28 March 2025

30 Jahre nach Beijing

Zur Vergangenheit und Zukunft globaler Gleichstellungspolitik  

1995 war ein Meilenstein internationaler Gleichstellungspolitik: In Peking verabschiedeten 189 Staaten die Beijing Declaration und die zugehörige Platform for Action. Diese Dokumente stellten die bislang umfassendste und visionärste Agenda für Geschlechtergerechtigkeit dar. Sie waren maßgeblich dafür, dass sich die Rechte der Frau in den letzten drei Jahrzehnten weiterentwickelt haben. Doch noch immer bestehen erhebliche Lücken im Schutz von Frauen. Darüber hinaus drohen feministische Errungenschaften rückgängig gemacht zu werden: Fragile Volkswirtschaften, die Klimakrise, das Ausmaß an bewaffneten Konflikten und humanitären Krisen sowie demokratische Rückschritte führen zu einem weltweiten Backlash gegen Gleichstellung.

30 Jahre nach Beijing wurde nun bei der  69. Sitzung der Commission on the Status of Women (CSW) in New York nicht nur Bilanz gezogen, sondern auch die Beijing +30 Action Agenda als politischer Fahrplan für die nächsten zehn Jahre präsentiert. Die Agenda bietet einen konkreten, global anschlussfähigen Rahmen für eine Zukunftspolitik, die Geschlechtergerechtigkeit nicht als Nische, sondern als Querschnittsaufgabe begreift. Ob das gelingt, wird jedoch vor allem von der politischen Umsetzungskraft, ausreichender Finanzierung und der Offenheit von Machtzentren für feministische Perspektiven abhängen. Gleichstellung muss als globale Aufgabe und demokratisches Fundament verstanden werden und nicht als verhandelbare Zugabe in Zeiten von Frieden.

Die Beijing-Erklärung und der Aktionsplan

Im September 1995 einigten sich 189 Staaten im Rahmen der vierten Weltfrauenkonferenz auf die Beijing Declaration und der dazugehörigen Platform for Action. Von 189 Staaten verabschiedet, ist dies damit das international am stärksten unterstützte Rahmenwerk für die Gleichstellung der Geschlechter. Zudem wurde die Gleichstellung ausdrücklich als eine Frage der Menschenrechte benannt und damit erstmalig in einem solchen Format anerkannt, dass strukturelle Ungleichheiten, Stereotype und Gewalt gegen Frauen auf tief verwurzelter Diskriminierung beruhen und weltweit bestehen. Die Beijing Declaration und die Platform for Action identifizieren zwölf sogenannte „Critical Areas of Concern“, die als zentrale Hindernisse für die Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter gelten. Dazu zählen 1) die feminisierte Armut, strukturelle (2) Bildungs- und (3) Gesundheitsungleichheiten, (4) geschlechtsspezifische Gewalt sowie (5) die besonderen Belastungen von Frauen in bewaffneten Konflikten. Auch (6) die anhaltende Ungleichheit und Benachteiligung von Frauen in der Wirtschaftspolitik sowie (7) die Unterrepräsentation von Frauen in politischen Entscheidungsprozessen werden als systemische Herausforderungen benannt. Darüber hinaus verweisen die Dokumente auf (8) unzureichende institutionelle Schutzmechanismen für Frauenrechte, (9) die fehlende Anerkennung von Frauenrechten als Menschenrechte, (10) die fortbestehende Stereotypisierung weiblicher Rollenbilder sowie (11) eine geschlechterdiskriminierende Umwelt- und Ressourcenpolitik. Dabei werden (12) die Rechte von Mädchen besonders beachtet. Erstmals wurde damit das intersektionale Zusammenspiel verschiedener Ungleichheiten im Bereich der Geschlechtergleichstellung so umfassend in den Blick genommen.

Ausgehend von diesen Problembereichen formuliert die Deklaration einen umfassenden politischen Rahmen für staatliches Handeln, der den allgemeinen politischen Willen und die grundsätzliche Anerkennung der Gleichstellungsziele zum Ausdruck bringt. Diesen Rahmen konkretisiert der Aktionsplan durch eine Vielzahl strategischer Maßnahmen in jedem der zwölf Bereiche. Die vorgeschlagenen Maßnahmen richten sich nicht nur an Staaten, sondern auch an internationale Organisationen und zivilgesellschaftliche Akteure. Dieser umfassende multisektorale Ansatz zielt darauf ab, eine Vielzahl an Akteuren durch politische, rechtliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Maßnahmen zu mobilisieren, um die Vision einer echten und umfassenden Gleichstellung von Frauen in allen Lebensbereichen zu erreichen.

Wichtigste Errungenschaften seit 1995

In den drei Jahrzehnten seit der Verabschiedung der Beijing Declaration und der Platform for Action haben die unterzeichnenden Staaten sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene die Rechte von Frauen vielfach gestärkt, wie der UN-Bericht E/CN.6/2025/3 (UN-Report) anlässlich des 30. Jubiläums aufzeigt. Auf internationaler Ebene war die Gründung von UN Women im Jahr 2010 zentral. Die neue UN-Organisation wurde mit dem Mandat geschaffen, die Gleichstellung der Geschlechter systematisch voranzutreiben (UN-Report, S. 17).

Eine wichtige Rolle spielt dabei die Commission on the Status of Women (CSW), ein funktionales Gremium des UN-Wirtschafts- und Sozialrats, das sich jährlich mit dem Stand der weltweiten Gleichstellung befasst. In ihren Sitzungen analysiert die CSW die Fortschritte der Mitgliedstaaten, verabschiedet Abschlusserklärungen und gibt Empfehlungen zur Weiterentwicklung internationaler Gleichstellungspolitik.

Ebenfalls zentral ist das CEDAW-Komitee, das über die Einhaltung der UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau wacht. Das Komitee verabschiedet sogenannte Allgemeine Empfehlungen, in denen es bestimmte Aspekte der Konvention auslegt und fortentwickelt (UN-Report, S. 21 f.). Ein bedeutender Schritt im Rahmen des CEDAW-Systems war zudem die Verabschiedung des Fakultativprotokolls im Jahr 1999, das Frauen weltweit die Möglichkeit eröffnet, Individualbeschwerden gegen Verletzungen ihrer Rechte einzureichen. Seitdem nutzen Beschwerdeführer*innen aus aller Welt das Verfahren, um auf strukturelle Diskriminierungen und Lücken im Rechtsschutz aufmerksam zu machen.

Auch in den Bereichen Frieden und Sicherheit gab es Fortschritte. So spielt das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs eine herausragende Rolle dabei, geschlechtsspezifische Gewaltverbrechen anzuerkennen und zu ahnden. Es enthält explizite Regelungen zu sexueller Gewalt, Zwangsprostitution und Zwangsschwangerschaft (vgl. ICC, Prosecutor v. Dominic Ongwen). Zwischen 2015 und 2023 thematisierten zudem mehr als 65 % der Resolutionen des UN-Sicherheitsrats geschlechterbezogene Fragestellungen (UN-Report, S. 89). Ein weiterer bedeutender Mechanismus ist der 1996 eingerichtete UN Trust Fund zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen, der bisher 706 Initiativen in 140 Ländern mit insgesamt über 240 Millionen US-Dollar unterstützt hat. Zudem haben andere internationale Organisationen, etwa die Internationale Arbeitsorganisation, durch frauenrechtsspezifische Übereinkommen an der Weiterentwicklung der Frauenrechte mitgewirkt.

Auch auf nationaler Ebene wurden erhebliche Fortschritte erzielt. Seit 1995 haben die Vertragsstaaten weltweit über 1.531 rechtliche Reformen zur Förderung der Geschlechtergleichstellung angestoßen (vgl. Beijing+30 Handbook, S. 8). So geht aus dem von UN-Women und der CSW initiierten (freiwilligen) Überprüfungsverfahren, an dem sich 150 Staaten beteiligten, hervor, dass 90 % dieser Staaten, Gesetze zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen und Mädchen eingeführt oder gestärkt zu haben (UN-Report, S. 55). 80 % der Staaten gaben an, Gesetze und politische Maßnahmen zur Bekämpfung geschlechtsbezogener Diskriminierung im Arbeitsleben verabschiedet zu haben (UN-Report, S. 23), und 53 % der Staaten berichteten über gendersensible Ansätze in der Klimapolitik und der Katastrophenvorsorge (UN-Report, S. 104).

Ergänzend zu den rechtlichen Reformen haben die Staaten in allen zwölf Handlungsfeldern vielfältige Maßnahmen zur Umsetzung der Gleichstellungsziele ergriffen. 84 % der Staaten haben nach eigenen Angaben gezielte gesundheitliche Angebote für Frauen und Mädchen aufgebaut, insbesondere im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit (UN-Report, S. 52). 79 % meldeten die Einführung oder Ausweitung nationaler Aktionspläne zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt (UN-Report, S. 63), und in 112 Ländern wurden nationale Aktionspläne zu Frauen, Frieden und Sicherheit verabschiedet (UN-Report, S. 96). 52 % der Staaten haben gesetzliche oder freiwillige Quotenregelungen eingeführt, um eine gleichberechtigte Repräsentation in Parlamenten und Führungspositionen zu fördern (UN-Report, S. 80). Außerdem wurden in 123 Staaten nationale Menschenrechtsinstitutionen eingerichtet, die mit der Überwachung und Bekämpfung von Frauenrechtsverletzungen befasst sind (UN-Report, S. 87).

All dies zeigt, dass geschlechterspezifische Perspektiven in Gesetzgebung, Politikgestaltung und staatlichem Handeln weltweit zunehmend institutionell verankert sind.

Aktuelle Herausforderungen

Drei Jahrzehnte nach Annahme der Beijing Declaration bleibt Geschlechtergerechtigkeit dennoch ein unerfülltes Versprechen. Weltweit erleben Frauen und Mädchen eine Zunahme geschlechtsspezifischer Gewalt – von Femiziden bis zu digitaler Gewalt –, während rechtliche Schutzlücken fortbestehen (UN-Report, S. 6, 55, 94.). Ökonomisch tragen sie weiterhin die Hauptlast unbezahlter Sorgearbeit, das Lohngefälle bleibt bestehen, und die COVID-19-Pandemie hat bestehende Ungleichheiten weiter verschärft (UN-Report, S. 8 f., 22 f., 28). Besonders betroffen sind mehrfach marginalisierte Gruppen: indigene Frauen, LGBTQ+-Personen, Frauen mit Behinderung oder in Konfliktregionen werden in vielen Politiken übersehen oder strukturell benachteiligt (UN-Report, S. 8).

Diese strukturellen Ungleichheiten werden durch aktuelle globale Rückschläge noch verschärft (UN-Report, S. 9 ff.): In mehreren Staaten wurden Schutzmechanismen gegen häusliche Gewalt zurückgenommen oder nicht umgesetzt, reproduktive Rechte systematisch eingeschränkt, etwa durch das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen. In Deutschland hat der letzte Bundestag versäumt die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruches durch eine Änderung der §§ 218ff. StGB aufzuheben (dazu siehe Klein und Wapler). Gleichzeitig sehen sich Gender Studies, queere Bewegungen und feministische Organisationen zunehmender Stigmatisierung ausgesetzt. Nationale Gleichstellungsinstitutionen wurden in einzelnen Ländern weniger finanziert oder in ihrer Mandatsausübung eingeschränkt. In Bildungssystemen und internationalen Foren mehren sich Versuche, Begriffe wie „Gender“ oder „Sexuelle Orientierung“ aus offiziellen Dokumenten zu streichen. Die UN-Analyse zeigt: Rund ein Viertel der Staaten berichtete, dass konservative bis antifeministische Akteure aktiv versuchen, bereits erzielte Fortschritte zurückzudrehen oder die Umsetzung der Beijing-Plattform zu blockieren. Der Rückzug internationaler Fördermittel, insbesondere aus den USA durch die Kürzungen von USAID, verschärft diese Lage zusätzlich. Während feministische Bewegungen auf vielen Ebenen gegenhalten, fehlen oft die Ressourcen, um strukturell gegenzusteuern.

Die Beijing +30 Action Agenda

Angesichts dieser Entwicklungen hat UN Women zum 30-jährigen Jubiläum die Beijing+30 Action Agenda formuliert. Sie basiert auf nationalen Berichten aus 159 Mitgliedsstaaten sowie intensiven Konsultationen mit Partnerorganisationen und Expert*innen. Die Agenda reagiert gezielt auf heutige Herausforderungen und setzt sechs zentrale Aktionsbereiche sowie einen zusätzlichen Fokus auf die Rolle der Jugend, das sogenannte „6+1“-Modell: (1) digitale Teilhabe, (2) Freiheit von Armut, (3) Null Gewalt, (4) volle Entscheidungsgewalt, (5) Frieden und Sicherheit, (6) Klimagerechtigkeit und (+1) die Einbindung junger Menschen als transformative Kraft. Die Agenda macht deutlich: Fortschritt ist möglich, wenn er systematisch, finanziert und inklusiv gestaltet wird.

Auch die 69. Sitzung der CSW (CSW69), die vom 10. bis 21. März 2025 in New York stattfand, widmete sich im Zeichen von Beijing+30 den aktuellen Herausforderungen. Mit über 5.800 NGO-Vertreter*innen war sie inklusiver denn je. Mehr als 200 Side Events behandelten Themen wie digitale Gewalt, Klimagerechtigkeit, Migration oder die Stärkung intersektionaler Perspektiven. Dabei wurde nicht nur die Vielfalt feministischer Anliegen sichtbar, sondern auch die bestehenden Lücken der ursprünglichen Beijing Declaration, etwa beim Thema Care-Arbeit, das zwar in der Praxis eine zentrale Rolle spielt, aber weder damals noch heute systematisch berücksichtigt wird. Dabei gilt die Care-Arbeit heute als Schlüsselthema für Geschlechtergerechtigkeit: Sie ist eng verknüpft mit ökonomischer Ungleichheit, demografischem Wandel sowie feministischen Forderungen nach Umverteilung von Zeit, Arbeit und Ressourcen.

Zugleich wurde ein Riss im internationalen Verständnis von Geschlechtergerechtigkeit deutlich. Während einige Staaten in ihren Stellungnahmen betonten, die Beijing Declaration reiche nicht aus, und eine progressivere Agenda forderten (u.a. Chile und Mexiko), sprachen sich andere offen gegen Begriffe wie „Gender Identity“ aus und warfen der Kommission vor, progressive Inhalte ohne Konsens einzuführen (so USA, Russland, Belarus und Argentinien). Diese Polarisierung spiegelt sich in internationalen Aushandlungen ebenso wie in nationalen Debatten. Immerhin: Der Abschlussbericht der CSW69 wurde angenommen. Ein wichtiges Zeichen für die gemeinsame Handlungsfähigkeit, trotz aller Differenzen.

Ausblick

Die Vision der Beijing Declaration bleibt aktuell: Eine Welt, in der alle Frauen und Mädchen gleichberechtigt, sicher und selbstbestimmt leben. Doch der Weg dorthin ist steinig.

Zur neuen Vorsitznation der kommenden 70. CSW in 2026 wurde Costa Rica gewählt. Dessen Vertreterin Maritza Chan Valverde kündigte bei der Abschlusssitzung an, sich entschieden für die Rechte von Frauen einzusetzen, mit den Worten: „Time is running out“. Besonders betonte sie die Notwendigkeit, Frauen in Führungspositionen sichtbar zu machen. Es sei an der Zeit, auch das Amt der UN-Generalsekretärin mit einer Frau zu besetzen. Die potenzielle Ernennung von Annalena Baerbock als neue Präsidentin der UN-Generalversammlung dürfte damit ein Schritt in die richtige Richtung sein. Angesichts der globalen Krisen steht die nächste CSW vor gewaltigen Herausforderungen: von Kriegen in der Ukraine, im Gazastreifen oder im Ostkongo über den zunehmenden Rechtsruck in westlichen Demokratien bis hin zu drohenden Mittelkürzungen unter der neuen US-Administration. Die Führungsrolle Costa Ricas ist vielversprechend: Aus Lateinamerika sind in den vergangenen Jahren feministische Bewegungen hervorgegangen, die trotz schwieriger Bedingungen zu globalen Vorbildern im Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit geworden sind.

Eine große Herausforderung wird wohl die Frage der Finanzierung darstellen. Friedensnobelpreisträgerin Leymah Gbowee brachte es während der CSW69 auf den Punkt: „You cannot put a peanut and expect a diamond.“ Ohne ausreichende Mittel werden viele Vorhaben der Agenda Symbolpolitik bleiben.

Entscheidend wird sein, dass die unterzeichnenden Staaten die politischen Absichtserklärungen auch tatsächlich umsetzen. Das bedeutet: mehr Ressourcen, mehr Rechenschaft, mehr feministische Solidarität, lokal wie global. Krisenbewältigung darf nicht auf dem Rücken der Frauen erfolgen – Mittel für Krieg und Aufrüstung dürfen nicht Gleichstellungspolitik verdrängen. Frauenrechte sind Menschenrechte. Ihre Verwirklichung ist keine politische Gefälligkeit, sondern völkerrechtliche Verpflichtung – trotz der aktuellen globalen Herausforderungen.


SUGGESTED CITATION  Nosrati, Narin; Welte, Hanna: 30 Jahre nach Beijing: Zur Vergangenheit und Zukunft globaler Gleichstellungspolitik  , VerfBlog, 2025/3/28, https://verfassungsblog.de/beijing-30-action-agenda/, DOI: 10.59704/3132a840ab3da2d2.

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