29 April 2024

Das ist Kunst, das kommt weg

Auch ohne Beteiligung einer autoritären Partei an einer Regierung hat der sog. „Kulturkampf von Rechts“ längst begonnen und zeitigt Erfolge. Nicht nur in Thüringen oder in Deutschland, sondern auch international dient Kultur als Strategie der Polarisierung. Sie bietet ein besonders wirksames, oft unterschätztes Feld für Legitimationsnarrative und ist als Resonanzraum der Ideologieaufrüster*innen – die Milieuintellektuellen – von besonderem Interesse, denn sie baut Legitimationsbrücken zwischen Rechtspopulismus und Neonazismus (vgl. Heitmeyer, S. 117 ff.). Ungeniert wird deshalb die Kultur als Mittel des ideologischen Kampfes genutzt. Jetzt kommt erst die schlechte Nachricht: Eine autoritäre Regierung kann sich dabei die Kunstförderung spielend leicht zu Nutze machen.

Die Legitimationsnarrative haben in einem angeblichen Untergang des deutschen Volkes ihren kleinsten gemeinsamen Nenner und zeigen sich keineswegs als brachiale Dystopien, sondern beginnen in der Abgrenzung vom Fremden, um das Bild einer zusammengehörigen Volksgemeinschaft zu schaffen. Diese Dichotomie des „Heimischen“ und „Fremden“ in die Kultur zu tragen und der gesellschaftlichen Vielfalt entgegenzusetzen, ist eine wirkmächtige Legitimationsbrücke innerhalb eines heterogenen Milieus, um Allianzen zu schmieden.

Kunstfreiheit oder frei von Kunst?

Typischerweise wird die Kunstfreiheit als Freiheitsrecht thematisiert, wenn Kulturschaffende der Gesellschaft den häufig bemühten sprichwörtlichen Spiegel vorhalten und ein „darf er/sie das?“ oder ein „ist das noch Kunst?“ diskutiert wird. „Kunst muss alles dürfen!“ ist dann die unterkomplexe Antwort auf eine komplexe Frage, die manchmal aus den Feuilletons in den Mainstream überschwappt. Seltener wird die objektiv-rechtliche Dimension des Grundrechts thematisiert, die die verfassungsrechtliche Grundlage für die Förderung eines freiheitlichen Kunstlebens ebnet. In ihrer Funktion als Leistungsrecht fällt die Kunstfreiheit nur selten auf, allenfalls wenn über Schlagworte wie „Systemrelevanz“ und „Künstler*innenprekariat“ debattiert wird. Auch dabei gerät die Debatte zu kurz, wenn soziale Sicherungssysteme mit der Förderung der Avantgarde von morgen verwechselt werden. Denn im Zentrum der Kunstförderung steht die Hinwendung zu einer eigengesetzlichen Kunstentstehung, die marktunabhängig das Nebeneinander mehrerer Verschiedenheiten in der Gesellschaft befördert, wo die zivilgesellschaftliche Finanzierung nicht ausreichend ist. Kunst schafft damit Möglichkeits- und Potenzialräume, in denen Menschen als Künstler*innen die soziale Plastik der Gesellschaft formen (vgl. Beuys „Aufruf zur Alternative“).

Diesen gesellschaftspolitischen Auftrag schiebt die öffentliche Kunstförderung an, damit Utopien, Inspiration und Entwürfe des gemeinsamen Zusammenlebens in der Kunst entstehen. Doch wenn ein Kulturamt den Rechten in die Hände fällt, dann kann die Kunstfreiheit nach Hause gehen, denn die freiwillige Leistungsverwaltung durch Kunstförderung vertraut auf die Demokratie und die Funktionstüchtigkeit ihrer Institutionen. Einflussnahme ist umfassend möglich, wo auch immer Haushalts- und Zuwendungsentscheidungen oder Kulturpersonalentscheidungen getroffen werden, sei es im kommunalen Kulturausschuss des Stadtrats oder der Kulturverwaltung, finden Auswahlverfahren der Förderung in einem kaum ausdifferenzierten Ordnungsrahmen statt. Folgerichtig war schon 2019 der Aufschrei in Thüringen groß, als die AfD im Begriff war, den Vorsitz des Kulturausschusses im Stadtrat Weimar zu übernehmen.

Delegitimierungs- und Destabilisierungsstrategien

Kulturpolitisch wird die „deutsche Kultur“ genutzt, um das Selbstbild in einen überzeitlichen, identitären und homogenen Kontext einzuordnen. Das eigene Überlegenheitsdogma blickt auf „das Fremde“ herab. In der mythischen Überzeichnung von „Volk“ und „Nation“ entstehen gemeinsame Machtfantasien oder um es mit den Worten Gaulands zu sagen: „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“. In der Kulturförderung übersetzt sich das in eine Ausgrenzung von „politischer Gesinnung“ aus der öffentlichen Förderung, um glorifizierenden Identitätsnarrativen Raum zu geben oder einem „volkspädagogischen Anspruch“ gerecht zu werden. Die Ausgrenzung kritischer Kunst entspricht jedoch gerade keiner staatlichen Neutralität im Sinne einer gleichmäßigen Berücksichtigung aller Inhalte, sondern identifiziert sich mit solchen, die apolitischer Natur sind. Oder um es mit den Worten des kulturpolitischen Fraktionssprechers der AfD Jongen zu sagen: „Es wird mir eine Ehre und Freude sein, dieses Amt auszuüben und die Entsiffung des Kulturbetriebs in Angriff zu nehmen“. Die kulturelle „Reinheit“ andeutende Sprachwahl im Duktus des nationalsozialistischen Hygiene- und Säuberungsvokabular hat ihren ideologischen Bezugspunkt in der Vorstellung einer in sich homogenen kulturellen Einheit und stabilen Wertegemeinschaft. Diese Wertegemeinschaft werde von andere Kulturen („Multi-Kulti“) beschmutzt, sodass ein Reinigungsprozess erforderlich sei. Die öffentliche Diskreditierung erfolgt entlang des Narrativs einer „neutralen“ Kunst. Sowohl hinsichtlich der Spielpläne der Theater als auch in museumspädagogischen Ansätzen oder Gedenkstätten und nicht zuletzt innerhalb der Auswahl von Projektförderungen wird eine Politisierung behauptet, die mit kritischer Haltung und Verteidigung demokratischer Werte verwechselt wird. Schon im Thüringer Wahlprogramm 2019 behauptete die AfD, Kunst sei nicht mehr als eine regierungstreue Veranstaltung, die unter der Flagge der Kunstfreiheit sogar hemmungslos politische Propaganda betreibe (S. 82). Der vermeintliche Verstoß gegen Neutralität bietet der Rechten die Rolle, ihre Ausgrenzung zu behaupten, „Opfer“ des Systems der Eliten zu sein und sich im Interesse des Bewahrens und des Erhalts dagegen auflehnen zu müssen. Um es mit den Worten Höckes zu sagen: „Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad”. Zugleich wird das Feindbild des Etablierten beschworen. Das Paradoxon des politischen Konflikts liegt in der jeweiligen Berufung auf die Kunstfreiheit, denn sowohl rechte Gruppierungen als auch ihr gesellschaftliches Gegenüber nehmen die Verteidigung von Kultur und Kunst für sich in Anspruch.

Mit Kultur haben die wenigstens politisch Erfolg gehabt, schon der geringe Anteil von ca. 2 % am Landeshaushalt Thüringen verspricht nur geringe Hebelkraft. „Gegen“ Kultur zu agitieren, wurde hingegen viel häufiger belohnt oder um es mit den Worten Tillschneiders zu sagen: „Grundlage und Ausgangspunkt jeder Kulturförderung muss vielmehr ein selbstbewusstes Bekenntnis zur deutschen Identität sein, wie es allein die AfD vertritt“. Doch die Angriffe erzeugen in der Öffentlichkeit viel zu wenig Aufmerksamkeit, denn der Schaden tritt nicht erst ein, wenn nur noch Künstler*innen arbeiten können, die Mitglieder einer staatlich beaufsichtigten Organisation nach dem Vorbild der Reichskulturkammer werden. Schaden nimmt die Kultur schon, wenn sie ihre Kraft nicht in die Entwicklung neuer Werkzeuge des Wandels investieren kann, sondern eingeschüchtert und finanziell ausgetrocknet wird oder sich rechter Störungen aller Art erwehren muss. Es ist ein schleichender Prozess: Der Umbau zu einem autoritären System verspricht in seinen imaginierten Untergangszenarien der liberalen Gesellschaft Ordnung entgegenzusetzen. Je mehr sich vormals kritische Kunst dem Ordnungsparadigma unterordnet, desto weiter entfernt sie sich von ihrer gesellschaftlichen Funktion. Diesen Prozess verantworten Transmissionsakteur*innen, die auf dem Ticket der AfD in Leitungspositionen fahren. Sie gehören zwar nicht zum Kern der Milieuintellektuellen, aber wirken als Brücke in den Mainstream mit einem vermeintlich seriösen Anstrich, wie er zu Unrecht auch den „Gründungsvätern“ der vermeintlichen Professoren- und Intellektuellenpartei der AfD nachgesagt wurde (oder wird).

Die Leiden der objektiven Werteentscheidung

Zurück zur objektiv-rechtlichen Dimension der Kunstfreiheit. Die Thüringer Verfassung ist im föderalen Vergleich ausdrücklich ähnlich einer Staatsfundamentalnorm ausgestaltet, danach genießen Kultur, Kunst, Brauchtum Schutz und Förderung durch das Land und seine Gebietskörperschaften, Art. 30 Abs. 1 Thüringer Landesverfassung. Doch das löst das Problem nicht, denn die Breite des zulässigen Korridors, ist kaum zu konturieren. Gesetzliche Regelungen, die Verfahren absichern oder den staatlichen Auftrag konkretisieren, bestehen mit Ausnahme von haushalts- und zuwendungsrechtlichen Leitplanken jedoch nicht. Vermutlich dürfte die verfassungsrechtlichen Grenzen der „Nicht-Förderung“ erst dann erreicht sein, wenn Umfang und Verteilung der Kunstförderung a priori ungeeignet sind, ein Kunstleben aufrechtzuerhalten. Auf den Schutz durch die Justiz (no offense!) sollte mit Blick auf den „Kulturkampf von Rechts“ daher niemand hoffen. Im Falle anderer Kommunikationsgrundrechte (bspw. Rundfunkfreiheit oder Wissenschaftsfreiheit) ist von der Rechtsprechung in unterschiedlichem Maße ein sachgerechter Organisationsrahmen entwickelt worden, um der objektiv-rechtlichen Werteentscheidung zugunsten der betreffenden Freiheitsrechte hinreichend Rechnung zu tragen. Im Falle der künstlerischen Betätigung ist eine solche organisationsspezifische Konkretisierung des Grundrechts bislang unterblieben. Angesichts dieses Vakuums der Absicherung der Kunstfreiheit gegen Rechts und wegen der wesentlichen Bedeutung der öffentlichen Förderung für das Bestehen eines freiheitlichen Lebensbereich Kunst ist es erforderlich zu diskutieren, ob die existenzielle Angewiesenheit auf öffentliche Kunstförderung so groß geworden sein könnte, dass die Schwelle überschritten ist, an der die freiwillige staatliche Finanzierung in Zwang umschlägt. Eine einfachgesetzliche Ausgestaltung der Kunstförderung wäre dann geboten, denn die objektive Dimension der Kunstfreiheit ist nicht etwa „wehrhaft“, sondern ein leichtes Opfer für autoritäre Fantasien.

Das Thüringer AfD-Playbook – und Gegenmittel

Wie setzt sich der „Kulturkampf von Rechts“ also fort? Kulturförderung wird auf die niedrigste mögliche Ebene zurückgedrängt, um die Stimme der Kunst zu ersticken. So wie das AfD-Europawahlprogramm eine europäische Identität ablehnt und in europäischer Kulturförderung einen „ideologischen Konformitätsdruck“ (S. 50) sieht, wird auch die vorhandene – wenn auch begrenzte – Bundeskompetenz bestritten: Eine bürger*innennahe Laienkunst wird in den Kommunen gefördert, man kommt zusammen, lässt sich unterhalten, die Steuerzahlerin „bekommt etwas für ihr Geld“ anstatt den „Eliten da oben“ das Theaterticket zu subventionieren. Soweit für „Volkskunst“ der Haushaltstitel nicht erhöht wird, wird sich in Haushaltsverhandlungen die Kultur im Übrigen hintenanstellen müssen, Budgets werden reduziert oder jedenfalls nicht wachsen. Die Verwendungsnachweise der Förderungen der vergangenen Legislatur werden besonders kritisch angefasst, geprüft und skandalisiert. Kulturinstitutionen leiden unter Rückforderungen, die sie als sicher ansahen. Kulturerhalt rückt in den politischen Vordergrund: hier ein Denkmal, dort ein Volksfest oder Traditionspflege. Manchmal wird es sie noch geben die „Flaggschiffe“ der Kultur, dann wird die Nibelungensage auf einer Landesbühne zelebriert und zärtlich das Ego des Heldenepos gestreichelt. Das darauf nicht nur der „kleine Mann und die kleine Frau“ hereinfallen, haben Intellektuelle vor knapp 90 Jahren unter Beweis gestellt. Vorhandene Förderungen werden nicht verlängert, gewachsene Strukturen brechen zusammen, sozial prekär arbeitende Künstler*innen verlassen Thüringen, der „Neuaufbau“ bricht sich Bahn. Die Verwaltung verteilt Haushaltsgelder direkt aufgrund von Förderrichtlinien, die ein „positives Bekenntnis zur Nationalität“ zur Voraussetzung machen, sich mit der glorreichen Geschichte Deutschlands befassen oder welches angebliche „Licht“ das Kaiserreich in die Kolonien brachte. Soweit noch auf Auswahlgremien für Projektförderungen oder zu besetzende Leitungspositionen zurückgegriffen wird, werden diese mit Transmissionsakteur*innen besetzt, die ihren Verbündeten zu letztem Karriereglanz verhelfen.

Was kann man dem entgegensetzen? Der häufig wiederholte Ruf nach der Zivilgesellschaft ist naheliegend. In der Kunstszene selbst hat dieser auch Widerhall. Aber darüber hinaus können auch Politik und Verwaltung noch tätig werden. Einiges ist bereits in Teilen gelungen, so wurden zahlreiche Förderungen langfristig angelegt, die Kulturstiftung Thüringen ebenso wie die Besetzung von Leitungspositionen ausgedehnt. Doch es gibt mehr zu tun: Förderstrukturen aufbauen, die mehr staatliche Distanz aufweisen etwa durch Organisationen, die wirklich finanziell unabhängig sind und mit Kapitalerträgen arbeiten und nicht auf Zuwendungen angewiesen sind. Positionen und Entscheidungskompetenzen politisch besetzter Beiräte und Gremien überprüfen und dahingehend vor Ideologieaufrüster*innen schützen, dass unter allen Umständen Freiräume verbleiben, denn den Künstler*innen kann man Vorschussvertrauen entgegenbringen. Strukturen für Sponsoren und Fundraising auch in Institutionen erarbeiten, die darauf wegen ausreichender öffentlicher Finanzierung bislang nicht oder kaum angewiesen waren – Hilfe zur Selbsthilfe. Ein Kulturfördergesetz, das Vorgaben für Auswahlverfahren und Entscheidungskriterien determiniert, vielleicht sogar Rechtsmittel gegen Entscheidungen, Besetzungen oder Förderrichtlinien vorsieht. Ein finanzieller Rettungsschirm des Bundes oder anderer Bundesländer, die innerhalb der finanzverfassungsrechtlichen Grenzen Strukturen und Künstler*innen in Thüringen auffangen, die weiterhin vor Ort sichtbar bleiben.

 

Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Autors wieder.


SUGGESTED CITATION  Duhnkrack, Justus: Das ist Kunst, das kommt weg, VerfBlog, 2024/4/29, https://verfassungsblog.de/das-ist-kunst-das-kommt-weg/, DOI: 10.59704/e34e4309257f0fee.