlusshürden in der BRAO auf den Vorbereitungsdienst durchschlagen. Das aber würde die freie Advokatur aushöhlen.
Axt an der freien Advokatur
Die Anwaltschaft erweist gerade in ihrer Unabhängigkeit der Verfassung ihren Dienst. Auch eine „Treuepflicht light“ ist damit nicht vereinbar. Das Bundesverfassungsgericht hat zuletzt 2007 diesen Grundsatz der freien Advokatur in einer Auslegung von Art. 12 GG ausbuchstabiert, als es darüber zu entscheiden hatte, ob ein Kirchenbeamter auf Lebenszeit zugleich als Anwalt tätig sein kann:
„Die anwaltliche Berufsausübung, die durch den Grundsatz der freien Advokatur gekennzeichnet ist, unterliegt unter der Herrschaft des Grundgesetzes der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des einzelnen Rechtsanwalts. Der Schutz der anwaltlichen Berufsausübung vor staatlicher Kontrolle und Bevormundung liegt dabei nicht allein im individuellen Interesse des einzelnen Rechtsanwalts oder des einzelnen Rechtsuchenden, sondern auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und rechtsstaatlich geordneten Rechtspflege (vgl. BVerfGE 110, 226 <251 f.> m.w.N.). Die Herauslösung des Anwaltsberufs aus beamtenähnlichen Bindungen und seine Anerkennung als ein vom Staat unabhängiger freier Beruf kann als ein wesentliches Element des Bemühens um rechtsstaatliche Begrenzung der staatlichen Macht angesehen werden (vgl. BVerfGE 63, 266 <284>).“ (BVerfG, Beschluss vom15. März 2007 – 1 BvR 1887/06)
Die freie Advokatur lebt also nicht zuletzt von der klaren Abgrenzung zu beamtenähnlichen Bindungen. Das drückt sich auch in der BRAO aus, die in § 14 II NR. 5 den Widerruf der Anwaltszulassung vorsieht, falls die Anwält:in zur Beamt:in auf Lebenszeit ernannt wird. Die beamtenrechtliche Abhängigkeit vom Staat, von der die Anwaltschaft freizuhalten ist, hat dabei viele Gesichter: Dienstaufsicht, Gehorsamspflicht oder Disziplinargewalt. Aber auch die politische Treuepflicht, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung Gewähr zu bieten, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 V GG. In der berühmt-berüchtigten „Extremistenbeschluss“-Entscheidung von 1975 erklärte das Bundesverfassungsgericht die politische Treuepflicht zum Kern der Treuepflicht des Beamten:
„Politische Treuepflicht bewährt sich in Krisenzeiten und in ernsthaften Konfliktsituationen, in denen der Staat darauf angewiesen ist, daß der Beamte Partei für ihn ergreift. Der Staat – und das heißt hier konkreter, jede verfassungsmäßige Regierung und die Bürger – muß sich darauf verlassen können, daß der Beamte in seiner Amtsführung Verantwortung für diesen Staat, für “seinen” Staat zu tragen bereit ist, daß er sich in dem Staat, dem er dienen soll, zu Hause fühlt – jetzt und jederzeit und nicht erst, wenn die von ihm erstrebten Veränderungen durch entsprechende Verfassungsänderungen verwirklicht worden sind.“
Diese Passage legt offen, aus welcher obrigkeitsstaatlichen Gedankenwelt die politische Treuepflicht entsprungen ist. Verfassungstreue meinte in erster Linie Staatstreue. Die Anwaltschaft hat hingegen die Aufgabe, die Rechte ihrer Mandantschaft gegen den Staat zu verteidigen – gerade in Krisenzeiten. Auch wenn sich das Verständnis der Treuepflicht seit den 1970ern verändert haben mag, ist sie immer noch in Art. 33 V GG angesiedelt. Anwält:innen stehen aber auch im Unterschied zu Referendar:innen nicht im Staatsdienst. Eine Annäherung der Ausschlussgründe in der BRAO an dieses Leitbild stünde also in einem deutlichen Konflikt mit der freien Advokatur. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht 1983 im Falle eines Anwalts so gesehen, der zugleich Mitglied im Kommunistischen Bund Westdeutschland war: „Ebenso wie bei anderen freiberuflichen Tätigkeiten (vgl. dazu BVerfGE 39, 334 (373)) wäre es auch im Anwaltsrecht nicht statthaft, unter Einschränkung der Freiheitsgarantie des Art. 12 Abs. 1 GG die für staatliche Bedienstete aus Art. 33 Abs. 5 GG hergeleiteten Grundsätze in irgendeiner Weise anzuwenden.“
Treuepflicht der Anwaltschaft verfassungsrechtlich bedenklich
Bundesverfassungsrichter Helmut Simon verneinte damals in einem Sondervotum auch die vom Senat offen gelassene Frage, ob es überhaupt verfassungsrechtlich möglich sei vom Anwalt eine Verfassungstreue unterhalb der Strafbarkeitsschwelle einzufordern: „er schuldet aber keine weitergehende politische Loyalität gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung als jeder Staatsbürger, und zwar weder nach seiner Zulassung zum freien Anwaltsberuf noch erst recht als Bewerber für diesen Beruf.“
Diesen Bedenken ist zuzustimmen, denn es handelt sich bei der freiheitlich demokratischen Grundordnung um einen äußerst dehn- und wandelbaren Verfassungsbegriff mit einer langen Geschichte der Instrumentalisierung (vgl. Sarah Schulz). Obendrein unterliegt er einer starken faktischen Definitionsmacht der Verfassungsschutzämter und damit gerade jenes Teils des Staates, von dem die Anwaltschaft unabhängig sein soll. Ein Bedenken vor „Gesinnungsschnüffelei“ und „nicht recht justiziablen“ Normen teilte auch schon 1959 der Rechtsausschuss des Bundestags, weswegen er die Hürde der Strafbarkeit in die BRAO einfügte.
Zum bisherigen Normbestand in der BRAO läge die Einfügung einer Verfassungstreuepflicht unterhalb der Strafbarkeitsschwelle ebenfalls quer. Denn der nachträgliche Verlust der Anwaltszulassung könnte bisher höchstens Fälle der strafbaren Verfassungsfeindlichkeit erfassen. Bei einer Mindestfreiheitsstrafe muss der Widerruf zwingend nach § 14 II Nr. 1 BRAO erfolgen. Bei außerberuflichen strafbaren oder ordnungswidrigem Verhalten kann in bestimmten Fällen der Ausschluss durch das Anwaltsgericht nach §§ 113 II, 114 I Nr. 5 BRAO erfolgen. Eine Aufweichung zu Zulassungsversagung oder gar Anpassung der nachträglichen Ausschlussgründe wäre daher absolut systemwidrig.
Eine Grundfeste der freien Advokatur ist die glasklare Trennung zwischen den Taten und Motiven der Mandant:innen und der anwaltlichen Vertretung oder Verteidigung. Nur eine tatbestandlich bestimmte Hürde wie die der Strafbarkeit kann sicherstellen, dass Anwält:innen keinerlei Angst haben müssen, mit der etwaigen politischen Orientierung einer Mandant:in identifiziert zu werden. Dass diese Trennung in Gefahr ist, hat sich zuletzt etwa eindrücklich gezeigt, als die Polizei 2017 eine Gefahrenprognose beim G20-Gipfel in Hamburg auf die Prozessvertretung durch Angehörige des Republikanischen Anwälte und Anwältinnen Vereins gestützt hatte (Martin Huff auf lto).
Rechtsabbau in der Breite statt zielgerichteter Maßnahmen gegen Rechts
Viele der Maßnahmen, die gerade auf dem Tisch liegen und vorgeblich gegen Rechts gerichtet sind, bauen Rechte in der Breite ab: Die Novelle des Bundesdisziplinargesetzes unterwirft Dienstvergehen aller Bundesbeamt:innen der Disziplinarverfügung (Klaus Ferdinand Gärditz auf dem Verfassungsblog), obwohl sich nur ein verschwindend geringer Teil der Disziplinarklagen des Bundes gegen Verstöße gegen die politische Treuepflicht richtete. Die geplante Wiedereinführung der Regelanfrage bei den Verfassungsschutzämtern wie in Brandenburg oder Sachsen rückt alle Bewerber:innen in das Visier der Geheimdienste. Der Vorschlag zur BRAO-Reform untergräbt die Unabhängigkeit der gesamten Anwaltschaft, obwohl er eigentlich nur auf das Rechtsreferendariat abzielt. Rechtsradikale im Staatsdienst stellen ohne Frage eine drängende Gefahr dar, gegen die bisher keine effektiven Maßnahmen ergriffen wurden. Wo ihr Ausschluss aber auf Kosten der freien Advokatur oder der Unabhängigkeit der Justiz erfolgt, könnten sich diese Maßnahmen später als Bumerang erweisen. Schaut man nach Polen, Ungarn oder Israel, kann man sehen, dass ganz oben auf der rechten Blaupause für einen Staatsumbau, die Schleifung eines rechtsstaatlichen Justizsystems steht. Eine unabhängige Anwaltschaft ist für dessen Verteidigung unerlässlich.
Stattdessen wäre es angebracht, die Ausschlussmaßstäbe so nachzuschärfen, dass sie auch wirklich diejenigen treffen, von denen die Gefahr ausgeht. Seit der „NPD II“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2017 ist klar, dass ein völkisches Demokratieverständnis mit Art. 20 GG und damit der freiheitlich demokratischen Grundordnung unvereinbar ist. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und insbesondere Rassismus bergen als Verstoß gegen die Menschenwürde in Art. 1 I GG und die allgemeinen und besonderen Gleichbehandlungsgrundsätze in Art. 3 GG sicherlich eine der größten Gefahren für die neutrale und verfassungstreue Amtsführung. Blättert man aber auf juris durch die einschlägigen Disziplinarentscheidungen, stößt man in großer Anzahl auf Reichsbürger, die aus dem Dienst entfernt wurden (zuletzt etwa VG Regensburg, OVG Lüneburg und VG Sigmaringen). Das ist ohne Frage richtig, diese Stichprobe zeigt aber, wie sehr das Verständnis der politischen Treuepflicht noch in den althergebrachten Bahnen der Staatstreue verläuft: Entfernt werden vor allem Staatsdiener:innen, die den Staat leugnen. Völkisches Demokratieverständnis oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sind in den arbeits- und verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen und folglich bei den Dienstherren unterbelichtet. Eine Vorahnung auf das Ausmaß des tatsächlichen Problems geben allein schon die zahlreichen rassistischen Chatgruppen, die hauptsächlich als Zufallsfunde in strafrechtlichen Ermittlungen gegen Polizist:innen ans Tageslicht gefördert wurden. Die Zwischenergebnisse der MEGAVO-Studie zeigen, dass ein großer Teil der Polizeibeamt:innen ambivalente Einstellung zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit hat (Andreas Nitschke auf dem Verfassungsblog).
Hier müssten Reformen ansetzen und ein völkisches Demokratieverständnis und verschiedene Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit regelbeispielhaft als Verstoß gegen die politische Treuepflicht gesetzlich verankern, um den Maßstab der freiheitlich demokratischen Grundordnung an aktuelle Herausforderungen anzupassen. Das Problem, dass durch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs der Vorbereitungsdienst in Sachsen zu einem Sammelbecken für rechtsradikale Referendar:innen zu werden droht, bliebe allerdings vorerst bestehen. Die freie Advokatur ist aber in jedem Fall ein zu hoher Preis, um diesem Problem zu begegnen.
In welchem Begriffsrahmen ist denn der Begriff “völkisch” im Beitrag verortet? Das Grundgesetz bezieht sich ja auch auf das “Staatsvolk” im Sinne des Art. 116 GG. Ich weiß, was gemeint ist (I know it when I see it) aber ich würde mich fragen, wie man eine solche Vorschrift abstrakt-generell formulieren sollte.