Daten sammeln für den Umsturz
Am 05.11.2024 nahm der Generalbundesanwalt (GBA) acht junge Männer fest. Der Zugriff macht erneut die engen Verbindungen rechtsterroristischer Gruppierungen zur AfD sichtbar. Sowohl der festgenommene Kurt H., Schatzmeister der sächsischen AfD-Jugendorganisation und AfD-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat von Grimma, als auch Kevin R. arbeiteten beim sächsischen AfD-Landtagsabgeordneten Alexander Wiesner, der stellvertretendes Mitglied des 2. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses in der vergangenen Legislaturperiode war, in dem sensible personenbezogene Daten der sächsischen Zivilgesellschaft gesichtet wurden. Dieser Untersuchungsausschuss offenbart ein nicht unerhebliches Defizit im Grundrechtsschutz.
Datenübergaben in Dresden
Zweck dieses Ausschusses war es, infolge eines umstrittenen Sonderberichts des Sächsischen Rechnungshofs den Vollzug einer Förderrichtlinie im Bereich der sozialen Integration und Partizipation von Geflüchteten und Migrant*innen im Zeitraum von 2015 bis 2023 auf mögliche Rechtsfehler zu überprüfen. Die einsetzende Minderheit der AfD-Fraktion forderte in dem Untersuchungsausschuss die Herausgabe von mehreren hunderttausend Akten, darunter Förderunterlagen zivilgesellschaftlicher Organisationen, die finanzielle Zuwendungen über das Förderprogramm beantragt hatten. Die angeforderten Dokumente, die beim zuständigen Ministerium sowie der Sächsischen Aufbaubank vorgehalten wurden, beinhalten schutzbedürftige personenbezogene Daten wie beispielsweise Namen und Privatadressen von Mitarbeitenden, Mitgliedern oder Teilnehmer*innen in Projekten freie Träger, die sich in Sachsen seit 2015 in der Flüchtlingsarbeit engagieren und sich damit auch rechtsextremen Bestrebungen entgegenstellen.
Während der Beweisaufnahme des Untersuchungsausschusses sollten 200.000 Aktenblätter übermittelt und gesichtet werden. Im April 2024 konnten die Ausschussmitglieder Arbeitskopien der ersten übermittelten Förderunterlagen anfordern. Einige zivilgesellschaftliche Organisationen, deren Mitarbeiter*innen und Mitglieder von der Datenweitergabe betroffen sein könnten, wendeten sich mit ihren Sorgen und Warnungen an staatliche Stellen und die Öffentlichkeit.
Im Rahmen der 5. Sitzung des Ausschusses im Mai 2024 wurde schließlich der Juristische Dienst des Landtages um Stellungnahme zum Umgang mit besonders schutzwürdigen personenbezogenen Daten der angeforderten Beweisunterlagen gebeten. Er stellte fest, dass ein öffentliches Aufklärungsinteresse des Untersuchungsausschusses hinsichtlich dieser Daten nicht vorliege und die Dokumente nur noch zur Einsichtnahme zur Verfügung stehen und keine Kopien mehr ausgehändigt werden. Zum Teil waren die ungeschwärzten Unterlagen zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits an den Ausschuss übermittelt worden – es muss also davon ausgegangen werden, dass die später festgenommen Mitarbeiter Zugang zu einem Teil der Daten Die AfD-Fraktion des Sächsischen Landtags beantragte im Januar 2024, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Der „Fördersumpf“, so heißt es im Antragstext, von Asyl- und Integrationsfördermaßnahmen im Zuständigkeitsbereich des Sozialministeriums sollte im Hinblick auf den Sonderbericht des Sächsischen Rechnungshofs untersucht werden (Drs 7/15623, zum Sonderbericht schon Deyda). Nach nötigen Anpassungen, wie etwa der Modifikation des Titels, beschloss der Sächsische Landtag im Februar 2024 in der geänderten Fassung die Einsetzung des wortgewaltigen 2. Untersuchungsausschusses mit dem Titel „Mutmaßlich rechtswidrige Förderpraxis bei Asyl- und Integrationsmaßnahmen im Verantwortungsbereich von Staatsministerin Köpping aufklären“ (Drs 7/15757).
Datensammlung nach Art. 54 der Freistaatsverfassung?
Untersuchungsausschüsse sind ein zentrales parlamentarisches Kontrollinstrument. Im Gegensatz zu beispielsweise den Fragerechten oder der Berichtspflicht der Regierung dienen sie der Selbstinformation des Parlaments. Dafür stehen Untersuchungsinstrumente wie die Zeugnispflicht für Regierungsmitglieder, öffentliche Bedienstete und Privatpersonen, die Einbindung von Sachverständigen und die Aktenvorlagepflicht zur Verfügung. Um effektiv zu sein, ist das parlamentarische Untersuchungsrecht als Minderheitenrecht ausgestaltet. So hat der Sächsische Landtag gem. Art 57 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 SächsVerf, § 2 Abs. 1 Alt. 2 SächsUAusschG auf Antrag eines Fünftels seiner Mitglieder die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen.
Das „scharfe Schwert“ Untersuchungsausschuss kann Begehrlichkeiten wecken: So können parlamentarische Untersuchungsausschüsse missbraucht werden, um die parlamentarische Arbeit zu beeinträchtigen. Das Missbrauchspotenzial liegt aber vor allem in der Ausforschungsmöglichkeit. Eine zu Grunde liegende politische Motivation, bei der zivilgesellschaftliche Organisationen ins Visier geraten, lassen diverse Äußerungen von sächsischen AfD-Abgeordneten im Vorfeld der Einsetzung befürchten: Es handele sich bei den geförderten freien Trägern der Flüchtlingsarbeit um „fragwürdige“ Vereine (PlPr 7/75), um „willige Handlanger der linken Szene“ und „Multikulti-Fanklubs“, die sich im Bereich der „Asylindustrie” betätigten. Letztlich handele es sich bei den „Gesinnungsgenossen ohne ehrliche Arbeit“ sogar um „rote Seilschaften” (PlPr 7/80).
Während der Untersuchungsperiode wurden in Summe 32 Beweisbeschlüsse getroffen, davon 11 Anträge auf Vorlage von Akten Unterlagen. Art. 54 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 SächsVerf, Abs. 6, § 14 Abs. 1 SächsUAusschG statuieren, dass alle Behörden des Freistaats grundsätzlich unmittelbar zur Vorlage von Akten verpflichtet sind (Art. 54 Abs. 2 S. 1, Abs. 4, Abs. 6 SächsVerf, § 14 Abs. 1 SächsUAusschG), was der Informationspflicht der Staatsregierung gegenüber dem Parlament Rechnung trägt (vgl. Art. 51 SächsVerf). Notwendig für eine Beweiserhebung ist dabei ebenfalls die Beantragung durch ein Fünftel – diesmal der Ausschussmitglieder, so Art. 54 Abs. 3, Abs. 4 SächsVerf. Die AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag konnte und kann parlamentarische Untersuchungsausschüsse einsetzen lassen und in diesen nach Belieben Beweiserhebungen veranlassen (zu den Grenzen bei Beweisanträgen vgl. SächsVerfGH, Beschl. v. 21.10.2022 – Vf. 92-I-21). Zumindest im Ausgangspunkt: Ein uneingeschränktes Recht auf die Vornahme von Beweiserhebungen existiert freilich nicht. Die Aktenvorlage „darf“ [muss] seitens der Verwaltung verweigert werden, wenn ein Gesetz der Bekanntgabe an den Ausschuss entgegensteht (vgl. Art. 54 Abs. 4 2. Hs. SächsVerf, § 14 Abs. 2 SächsUAusschG). Die Vorschrift ist letztlich Ausdruck einer Selbstverständlichkeit: Das Aufklärungsinteresse des Parlaments als einzig unmittelbar demokratisch legitimierten Verfassungsorgans hat einen hohen Rang, findet seine Beschränkung aber unter anderem in der Grundrechtsbindung staatlicher Gewalt, so. Art. 36 SächsVerf, Art. 1 Abs. 3 GG (s. BVerfGE 100, 142; BVerfGE 76, 363 387; BVerfGE 77, 1, 46; BVerfG, Beschluss vom 17.6.2009 – 2 BvE 3/07 = NVwZ 2009, 1353, 1357). Wie üblich ist nach dem Prinzip praktischer Konkordanz zu verfahren: Beiden Rechtsgütern ist zu größtmöglicher tatsächlicher Wirksamkeit zu verhelfen. In der hier zu besprechenden Konstellation ist dies zulasten des Datenschutzgrundrechts nicht gelungen: Die Rechte derjenigen, die sich als Mitarbeiter*innen und Mitglieder freier Träger in der Flüchtlingsarbeit engagieren und damit mittelbar durch die Ausschussarbeit betroffen waren, hatten unzulässigerweise das Nachsehen.
Grundrechtsverletzung durch Datenweitergabe an Ausschussmitglieder?
Neben dem Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 14 Abs. 1, 15 SächsVerf, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG ist derjenige des Art. 33 der SächsVerf betroffen: das Datenschutzgrundrecht. Dieses geht dem erstgenannten im Freistaat richtigerweise als lex specialis vor (vgl. Sächs VerfGH, Urteil vom 25.01.2024 – Vf. 91-II-19, BeckRS Rn. 369, explizit Sächsisches OVG, Urteil vom 05.07.2023 – 5 A 1421 Rn. 27; Müller, SächsVerf Kommentar, 1993; a. A. Degenhart in: Degenhart/Meissner, Handbuch der Verfassung des Freistaates Sachsen 1997, Berlit in: Baumann-Hasske, SächsVerf 4. Aufl. 2021 Art. 33 Rn. 1). Außerdem ist es die staatliche Schutzpflicht (vgl. Epping/Lenz/Leydecker, Grundrechte, 10. Aufl. 2024 S. 70) für das Leben und die körperliche Unversehrtheit mittelbar, was sich aus den vom Rechtsterror ausgehenden Gefahren unschwer erklärt.
Art. 33 S. 3 SächsVerf enthält einen einfachen Gesetzesvorbehalt für Eingriffe in seinen Schutzbereich: Dem tun Art. 53 Abs. 4 SächsVerf, § 14 Abs. 1 SächsUAusschG genüge. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ergeben sich jedoch Fragen: Dient der Grundrechtseingriff einem legitimen Ziel, namentlich der parlamentarischen Erforschung des Untersuchungsauftrages oder soll Ausforschung betrieben werden? (vgl. SächsVerfGH, Beschl. v. 21.10.2022 – Vf. 92-I-21: Ablehnung eines Beweisantrages wegen unzulässiger Ausforschung). Wäre Letzteres der Fall, wäre der Eingriff auch nicht geeignet.
Ferner muss gefragt werden, ob es ein relativ milderes Mittel darstellen würde, die Unterlagen entsprechend zu schwärzen. Es erscheint nicht fernliegend, dass dem Untersuchungszweck auch Genüge getan werden kann, ohne maximalsensible Personendaten offenzulegen. Zur Erinnerung: Überprüft werden sollte doch die Ausführung einer Verwaltungsvorschrift durch ein Ministerium und nicht das Handeln diverser zivilgesellschaftlicher Organisationen. Letztere sind nämlich als nichtstaatliche Akteure der parlamentarischen Kontrolle entzogen, die sich in entsprechender Anwendung der Korollartheorie auf jene Gebiete hoheitlichen Handelns erstreckt, auf denen dem Sächsischen Landtag die Gesetzgebungsbefugnis zukommt (s. Schulte/Kloos in: Baumann-Hasske, SächsVerf Art. 54 Rn. 4 f.).
Als wären das nicht schon genug Argumente, hat der EuGH unlängst klargestellt, dass die DSGVO grundsätzlich auf parlamentarische Untersuchungsausschüsse anwendbar ist. Gefolgert werden kann nur, dass auch für den Sächsischen Landtag die Grundsätze des Art. 5 Abs. 1 DSGVO über die Verarbeitung personenbezogener Daten gelten. Namentlich umfasst dies die Verarbeitung von Daten auf eine nachvollziehbare Weise, Zweckbindung, Datenminimierung, Speicherbegrenzung auf einen unbedingt erforderlichen Zeitraum sowie Integrität und Vertraulichkeit, die unter anderem dem „Schutz vor unbefugter oder unrechtmäßiger Verarbeitung“ dient. Die Konstellation ließe sich zusätzlich auch unter unmittelbarer Anwendung des Unionsrechts lösen.
Gefahr und (Daten-)Schutzbelange ernst nehmen
Die Reaktion des Sächsischen Landtags auf mögliche Datenweitergaben im Mai 2024 bestand darin, das Ausgeben von Arbeitskopien zu beenden und die Unterlagen stattdessen zur Einsichtnahme auszulegen. Das kam zu spät und war unzureichend. Gerade in Anbetracht der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus Luxemburg und Karlsruhe spricht vieles dafür, dass die besonders schutzwürdigen personenbezogenen Daten auf keine Weise hätten weitergegeben werden dürfen, da auch die Möglichkeit der Einsichtnahme durch die Ausschussmitglieder Grundrechte [sowie Unionsrecht] verletzte. In der Abwägung der betroffenen Rechtsgüter (einerseits Datenschutz/Persönlichkeitsrecht, Schutzpflichten für das Leben und die körperliche Unversehrtheit, andererseits das staatlich-parlamentarische Aufklärungsinteresse) muss Beachtung finden, wenn Mitglieder des Untersuchungsausschusses direkten Kontakt zu mutmaßlichen Rechtsterroristen pflegen. Auf die Gefahren der AfD als „politischer Arm des Rechtsterrorismus“ wurde hinlänglich verwiesen (z.B. Quent/Virchow, Rechtsextrem, das neue Normal? 2024 S. 105 ff.)
Dass Daten gezielt gesammelt werden, zeigen die bekannt gewordenen Feindeslisten von rechtsextremen Gruppierungen, wie sie beispielsweise im Kontext der Recherchen zur Vernetzung „Nordkreuz“, der Mordserie des NSU oder rund um die Online-Plattform „Nürnberg 2.0“ öffentlich wurden. Auch hier spielte unzureichender Datenschutz eine Rolle. Vor dem Hintergrund der nun zu Tage getretenen Verbindungen der AfD zu einer weiteren vermutlich rechtsterroristischen Gruppierung erscheint der Umgang mit den Warnungen und Besorgnissen betroffener zivilgesellschaftlicher Organisationen zum Umgang mit ihren Daten umso bedenklicher. Für Betroffene ist gegenwärtig unklar, ob sich Daten aus dem Untersuchungsausschuss bei Anhängern der „Sächsischen Separatisten“ befinden. Das Beispiel zeigt, dass auch mit Blick auf bereits angekündigte weitere AfD-Untersuchungsausschüsse, (Daten-)Schutzbelange und von der Partei ausgehende Gefahren endlich ernst genommen werden müssen, bevor es zu spät ist.