Auf Kosten des Rechtsstaates
Zur geplanten Abschaffung des anwaltlichen Pflichtbeistandes gem. § 62d AufenthG im Zuge der Abschiebungshaft
Kaum eingeführt, schon wieder abgeschafft? Erst im Februar 2024 trat § 62d AufenthG in Kraft. Dieser regelte erstmals, dass zur richterlichen Entscheidung über die Anordnung von Abschiebungshaft eine anwaltliche Vertretung beigeordnet sein muss. Nur knapp 18 Monate später soll diese zentrale rechtsstaatliche Errungenschaft – eingebettet in einen ebenfalls stark zu kritisierenden Gesetzesentwurf – nach dem Willen der Bundesregierung bereits wieder abgeschafft werden. Freiheitsrechte und Rechtsstaatlichkeit dürfen jedoch nicht dem politischen Ziel schnellerer Abschiebungen untergeordnet werden.
Reaktion auf systemische Defizite
Die Einführung des § 62d AufenthG im Februar 2024 war eine späte, aber überfällige Reaktion auf die anhaltende Kritik an der rechtsstaatlichen Ausgestaltung der Abschiebungshaft. Bereits seit Jahren wird die hohe Rechtswidrigkeitsquote (ca. 50–90 %) in den Abschiebungshaftverfahren moniert. Oftmals beruht diese Rechtswidrigkeit bereits darauf, dass die formellen Voraussetzungen für die Haftanordnung nicht vorliegen. In Stellungnahmen und wissenschaftlichen Beiträgen wurde deshalb immer wieder auf die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung in Abschiebungshaftverfahren von Amts wegen hingewiesen. Wesentliches Argument ist dabei die besondere Bedeutung des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, in welches die Abschiebungshaft eingreift (Rn. 48 ff.). Für das Verfahren des Freiheitsentzuges enthält das Grundgesetz besondere Schutzvorkehrungen. Hierzu zählen neben dem Richtervorbehalt gem. Art. 104 Abs. 2 GG insbesondere die Förmlichkeit des Verfahrens nach Art. 104 Abs. 1 GG. Im Rahmen dieses Verfahrens sind der Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 GG und das Gebot des fairen Verfahrens, abgeleitet aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG wesentlich. Das Gebot des fairen Verfahrens gebietet es insbesondere, dass die betroffene Person ihre prozessualen Rechte mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen kann (Rn. 32). Ist sie hierzu eigenständig nicht in der Lage, ist es geboten, dass sie sich durch eine*n Rechtsanwält*in vertreten lässt (Rn. 23).
Fehlinterpretation des Normzwecks
Vor diesem Hintergrund wurde 2024 eine entsprechende Pflichtbeiordnung in § 62d AufenthG im Rahmen des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung eingeführt. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll die Norm es Betroffenen ermöglichen, „mithilfe eines anwaltlichen Vertreters seine Rechte in dem für ihn in der Regel unbekannten Verfahren der Anordnung der Abschiebungshaft bzw. des Ausreisegewahrsams geltend zu machen“ (S.18). Zwar wurde § 62d AufenthG im Kontext eines Gesetzes eingeführt, welches „gesetzliche Regelungen, die Abschiebungsmaßnahmen verhindern oder zumindest erschweren“ so anpassen soll, dass Rückführungen vereinfacht durchgeführt werden sollen. Aus der oben zitierten Begründung geht aber hervor: Diese Intention ist für die Einführung des § 62d AufenthG ausdrücklich nicht gegeben. Vielmehr wollte die Legislative mit § 62d AufenthG einen (verfahrensrechtlichen) Ausgleich zu den in den letzten Jahren und vor allem mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz immer wieder gravierend abgesenkten materiellen Voraussetzungen der Abschiebungshaft (z.B. Erweiterung der Haftgründe, Verlängerung der zulässigen Haftdauern und Erleichterung der Inhaftierung während des Asylverfahrens) schaffen.
Im Gesetzesentwurf wird die Abschaffung des § 62d AufenthG dennoch damit begründet, dass die Norm dem „Ziel des Rückführungsverbesserungsgesetzes, Rückführungen zu erleichtern, […]“ entgegenstehe (S.11). Damit wird verkannt, dass § 62d AufenthG gerade nicht darauf gerichtet ist, Abschiebungen zu ermöglichen bzw. zu beschleunigen. Die Bundesregierung bedient sich damit unrichtigerweise des Sinn und Zwecks anderer Normen innerhalb eines Novellierungspakets und stellt das ursprüngliche Telos der Norm so auf den Kopf.
Diese (wohl bewusste) Fehlinterpretation wird im Zuge der rechtspolitischen Kommunikation weiter vorangetrieben. So äußert Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) in der Bundestagsdebatte vom 10.07.2025, der*die Pflichtanwält*in verhindere die Abschiebungen. Sodann beschreibt er das Verfahren der Schutzbeantragung und Ablehnung in Deutschland (Minute 2:40). Dabei bleibt (wie auch bereits im Wahlkampf zur Bundestagswahl und im Koalitionsvertrag (S.94)) unberücksichtigt, dass der*die Pflichtanwält*in über § 62d AufenthG alleinig im Verfahren der Abschiebungshaft beteiligt wird, nicht jedoch auch im Verfahren der Abschiebung selbst tätig wird. Abschiebung und Abschiebungshaft sind rechtlich und verfahrensmäßig getrennte Maßnahmen. Während die Abschiebung unmittelbar der Durchführung einer vollziehbaren Ausreisepflicht dient, handelt es sich bei der Abschiebungshaft um eine Sicherungsmaßnahme dieser verwaltungsrechtlichen Vollstreckungsmaßnahme. Die Zulässigkeit und Durchführbarkeit der Abschiebung ist somit zwingende materielle Voraussetzung der Haft. Darüber hinaus erfordert eine rechtmäßige Abschiebungshaftanordnung das Vorliegen weiterer Voraussetzungen wie z.B. zwingende Haftgründe und die Feststellung, dass die Ausreisepflicht nicht auch mit milderen Mitteln durchgesetzt werden kann. Fehlt es an diesen weiteren Voraussetzungen der Inhaftierung (was insbesondere mit Hilfe eines Rechtsbeistandes gerichtlich festgestellt werden kann), ist allein die Haftanordnung, nicht jedoch auch die Abschiebung selbst rechtswidrig.
Kein entbehrlicher Luxus
Auch ein weiteres Argument für die Abschaffung verfängt nicht. Die Gesetzesbegründung (S. 11) lautet weiter:
„Die Pflichtbeiordnung eines Rechtsanwalts ist angesichts anderweitiger Regelungen auch nicht erforderlich, denn gerade in Freiheitsentziehungssachen sieht das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), welches gemäß § 106 Absatz 2 AufenthG auf das Abschiebungshaftverfahren Anwendung findet, bereits besondere Pflichten des Gerichts zum Schutz des Betroffenen vor. So hat das Gericht dem Betroffenen nach § 419 Absatz 1 FamFG zwingend einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist. Bei Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage kommt die Beiordnung eines Rechtsanwaltes schon jetzt unter den Voraussetzungen des § 78 Absatz 2 FamFG in Betracht.“
Zutreffend ist, dass die Gewährleistung eines fairen Verfahrens nicht zwingend die Beiordnung von Pflichtanwält*innen von Amts wegen verlangt. Dies ist nur dann geboten, wenn die in der Verfahrensordnung verankerten Gewährleistungen nach den Umständen des jeweiligen konkreten Verfahrens ein effektives Verfahren nicht hinreichend gewährleisten können. Mit der Annahme, ein*e Pflichtanwält*in sei aufgrund der bestehenden Gewährleistungen des FamFG-Verfahrens nicht erforderlich, verkennt die Bundesregierung allerdings die besonderen Umstände des Abschiebungshaftverfahrens. Weder das Institut der Verfahrenspflegschaft noch die ebenfalls häufig angeführte Möglichkeit der Verfahrenskostenhilfe sind geeignet, die Rechte der Betroffenen in dem gebotenen Maße zu schützen. So ist Voraussetzung für die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe ein entsprechender Antrag bei Gericht. Allein die Antragstellung erfordert eine so umfassende Begründung, dass sie ohne Unterstützung einer rechtskundigen Person von Personen, denen deutsche Rechts- und Sprachkenntnis in der Regel fehlt, kaum gewährleistet sein dürfte.
Auch die Bestellung von Verfahrenspfleger*innen ist nicht geeignet, die Rechte der Betroffenen umfassend zu schützen. So wird ein*e Verfahrenspfleger*in i.S.d. § 419 FamFG einerseits nur in den seltenen Ausnahmefällen beigeordnet, wenn der*die Betroffene seinen Willen nicht selbst kundtun kann. Eine solche Beiordnung kann allerdings weder durch die Komplexität der Sach- und Rechtslage noch durch sprachliche Barrieren gerechtfertigt werden. Zum anderen ist die notwendige Sachkunde der beigeordneten Verfahrenspfleger*innen zweifelhaft, denn selbst Jurist*innen scheitern häufig an der Komplexität der Kriterien der Abschiebungshaft (S. 8ff.; siehe zu der entsprechenden Argumentation auch bereits Franz, NVwZ 2024, 216, 218).
Rechtsstaatlichkeit ist keine bloße Effizienzfrage
Schließlich wird im Gesetzesentwurf angeführt, § 62d AufenthG habe „zu einer umfassenden Mehrbelastung der Justiz geführt“ (S.11). Die Abschiebungshaftverfahren seien „zeitintensiver und komplexer“ geworden (S.11). Dies greift eine entsprechende Beobachtung der Justizminister*innen der Länder auf, die aus diesen Erwägungen im November 2024 ebenfalls für eine Abschaffung der Norm plädiert hatten (S.11). Mit dieser Begründung lässt sich aber auch andersherum argumentieren: Ist nicht gerade der Umstand, dass die Verfahren nun u.a. aus Komplexitätsgründen länger dauern, ein Beweis für die Notwendigkeit der Norm? Insbesondere die sehr hohe Fehleranfälligkeit der bisherigen Verfahren spricht dafür. Auch darf es sich bei der Gewährleistung von rechtsstaatlichen Garantien – insbesondere bei Freiheitsentziehungssachen – nicht um bloße Effizienzfragen handeln. Zwar unterliegen auch Verfahren der Freiheitsentziehung dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatz (Rn.11). Allerdings gebietet der unlösbare Zusammenhang (Rn.76) zwischen materiellem Freiheitsgrundrecht und formellen Gewährleistungen, dass verfahrensrechtliche Schutzvorschriften nicht als überflüssiges Beiwerk betrachtet werden dürfen. Auch zum Zwecke der Effizienzsteigerung darf auf sie nicht verzichtet werden. Das muss hier erst recht gelten, wenn es sich um eine so zentrale Schutzvorschrift wie den Rechtsbeistand handelt.
Kein Rechtsstaat light
Auch wenn die bisherige Ausgestaltung im Gesetz erhebliche Lücken (z.B. in Bezug auf ihren Anwendungsbereich und das Bestellungsverfahren) enthält, zeigt die Norm in ihrer ursprünglichen Intention doch einen Fortschritt zum Zustand vor 18 Monaten. Inwieweit § 62d AufenthG geeignet ist, die Rechte der Betroffenen im Verfahren tatsächlich geltend zu machen, untersucht derzeit ein Forschungsprojekt an der Universität Hamburg unter Befragung von unmittelbar an den Verfahren beteiligten Richter*innen und Anwält*innen.
Fest steht jedenfalls, dass die geplante Abschaffung des Rechtsbeistandes bei migrationsrechtlichen Freiheitsentziehungsmaßnahmen unter dem Deckmantel der verbesserten Rückführung ein Schritt in die falsche Richtung ist. Ein kritischer Blick auf die vorgebrachten Gründe offenbart zudem einen besorgniserregenden Mangel an Verständnis für den Normzweck des § 62d AufenthG und dessen verfassungsrechtliche Implikationen.
Umfassender Schutz im Freiheitsentziehungsverfahren ist und bleibt ein Eckpfeiler des Rechtsstaates. Pflichtanwält*innen sind in Verfahren der Abschiebungshaft keine überflüssige Formalie, die bloß Abschiebungen verhindert oder verzögert. Sie sollen die Einhaltung von Verfahrensrechten bei der Anordnung einer Freiheitsentziehungsmaßnahme gewährleisten. Es handelt sich somit um einen Mindeststandard, dessen Abschaffung massive verfassungsrechtliche Bedenken gegenüberstehen. Die ersatzlose Streichung des rechtsanwaltlichen Beistands in Abschiebungshaftverfahren reiht sich in die Tendenz ein, in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren von rechtsstaatlichen Grundsätzen abzusehen, und markiert eine systematische Erosion des Rechtsstaates. Sie kann weder mit einer verwaltungs- und gerichtspraktischen Entlastung noch mit (im Übrigen nicht näher dargelegten) Effizienzgründen gerechtfertigt werden.