17 December 2022

Extremismusabwehr durch Beamtenrecht

Zu den Reformvorschlägen im aktuellen Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums

Kürzlich hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser eine Reform des Beamtendisziplinarrechts angekündigt. Der Vorstoß greift zwar allgemeine und schon länger diskutierte Reformimpulse auf, soll aber im Kontext auch als Reaktion auf gehäufte extremistische Vorfälle gelesen werden, in die Beamtinnen und Beamte involviert waren (zuletzt offenbar in die bizarren Umsturzpläne einer „Reichsbürger“-Sekte). Einen Referentenentwurf des „Gesetzes zur Beschleunigung der Disziplinarverfahren in der Bundesverwaltung und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften“ gibt es bereits. Hier soll der Entwurf, der als Artikelgesetz unter anderem Änderungen des Bundesdisziplinargesetzes (BDG), des Bundesbeamtengesetzes (BBG) und des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) vorsieht, in Kernelementen vorgestellt werden.

Vom Beamtenschutzrecht zum Reaktionsrecht des Dienstherrn

Das geltende Beamtenrecht schützt Beamtinnen und Beamte wirksam vor einer voreiligen Entlassung. Die relative Unabhängigkeit durch einen stabilen und gesicherten Status, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs. 5 GG zählt, soll eine ordnungsgemäße Diensterfüllung gegen die Unbilden politischer Interessen sichern.1) Die statusrechtlichen Basisvorschriften des Beamtenrechts und das Beamtendisziplinarrecht zwängen Reaktionen auf Dienstvergehen in ein enges rechtliches Korsett. Dieses erweist sich freilich bisweilen als zu schwerfällig. Nicht immer liegt dies allein an den gesetzlichen Möglichkeiten, sondern bisweilen auch am unprofessionellen und zähflüssigen Agieren unerfahrener Behörden, die sich nur selten mit Dienstvergehen zu befassen haben.

Seitdem – einem gesamtgesellschaftlichen Trend folgend – innerhalb des öffentlichen Dienstes gehäuft verfassungsfeindliche Akteure auftauchen (oder einfach nur aufgrund gesteigerter Sensibilität häufiger erkannt werden), werden auch diese Defizite deutlicher. Das BMI-Reformpaket zielt daher vor allem auf eine schnellere Entfernung von Extremistinnen und Extremisten aus dem Beamtenverhältnis und auf einen schnelleren Abschluss von Disziplinarverfahren, nicht zuletzt auch gegen „Verfassungsfeinde“. Hier war man bislang aufgrund der Erfahrungen mit der Regelanfrage beim Verfassungsschutz zögerlich, meist aus nicht unberechtigter Sorge vor staatlichen Überreaktionen, die es gewiss gab, vereinzelt aber auch aus reflexartigen autobiografischen Verklärungsbedürfnissen in Teilen der Generation „Berufsverbot“. Wirksame Antworten insbesondere auf die Gefahren des Rechtsextremismus erfordern jedenfalls heute einen beherzteren Zugriff, der institutionelle Integritätsinteressen sowie den Schutz der Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt rückt.

Der automatische „Verlust der Beamtenrechte“ durch strafgerichtliche Verurteilung

Am leichtesten hat man es bei Straftaten. Eine strafgerichtliche Verurteilung zu mindestens einem Jahr bewirkt nach den Voraussetzungen des § 41 Abs. 1 BBG bzw. § 24 Abs. 1 BeamtStG mit Rechtskraft des Strafurteils automatisch die Beendigung des Beamtenverhältnisses (nach der gesetzlichen Bezeichnung: „Verlust der Beamtenrechte“). Es bedarf also keines Disziplinarurteils mehr, das eine Entfernung aus dem Dienst ausspricht. Hieran ändert auch das BMI-Reformpaket nichts. Allerdings soll der abschließende Katalog derjenigen Straftaten, bei denen bereits eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten zum Verlust des Beamtenstatus führt,2) um den Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) ergänzt werden. Dies erscheint sachgerecht. Der Straftatbestand erfasst sozialkommunikative Angriffe auf die Menschenwürde. Das Vertrauen – insbesondere von Menschen aus vulnerablen Personengruppen – in die Verlässlichkeit und diskriminierungsfreie Schutzbereitschaft staatlicher Institutionen kann hierdurch besonders erschüttert werden. Zugleich werden wegen eines Vergehens nach § 130 StGB – abgesehen von beharrlichen Wiederholungstaten – nur selten Freiheitsstrafen von einem Jahr oder mehr verhängt.

Das Reformvorhaben: Entfernung aus dem Dienst durch Verwaltungsakt

In allen anderen Fällen muss der Dienstherr (sprich: die Anstellungskörperschaft, hier der Bund) eine Entfernung aus dem Dienst im Disziplinarverfahren erreichen. Dies setzt – abgesehen von Baden-Württemberg (vgl. §§ 31, 38 LDG BW) – bislang eine Disziplinarklage (für den Bund: §§ 52 ff. BDG) und eine gerichtliche Entscheidung voraus. Eine Disziplinarklage ist schwerfällig und belastet die Verwaltung damit, vergleichbar einer Anklagevertretung durch eine Staatsanwaltschaft eine Entfernung aus dem Dienst erst vor einem Gericht zu erstreiten. Das bedeutet, dass die Verwaltung selbst begrenzt handlungsfähig ist sowie gegen Beamtinnen und Beamte nur innerhalb des stark formalisierten Korsetts des Verwaltungsprozessrechts strafprozessanalog vorgehen kann. Der BMI-Reformvorschlag zielt daher darauf ab, die Entfernung aus dem Dienst durch Verwaltungsakt (§ 35 Satz 1 VwVfG) zu ermöglichen (§§ 33 Abs. 2, 34 Abs. 4 BDG-E). Zutreffend weist die Begründung des Entwurfs darauf hin, dass „auch bei anderen statusberührenden Personalmaßnahmen die behördliche Entscheidungskompetenz nicht durch einen Richtervorbehalt eingeschränkt“ sei.

Das bisherige Erfordernis einer Disziplinarklage ist ein Instrument des präventiven Rechtsschutzes durch Verfahren. Verfassungsrechtlich zwingend ist dieser einfachgesetzliche Richtervorbehalt jedoch nicht. Im Januar 2020 hatte das BVerfG auf eine Verfassungsbeschwerde betreffend die Regelung in Baden-Württemberg verfassungsrechtliche Bedenken überzeugend ausgeräumt.3) Ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG), wonach eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur durch Richterspruch oder durch ein sonstiges unabhängiges Gremium erfolgen dürfe, bestehe nicht. Auch das Lebenszeitprinzip erfordere keinen Richtervorbehalt, sofern effektiver nachgelagerter Rechtsschutz sichergestellt sei. Letzteres ist aber immer der Fall, weil bereits durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierter Rechtsschutz in beamtenrechtlichen Streitigkeiten zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist (§ 126 Abs. 1 BDG).

Praktische Erleichterungen ohne Preisgabe rechtsstaatlicher Standards

Der praktische Unterschied, auf den die Reform zielt, besteht darin, dass durch Verwaltungsakt aus dem Dienst entfernte Beamtinnen und Beamten unter Zugzwang gesetzt werden, selbst aktiv gegen die Disziplinarverfügung vorzugehen. Statthaft sind Widerspruch (§ 126 Abs. 2 BBG, §§ 41 ff. BDG) und Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO); der Widerspruch entfällt nach § 41 Abs. 1 Satz 2 BDG allerdings grundsätzlich bei einer Entfernung aus dem Dienst, weil diese von der obersten Dienstbehörde angeordnet wird (§ 34 Abs. 4 BDG-E), soweit deren Befugnis nicht nach § 34 Abs. 5 BDG-E delegiert wurde.

Damit verbunden ist keine Veränderung der Beweislast im Prozess.4) Diese hängt ganz allgemein nicht davon ab, wer (aktivlegitimiert) klagt und wer (passivlegitimiert) beklagt wird, sondern folgt der tatbestandlichen Struktur streitentscheidender Normen. Wer sich auf eine berechtigende Regelung beruft, muss grundsätzlich (vorbehaltlich normativer Korrekturen) darlegen und beweisen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen eines Tatbestandes gegeben sind. Der Dienstherr muss also beweisen, dass tatsächlich ein Dienstvergehen vorliegt, welches nach seiner Schwere eine Entfernung aus dem Dienst rechtfertigt. Das unterliegt weiterhin der vollständigen gerichtlichen Kontrolle (Art. 19 Abs. 4 GG).5)

Nach dem bisherigen Modell der Disziplinarklage lag die Sanktionsbemessung in der Hand des Disziplinargerichts, das auch die Zweckmäßigkeit einer Maßnahme (vgl. § 13 Abs. 1 BDG: pflichtgemäßes Ermessen) überprüfte (§ 60 Abs. 3 BDG). Diese Regelung will der Entwurf aufheben. Künftig haben die Verwaltungsgerichte daher nur noch die Rechtmäßigkeit der Verfügung zu überprüfen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). So kann eine Entfernung aus dem Dienst gegen Verfahrensvorschriften oder die – auch im Disziplinarrecht geltenden6) – Gebote der schuldangemessenen sowie verhältnismäßigen Sanktionierung verstoßen, kann aber nicht kassiert oder geändert werden, weil das Gericht eine mildere Sanktion für zweckmäßiger erachtet.

Rechtsschutz-Folgefragen

Widerspruch und Anfechtungsklage hätten an sich aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO); die Verwaltung könnte eine Verfügung für sofort vollziehbar erklären (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO), wogegen wiederum Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung statthaft wäre. Dieser Mechanismus kommt nach dem Entwurf jedoch aufgrund vorrangiger Sonderregelungen nicht zur Anwendung. Eine Entfernung aus dem Dienst (oder der Verlust des Ruhegehalts) erfolgt erst mit der Unanfechtbarkeit der Verfügung (vgl. § 10 Abs. 2-4 BDG). Das Statusverhältnis als solches besteht bis dahin fort und ist gegenständlich keiner Suspendierung zugänglich. Vorläufig ausgesetzt werden können nur konkrete Rechte und Pflichten, die aus dem Statusverhältnis resultieren. Hierfür enthält aber § 38 Abs. 1-3 BDG-E eine Sonderregelung, die dazu ermächtigt, Beamtinnen und Beamte vorläufig des Dienstes zu entheben. Hierbei sind dann nach § 38 Abs. 4 BDG-E zugleich Anordnungen über die Kürzung der Dienst- oder Ruhestandsbezüge zu treffen. Da dies durch einen funktional selbstständigen Verwaltungsakt erfolgt, ist die vorläufige Dienstenthebung (bzw. eine damit verbundene Maßnahme) selbstständig anfechtbar. Aufschiebende Wirkung und Eilrechtsschutz richten sich nach § 80 VwGO.

Grenzen der Reform: Richterdienstverhältnisse

Die Dienstentfernung durch Verwaltungsakt ist nicht auf Richterdienstverhältnisse anwendbar. Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richterinnen und Richter können nämlich nach Art. 97 Abs. 2 Satz 1 GG wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben werden. Zwar verweist § 46 DRiG subsidiär auf „die Vorschriften für Bundesbeamte“, zu denen auch das BDG zählt. Die §§ 30 Abs. 1 Nr. 2, 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 f., 78 Nr. 1 DRiG enthalten jedoch Sonderregelungen, die eine Entfernung aus dem Dienst auf gerichtliche Disziplinarverfahren beschränken. Dieser verfassungsrechtlich notwendige Richtervorbehalt wird von dem Reformvorhaben nicht angetastet. Der (durch die Reform erweiterte) unmittelbare Verlust der Rechte aus einem Beamtenverhältnis aufgrund einer strafgerichtlichen Verurteilung genügt im Übrigen den Anforderungen des Art. 97 Abs. 2 Satz 1 GG.7)

Keine Folgen für das Landesdisziplinarrecht

Die Reform tastet das Landesdisziplinarrecht nicht an. Das ist insoweit von erheblicher Bedeutung, weil der Großteil der deutschen Beamtinnen und Beamten im Dienst der Länder steht. Der Regelungszugriff des Bundes auf das Landespersonal ist durch Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG auf die Normierung von Statusrechten und -pflichten beschränkt. Die grundlegenden Voraussetzungen einer Entfernung aus dem Dienst fallen zwar hierunter,8) nicht aber die konkreten Gestaltungen des Disziplinarverfahrens. Ob eine Entfernung aus dem Dienst durch Verwaltungsakt möglich sein soll, dürfte freilich eine statusprägende Vorentscheidung sein, weil insoweit die grundsätzlichen Stabilitätsbedingungen der Beamtenverhältnisse ausgeformt werden. Der Bund überlässt die Ausgestaltung jedoch in wohltuendem Respekt vor föderaler Regelungsdiversität den Ländern. Das Bundesbeamtenrecht, das seinerseits einem landesrechtlichen Modell folgt, kann aber Vorbildwirkung für Reformen in den Ländern entfalten.

Eine ausgewogene Reform

Insgesamt erscheinen die Reformvorschläge des Referentenentwurfs ausgewogen und im Interesse effektiverer Verfolgung schwerer Dienstvergehen zu begrüßen. Rechtsstaatliche Standards werden nicht geschleift, sondern nur im verfahrensrechtlichen Setting sinnvoller als bislang austariert. Die Reform ist ein erster wichtiger Schritt, die Integrität staatlicher Institutionen besser gegen Angriffe aus dem personellen Innenraum zu schützen. Nicht weniger wichtig bleibt im Übrigen eine behutsame Reform des Richterdienstrechts, dessen teilweise rostige Strukturen den Umgang mit extremistischen Richterinnen und Richtern nicht immer erleichtert haben. Das Sächsische Staatsministerium der Justiz hat hier die verdienstvolle Initiative mit einem konkreten Maßnahmenkatalog ergriffen, der wertvolle Vorschläge auch für den Richterdienst enthält.

In einer zunehmend polarisierten und krisengeschüttelten Gesellschaft nehmen auch verfassungsfeindliche Positionen zu und fordern staatliche Institutionen heraus. Neben traditionelle Felder des politischen Extremismus treten neue Herausforderungen wie z. B. Verschwörungsesoterik oder Strategien, politische Institutionen und ihre Legitimierungsmatrix strategisch durch Fake News oder aggressive Diffamierung zu untergraben. Der Verfassungsschutz bemüht sich mit der „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ darum, neue Profile verfassungsfeindlicher Bestrebungen jenseits tradierter Rechts-links-Typologien zu entwickeln, die freilich noch einer besseren rechtsstaatlichen Ausschärfung bedürfen.

Entscheidend kommt es darauf an, durch ein Zusammenspiel wirksamer Instrumente die Integrität, die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit sowie die Verlässlichkeit staatlicher Institutionen zu schützen. Toleranz gegenüber Extremismus im öffentlichen Dienst ist daher kein Ausdruck besonnener Liberalität, sondern selbstgenügsame Bequemlichkeit auf Kosten derjenigen Menschen, die hoheitlicher Gewalt ausgesetzt oder auf einen verlässlichen und schützenden Staat angewiesen sind, der Freiheit, Gleichheit und Würde aller wahrt.

References

References
1 Vgl. BVerfGE 39, 196 (201); 44, 249 (165); 70, 251 (266 f.); 99, 300 (315); 107, 218 (237); 114, 258 (288); 119, 247 (261 f.); 121, 205 (220).
2 Das gilt bei Friedensverrat, Hochverrat, Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates, Landesverrat, Gefährdung der äußeren Sicherheit und Bestechlichkeit.
3 BVerfGE 152, 345 ff.