10 April 2025

Vertraulicher Rassismus

Mögliche (dienst)rechtliche Auswirkungen der Arbeitsdefinition von Rassismus

Am 11. März stellte der Expert:innenrat Antirassismus seine Arbeitsdefinition von Rassismus vor, die „für die praktische Anwendung in den Verwaltungen entwickelt worden“ ist. Sie ist damit auch für die juristische Einordnung von konkreten rassistischen Verhaltensweisen von Staatsdiener:innen interessant. Gerade polizeiliche Chatgruppen sind deshalb in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung geraten (etwa die auch in der Fernsehshow „ZDF Magazin Royale“ thematisierte Chatgruppe „Itiotentreff“). Die Arbeitsdefinition könnte bei der dienstrechtlichen Bewertung rassistischer Verhaltensweisen für mehr Klarheit sorgen – fraglich ist aber, ob beziehungsweise wie sie sich auf rassistische Äußerungen im sogenannten vertraulichen Kreis auswirkt.

Die „Rassismus“-Definition

Nach der „Rassismus“-Definition basiert Rassismus

„auf einer historisch gewachsenen Einteilung und Kategorisierung von Menschen anhand bestimmter äußerlicher Merkmale oder aufgrund einer tatsächlichen oder vermeintlichen Kultur, Abstammung, ethnischen oder nationalen Herkunft oder Religion (Essentialisierung und Naturalisierung). Bestimmte Merkmale werden diesen Gruppen zugeschrieben (Homogenisierung), die sie und die ihnen zugeordneten Personen als höher- oder minderwertig charakterisieren (Hierarchisierung). Die als minderwertig kategorisierten Gruppen werden herabgewürdigt und auf der Grundlage von negativen Stereotypen und Vorurteilen abgewertet. Die Zuordnung von Menschen zu einer bestimmten Gruppe führt zu einer gesellschaftlichen Wahrnehmung von ihnen als ‚zugehörig‘ bzw. ‚fremd‘ oder ‚nicht zugehörig‘ zu Deutschland, was wiederum zu ausgrenzenden Praktiken und Erfahrungen führt (Dichotomisierung).“ (Arbeitsdefinition, S. 6).

Diese Definition ist ausweislich der einleitenden Ausführungen vor allem als konkrete Handlungsempfehlung für eine nachhaltige Antirassismusstrategie für die öffentliche Hand gedacht. Sie beinhaltet – soweit ersichtlich – die wesentlichen in der sozialwissenschaftlichen und politikwissenschaftlichen Forschung erörterten und zuletzt auch immer ausführlicher untersuchten Bestandteile.

In der Rechtswissenschaft existiert eine allgemein anerkannte Definition von Rassismus bisher nicht. Im hier im Vordergrund stehenden Dienstrecht wird Rassismus – trotz Unklarheiten in den Details – zumeist verstanden als diskriminierende Herabsetzung von Menschen aufgrund biologischer, ethnischer oder religiöser Merkmale mit dem Ziel, andere Menschen über diese zu stellen. 1) Diese Merkmale greift die ausführlichere Arbeitsdefinition auf und untermauert damit das bisher wohl schon vorherrschende juristische Verständnis von Rassismus.

Mögliche Relevanz der Definition

Die Arbeitsdefinition entfaltet keine unmittelbaren Rechtswirkungen, sondern ist – jenseits ihrer potentiellen gesellschaftspolitischen Bedeutung – wie gesagt insbesondere als „Angebot“ für die öffentliche Verwaltung zu verstehen, „sich mit Rassismus auseinanderzusetzen“. Vor allem in Bezug auf die Sonderformen „struktureller“ und „institutioneller“ Rassismus (dazu Arbeitsdefinition, S. 6 und statt vieler beispielsweise Hunold/Singelnstein2)) kann sie damit als „wichtige Grundlage im Kampf gegen Rassismus“ dienen und sowohl künftige gesellschaftliche Debatten als auch Forschung anstoßen und konkretisieren.

Hier soll jedoch die Frage im Vordergrund stehen, ob beziehungsweise wie sich die Arbeitsdefinition auf die dienstrechtliche Bewertung von rassistischen Verhaltensweisen von Staatsdiener:innen auswirken kann. Dies zum einen deswegen, weil entsprechende Fälle in den letzten Jahren zunehmend Verwaltung und Rechtsprechung beschäftigten, zum anderen, weil die Arbeitsdefinition Rassismus sich gerade an die „staatliche Verwaltung“ (Arbeitsdefinition, S. 4 f.) richtet.

Nach der sogenannten Verfassungstreuepflicht müssen sich sämtliche Staatsdiener:innen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (fdGO) im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 3 BBG, § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG, § 8 SG). Im Einzelnen ist diesbezüglich seit Jahrzehnten vieles strittig. Angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen und neuer Grundsatzfragen wird die Verfassungstreuepflicht auch gegenwärtig wieder intensiv rechtswissenschaftlich untersucht.3)

Bei allen Streitigkeiten im Detail stehen jedenfalls zwei Aspekte weitestgehend außer Streit: Zum einen ist seit der zweiten NPD-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) geklärt, dass sich die fdGO als Schutzgut auf die „zentralen Grundprinzipien“ der Verfassung beschränkt, namentlich auf die Menschenwürde sowie das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip.4) Zum anderen verbieten die Begriffe des Bekennens und des Eintretens jedenfalls äußerlich wahrnehmbare Handlungen, die nicht mit den eben aufgeführten Grundwerten in Einklang stehen.5)

Deshalb ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass sämtliche nach außen tretenden und damit für Dritte erkennbaren Verhaltensweisen von Staatsdiener:innen, die im Sinne der obigen Arbeitsdefinition als rassistisch einzustufen sind, grundsätzlich objektiv gegen die Verfassungstreuepflicht verstoßen.6) Denn solche Verhaltensweisen würden bestimmte Gruppen pauschal als minderwertig herabsetzen, was mit der Menschenwürde gemäß Art. 1 GG nicht in Einklang zu bringen sei. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg (Rn. 38 m.w.N.) bringt dies mit folgender Formulierung in einem aktuellen Urteil auf den Punkt: „Wer Menschen nach der Hautfarbe rassistisch degradiert, verletzt die egalitäre Menschenwürde“.

Rassistische Äußerungen von Staatsdiener:innen in Chatgruppen

In der jüngeren Vergangenheit häuften sich Fälle, in denen sich Staatsdiener:innen rassistisch geäußert und Behörden sowie Gerichte diese Äußerungen folgerichtig als Verletzungen der Verfassungstreuepflicht eingeordnet haben. Regelmäßig erfolgten die Äußerungen in Chatgruppen von Messenger-Diensten wie WhatsApp oder Signal.

Als eines der vielen Beispiele sei vorliegend ein Fall genannt, über den vor Kurzem das Verwaltungsgericht (VG) Bremen zu entscheiden hatte. Ein Feuerwehrbeamter hatte in die Chatgruppe der Wachabteilung diverse herabwürdigende Kommentare („Kanacken“, „Drecksschweine“, „Kopftuchmuttis“, „Seuchenvögel“) und Bilder gepostet. Eines dieser Bilder zeigt ein mit „augenscheinlich dunkelhäutigen Personen“ überfülltes Schlauchboot auf dem offenen Meer mit der Bildunterschrift: „Wo ist der Weisse Hai wenn man ihn braucht?!“ (S. 22). Das VG wertete das Verhalten des Beamten – insbesondere das eben beschriebene Bild – als rassistisch, denn der Beamte

„unterscheide aufgrund von äußerlichen Merkmalen sowie ethnischer Zugehörigkeit und ausgehend von einem subjektiv empfundenen und nicht näher erläuterten Verständnis zwischen einer Eigengruppe und einer Fremdgruppe und stelle solche Personen, die er als ‚nicht-deutsch‘ wahrnehme, in den Chatgruppen rassistisch stereotypisiert, beleidigend und dehumanisiert dar und assoziiere sie mit negativ belegten Persönlichkeitsmerkmalen wie Unsauberkeit, Unzuverlässigkeit, Aggressivität, krimineller Energie und Faulheit“ (S. 22).

Interessant ist, dass solche Äußerungen zwar auch schon ohne die neue Arbeitsdefinition regelmäßig als rassistisch eingeordnet werden. Allerdings erklären die Urteile nicht immer, was Rassismus genau ist und warum im jeweiligen Einzelfall gerade die konkreten Verhaltensweisen als rassistisch gewertet werden. Die Arbeitsdefinition könnte hier künftig für mehr Klarheit und in gewissem Sinne auch Rechtssicherheit sorgen.

Die Vertraulichkeit von Chatgruppen

Im Einzelfall kann die Frage, wann ein Verhalten (schon) als rassistisch einzustufen ist oder (noch) als unliebsame Meinung oder „geschmackloser Humor“, durchaus herausfordernd sein. Daneben wird zunehmend darüber diskutiert, wie mit rassistischen Aussagen umzugehen ist, die in einem vertrauten Kreis erfolgen – und in der Erwartung, dass sie in diesem Kreis bleiben.

Im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. nur hier, Rn. 16) und des Bundesverwaltungsgerichts (hier, Rn. 48) schien zunächst weitestgehend anerkannt (vgl. VGH Hessen, Rn. 36 ff.), dass das öffentliche Interesse an disziplinarischer Ahndung aufgrund des grundrechtlichen Schutzes ausnahmsweise zurücktreten müsse, wenn die entsprechenden Äußerungen ohne echten Kundgabewillen nur im engsten Familien- oder Freundeskreis gefallen sind und der Betroffene aufgrund der besonderen Vertrautheit der Beteiligten und der Vertraulichkeit der Gesamtumstände gerade nicht mit einem Bekanntwerden seiner Äußerung rechnen muss.7) Rassistische Äußerungen bleiben nach diesem Ansatz damit disziplinarrechtlich außer Betracht und werden nicht geahndet, sofern sie in einem solchen vertraulichen Bereich getätigt werden.

Diese Sichtweise erfährt indes zunehmend eine Relativierung. Insbesondere bei Verletzungen der Verfassungstreuepflicht – und eine solche steht bei rassistischen Äußerungen, wie gezeigt, in Rede – wird immer häufiger angedacht, den Schutz der Vertraulichkeit zu begrenzen (vgl. nur OVG Bremen, S. 18; zuletzt VG Hamburg, Rn. 39).8) Dabei spielen vor allem drei Aspekte eine Rolle: Erstens hat der öffentliche Dienst als wechselseitiges Dienst- und Treueverhältnis einen besonderen Charakter, mit anderen Worten: Bei Beamt:innen ist eine strengere Sichtweise an den Tag zu legen als bei „normalen“ Bürger:innen. Zweitens sollen die Integrität und Funktionsfähigkeit des Staatsdienstes gesichert werden. Drittens realisieren Beamt:innen als „Repräsentanten der Rechtsstaatsidee“ die Machtstellung des Staates (VG Düsseldorf, Rn. 68 m.w.N.), wobei das Berufsbeamtentum „das Prinzip der freiheitlichen Demokratie gegen Übergriffe zusätzlich“ absichern soll (BVerfG, Rn. 48).

Der Arbeitsdefinition von Rassismus kommt im Rahmen dieser ausgesprochen sensiblen Rechtsfrage zwar keine unmittelbare Bedeutung zu, sie könnte aber mittelbar Wirkung entfalten. Denn auch sie betont die „Vorbildfunktion“ des Staates bei der „Bekämpfung von Rassismus“ in „Zeiten wachsender gesellschaftlicher Spaltung“. Daher könnte sie sich auch auf die Frage auswirken, wie das Spannungsfeld zwischen dem Schutz personenbezogener Daten und vertraulicher Kommunikation einerseits sowie der Integrität und Funktionsfähigkeit des Staates und den Besonderheiten des Staatsdienstes andererseits aufzulösen ist – nach dem Zweck der Arbeitsdefinition, im Kampf gegen Rassismus „auf das nächste Level“ zu kommen, eher zulasten der Vertraulichkeit und zugunsten der disziplinarrechtlichen Relevanz.

Als vermittelnde Lösung ließe sich demgegenüber erwägen, die grundrechtlich abgesicherte Vertraulichkeit nur dann nicht zu schützen, wenn eine qualifizierte Verletzung der Verfassungstreuepflicht in Rede steht. Dies wäre insbesondere bei solchen Verhaltensweisen zu bejahen, die über eine rassistische Äußerung hinaus weitergehend als gezielte und planvolle Betätigungen gegen die fdGO anzusehen sind.9) Für ein solches Verständnis könnte die gerichtliche Auffassung sprechen, wonach das Überschreiten der Schwelle zur dienstrechtlichen Relevanz politischer Äußerungen vor dem Hintergrund der Verfassungstreuepflicht regelmäßig eine Teilnahme am öffentlichen Meinungsbildungsprozess, eine bezweckte wirksame Verbreitung der Äußerungen voraussetzt (VG Düsseldorf, Rn. 101 ff. m.w.N.), was bei einer vertraulichen Kommunikation grundsätzlich zweifelhaft erscheint. Eine solche Lösung entspräche auch der Sichtweise des BVerfG, wonach das unterhalb der Schwelle des dienstrechtlich relevanten Ziehens von Folgerungen anzusiedelnde bloße Haben ebenso wie das Mitteilen einer Überzeugung niemals die Treuepflicht verletze (BVerfG, Rn. 41).

Ausblick

Die Arbeitsdefinition von Rassismus entspricht weitestgehend dem soweit ersichtlich bereits bisher im Dienstrecht vorherrschendem Verständnis von Rassismus und wirkt insofern in erster Linie als Klarstellung. Im Einzelfall bleibt es herausfordernd, gewisse Verhaltensweisen als rassistisch einzuordnen. Insbesondere der schmale Grat zwischen Sensibilität und Übersensibilität dürfte in Zeiten voranschreitender Polarisierung zunehmend schwieriger auszumachen sein.

References

References
1 Vgl. statt vieler Ludyga, NJW 2021, S. 911 (913); Nitschke, ZRP 2022, S. 91 (91 f. m.w.N.); Conrad, in: Weiß/Zängl/Summer/Niedermaier/Baßlsperger/Conrad, Beamtenrecht in Bayern, 238. Aktualisierung 2024, § 33 BeamtStG, Rn. 61; grundlegend und ausführlich Barskanmaz, Recht und Rassismus, 2019; Liebscher, Rasse im Recht – Recht gegen Rassismus, 2020.
2 Ferner aus rechtswissenschaftlicher Perspektive Kischel, in: Epping/Hillgruber, Beck-OK GG, 60. Edition, Stand 28.12.2024, Art. 3, Rn. 218 ff.; Nitschke, PersV 2023, S. 124 ff.; Kluth, NVwZ 2022, S. 1847.
3 Vgl. nur Nöcker, Die Gewähr der Verfassungstreue, 2025; Schürmann, Verfassungstreue, 2025; Heun, ZBR 2024, S. 397 ff.; Kenntner, NVwZ 2025, S. 9 ff.
4 Einführend Barczak, JuS 2025, S. 97 ff.; ausführlich Schulz, Die freiheitliche demokratische Grundordnung, 2019.
5 Zur Relevanz der inneren Einstellung einer Person beim Eintreten und Bekennen zuletzt Heun, ZBR 2024, S. 397 (401); Nitschke/Krebs, PersV 2025, S. 115 (120 f.).
6 Zur Indizwirkung dieser Verhaltensweisen vgl. nur VG Bremen, Beschl. v. 4.11.2024 – 8 V 1894/24 – juris Rn. 61 mit Verweis auf die Rechtsprechung des OVG Bremen und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG).
7 Ausführlicher dazu Krebs/Nitschke/Noak/Steinhorst/Zenger, Chatgruppen und öffentlicher Dienst, 2024, S. 222 ff. m.w.N.
8 Aus der neueren Literatur Heun, ZBR 2024, S. 397 (399 m.w.N.); vgl. auch Kenntner, ZBR 2024, S. 361 (367).
9 In diesem Sinne bereits Nitschke/Krebs, PersV 2025, S. 115 (118 m.w.N.); bezüglich des Intensitätsgrads ließe sich daher andenken, ein „darauf ausgehen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder gar zu beseitigen“ als notwendig zu erachten (dazu BVerwG, Rn. 37; vgl. in Bezug auf politische Parteien BVerfG, Rn. 573 und 575 ff.); vgl. zu den qualifizierten Anforderungen auch § 47 Abs. 2 BeamtStG.

SUGGESTED CITATION  Nitschke, Andreas: Vertraulicher Rassismus: Mögliche (dienst)rechtliche Auswirkungen der Arbeitsdefinition von Rassismus, VerfBlog, 2025/4/10, https://verfassungsblog.de/chatgruppen-vertraulichkeit-rassismus/, DOI: 10.59704/fd42c875755fc09a.



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