Cannabis-Legalisierung light in Deutschland
Triumph der Vernunft?
Kurz nach Ostern 2023 hat der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Pläne zur Cannabis-Legalisierung der Regierungskoalition vorgestellt. Von der im Koalitionsvertrag vereinbarten Total-Legalisierung ist nicht viel übriggeblieben. Stattdessen optiert Lauterbach für eine ‚Legalisierung light‘, die aus zwei Säulen besteht. Zunächst soll ein Gesetzentwurf Cannabis umfassend entkriminalisieren: Erstens wird der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis straffrei gestellt. Zweitens werden Cannabis Clubs erlaubt, Züchtervereine mit bis zu 500 Mitgliedern, in die jedes Mitglied bis zu drei weibliche Cannabispflanzen einbringen darf. Die zweite Säule dann sieht regionale Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten vor, wie wir sie aus ähnlichen Projekten in den Niederlanden und der Schweiz bereits kennen.
Waren die Legalisierungsdebatte und die entsprechenden Konzepte bis dahin durch eine bemerkenswerte Ignoranz gegenüber der EU und ihren Vorgaben geprägt, wurden die neuen Pläne einem europarechtlichen Realitätscheck unterzogen. Das ist gut so. Trotzdem ist Lauterbachs Konzept weiterhin extrem ambitioniert und unionsrechtlich auf Kante genäht. Soll heißen: Trotz viele guter und vor allem unkonventioneller Ideen bewegt man sich stark an der Grenze zu dem, was rechtlich zulässig sein dürfte. Das gilt vor allen dann, wenn es um die praktische Umsetzung geht. Im Folgenden sollen einige der neuralgischen Punkte des Legalisierungskonzepts untersucht werden.
25 Gramm Cannabis straffrei
Im Rahmen der ersten Säule von Lauterbachs Legalisierung light ist ein zentraler Aspekt der straffreie Besitz von 25 Gramm Cannabis für den Eigenkonsum. Der öffentliche Konsum nahe Schulen, Kitas o.ä. sowie in Fußgängerzonen bis 20 Uhr bleibt verboten. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass der öffentliche Konsum von Cannabis erlaubt wird. Europarechtlich ergeben sich gegen diese Regelung keine Bedenken. Der Rahmenbeschluss 2004/757/JI bestimmt etwa, dass der Besitz zum Eigenkonsum von den nationalen Rechtsordnungen straffrei gestellt werden kann (Art. 2). Auch das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) verpflichtet die Mitgliedsstaaten nicht dazu, den Besitz zu bestrafen oder zu verfolgen. Lediglich der Besitz zum Zwecke der Abgabe oder Ausfuhr ist dort erwähnt (Art. 71).
Probleme könnte allerdings die erstaunlich hohe Menge von 25 Gramm Cannabis bereiten. Zum Vergleich: Bislang hielt das Bundesverfassungsgericht 6 Gramm für eine geringe Menge, bei der von einer Strafverfolgung abgesehen werden kann. In den Niederlanden werden 5 Gramm toleriert. Und in Portugal, dem europäischen Paradebeispiel für Drogenentkriminalisierung, sind 2,5 Gramm Cannabis straffrei (eine Zehn-Tages-Ration). Gerade mit Blick auf Portugal zeigt sich dabei ein grundsätzliches Problem, das Lauterbachs Pläne nicht thematisiert: Wie weit darf eine Entkriminalisierung überhaupt gehen, bis es sich um eine Legalisierung handelt?
Die UN definiert eine Entkriminalisierung als ein Prozess, bei dem durch Gesetz eine Straftat von strafbar zu nicht-strafbar herabgestuft wird. Während das Verhalten weiterhin verboten bleibt, können diese Verbote mit anderen Mitteln als dem Strafrecht durchgesetzt werden. Mit anderen Worten: Wenn im Rahmen des internationalen Drogenkontrollregimes von Entkriminalisierung gesprochen wird, dann ist eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit gemeint. In Portugal ist es zwar straffrei, aber nicht etwa erlaubt, bis zu 2,5 Gramm Cannabis zu besitzen. Wird man damit erwischt, muss man vor einer Kommission zur Vermeidung des Drogenmissbrauchs erscheinen, die verschiedene Sanktionen verhängen kann, darunter gemeinnützige Arbeit, Geldbußen, vorübergehend Berufsausübungsverbote und Platzverweise. Die Erlaubnis des Besitzes von 25 Gramm Cannabis ohne Einschränkung kommt einer faktischen Legalisierung damit schon sehr nah.
Sozialpolitik vs. Kriminalpolitik
Warum will die Regierungskoalition überhaupt die beträchtliche Menge von 25 Gramm legalisieren? In der Praxis dürfte dies nämlich für einige Probleme sorgen: Wie soll etwa die Polizei noch Kleindealer von Konsumenten unterscheiden? 25 Gramm ist eine Menge, mit der ein Dealer ein Geschäft machen kann und solange er sich nicht mit mehr Cannabis, oder bei der Übergabe an den Kunden, erwischen lässt, hat er nichts zu befürchten. Möglicherweise spielen hier sozialpolitische Erwägungen eine Rolle. Offenbar sollen auch Kleindealer in den Genuss der Straffreiheit kommen, da diese oft vulnerablen Bevölkerungsgruppen entstammen. Warum sollten nicht auch sie von der Entkriminalisierung profitieren, zumal das Gras, das dann straffrei konsumiert werden kann, ja auch irgendwo herkommen muss. Doch mit dieser faktischen Straffreistellung des Kleinhandels begibt man sich kriminalpolitisch auf dünnes Eis. Wer strafrechtlich kaum noch etwas zu befürchten hat, könnte dies als Anreiz verstehen, in das lukrative Geschäft mit der Droge einzusteigen. Mehr Dealer würden den Schwarzmarkt befeuern: wachsendes Angebot, sinkende Preise.
Hier ließe sich überlegen, ob nicht eine Einstufung als Ordnungswidrigkeit für bestimmte Vergehen der bessere Weg wäre. Das Ordnungswidrigkeitenrecht hat nämlich den großen Vorteil, dass hier das Opportunitätsprinzip gilt, die Obrigkeit also mehr Flexibilität bei Strafverfolgung und Sanktionierung hat. Bundesweit einheitliche Richtlinien könnten etwa gestaffelte Bußgelder festlegen, wenn Anhaltspunkte für Abgabe und Handel bestehen.
Club-Cannabis als Lösung des Entkriminalisierungsdilemmas
Der interessanteste Aspekt der Legalisierung light sind die geplanten Cannabis Clubs. Der unkonventionelle Ansatz soll den grundsätzlichen Widerspruch der Cannabis-Entkriminalisierung auflösen: Was nützt der straffreie Besitz, wenn es kaum Möglichkeiten gibt, legal an das Cannabis zu kommen? Dabei sind Entkriminalisierungsmodelle wie in Luxemburg, die ausschließlich auf den Eigenanbau im heimischen Wohnzimmer setzen, nur wenig praktikable Lösungen. Denn Cannabispflanzen sind komplexe Gewächse. Anders als der Gummibaum im Büro gibt sich die Pflanze nicht mit einmal wöchentlich Wässern zufrieden. Die weiblichen Pflanzen bedürfen bis zum Erreichen des erntereifen Alters beträchtliche Aufmerksamkeit, Fachkenntnisse und Ressourcen wie Dünger, Wasser und künstliches Licht.
Genau hier kommen die Cannabis Social Clubs ins Spiel. Die gibt es in Europa schon seit den 90er Jahren und sind Zusammenschlüsse von Gleichgesinnten, die sich im Clubhaus gemeinsam der Cannabisaufzucht widmen, technisches Gerät und Expertise teilen und das Ernteprodukt gemeinsam in den privaten Clubräumlichkeiten konsumieren. Eine Weitergabe an Dritte oder eine Gewinnorientierung der Clubs ist nicht vorgesehen. Soziale Aspekte stehen im Vordergrund. Aus diesem Grund ist etwa die Mitgliederzahl meist auf einige Dutzend begrenzt.
Eben diese soziale Komponente will Lauterbach den deutschen Konsumenten nun aber gerade nicht zugestehen. Er spricht schlicht von Cannabis Clubs, also ohne ‚social‘, in denen der gemeinsame Konsum verboten bleibt. Warum tritt Lauterbach hier als Spaßverderber auf? Dahinter steht der Wille, ein europarechtkonformes Clubmodell zu etablieren. Denn obwohl die Cannabis Social Clubs erstaunlich weit verbreitet sind – in Spanien soll es laut Wikipedia bis zu 500 geben –, sind sie nirgends in Europa legal.
Die Pointe der Cannabis Social Clubs findet sich im Erlaubnisvorbehalt für den Anbau zum persönlichen Konsum in Art 2 (2) des Rahmenbeschluss 2004/757/JI. Die simple Idee dahinter: Wenn der Anbau von Cannabis zum Eigenkonsum erlaubt ist, dann kann auch nichts dagegensprechen, die Pflanzen in einem privaten Vereinsheim unterzubringen. Entscheidend ist allein, dass keine Abgabe des Cannabis stattfindet, sondern die Mitglieder ihre eigenen Pflanzen aufziehen, die eigene Ernte einfahren und am Ende das eigene Cannabis konsumieren.
Cannabis Clubs in der europarechtlichen Grauzone
Was einleuchtend klingt, ist unionsrechtlich – wie könnte es anders ein – durchaus problematisch. Zum Ersten bestehen rechtliche Zweifel daran, ob die Aufzucht der eigenen Cannabispflanze in einem CSC überhaupt noch als ‚Anbau zum persönlichen Konsum‘ qualifiziert werden kann und damit unter die Straffreiheitsklausel des Rahmenbeschlusses fällt. Der Anbau in den eigenen vier Wänden ist nämlich nur deshalb privilegiert, da so der Zugriff von und die Abgabe an Dritte zumindest theoretisch weitgehend ausgeschlossen werden kann. Dies wäre in einem Cannabis Social Club gerade nicht der Fall. Dort haben sämtliche Mitglieder Zugriff auf die Pflanzen. Auch Dritte könnten Zugang bekommen, ohne dass der Pflanzenbesitzer dies kontrollieren könnte.
Zum Zweiten werden aber auch praktische Gründe gegen eine Privilegierung von CSCs angeführt. Zwar mag der soziale Gedanke im Vordergrund stehen. In der Realität aber operieren die Clubs oftmals so, dass von den Mitgliedsbeiträgen professionelle Cannabiszüchter bezahlt werden, die sich um die Aufzucht der Pflanzen kümmern. So hat eine aktuelle Studie zu den Clubs in Europa gezeigt, dass über die Hälfte der Clubs sich auf bezahlte Mitarbeiter beim Anbau des Cannabis verlassen. Gerade das will Lauterbachs Konzept verhindern, indem eine Kommerzialisierung ausgeschlossen werden soll und Dritte nicht mit der Aufzucht beauftragt werden dürfen. Zudem ist eine Begrenzung auf 500 Mitglieder vorgesehen. von denen jedes bis zu 3 weibliche Pflanzen einbringen darf. Das ergibt eine Plantage von beträchtlichem Umfang und es könnte schonmal eng werden, wenn Samstagvormittags 500 Cannabiskleingärtner nach ihren Sprösslingen schauen. Da macht es eigentlich Sinn, die Verantwortung auf diejenigen Mitglieder zu übertragen, die einen grünen Daumen haben.
Zu guter Letzt haben kriminalpolitische Gesichtspunkte der Akzeptanz der CSCs zugesetzt. Für die Strafverfolgungsbehörden sind die Clubs nämlich nur schwer von illegalen Cannabisplantagen zu unterscheiden. Es lässt sich kaum kontrollieren, ob die einzelnen Pflanzen einzelnen, echten Personen zugeordnet werden können, die dann die Ernte auch höchstselbst konsumieren – oder ob das Gras letztendlich doch auf dem Schwarzmarkt landet. Auch die Clubs selbst stehen im Verdacht, dass Cannabis zum Konsum teilweise gar nicht aufwendig selbst anzubauen, sondern direkt vom Schwarzmarkt zu beziehen wie oben genannte Studie bestätigt. Schon jetzt ist klar, dass der Kontrollaufwand erheblich werden dürfte.
Wie will Lauterbach diese Probleme lösen? Das Konzept ist deutlich darauf ausgelegt, die Abgabe von Cannabis an Dritte, sprich Nicht-Clubmitgliedern, zu verhindern. Zur Erinnerung: Die Abgabe ist im SDÜ (Art 71 (2)) strikt verboten. Das gemeinsame Konsumverbot soll dies erreichen. Dahinter steht die Befürchtung, dass die Cannabis Clubs Konsumräume einrichten könnten, zu denen auch Dritte Zugang hätten – ähnlich den niederländischen Coffeeshops.
Das Problem dürfte damit aber nicht gelöst sein: Den Mitgliedern eines Clubs steht es nämlich grundsätzlich frei, dritte Personen in den Verein mitzubringen, es sei denn das ist per Satzung ausgeschlossen. Vereinsrechtlich unterscheidet sich ein Cannabis Club da nicht von einem Kegelclub oder Tennisverein. Zwar darf an Dritte kein Cannabis abgegeben werden. Was aber, wenn die sich Cannabis selbst pflücken, für den persönlichen Konsum? Das wäre keine Weitergabe im technischen Sinn. Man könnte diesen Gedanken noch weiterspinnen und an Cannabisverkostungen denken mit selbstgeerntetem Cannabis für Besuchergruppen. Selbst wenn man den Zugang zu den Vereinsheimen nur auf Mitglieder beschränken würde, wäre das noch lange keine Garantie, Missbrauch und auch Drogentourismus zu verhindern: Es sei nur an die Raucherclubs erinnert, die im Nachgang des Nichtraucherschutzgesetzes aus dem Boden schossen. Jeder Gast musste lediglich ein Antrag am Eingang ausfüllen und schon war man Club-Mitglied.
Auf ins drogenpolitische Neuland
Trotz all dieser noch offenen Fragen: Die Regierungskoalition betritt drogenpolitisches Neuland. Die Strategie steht europarechtlich zwar auf etwas wackeligen Füßen. Doch immerhin hat sie Füße, was man von den Plänen zur Totallegalisierung nicht behaupten konnte. Trotzdem sollte man die Erwartungen nicht zu hochstecken. Was etwa den Dreiklang Jugendschutz, Gesundheitsschutz und Eindämmung des Schwarzmarktes angeht, wird die Entkriminalisierung kaum wirkungsvoll sein. Der Schwarzmarkt wird nicht schrumpfen und damit bleiben auch Gesundheitsrisiken, etwa durch verunreinigtes Cannabis bestehen. Der Jugendschutz bleibt weiterhin der blinde Fleck der Pläne: Entkriminalisierung und die Mitgliedschaft in Cannabis Clubs gelten erst ab Volljährigkeit. Minderjährige, die mit Cannabis erwischt werden, müssen verbindlich an Frühinterventions- und Präventionsprogrammen teilnehmen. Die Kids werden es Lauterbach danken.
Die Pläne werden die Justiz entlasten und auch die Konsumenten dürfen sich freuen. Diejenigen, die sich ein großes Geschäft mit der Droge versprochen haben, die vielen Investoren und Startups, die über den Medical-Cannabis Hebel groß ins Genussgeschäft einsteigen wollten, gehen vorerst leer aus. Dass von dieser Seite viel und vor allem laute Kritik kommt, ist nachvollziehbar, zeigt aber auch was schiefgelaufen ist in der deutschen Legalisierungsdebatte. Statt Gesundheits- und Jugendschutz haben wirtschaftliche Interessen den Diskurs dominiert. Die Regierung hat dies mutwillig befeuert und rechtliche Gesichtspunkte außen vor gelassen. Die Rechnung: Die Totallegalisierung ist vom Tisch. Zumindest vorerst.
Mit Blick in die Zukunft ist ein vernünftiges Erwartungsmanagement notwendig. Das gilt vor allem hinsichtlich der in der 2. Säule geplanten regionalen Pilotprojekte, die langfristig eine umfassende Legalisierung ermöglich sollen. Auch hier sollte man sich keine Illusionen machen. Die Planung, Durchführung und wissenschaftliche Evaluation solcher Pilotprojekte kostet viel Zeit. Die Niederländer haben 2017 mit der Projektplanung begonnen und bis heute ist noch kein Gramm staatlich lizensiertes Cannabis über den Ladentisch gegangen. Die Schweizer sind nur unwesentlich schneller. Und selbst wenn am Ende positive und wissenschaftlich belastbare Ergebnisse stehen, dann beginnt die Überzeugungsarbeit erst richtig. Neben der Kommission müssen auch skeptische Mitgliedsstaaten an Bord geholt werden. Unmöglich ist das nicht. Aber es kostet Zeit und Nerven. Was aber, wenn zwischenzeitlich ein Regierungswechsel stattfindet? Würde sich eine CDU-geführte Regierung auf europäischer Ebene für eine Cannabis Legalisierung stark machen? Wunder sollen bekanntlich geschehen. Darauf bauen sollte man nicht.