04 January 2022

Nazis im Staatsdienst?

Divergierende Rechtsprechungslinien zum Ausschluss aus dem juristischen Vorbereitungsdienst

Der Sächsische Verfassungsgerichtshof hat im Oktober 2021 die Nichtzulassung eines führenden Kaders der neonazistischen Kleinstpartei III. Weg zum Rechtsreferendariat für verfassungswidrig erklärt und Anfang November 2021 die rückwirkende Einstellung angeordnet. Das Gericht hat in dieser Entscheidung einen neuen Maßstab für die Zugangshürden zum juristischen Vorbereitungsdienst gebildet: nur diejenigen können ausgeschlossen werden, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung (fdGO) auch in strafbarer Weise bekämpfen. Damit weicht der Sächsische Verfassungsgerichtshof stark von der Rechtsprechungslinie des Bundesverfassungsgerichts ab und konterkariert alle im selben Fall ergangenen Gerichtsentscheidungen. Eine hinreichende Antwort auf Neonazis und rechte Netzwerke im öffentlichen Dienst gibt er damit nicht.

Der Fall „Rechtsreferendar III. Weg“

Der Beschwerdeführer, ein Kader der Partei III. Weg, hatte sich bereits vergeblich auf den Vorbereitungsdienst im öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis in Bayern, Thüringen und Sachsen beworben. Seine Ablehnung wurde durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, die Oberverwaltungsgerichte Thüringen und Sachsen sowie den Verfassungsgerichtshof Thüringen bestätigt. Eine Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG wegen formaler Mängel abgewiesen.

Im frisch novellierten Sächsischen Juristenausbildungsgesetz gibt es zwei Ausschlusstatbestände, auf die eine Ablehnung von Bewerber:innen gestützt werden kann. Nach dem neu eingefügten § 8 III S. 2 Nr. 3 SächsJAG ist die Aufnahme erstens zu versagen, wenn die Bewerber:in die freiheitlich-demokratische Grundordnung (fdGO) in strafbarer Weise bekämpft. Zweitens übernimmt die Novelle in § 8 IV Nr. 1 b) SächsJAG ein bereits in der alten Juristenausbildungsordnung vorhandenen Ausschlusstatbestand. Nach dieser Vorschrift kann die Zulassung verweigert werden, wenn in der Person Tatsachen die Gefahr begründen, dass durch die Einstellung wichtige öffentliche Belange ernstlich beeinträchtigt werden. Das Oberlandesgericht Dresden hatte als Ausbildungsbehörde eine solche Gefahr bei dem Beschwerdeführer angenommen, da er sich fortgesetzt und führend in verfassungsfeindlichen Organisationen wie dem III. Weg, der NPD oder dem mittlerweile verbotenen Freien Netz Süd betätigte. Dabei wurde allerdings nur vermutet, dass der abgelehnte Beschwerdeführer die fdGO auch auf strafbare Weise bekämpfte.

Der Sächsische Verfassungsgerichtshof sieht in der Ablehnung nun einen Eingriff in die Ausbildungs- und Berufswahlfreiheit aus Art. 29 I u. 28 I S. 1 SächsVerf. Da der juristische Vorbereitungsdienst ein staatliches Ausbildungsmonopol auch für Berufe in der freien Wirtschaft darstelle, dürften keine strengeren Kriterien als beispielsweise für den Beruf der Anwält:in in der Bundesrechtsanwaltsordnung aufgestellt werden: „Denn in diesem Fall würde der Zugang zu einem Beruf versperrt, für den der Bundesgesetzgeber geringere Zugangshürden normiert hat.“ Ein Eingriff sei deswegen nach beiden Tatbeständen nur verhältnismäßig, wenn die Bewerber:in die fdGO auf nachgewiesen strafbare Weise bekämpfe. Da die Ablehnung des III. Weg-Kaders nur auf weit zurückliegende Straftaten gestützt war, musste sie an diesem Maßstab scheitern. Diese Entscheidung hat die Novellierung des Sächsischen Juristenausbildungsgesetzes, die eigentlich Zugangshürden erhöhen sollte, also in ihr Gegenteil verkehrt.

Abweichung von der BVerfG-Linie der 1970er

Damit stellt der Sächsische Verfassungsgerichtshof einen völlig neuen Maßstab für die Rechtfertigung von Ausschlüssen aus dem Referendariat auf. In der Grundsatzentscheidung zum Extremistenbeschluss von 1975 leitete das BVerfG aus den Grundsätzen des Berufsbeamtentums in Art. 33 V GG eine Verfassungstreuepflicht ab, die sich auf den gesamten öffentlichen Dienst erstreckt. Jede Person, die nicht die Gewähr bietet, jederzeit für die fdGO einzutreten, kann vom Zugang zum öffentlichen Dienst ausgeschlossen werden. Beschwerdeführer war damals ein Bewerber für den juristischen Vorbereitungsdienst in Schleswig-Holstein, der zuvor Mitglied in der Roten Zelle Jura an der Uni Kiel gewesen war. Für den juristischen Vorbereitungsdienst galt allerdings auch schon in der „Extremistenbeschluss“-Entscheidung ein abgeschwächter Maßstab der Verfassungstreue. Es müsse auch ohne die Gewähr der aktiven Verfassungstreue möglich sein, den Vorbereitungsdienst außerhalb des Beamtenverhältnisses abzuleisten. Referendar:innen, die sich verfassungsfeindlich betätigen, können jedoch immer noch fristlos entlassen werden. In einer Entscheidung zur Juristenausbildungsordnung Hamburg stellte das BVerfG 1977 fest, dass solche aktiv verfassungsfeindlichen Bewerber:innen von vornherein aus dem Referendariat auszuschließen sind (BVerfGE 46, 43).

In der Folge interpretierte das Bundesarbeitsgericht diese Rechtsprechungslinie 1987 so, dass im Vorbereitungsdienst außerhalb des Beamtenverhältnisses keine aktive Verfassungstreue zu fordern sei, sondern eine neutrale Haltung zur Verfassung genüge. Ganz offensichtlich handelt es sich dabei um einen anderen Maßstab als den, den der Sächsische Verfassungsgerichtshof anlegt. Eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechungslinie des Bundesarbeitsgerichts sucht man in der Entscheidung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes jedoch vergeblich.

Der Fall des III. Weg-Bewerbers hätte dem BVerfG Anlass gegeben, zu überprüfen, ob die Rechtsprechung der 1970 er Jahr im Geiste der Kommunistenverfolgung heute noch zu halten ist. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde des Bewerbers aber wegen der mangelhaften Begründung nicht zur Entscheidung angenommen.

Blinder Fleck: Parteienprivileg

Alle Entscheidungen im Fall „Rechtsreferendar III. Weg“ haben den blinden Fleck, dass sie sich nur oberflächlich mit der Frage auseinandersetzen, ob eine Tätigkeit für eine legale Partei überhaupt einen Ausschluss aus dem Vorbereitungsdienst rechtfertigen kann (zum Beamtenverhältnis auch Franz Josef Lindner). Gemäß Art. 21 IV GG darf nur das BVerfG über die Verfassungswidrigkeit und den Finanzierungsausschluss von Parteien entscheiden. Der Ausschluss von Parteimitgliedern aus dem öffentlichen Dienst durch die Exekutive könnte demnach unzulässiger Weise die Verfassungsfeindlichkeit einer nicht verbotenen Partei geltend machen und den BVerfG-Vorbehalt damit umgehen. Bis in die 1960er Jahre galt, dass niemand bis zur Entscheidung des BVerfG die Verfassungswidrigkeit einer Partei feststellen konnte. In der Grundsatzentscheidung zum Extremistenbeschluss hatte das BVerfG 1975 jedoch bestimmt, dass der Ausschluss aus dem Beamtenapparat in einer Einzelfallentscheidung auch durch die Mitgliedschaft in einer nicht verbotenen Partei – damals vor allem der DKP – begründet werden könne. Vor den angeblich bloß mittelbaren Nachteilen der Berufsverbote für die Partei sollte das Parteienprivileg nicht schützen. Viel zu spät hatte der EGMR 1995 dann aber im Fall einer DKP-Lehrerin aus Niedersachsen entschieden, dass legale Parteitätigkeiten, wie Kandidaturen oder Vorstandsmitgliedschaften nicht ausreichen, um den Eingriff in die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit aus Art. 10, Art. 11 EMRK durch eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zu rechtfertigen. So wurde beispielsweise jüngst der Ausschluss des AfD-Bundestagsabgeordneten Thomas Seitz aus der Staatsanwaltschaft nur auf dessen persönliche, menschenverachtenden Äußerungen gestützt und gerade nicht auf dessen Parteitätigkeit.

Im Unterschied dazu wurden die Ablehnungen des III. Weg-Bewerbers vor allem mit dessen Parteibetätigungen und Leitungsfunktionen begründet. Es sind aber genau solche legalen Parteifunktionen und -ämter, die der EGMR als Ausschlussgrund nicht hat gelten lassen. Die Fachgerichte und der Thüringer Verfassungsgerichtshof problematisieren diesen Umstand jedoch nur höchst oberflächlich. Der Sächsische Verfassungsgerichtshof musste sich mit dieser Frage nicht beschäftigen: Indem er den Maßstab zur Bestimmung der Ausschlusskriterien auf die Strafbarkeitsschwelle verschob, konnte er die Frage, wo die Linie zwischen legaler Parteibetätigung und persönlichen verfassungsfeindlichen, einen Ausschluss rechtfertigenden Äußerungen im Lichte der EGMR-Rechtsprechung verläuft, offen lassen.

Ein rechtspolitisches Dilemma

Die rechtspolitische Bewertung des „sächsischen Wegs“ fällt zwiespältig aus. Das klare strafrechtliche Kriterium, das wenig Spielraum für ausufernde staatliche Gesinnungsprüfungen lässt, schafft Rechtssicherheit. Keine höheren Zugangshürden als in der Bundesrechtsanwaltsordnung aufzustellen, ist ein überzeugendes Argument.

Einen mehr als bitteren Beigeschmack hinterlässt dabei allerdings die Tatsache, dass jahrzehntelang vor allem für linke Bewerber:innen massive Eintrittshürden aufgebaut wurden. Die damals praktizierte Regelanfrage hatte Millionen von Bewerber:innen für den öffentlichen Dienst und die Vorbereitungsdienste ins Fadenkreuz der Geheimdienste gerückt (dazu etwa Alexandra Jaeger). Dieser Umstand verdeutlicht einmal mehr die politischen Konjunkturen, denen das staatliche Neutralitätsarrangement unterliegt. Dass der neue Weg ausgerechnet in Sachsen eingeschlagen wurde, lässt nun befürchten, dass der dortige Vorbereitungsdienst sich zur Anlaufstelle rechter Bewerber:innen entwickelt, denen der Zugang in anderen Bundesländern verschlossen bleibt. Dass ein Referendar, der als Teilnehmer an einem organisierten Naziangriff rechtskräftig wegen schweren Landfriedensbruchs verurteilt wurde, seinen Vorbereitungsdienst in Sachsen überhaupt antreten und nach der Verurteilung 2020 sogar fortsetzen konnte, hatte bundesweit bereits zu Recht für Aufsehen gesorgt.

Aus dieser Gemengelage ergibt sich ein handfestes rechtspolitisches Dilemma. Eine Eignungsprüfung von Bewerber:innen an politisch-materiellen und hochgradig unbestimmten Maßstäben wie der Verfassungstreue öffnet Türen, die sich möglicherweise schwer wieder schließen lassen. An zumindest deutlich formalere und bestimmtere Kriterien wie der Strafbarkeit anzuknüpfen, kann dieser Gefahr begegnen. Es ist deswegen auch richtig, gegen rassistische Netzwerke im Staat an erster Stelle andere Maßnahmen als ausufernde Eignungsprüfungen oder gar ein Comeback der Regelanfrage beim Verfassungsschutz zu fordern. Solche Maßnahmen können unabhängige Ermittlungsstellen, eine Stärkung der Selbstorganisationen von Betroffenen und der antifaschistischen Zivilgesellschaft oder eine Reform der Ausbildung sein. Die Frage der politischen Zugangshürden zum öffentlichen Dienst ist damit aber keineswegs beantwortet.

Für eine effektive Antwort auf Neonazis und rechte Netzwerke in den Sicherheitsbehörden, und in den Vorbereitungsdiensten, ist es vor allem notwendig, den Begriff der freiheitlich-demokratischen Grundordnung neu auszubuchstabieren. Er stellt wegen Art. 21 II GG den verfassungsrechtlichen Dreh- und Angelpunkt aller Ausschlussmechanismen dar, muss aber von den ideologischen Altlasten des Kalten Kriegs befreit und vor allem menschenrechtlich hergeleitet werden (zu den Altlasten Sarah Schulz). Dabei müsste die Gefährdung der Bevölkerung durch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Mittelpunkt stehen, wie Tim Wihl bereits im Anschluss an die „NPD Verbot II“-Entscheidung von 2017 vorschlug: weg von einer Gefährdung des Staates durch sogenannte „extremistische“ Gruppierungen, hin zur Gefährdung von Menschen durch den Extremismus der Mitte – auch innerhalb der Staatsapparate.