12 November 2021

Besser Gesetze nicht ändern als schlecht ändern

Zur Rechtssicherheit als vorgeschobenes Argument in der Pandemie

Mitte November 2021. Die Inzidenzzahlen steigen wieder dramatisch an. Regierungswechsel mitten in der Pandemie. Der Gesetzgeber macht sich daran, das Infektionsschutzgesetz (IfSG) zu ändern. Das erfolgt nunmehr in der Pandemie zum wiederholten Mal. Man sollte meinen, dass das Gesetz dabei immer besser wird. Nein. Diesmal nicht. Es droht in einem hastigen Gesetzgebungsverfahren der Rückbau von möglichen Maßnahmen gegen das Infektionsgeschehen. Die Feuerwehr wirft mitten im Einsatz Teile ihrer Ausrüstung ins Feuer.

Der Reihe nach.

A. Was gerade passiert

Die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite ist nach dem Infektionsschutzgesetz Grundlage, um u.a. das Maßnahmenspektrum des § 28a Abs. 1 IfSG freizuschalten. Diese Lage besteht, wenn eine ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit in der gesamten Bundesrepublik Deutschland besteht, weil eine dynamische Ausbreitung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit über mehrere Länder in der Bundesrepublik Deutschland stattfindet, ist mithin an objektive Kriterien gebunden ( vgl. § 5 Abs. 1 IfSG). Zu leugnen, dass eine derartige Lage in Deutschland nach wie vor besteht, kommt mir vor wie das Beharren darauf, dass die Erde neuerdings wieder eine Scheibe ist.

Hier ist der aktuelle § 28a Abs. 1 IfSG, der eine Reihe von Maßnahmen ermöglicht, wenn eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt wurde:

(1) Notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) können für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 durch den Deutschen Bundestag insbesondere sein

  1. Anordnung eines Abstandsgebots im öffentlichen Raum,
  2. Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maskenpflicht),

2a. Verpflichtung zur Vorlage eines Impf-, Genesenen- oder Testnachweises.

  1. Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum,
  2. Verpflichtung zur Erstellung und Anwendung von Hygienekonzepten für Betriebe, Einrichtungen oder Angebote mit Publikumsverkehr,
  3. Untersagung oder Beschränkung von Freizeitveranstaltungen und ähnlichen Veranstaltungen,
  4. Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung zuzurechnen sind,
  5. Untersagung oder Beschränkung von Kulturveranstaltungen oder des Betriebs von Kultureinrichtungen,
  6. Untersagung oder Beschränkung von Sportveranstaltungen und der Sportausübung,
  7. umfassendes oder auf bestimmte Zeiten beschränktes Verbot der Alkoholabgabe oder des Alkoholkonsums auf bestimmten öffentlichen Plätzen oder in bestimmten öffentlich zugänglichen Einrichtungen,
  8. Untersagung von oder Erteilung von Auflagen für das Abhalten von Veranstaltungen, Ansammlungen, Aufzügen, Versammlungen sowie religiösen oder weltanschaulichen Zusammenkünften,
  9. Untersagung oder Beschränkung von Reisen; dies gilt insbesondere für touristische Reisen,
  10. Untersagung oder Beschränkung von Übernachtungsangeboten,
  11. Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von gastronomischen Einrichtungen,
  12. Schließung oder Beschränkung von Betrieben, Gewerben, Einzel- oder Großhandel,
  13. Untersagung oder Beschränkung des Betretens oder des Besuchs von Einrichtungen des Gesundheits- oder Sozialwesens,
  14. Schließung von Gemeinschaftseinrichtungen im Sinne von § 33, Hochschulen, außerschulischen Einrichtungen der Erwachsenenbildung oder ähnlichen Einrichtungen oder Erteilung von Auflagen für die Fortführung ihres Betriebs oder
  15. Anordnung der Verarbeitung der Kontaktdaten von Kunden, Gästen oder Veranstaltungsteilnehmern, um nach Auftreten einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 mögliche Infektionsketten nachverfolgen und unterbrechen zu können.

Der aktuelle § 28a Abs. 7 IfSG lautet wie folgt:

(7) Nach dem Ende einer durch den Deutschen Bundestag nach § 5 Absatz 1 Satz 1 festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite können die Absätze 1 bis 6 auch angewendet werden, soweit und solange die konkrete Gefahr der epidemischen Ausbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) in einem Land besteht und das Parlament in dem betroffenen Land die Anwendbarkeit der Absätze 1 bis 6 für das Land feststellt.

Dieser Absatz soll nun gestrichen werden. Der neue Absatz 7 würde wie folgt lauten (BT-Drucksache 20/15):

(7) Unabhängig von einer durch den Deutschen Bundestag nach § 5 Absatz 1 Satz 1 festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite können bis zum Ablauf des 19. März 2022 folgende Maßnahmen notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 sein, soweit sie zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erforderlich sind:

    1. die Anordnung eines Abstandsgebots im öffentlichen Raum, insbesondere in öffentlich zugänglichen Innenräumen,
    2. die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maskenpflicht),
    3. die Verpflichtung zur Vorlage von Impf-, Genesenen- oder Testnachweisen sowie an der Vorlage solcher Nachweise anknüpfende Beschränkungen des Zugangs in den oder bei den in Absatz 1 Nummer 4 bis 8 und 10 bis 16 genannten Betrieben, Gewerben, Einrichtungen, Angeboten, Veranstaltungen, Reisen und Ausübungen,
  1. die Verpflichtung zur Erstellung und Anwendung von Hygienekonzepten, auch unter Vorgabe von Personenobergrenzen, für die in Absatz 1 Nummer 4 bis 8 und 10 bis 16 genannten Betriebe, Gewerbe, Einrichtungen, Angebote, Veranstaltungen, Reisen und Ausübungen,
  2. die Erteilung von Auflagen für die Fortführung des Betriebs von Gemeinschaftseinrichtungen im Sinne von § 33, Hochschulen, außerschulischen Einrichtungen der Erwachsenenbildung oder ähnlichen Einrichtungen und
  3. die Anordnung der Verarbeitung der Kontaktdaten von Kunden, Gästen oder Veranstaltungsteilnehmern in den oder bei den in Absatz 1 Nummer 4 bis 8 und 10 bis 16 genannten Betrieben, Gewerben, Einrichtungen, Angeboten, Veranstaltungen, Reisen und Ausübungen, um nach Auftreten einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 mögliche Infektionsketten nachverfolgen und unterbrechen zu können.

Vergleicht man nun die möglichen Maßnahmen nach Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (oben, § 28a Abs. 1 IfSG) und diesen neuen Absatz 7, so erkennt man den Rückbau sofort mit bloßem Auge:

– Abstandsgebote,

– Maskenpflicht,

– 2G- und 3G Regelungen,

– Hygienekonzepte,

– Kontaktnachverfolgung

– Auflagen für Schulen und Hochschulen.

Mehr nicht. Ein abschließender Schmalkatalog für die Länder, der weitergehende Beschränkungen ausschließt.

Das wird das Virus nicht sonderlich beeindrucken. Versteckt unter Querverweisen und an Bundestagsbeschlüsse gekoppelte Maßnahmemöglichkeiten passiert damit Folgendes: Den Ländern wird die Möglichkeit genommen, unabhängig von Feststellungen des Bundestages wirksame Maßnahmen zu ergreifen, da sie nicht mehr den Maßnahmenkatalog von § 28a Abs. 1 IfSG aktivieren können.

Konkret nochmals im Klartext: Keine Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten oder im öffentlichen Raum, keine Untersagung von Freizeitveranstaltungen und ähnlichen Veranstaltungen; des Betriebs von Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung zuzurechnen sind; von Kulturveranstaltungen oder des Betriebs von Kultureinrichtungen; von Sportveranstaltungen und der Sportausübung; kein Verbot der Alkoholabgabe oder des Alkoholkonsums auf bestimmten öffentlichen Plätzen oder in bestimmten öffentlich zugänglichen Einrichtungen; keine Untersagung von Veranstaltungen, Ansammlungen, Aufzügen, Versammlungen sowie religiösen oder weltanschaulichen Zusammenkünften (auch keine Auflagen); keine Untersagung oder Beschränkung von Reisen; keine Untersagung oder Beschränkung von Übernachtungsangeboten; keine Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von gastronomischen Einrichtungen; keine Schließung oder Beschränkung von Betrieben, Gewerben, Einzel- oder Großhandel; keine Untersagung oder Beschränkung des Betretens oder des Besuchs von Einrichtungen des Gesundheits- oder Sozialwesens; keine Schließung von Gemeinschaftseinrichtungen im Sinne von § 33 IfSG, Hochschulen, außerschulischen Einrichtungen der Erwachsenenbildung oder ähnlichen Einrichtungen.

In der Gesetzesbegründung der drei Fraktionen zur Gesetzesänderung heißt es zu den bisherigen Möglichkeiten auf Landesebene:

„Die für diesen Fall bislang in § 28a Absatz 7 IfSG enthaltene Grundlage für länderspezifische Anschlussregelungen leidet unter dem Mangel, dass sie auch für solche weniger intensiven Maßnahmen immer an eine Entscheidung der Landesparlamente gebunden ist.“

Und weiter:

„Eine Entscheidung durch die Landesparlamente erscheint angesichts der geringeren Eingriffstiefe der zukünftig erforderlichen präventiven Maßnahmen im Vergleich zum bisherigen Katalog des § 28a Absatz 1 IfSG nicht mehr geboten. Damit wird dem Bedarf an schnellen Reaktionsmöglichkeiten besser Rechnung getragen.“

Die Verfasser dieser Begründung erkennen damit selbst an, dass sie den Ländern nur noch vergleichsweise wenig weitreichende Maßnahmen zugestehen. Verantwortungs- und vertrauensvoller Föderalismus sieht anders aus. Das hier ist Top-Down-Föderalismus.

B. Warum?

Politiker sind – meist – keine Lemminge. Es muss einen Grund geben, warum eine derart einschneidende Korrektur versucht wird.

Im Gesetzesentwurf heißt es:

Um weiterhin notwendige Infektionsschutzmaßnahmen bis zu einer grundsätzlichen Überarbeitung des IfSG rechtssicher zu machen, sind deshalb nun Anpassungen zur zielgerichteten Bekämpfung der andauernden Pandemie erforderlich.“

Rechtssicherheit also als zentrales Argument. In den öffentlichen Äußerungen aus den den Entwurf tragenden Fraktionen wird noch deutlicher auf die angebliche Rechtsunsicherheit der gegenwärtigen Gesetzeslage verwiesen. Da wird diffus die Rechtswissenschaft in Anspruch genommen, die sich angeblich gegen die Maßnahmen des § 28a Abs. 1 IfSG gewendet habe. Immer wieder heißt es, das gegenwärtige Recht sei nicht gerichtsfest, es wird ungenau auf irgendwelche Gerichtsentscheidungen verwiesen.

Diese Argumente erweisen sich bei näherer Prüfung als unzutreffend. Soweit mit einem Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs argumentiert wird: es ist manchmal besser, nicht zu argumentieren als falsch zu argumentieren. Bei der Debatte im Bundestag am 11. November 2021 hat der FDP-Politiker Buschmann sich ausdrücklich und mehrfach auf den Bayerischen Verfassungsgerichtshof bezogen. Der hat sich indessen zu den vorliegenden Fragen überhaupt nicht geäußert. Gemeint ist wohl ein Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH München, Geschäftszeichen 20 N 20.767) vom 4. Oktober 2021. Dort wird in der Tat die Unverhältnismäßigkeit von Maßnahmen in Bayern festgestellt. Zwar ist der bayerische VGH kein Verfassungsgericht und auch im Verwaltungsrechtsweg nicht die letzte Instanz. Aber unter Fachleuten hat er doch eine gewichtige Stimme. Nun war aber der besagte kürzlich ergangene Beschluss vom Oktober 2021 die Hauptsacheentscheidung betreffend die Situation im Frühjahr 2020, handelt also von einer ganz anderen Rechtslage, über die eineinhalb Jahre später befunden wurde.

Vor allem aber: Der VGH stellt das Instrumentarium gar nicht in Frage. Es geht ihm vielmehr um die verhältnismäßige Ausgestaltung.

Im Wortlaut:

Rn. 48: Angesichts der durch Infektionskrankheiten wie Covid-19 ausgehenden potentiellen Gefahren für Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 GG) wird man die recht offene Ermächtigungsgrundlage als Rechtsgrundlage der hier angegriffenen 1. BayIfSMV auch nicht als unverhältnismäßig ansehen können (vgl. Papier, Freiheitsrechte in Zeiten der Pandemie, DRiZ 2020, 180). Gerade im Hinblick auf „bedrohliche übertragbare Krankheiten“, also übertragbare Krankheiten, die auf Grund klinisch schwerer Verlaufsformen oder ihrer Ausbreitungsweise eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit verursachen können (§ 2 Nr. 3a IfSG), bedarf es – zumal vor dem Hintergrund neu auftretender, noch nicht hinreichend erforschter Krankheiten – einer relativ offenen Rechtsgrundlage, die allerdings ihr Korrektiv durch die Beschränkung auf „notwendige Schutzmaßnahmen“ erhält. Das behördliche (Auswahl-)Ermessen wird dadurch beschränkt, dass nur „notwendige Schutzmaßnahmen“ in Betracht kommen, also Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt (BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 3 C 16.11 – BVerwGE 142, 205 – juris Rn. 24). Diesen besonderen Schranken der Befugnisnorm ist im Rahmen der Rechtsanwendung, also dem Verordnungserlass, besondere Beachtung zu schenken.

Rn. 49: Damit bestehen keine durchgreifenden Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage der hier angegriffenen Norm.

Für die aktuell geplante Gesetzesänderung heißt das: Es gibt überhaupt keinen rechtlichen Grund, mitten in der sich wieder dramatisch verschärfenden epidemischen Lage Ermächtigungsgrundlagen für Maßnahmen zu streichen.  Das Gericht macht sehr deutlich, dass es im epidemischen Kontext auch sehr offene Rechtsgrundlagen geben kann, vielleicht sogar geben muss.

Erst bei den konkreten Maßnahmen stellt sich jeweils die entscheidende Frage, ob diese sich im konkreten Fall als verhältnismäßig darstellen. Das ist der entscheidende Ort der Rechtskontrolle.

Das Rechtssicherheitsargument ist also ersichtlich falsch, zumal auch die sonstige Rechtsprechung ganz überwiegend nicht erkennen lässt, dass die maßgeblichen Grundlagen infrage gestellt werden.

Warum aber trotzdem das Beharren auf der Streichung von Maßnahmen aus vorgeblichen Gründen der Rechtssicherheit?

Die verbleibenden Erklärungsmöglichkeiten sind nicht sonderlich beruhigend.

Da wäre zunächst die Antwort: sie wissen es nicht besser. In der Tat ist unklar, wie genau der Gesetzesentwurf entstanden ist. Der Bundestag „macht“ die Gesetze nicht, er macht sie nur verbindlich. Normalerweise arbeitet die im Gesetzgebungshandwerk ausgewiesene Ministerialverwaltung solche Entwürfe unter der jeweiligen politischen Führung aus. Hier hat ersichtlich auch eine Ministerialverwaltung zugearbeitet, aber offenbar irgendwie unter Anleitung der neuen Mehrheiten. Möglicherweise sind da Kommunikationswege holpriger als sonst.

Dass sie es nicht besser wissen, kann man jedenfalls nur für die Nichtjuristen gelten lassen. Diese verlassen sich auf das, was ihnen gesagt wird. Der Unterschied zwischen den rechtlichen Anforderungen an einen Maßnahmenkatalog einerseits und dann die Anforderungen an die konkrete Aktivierung dieser Maßnahmen ist vielleicht auch nicht ohne weiteres nachzuvollziehen, wobei: Raketenwissenschaft ist das auch nicht. Ein Instrument vorhalten heißt eben nicht ein Instrument nutzen.

Aber wie kann man erklären, dass Juristen auf dem Rechtsstaatsargument beharren? Ein Zitat: „Wir müssen auch in der Coronakrise unser Grundgesetz respektieren, damit wir das bleiben, was wir sind und was wir sein wollen, nämlich ein freiheitlicher Rechtsstaat.“ Immer wieder ist von Gewaltenteilung und Grundrechten die Rede. Als ob unter den Verantwortlichen jemand das Grundgesetz nicht ernst nähme.

Da mögen ganz persönliche Komponenten eine Rolle spielen. Es gilt immerhin, eine verfassungsfreiheitliche FDP-Strömung in der Tradition von Gerhart Baum oder Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hochzuhalten. Gleichwohl: jeder Jurist und jede Juristin muss erkennen, dass das Argument mit angeblich alsbald drohender Kassation der geltenden Infektionsschutzgesetzgebung durch die Gerichte nicht stimmt.

Was dann noch bleibt als Erklärung für die gegenwärtige Situation, lässt sich den Kommentarspalten der Zeitungen entnehmen, die ich hier nur wiedergebe: Partei- und Klientelpolitik. Von einer „Gabe von SPD und Grünen an die FDP“ ist die Rede (Frankfurter Allgemeine). Und tatsächlich hat die FDP im letzten Jahr die Corona-Politik immer wieder als zu weitgehend kritisiert. Sie hat dabei einen vielleicht etwas arg simplistischen Freiheitsbegriff (Süddeutsche Zeitung: „einfältiger Freiheitsbegriff“) vor sich hergetragen, der sich übrigens so dem Grundgesetz nicht entnehmen lässt, das schon in Art. 2 Abs. 1 GG sehr deutlich auch auf Gemeinwohl und entsprechende verantwortliche Handhabung von Freiheit insistiert. Gleichwohl hat man ersichtlich Wählerstimmen nicht zuletzt unter den Jungen einfangen können. Dieser Klientel möchte man nun, so die Analyse, Erfolge vorweisen. Deswegen soll die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ um jeden Preis für beendet erklärt werden, auch wenn alle Daten dagegen sprechen. Die Beendigung der epidemischen Lage scheint das politische Primärziel, fast schon ein Fetisch. Daraus ergibt sich alles andere: Damit die Länder dann nicht einfach ohne den Bund weitreichende Maßnahmen ergreifen, werden die Länderoptionen zusammengekürzt. Insbesondere der sogenannte Lockdown – der in Deutschland doch eigentlich keiner war, im europäischen Ländervergleich – wird verunmöglicht. Auf Bundesebene durch Verweigerung der Feststellung der epidemischen Lage. Und für die Länder durch Vorenthaltung des Instruments. Eine parteitaktische Analyse kann hier darauf verweisen, dass die FDP in diesem Kontext des Protestes gegen Lockdown-Maßnahmen den Zulauf der jungen Wähler verortet. Sie ist zudem traditionell eher nicht die Partei der Beamten, sondern eher die der Selbstständigen, die natürlich sehr viel stärker ökonomisch durch den Lockdown getroffen werden. Selbständige, die vielleicht in Anbetracht der Zerstörung der eigenen ökonomischen Existenz auch den Vorrang des Lebensschutzes in Frage zu stellen bereit waren, wie man in den Diskussionen in den USA besichtigen konnte, wo man die Auseinandersetzung im Zeichen eines Hyperliberalismus gegen staatliche Pandemiemaßnahmen viel offener und brutaler geführt hat als hier. Vielleicht verweist dies auf die eigentliche Debatte, die zu führen wäre, und die hinter Verweisen auf bayerische Obergerichte versteckt wird. Dass die Mehrheit in diesem Land noch immer den Schutz des Lebens selbst der betagtesten und gebrechlichsten Personen in dieser Gesellschaft über die ökonomische Existenz eines Startups stellt, will ich noch immer hoffen.

Dass man durch die Gesetzesänderung der Sache nach die Last der verbleibenden Maßnahmen auf die Länder abwälzt, fügt sich jedenfalls gut, weil es keinen FDP-Ministerpräsidenten gibt. Die politische Hitze wegen der notwendigen, mit dem kupierten Katalog absehbar zu kurz greifenden, Corona-Maßnahmen, die das gestutzte Infektionsschutzgesetz noch hergibt, die bekommen auf Länderebene andere ab.

Bei den Grünen wird von den Beobachtern gerne daran erinnert, dass diese in der Vergangenheit immer wieder mit dem Problem von Impfgegnern und ähnlichen Esoterikern in der Wählerschaft, vor allem im Süden, gerungen haben. Auch hier kann man den Rückbau von Maßnahmen und die de facto-Abschaffung einer Lock down-Möglichkeit als Erfolg für eine bestimmte eigene Klientel präsentieren.

Nur für die SPD fällt den Kommentatoren kein Grund ein, warum diese bei diesem Rückbau mitmachen sollte. Der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz ist schließlich auch ein Jurist und sollte eigentlich durchschauen, was hier passiert. Vielleicht sind hier systemische Grenzen parlamentarischer Problemlösungsfähigkeit zu besichtigen, auch die Unfähigkeit als System aus vergangenen Fehlern zu lernen. Mich erinnert die Rolle der SPD fatal an deren Haltung bei der PKW-Maut-Saga bei den letzten Koalitionsverhandlungen: Man ist nicht überzeugt, macht aber treubrav mit, weil das Koalitionsverhandlungs-Spiel verstanden wird als „Dulde ich Deinen Unfug, redest Du mir in meine Herzensanliegen auch nicht rein“. Das Zusammentreffen der Wiederaufnahme parlamentarischer Aktivität mit Koalitionsverhandlungen wäre dann verhängnisvoll. Mit der zunehmenden Formalisierung der intransparenten Geheimverhandlungen in einem Parteien-Arkanum vielleicht doch irgendwann ein Thema für das Verfassungsrecht. Bei der von der CSU in den Koalitionsvertrag gezwungen Maut stan