Im Rücktritt geeint
Zur Empfehlung der Europäischen Kommission, koordiniert vom Energiecharta-Vertrag zurückzutreten
Die Europäische Kommission hat offiziell einen koordinierten EU-Rücktritt vom Energiecharta-Vertrag (ECT) empfohlen. Das umkämpfte Abkommen, das von Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft regelmäßig dazu genutzt wird, staatliche Klimaschutzmaßnahmen anzufechten, kommt damit unter wachsenden Druck.
Der Schritt der Kommission steht im Gegensatz zum “Kompromissvorschlag”, den die EU-Mitgliedsstaaten in den letzten Monaten diskutiert haben. Dieser Vorschlag hätte einen unkoordinierten Rücktritt vorgesehen, bei dem die EU, Euratom, und eine Teilgruppe der EU-Mitgliedsstaaten vom Vertrag zurückgetreten wären, während andere EU-Mitgliedsstaaten im Vertrag verblieben wären. Bei einem koordinierten Rücktritt vom ECT würden dagegen die EU, Euratom und alle EU-Mitgliedsstaaten den Vertrag verlassen.
Der Vorschlag der Kommission bietet der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten eine einmalige Gelegenheit, mit einer Stimme zu sprechen und eines der prinzipiellen Hindernisse für die Verwirklichung ihrer Klimaziele zu beseitigen. Darüber hinaus würde der Kommissionsvorschlag es der EU auch ermöglichen, sich mit den fortbestehenden Risiken von EU-internen Schiedsverfahren zu befassen, die sich aufgrund der so genannten Fortbestandsklausel über den Rücktritt hinaus erstrecken könnten.
Von der gescheiterten Reform zu einem koordinierten Rücktritt
Die Ankündigung der Europäischen Kommission erfolgt nach vielen Jahren der Debatte, innerhalb und außerhalb der EU, über die Möglichkeiten einer Reform des ECT. In ihrer Empfehlung machte die Kommission deutlich, dass der ECT kontraproduktiv sei, wenn es darum gehe, das wesentliche Ziel ehrgeiziger und wirksamer Klimaschutzmaßnahmen zu verwirklichen.
Der für den European Green Deal zuständige Vizepräsident der Kommission, Frans Timmermans, betonte in der bisher deutlichsten Mitteilung der Kommission, dass die Klimapolitik der Hauptgrund für die Entscheidung sei:
“Mit dem European Green Deal gestalten wir unsere Energie- und Investitionspolitik für eine nachhaltige Zukunft neu. Der veraltete Vertrag über die Energiecharta steht nicht im Einklang mit unserem EU-Klimagesetz und unseren Verpflichtungen im Rahmen des Pariser Abkommens. Es ist an der Zeit, dass Europa sich ganz auf den Aufbau eines effizienten und wettbewerbsfähigen Energiesystems konzentriert, das Investitionen in erneuerbare Energien fördert und schützt.” (Übersetzung d. Verf.)
Der bahnbrechende Strategiewechsel der Kommission ist die jüngste Entwicklung in einem jahrelangen Prozess. Die Vertragsparteien des ECT hatten zunächst versucht, den Vertrag zu “modernisieren”, um ihn stärker auf den Klimaschutz auszurichten und andere Probleme zu lösen, die im Laufe der Jahre aufgetreten waren. Das Ergebnis war ein Textentwurf, über den die ECT-Vertragsparteien in 15 Runden von 2020 bis 2022 verhandelten.
Mehrere EU-Mitgliedsstaaten waren jedoch mit diesem “modernisierten” Textentwurf nicht einverstanden, da sie ihn für ihre Klimaziele als unzureichend erachteten, eine Feststellung, die auch durch die Forschung gestützt wird. Einige kündigten stattdessen ihre Absicht an, einseitig vom Vertrag zurückzutreten. Angesichts dieser Ankündigungen und nach einer Entschließung des Europäischen Parlaments, in der ein koordinierter Rücktritt anstelle einer Zustimmung zum “modernisierten” Textentwurf des ECT befürwortet wurde, wurde die bereits angesetzte Abstimmung im Rat zur Unterstützung des Entwurfs abgesagt. Die Kommission sah sich mit einer neuen Realität konfrontiert.
Das Ergebnis war schließlich ein bedeutender Strategiewechsel – die Unterstützung für einen koordinierten Rücktritt der EU, von Euratom und aller EU-Mitgliedsstaaten aus dem Vertrag. Ein internes Non Paper der Kommission, das im Februar an die Presse durchgesickert war, hatte einen solchen Schritt bereits als “unvermeidlich” bezeichnet, und die Kommission hatte begonnen, mit den Mitgliedsstaaten über eine inter se Vereinbarung zu verhandeln. In ihrer neuen Beschlussempfehlung für den Rat bestätigt die Kommission nun, dass diese Bemühungen weiterhin im Gange sind. Die Kommission hat zudem ihre früheren Empfehlungen für Ratsbeschlüsse, nach denen die EU und Euratom den Textvorschlag zu Reform des ECT unterstützt hätten, zurückgezogen.
Umsetzung eines koordinierten EU-Rücktritts vom ECT
In ihrer neuen Empfehlung stellt die Europäische Kommission unmissverständlich fest, dass der ECT in seiner jetzigen Form nicht mit dem EU-Recht, den Energie- und Klimazielen der EU und dem EU-Konzept zum Investitionsschutz vereinbar ist.
Der ECT selbst sieht in Artikel 47 ein Verfahren für den Rücktritt vor. Gemäß diesem Artikel kann eine Vertragspartei vom Vertrag zurücktreten, indem sie den Verwahrer des Vertrags von ihrer Absicht schriftlich in Kenntnis setzt. Der Rücktritt wird ein Jahr nach Erhalt dieser Mitteilung wirksam. Durch den Rücktritt wird die Fortbestandsklausel des Vertrags (Art. 47(3)) ausgelöst, wonach bestimmte Investitionen, die vor dem Rücktritt getätigt wurden, für einen Zeitraum von 20 Jahren ab dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Rücktritts weiterhin vom Vertrag geschützt bleiben. Dies würde es Investoren solcher Investitionen ermöglichen, während der gesamten Dauer dieses Fortbestands Schiedsklage gegen die zurücktretende Vertragspartei zu erheben. Die Empfehlung der Kommission stellt jedoch klar, dass diese Klausel keine Auswirkungen auf Investitionen zwischen EU-Mitgliedsstaaten haben wird, da der ECT in seiner Gesamtheit nicht zwischen EU-Mitgliedsstaaten gilt, nie galt und auch nie gelten wird.
Um den verbindlichen Charakter dieser Klärung zu verdeutlichen, welche auch die Fortbestandsklausel im ECT betrifft, verhandelt die Kommission mit den EU-Mitgliedsstaaten über eine inter se Vereinbarung auf der Grundlage von Artikel 31(3)(a) der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) (mutatis mutandis Artikel 31(3)(a) des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen). Nach der WVK muss eine solche spätere Vereinbarung zwischen Parteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen berücksichtigt werden.
Neben der Klärung von Fragen, die sich direkt aus dem ECT ergeben, muss die EU allerdings auch sicherstellen, dass ein Rücktritt vom ECT mit dem Unionsrecht in Einklang steht. Da die EU-Verträge kein ausdrückliches Verfahren für den Rücktritt von einem internationalen Abkommen wie dem ECT vorsehen, hat die Kommission vorgeschlagen, Art. 218 (6)(a)(v) AEUV als verfahrensrechtliche Grundlage für den Rücktritt zu verwenden. Dieser Artikel beschreibt eigentlich nicht den Rücktritt, sondern das Verfahren, nachdem die EU internationale Abkommen abschließt. Die Kommission stellt nun klar, dass dasselbe Verfahren für einen Rücktritt zu befolgen ist.
Ähnlich wie beim Abschluss eines neuen Abkommens wäre für den Rücktritt der EU vom ECT eine qualifizierte Mehrheit im Rat erforderlich, was bedeutet, dass 55 % der Mitgliedsstaaten (d.h. 15 Mitgliedsstaaten), die mindestens 65 % der EU-Bevölkerung repräsentieren, zustimmen. Der Schritt bedarf auch der Zustimmung des Europäischen Parlaments, dass diese Unterstützung bereits signalisiert hat. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, kann die EU nach Unionsrecht vom ECT zurücktreten.
Ein koordinierter Rücktritt bietet gegenüber einem unkoordinierten mehrere Vorteile
Ein koordinierter Rücktritt schafft mehr rechtliche und politische Klarheit als ein unkoordinierter. Nach Unionsrecht deckt der ECT eine Reihe von Bereichen ab, von denen nur einige in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen, wie etwa ausländische Direktinvestitionen. Für andere Bereiche teilen sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten die Zuständigkeit (z.B. Portfolio-Investitionen), oder sie bedürfen der Zustimmung der Mitgliedsstaaten (z.B. der ISDS-Mechanismus des ECT). Andere Bereiche, wie die Steuerpolitik, fallen in die ausschließliche Zuständigkeit der EU-Mitgliedsstaaten. Da der ECT verhandelt wurde, bevor die Aufteilung der Zuständigkeiten in Bezug auf Investitionen auf EU-Ebene im Vertrag von Lissabon geklärt wurde, schweigt er sich in dieser Hinsicht weitgehend aus.
Auch die gewisse Klärung, die in Artikel 1(3) des ECT geboten wird, bleibt begrenzt. Der Artikel definiert den Begriff Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration (ORWI) als “Organisation, die von Staaten gebildet wird, welche ihr die Zuständigkeit für eine Reihe bestimmter unter diesen Vertrag fallender Angelegenheiten übertragen haben, einschließlich der Befugnis, in diesen Angelegenheiten für sie bindende Entscheidungen zu treffen.” Einerseits kann die EU wohl als ORWI angesehen werden und der Artikel scheint anzuerkennen, dass ausschließlich die EU für bestimmte Bereiche, die der ECT regelt, zuständig sein könnte. Andererseits stellt der Artikel nicht klar, was dies bedeutet, wenn die EU, aber nicht alle ihre Mitgliedsstaaten vom ECT zurücktreten.
Dies wirft die spezifischere Frage auf, ob die im ECT verbleibenden EU-Mitgliedsstaaten eine internationale Verantwortung für die Umsetzung von normativen Rechtsakten der EU tragen, selbst wenn der Gegenstand dieser Rechtsakte in einen Zuständigkeitsbereich der EU fällt, und selbst nachdem die EU aus dem Vertrag ausgetreten ist. Ein neues Rechtsgutachten hält dies für sehr wahrscheinlich. Im Gegensatz zu dieser Feststellung hat die Europäische Kommission wiederholt erklärt, dass die Mitgliedsstaaten bei internationalen Abkommen, bei denen sowohl die EU als auch ihre Mitgliedsstaaten Vertragspartei sind, nur in den Bereichen international verantwortlich sind, die nach EU-Recht auch in ihre Zuständigkeit fallen. ISDS-Tribunale haben diese Ansicht jedoch weitgehend zurückgewiesen.
Ein unkoordinierter Rücktritt könnte auch eine Verletzung des EU-Rechts bedeuten, da ISDS-Fälle innerhalb der EU weiterhin auftreten könnten, wenn entweder der Herkunfts- oder der Gaststaat oder beide noch Vertragspartei des ECT sind. Ein koordinierter Rücktritt der EU, von Euratom und aller EU-Mitgliedsstaaten, begleitet von einer inter se-Vereinbarung, würde viele dieser Fragen im Zusammenhang mit der internationalen Verantwortung der Mitgliedsstaaten lösen.
Im Gegensatz dazu könnte die Entscheidung einiger EU-Mitgliedsstaaten, im ECT zu bleiben, eine ausdrückliche Genehmigung der EU erfordern, da sie wahrscheinlich in Bereichen handeln würden, die in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen. Die EU müsste solche Genehmigungen möglicherweise auch fortlaufend erteilen, da diese Staaten gezwungen sein könnten, bei späteren Entscheidungen der Energiechartakonferenz – dem Entscheidungsgremium der ECT-Vertragsparteien – abzustimmen oder sich der Stimme zu enthalten, wenn es um Bereiche geht, die nach EU-Recht in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen.
Schlussfolgerung
Ein koordinierter Rücktritt mildert viele dieser potenziellen rechtlichen Probleme, die mit einem unkoordinierten Austritt verbunden sind. Er würde auch eine übermäßige Belastung der EU-Kompetenzverteilung vermeiden. Neue formale Mechanismen für die Koordinierung der Positionen zwischen den verbleibenden und den zurücktretenden EU-Mitgliedsstaaten nach dem Rücktritt würden somit vermieden. Dies könnte auch dringend benötigte Kapazitäten in den Energieministerien der EU freisetzen.
Schließlich würde ein koordinierter EU-Rücktritt auch verhindern, dass einige Mitgliedsstaaten auf unbestimmte Zeit die internationale Verantwortung für die Umsetzung normativer Rechtsakte der EU tragen und damit den Binnenmarkt – und die Klimapolitik der EU – langfristig vor negativen externen Einflüssen schützen.
Die Entscheidung der Kommission, einen koordinierten EU-Rücktritt zu empfehlen, ist ein wichtiger Schritt zur Schaffung von mehr rechtlicher und politischer Sicherheit in einem bereits verworrenen Rechtsbereich. Im Sinne einer “EU-weiten” Herangehensweise ebnet sie der EU auch den Weg für die Entwicklung eines kohärenten und neuen Ansatzes zum internationale Energieinvestitionsrecht, der die Klimaziele voranbringt und die Energiewende unterstützt.
EU-Mitgliedsstaaten, die mehr als 75 % der EU-Bevölkerung repräsentieren, haben schon ihre Absicht angekündigt, einseitig vom Vertrag zurückzutreten, oder haben dies bereits getan. Dazu gehört auch Spanien, das derzeit den Vorsitz im Rat innehat. Diese Mitgliedsstaaten sollten die von der Kommission angebotene Chance ergreifen, einen koordinierten Ausstieg zu verwirklichen, und diese Option öffentlich unterstützen.
Angesichts dieser neuen Dynamik sollten zudem die zögerlichen EU-Mitgliedsstaaten ihre Strategie überdenken. Die Befürwortung eines koordinierten Rücktritts würde es der EU nicht nur ermöglichen, ihren Zusammenhalt zu bewahren, sondern auch erhebliche rechtliche Risiken verringern. Angesichts des ungewissen Schicksals der Reform könnten sie andernfalls auf unbestimmte Zeit in einem Abkommen verbleiben, das gegen geltendes EU-Recht verstößt. Die Unterstützung eines koordinierten Rücktritts würde stattdessen ein starkes Signal für gemeinsame Klimaschutzmaßnahmen setzen.
Der Juli wird voraussichtlich der heißeste Monat seit 120.000 Jahren werden, wobei die Emission von Treibhausgasen aus fossilen Brennstoffen und anderen Quellen der Hauptgrund für die Klimakrise ist. Der Vorschlag der Kommission ist eine Chance für die EU, im Klimaschutz mit einer Stimme zu sprechen, und konstruktiver und kreativer in der Energiepolitik innerhalb der EU und mit außergemeinschaftlichen Vertragsparteien des ECT zusammenzuarbeiten.
Die Autoren bedanken sich bei Sofia Baliño und Isaak Bowers für ihre wertvollen Kommentare. Der Text basiert teilweise auf einem englischen Artikel, der bei IISD veröffentlicht wurde.