Die AfD und ihr Rechtsbruch-Mythos: im Felde unbesiegt
Die Versuchung liegt nahe, jetzt erst einmal Hohn und Spott auszugießen über die AfD-Bundestagsfraktion: So eine dicke Hose hatte sie sich über ihre dünnen Beine gezogen mit ihrer Klage gegen die angebliche „Herrschaft des Unrechts“ in der Flüchtlingspolitik, die sie im vergangenen Mai im Bundestag der Öffentlichkeit vorgestellt hatte. Der Antrag der Fraktion in Karlsruhe werde im Erfolgsfall „die Welt verändern“, hatte der Rechtsausschussvorsitzende Stephan Brandner geprahlt und war angesichts der für möglich gehaltenen Auswirkungen des Verfahrens vor Begeisterung regelrecht ins Stammeln geraten: „In Nullkommanichts wäre Frau Merkel … also, die müsste … weg!“ Prozessvertreter Ulrich Vosgerau fand seinen eigenen Prozess „ein Stück weit historisch“, weil jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht jene „inhaltlichen Debatten um das Grundgesetz“ ausgetragen würden, die der Bundestag seit Jahr und Tag verweigere.
Das können sich die AfD-Fraktion und ihr Prozessvertreter jetzt alles an den Hut stecken: Ihr Antrag ist unzulässig. Mit einem zaunklapperdürren Beschlüsschen von nicht mal 30 Randnummern hält sich der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts – einstimmig! – die Zumutung vom Leib, in den Streit um die angebliche „Grenzöffnung“ hineingezogen zu werden. Es gibt kein Urteil, keine mündliche Verhandlung, noch nicht einmal einen Schriftsatz der Bundesregierung. Man wollte offenkundig so wenig Angriffsfläche wie möglich bieten in Karlsruhe.
Ich frage mich, ob wir das nicht noch bereuen werden.
Keine abstrakte Verfassungskontrolle
Das zentrale Argument der AfD-Fraktion war die mangelnde Beteiligung des Parlaments: Die Bundesregierung, so Vosgeraus Antrag, habe die Rechte des Bundestags als Verfassungsorgan dadurch verletzt, dass sie die massenhafte Einreise von Flüchtlingen geduldet habe, ohne dafür eine gesetzliche Grundlage zu haben. Der Bundestag hätte ein „Migrationsverantwortungsgesetz“ erlassen und darin die Aufnahme von Flüchtlingen legalisieren müssen. Alle wesentlichen Entscheidungen müssen nach herrschender Verfassungsdoktrin durch Gesetz gefällt werden und nicht durch Exekutiverlass, und was wäre aus der Perspektive des deutschen Volkes und seines Rechts auf Selbstbestimmung wesentlich, wenn nicht eine Entscheidung, die die Zusammensetzung der Bevölkerung maßgeblich verändert, wenn nicht gar eine „echte, technische Bevölkerungsneuschaffung“ (S. 88) nach sich zieht.
Wenn die Bundesregierung Rechte des Bundestags verletzt, darf auch eine einzelne Fraktion im eigenen Namen dagegen in Karlsruhe klagen (Art. 63 BVerfGG). Das heißt nach Ansicht des BVerfG aber noch lange nicht, dass sie auf diesem Wege jedes Mal die Regierung in Karlsruhe vor den Kadi schleifen kann, wenn sie deren Tun oder Unterlassen verfassungsrechtlich anzweifelt.
In ihrem Antrag behauptet die AfD-Fraktion ja, ersteres zu tun und nicht zweiteres. Aber das glaubt ihr der Senat nicht. Der Grund ist, dass sie ein solches Gesetz ja selbst initiieren könne im Bundestag – aber das laut Antragsbegründung nicht tun wollte: Denn das wäre ja darauf hinausgelaufen, die Aufnahme von Flüchtlingen zu legalisieren – das letzte, was die AfD anstrebt. Das deutet der Senat so, dass es ihr „damit nicht um die Durchsetzung eigener oder dem Deutschen Bundestag zustehender (Beteiligungs-)Rechte [gehe], sondern um das Unterbinden eines bestimmten Regierungshandelns“. Und das sei im Rahmen einer Organklage halt unzulässig.
Das heißt, wenn ich das richtig verstehe, dass man als Organkläger nicht „Vorbehalt des Gesetzes“ draufschreiben darf, wenn tatsächlich „Vorrang des Gesetzes“ drin ist. Die AfD, so das Gericht, war in Wahrheit gar nicht der Meinung, dass es an einer gesetzlichen Regelung fehle, sondern moniert in Wirklichkeit bloß, dass die Regierung gegen die durchaus vorhandene gesetzliche Regelung verstoßen habe (nämlich § 18 Abs. 2 AsylG). Was – unterstellt, es ist so – aber keine Rechte des Bundestags als Verfassungsorgan verletzt. Das wäre dann kein Übergriff in die Kompetenzen des Parlaments, sondern halt einfach rechtswidrig.
Volk als Argument
Damit erspart sich der Senat die Unannehmlichkeit, zu dem eigentlichen Punkt Position beziehen zu müssen, auf den die AfD und ihr Prozessvertreter hinauswollen: wie sich die Flüchtlinge und das deutsche Staatsvolk zueinander verhalten. Dass der Bundestag ihre Aufnahme hätte eigens beschließen müssen, begründet Vosgerau damit, dass es sich um ethnisch Nicht-Deutsche handelt:
Selbst wenn die Duldung der Einreise von weit über einer Millionen Menschen, bei denen es sich in ihrer großen Mehrheit um Männer unter 30 Jahren handelt, die fast alle aus dem Nahen Osten, aus Afrika oder auch aus sonstigen islamischen Ländern wie Afghanistan oder Pakistan, mithin aus (aus deutscher Sicht) durchaus fremden Kulturkreisen herrühren und die mithin die Bevölkerungszusammensetzung in der Bundesrepublik Deutschland in der fraglichen Altersgruppe erheblich verändern werden, auch ohne daß hier an künftigen Familiennachzug überhaupt gedacht wäre, entgegen der hier vertretenen Rechtsauffassung als solche nicht rechtswidrig gewesen wäre, so hätte vor einer derart gravierenden, den Charakter und die weitere Zukunft des ganzen Landes verändernden Entscheidung eine Beratung und ein formeller Beschluß des Deutschen Bundestages herbeigeführt werden müssen. (S. 85)
Das „eigentliche Wesen einer staatlichen Gemeinschaft“, so Vosgerau, sei die Zusammensetzung seiner Bevölkerung. Deren „Steuerung und Komposition“, die „Abwehr untunlicher Zuwanderung“ und die Verantwortung dafür sei dem Parlament vorbehalten, denn die „Rechts- und Verfassungsordnung (…) kann nur legitim genannt werden, wenn sie Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts gerade des Staatsvolkes ist“ (S. 87).
Verpasste Chance
Das ist der erzrassistische Kern dieses ganzen Rechtsbruch-Mythos, den die AfD seit drei Jahren mit ungebrochenem Erfolg allen erzählt, die das glauben wollen. Daran wollte sich der Senat erkennbar nicht die Hände schmutzig machen. Ich frage mich: warum eigentlich nicht?
Seit knapp drei Jahren gelingt es den Rechten unter tatkräftiger Mithilfe von zahlreichen Staatsrechtsordinarien, den politischen Streit um das Aufnehmenwollen von Flüchtlingen zu einem verfassungsrechtlichen Streit um das Nichtaufnehmendürfen von Flüchtlingen umzudeuten. Einer der Gründe dieses Erfolgs ist, dass so viele Menschen glauben, dass Udo Di Fabio und Hans-Jürgen Papier irgendwie immer noch autoritativere Einsichten zur Verfassungsrechtslage spenden könnten als jede andere Juraprofessorin auch. Landauf, landab werden diese beiden Herren und bezahlten Gutachter interessierter Parteien als „ehemalige Verfassungshüter“ mit der Amtsautorität der Roten Roben öffentlich ins Schaufenster gestellt. Ich wünschte, ich wüsste, was die tatsächlich amtierenden Roten Roben sagen, nach gründlicher Senatsberatung und in Entscheidung eines konkreten Falls. Wenn ich mal so kühn sein darf: dass im europäisierten Asylsystem die Dublin-III-Verordnung vor § 18 AsylG und Art. 16a GG Anwendungsvorrang genießt (okay, vielleicht mit Minderheitsvotum von Huber und noch ein, zweien). Dann hätte man endlich was gegen dieses ewige argumentum ad auctoritatem Di Fabii et Papyri in der Hand, gegen das sonst so leicht kein Kraut gewachsen zu sein scheint in unserem autoritätshörigen Lande.
Ich sehe schon ein, dass es hoch riskant ist, das Bundesverfassungsgericht zum Forum einer solch fundamentalen Debatte zu machen. Aber als es gegen Maastricht, Lissabon und die Eurorettung ging, hatte der Senat davor ja auch keine Angst, ganz im Gegenteil. Und vor maximaler Kreativität beim Zulässigmachen unzulässiger Klagen ebenso wenig. Vielleicht hätte er sich jetzt mehr trauen können, wenn er in diesen Verfahren nicht schon so viel Kapital verspielt hätte.
Natürlich wäre das BVerfG selbst in die Schusslinie der AfD geraten, wenn es zur Sache und gegen sie entschieden hätte. Man darf davon ausgehen, dass die AfD nicht gelehrig den Kopf gesenkt hätte, wenn das Bundesverfassungsgericht ihr vordekliniert, wie das so ist mit dem Staatsvolk und dem Grundgesetz und wer da wofür zuständig ist im europäischen Flüchtlingsrechtsregime. Sie hätte das vermutlich als Beweis dafür gewertet, dass in Karlsruhe nur lauter Merkelknechte und Volksverräter sitzen. Sie hätte womöglich das Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG ausgerufen, wo andere Abhilfe gegen den „großen Austausch“ nicht mehr möglich ist. Aber das ist sowieso die Eskalationslogik, nach der die AfD funktioniert. Es hilft eh nichts, ihr auszuweichen.
So aber hindert nichts die AfD, weiter durch die Lande zu ziehen und zu behaupten, dass die Bundeskanzlerin hinter Gitter gehöre ob ihrer schauderhaften Verbrechen am deutschen Volk. Um den famosen Herrn Brandner zu zitieren:
Nach wie vor steht fest, denn Gegenteiliges hat BVerfG nicht festgestellt, dass die Merkel-Regierung und die Altparteien millionenfachen Rechtsbruch und Aushöhlung des Rechtsstaates zu verantworten haben. Wir sind bei Einreichung der Klageschrift davon ausgegangen, dass sich das BVerfG in der Sache mit unseren sehr guten Argumenten inhaltlich auseinandergesetzt und eine mündliche Verhandlung durchführt. Denn dann wäre es wohl zu einem anderen Ergebnis gelangt. Wie dem auch sei: Wir lassen auch künftig nichts unversucht, den Rechtstaat [sic!] vollständig wieder herzustellen.“
Das BVerfG mag vermieden haben, sich unbeliebt zu machen. Aber wenn die AfD irgendwann mal in die Situation kommt, den „Rechtstaat vollständig wieder herzustellen“ so, wie sie ihn sich vorstellt, dann wird das überhaupt nichts helfen. Dann wird Karlsruhe – so oder so – als erstes an der Gleichschaltungs-Reihe sein, so wie wir es in Polen und in Ungarn erlebt haben.
Übrigens darf ich an dieser Stelle ankündigen, dass im April bei Klett Cotta ein Buch von Stephan Detjen und mir erscheinen wird, das sich zum Ziel setzt, die Entstehung des Rechtsbruch-Mythos zu rekonstruieren und zu analysieren.
Es geht um den Rechtsfrieden in Deutschland. Seit drei Jahren zerreibt sich die öffentliche Diskussion in der Frage, waren die Entscheidungen der Kanzlerin im September 2015 rechtmäßig. Das BVerfG hätte die Klage annehmen und entscheiden müssen.
Nur so hätte der Rechtsfrieden wieder hergestellt werden können. Egal zu welchem Urteil Herr Vosskuhle gekommen wäre. Stattdessen hat sich das BVerfG hinter Verfahrensrichtlinien verschanzt, um bloß nicht das von Merkel in der Flüchtlingsfrage errichtete rechtliche Kartenhaus berühren zu müssen. Das ist der Grund für die Klageabweisung!
Das BVerfG hat über die Klage entschieden (ein Annahmeverfahren kennt der Organstreit nicht). Und es hat so entschieden, wie ich es Ihnen seit Mai angekündigt habe und zwar a limine, wie ich es Ihnen letzte Woche noch angekündigt habe. „Wir werden ja sehen“, schrieben Sie im Mai – als Sie noch siegesgewiss waren. Nun haben wir gesehen. Geben Sie also endlich Frieden.
Ich habe wenig Verständnis für alle Kommentatoren, die sich nun Gedanken darüber machen, ob die Entscheidung klug oder unklug war. Sie war prozessrechtlich zwingend. Und wer den Unterschied zur Pershing-Entscheidung nicht versteht, der lese zum dortigen Antragsgegenstand BVerfGE 68, 1 (66 ff.): „Dann aber kann es nicht im Sinne des § 64 BVerfGG Rechte des Bundestages oder Pflichten der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag verletzen, wenn die Bundesregierung lediglich unterläßt, was aus seiner Mitte zu tun der Bundestag nicht gehindert ist. Als Rüge des bloßen Unterlassens einer Gesetzesvorlage verstanden wäre das Begehren der Antragstellerin mithin unzulässig, ihr Antrag zu verwerfen.“
Ich sehe das auch so. Prozessrechtlich ist das Urteil völlig in Ordnung und richtig. Die Möglichkeit zur inhaltlichen Klärung wird es ja vielleicht noch bei anderer Gelegenheit geben…
Da haben Sie aus der Pershing-Entscheidung jetzt aber eine denkbar unpassende Passage herausgesucht. Die Grünen-Fraktion hatte damals ja in ihren Anträgen nicht die Zustimmung der Bundesregierung ohne Rechtsgrundlage angegriffen, sondern das Unterlassen, für ihre Zustimmung die erforderliche Ermächtigung durch ein Gesetz einzuholen. Diesen (damals vom Gericht geheilten) Fehler hat die AfD nicht gemacht, sondern ihre Anträge ausdrücklich gegen das Handeln der Bundesregierung ohne Rechtsgrundlage gerichtet. Insofern lässt sich das genannte Zitat der AfD nicht vorhalten.
Treffender erscheint mir der folgende Satz (Rdnr. 106) aus der Pershing-Entscheidung:
„Für die Frage, wie im Organstreitverfahren ein „Handeln ohne Grundgesetzänderung“ im Hinblick auf die Rechte des Bundestages zur Gesetzgebung zu beurteilen ist, kommt es indessen allein darauf an, ob die übergangene Verfassungsnorm, deren Änderung erforderlich gewesen wäre, zumindest auch Rechte des Bundestages zur Gesetzgebung zu gewährleisten bestimmt war.“
Die Klage der Grünen-Fraktion war damals zulässig, soweit die von der Bundesregierung (angeblich) übergangenen Normen Art. 24 I und 59 II GG waren, weil hier auch Rechte des Bundestags garantiert werden. Die von der AfD gerügten (angeblichen) Verstöße gegen § 18 AsylG betreffen hingegen Vorschriften, die eben nicht „zumindest auch Rechte des Bundestages zur Gesetzgebung zu gewährleisten bestimmt“ sind.
Die AfD hat versucht, sich dem zu entziehen, indem sie sich in ihren Anträgen lediglich auf Art. 20 II und III und damit auf die Wesentlichkeitstheorie beruft. Diesen argumentativen Trick hatte das BVerfG aber ebenfalls schon in der Pershing-Entscheidung mit guten Gründen zurückgewiesen (Rdnr. 103).
Anders sieht es allerdings aus mit den von der AfD gerügten (angeblichen) Verstößen gegen Art. 16a II GG. Hier ist tatsächlich auch das Recht des Bundestags betroffen, durch Gesetz sichere Drittländer zu bestimmen, von denen aus man nicht nach Deutschland einreisen und sich auf das Recht auf Asyl berufen kann.
Nach den Maßstäben der Pershing-Entscheidung wäre die Antragsbefugnis insofern zu bejahen gewesen. Was natürlich noch lange nicht heißt, dass der Antrag fristgerecht oder gar begründet gewesen wäre. Die jetzige Entscheidung wäre aber überzeugender gewesen, wenn sich das BVerfG stärker an seiner Argumentation aus der Pershing-Entscheidung orientiert hätte. Das Ergebnis wäre das gleiche gewesen.
Aber genau deshalb wollte ich auf genau diese Passage hinaus. Ein fehlendes Gesetz genügt nicht. Das kann der Gesetzgeber immer selbst auf den Weg bringen. Man braucht schon eine Entscheidung der Regierung, die eigentlich durch den Gesetzgeber hätte getroffen werden müssen. Die gibt’s hier nicht, jedenfalls nicht innerhalb der Frist. Einreisegestattungen könnten schon gar nicht durch den Gesetzgeber getroffen werden.
Man könnte sagen: Die AfD hat zwar oberflächlich den Antrag richtig formuliert, rügt aber in der Sache keine Kompetenzanmaßung durch den Gesetzgeber. Bei den Grünen war es in Pershing genau umgekehrt.
Man muss sich ja schon fragen, wie die Gesetzesinitiative, die der Antrag von der Bundesregierung verlangt, inhaltlich hätte aussehen sollen. Denn die Bundesregierung hält ihr Vorgehen ja schon nach jetzigem Recht für europarechtlich geboten. Hätte die Bundesregierung dem Bundestag die Dublin-VO zur Ratifikation vorlegen sollen?
Herr Niklaus, schön, dass wir mal übereinstimmen. Aber darf ich nachfragen: Hätten Herr Voßkuhle und seine Kolleg_innen so votiert, wie von mir vermutet – Dublin-VO sticht § 18 AsylG, Rechtsgrundlage vorhanden, Problem weder mit Vorrang noch mit Vorbehalt des Gesetzes – wäre dann für Sie ganz persönlich der Rechtsfrieden hergestellt gewesen? Interessiert mich sehr, und ist ganz unpolemisch gemeint.
Herr Steinbeis, vielen Dank, dass Sie das Thema nicht scheuen und aufgreifen. Ihre an mich gerichtete Frage ist nicht einfach zu beantworten:
Wenn das Urteil, wie Sie vermuten, lauten würde: „Dublin-VO sticht § 18 AsylG“, dann fehlt mir zur Beantwortung Ihrer Frage die Urteilsbegründung des BVerfG.
Unter den hiesigen Verfassungsrechtlern gibt es in dieser Frage doch zwei diametral entgegengesetzt stehende „Lager“. Auf diesem Hintergrund hätte man einer Urteilsbegründung mit Hochspannung entgegensehen müssen. Aus ihr hätte sich dann der Rechtsfrieden gespeist.
Selbst wenn die Urteilsfindung so ausgehen würde, wie Sie vermuten, hätte man das Urteil zu akzeptieren, so wie Demokraten auch Mehrheitsentscheidungen akzeptieren, hinter denen sie nicht stehen.
Das fatale an der Karlsruher Entscheidung ist doch, dass die Frage um die Rechtmäßigkeit der Merkel-Entscheidung weiter gärt. Sie schafft keinen Rechtsfrieden, sondern schürt weiter die Auseinandersetzung in dieser Frage. Taktisch hat sich Karlsruhe aus der Affäre gezogen, aber strategisch verloren.
Lieber Herr Steinbeis,
guter und – gerade auch hinsichtlich des Titels – sehr Kommentar, danke!
Aber: Was Sie letztlich aus POLITISCHEN Erwägungen heraus wünschen, ist ja nicht, dass das Bundesverfassungsgericht eine rechtlich strittige Frage letztverbindlich entscheidet (weil Sie die Argumente der AfD für einen – gleichsam nicht satisfaktionsfähigen – Mythos halten), sondern, dass das BVerfG zur Befriedung einer politischen Auseinandersetzung beiträgt. Das leuchtet mir zwar ein (und Ihre Auffassungen zum Rechtsbruchmythos und zur Rolle der AfD teile ich), aber einen politischen Wunsch an Karlsruhe heranzutragen, halte ich für schwierig.
Vielleicht gibt es im Übrigen noch einen weiteren Aspekt, der den Senat von einer inhaltlichen Entscheidung abhielt: Materiell wäre unter den acht Richter*innen womöglich keine Einigkeit zu erzielen gewesen. Eine Mehrheitsentscheidung aber, mit ein-zwei Sondervoten, die näher (wie nahe?) an der Position der AfD sind, wäre kommunikativ wohl das größtmögliche Fiasko gewesen.
Beste Grüße
Ihr
Michael Hein
Lieber Herr Hein, die Rolle zur Befriedung politischer Auseinandersetzungen hat sich das BVerfG ja in der Euro-Debatte selber zugemessen, oder nicht?
Was die Frage Sondervoten betrifft: ich weiß gar nicht, ob ich das kommunikativ für so katastrophal halten würde. Zum einen bin ich ziemlich sicher, dass im Zweiten Senat keiner die völkischen Positionen der AfD teilt. Und wenn Huber oder sonstwer aus demokratietheoretischen Gründen die Position vertreten hätte, dass ein BT-Beschluss angezeigt gewesen wäre, fände ich das völlig ok. Damit wird doch nur sichtbar, worüber man streiten kann – und worüber nicht. Es ist ja nicht so, als ob die Gegenposition zur AfD furchtbar prekär und wackelig wäre, dass man sich da gar keinen Binnendissens mehr leisten könnte.
Zu (1): Hier werte ich die Entscheidung einfach anders: Ich begrüße, dass das Gericht in der heutigen Entscheidung diese Rolle zu spielen abgelehnt hat. (Aber ich kann nachvollziehen, dass man das anders sehen kann.)
Zu (2): Hinsichtlich der inhaltlichen Positionen im Senat haben Sie vermutlich recht. Aber auch ein Sondervotum, dass einen Bundestagsbeschluss für notwendig erachtet, wäre letztlich ein (öffentlich nutzbarer) „Teilsieg“ für die AfD gewesen, und vielleicht wollte das Gericht eben das vermeiden. Aber das ist selbstredend reine Spekulation.
Sehr geehrter Herr Steinbeis,
„Seit knapp drei Jahren gelingt es den Rechten unter tatkräftiger Mithilfe von zahlreichen Staatsrechtsordinarien, den politischen Streit um das Aufnehmenwollen von Flüchtlingen zu einem verfassungsrechtlichen Streit um das Nichtaufnehmendürfen von Flüchtlingen umzudeuten.“
Ohne irgendeine der vertretenen Positionen bewerten zu wollen: nichts anderes als das, was sie hier beschreiben, macht der Verfassungsblog auch; wenn auch auf der gegenüberliegenden Seite des politischen Spektrums. Auch hier werden wiederkehrend Beiträge veröffentlicht, die wenig Argumente, dafür umso mehr Pathos enthalten.
Man kann von alldem halten was man will. Der politischen und rechtlichen Debatte hilft das alles nichts.
@Papst: mein Punkt ist nicht das Pathos-Argument-Verhältnis der besagten Staatsrechtslehrer, sondern ihr Argument selber.
„Dann hätte man endlich was gegen dieses ewige argumentum ad auctoritatem Di Fabii et Papyri in der Hand, gegen das sonst so leicht kein Kraut gewachsen zu sein scheint in unserem autoritätshörigen Lande.“
Das richtet sich also gegen das Argument selbst und nicht gegen die Argumentierenden?
Die vielen Verfassungsblog-Posts, auf die Sie in Ihrem ersten Kommentar anspielen, richten sich gegen das Argument und nicht gegen die Argumentierenden. Der in Ihrem zweiten Kommentar zitierte Satz ist ein Stoßseufzer ob der Mühsal, gegen die Macht des Ad-Auctoritatem-Fehlschlusses à la „Di Fabio und Papier, die sind Professoren und ehemalige Verfassungsrichter, und wer bist du?“ anzukommen, verbunden mit der Hoffnung, dass die Selbstgewissheit der Ad-Auctoritatem-Argumentierer schwinden möge, wenn sie damit gegen das Bundesverfassungsgericht selbst argumentieren müssten.
Ja, aber nichts anderes machen sie in diesem Beitrag doch auch! Da sind ihre Autoritäten dann eben nicht di Fabio und Papier, sondern Thym und Schmalz.
Wie gesagt, meiner Meinung nach helfen solche Texte wie dieser kein Stück weiter, um die politische und rechtliche Debatte zu führen und – noch wichtiger – die gesellschaftlichen Gräben langsam mal wieder ein wenig zu kitten.
versteh ich nicht. Wo argumentiere ich ad auctoritatem mit Verweis auf Thym und Schmalz?
Lieber Herr Steinbeis,
vielen Dank bei dieser Gelegenheit zunächst dafür, dass Sie auf diesem Blog dem „Rechtsbruch-Mythos“ immer wieder entschieden entgegengetreten sind – zusammen mit anderen Autoren, von denen ich namentlich Daniel Thym nochmals herausstellen will; seinen Beitrag „Der Rechtsbruch-Mythos und wie man ihn widerlegt“ vom 2.5.2018 halte ich für einen Schlüsseltext in der Debatte (Ähnliches gilt etwa auch für die bereits zuvor erschienenen Beiträge von Roman Lehner „Grenze auf, Grenze zu? Die transnationale Wirkung von Rechtsverstößen im Dublin-System“ vom 30.10.2015 sowie von Jürgen Bast und Christoph Möllers „Dem Freistaat zum Gefallen: über Udo Di Fabios Gutachten zur staatsrechtlichen Beurteilung der Flüchtlingskrise“ vom 16.1.2016).
Anlässlich des „Flüchtlingsstreits“ aus dem Sommer habe ich selbst versucht, zumindest einen kleinen Beitrag zu Versachlichung der Debatte zu leisten, indem ich die nicht zuletzt auch auf dem „Verfassungsblog“ seit 2015 geführte fachliche Diskussion über die Zulässigkeit von Zurückweisungen an der Grenze in einem Überblicksartikel zusammengefasst habe. Dies auch vor dem Hintergrund etlicher seitens (ehemaliger) Politiker (Thilo Sarrazin, Erhart Körting u.a.) sowie von Journalisten (z.B. Jan Fleischhauer, Christoph von Marshall) lancierter, mehr oder weniger in Unkenntnis der rechtlichen Problematik geschriebener Artikel, über die ich mich massiv geärgert habe. Das Ergebnis ist in Heft 3/2018 der „Haus-Postille“ der Verwaltungsrichterschaft erschienen, dem „BDVR-Rundschreiben – Zeitschrift für die Verwaltungsgerichtsbarkeit“, in deren Redaktion ich Mitglied bin (abrufbar unter: http://www.bdvr.de/index.php/rundschreiben.html).
Ihren Impetus, im Zweifel lieber offensiv mit der AfD umzugehen, teile ich. Auch könnte der Beschluss des BVerfG bei erster, oberflächlicher Lektüre in der Tat die eine oder andere Frage aufwerfen. Jedenfalls scheint mir, dass das BVerfG einen erhöhten Begründungsaufwand betreibt, wenn es auf die Ebene der „wahren Intentionen“ der AfD rekurriert. Andererseits hat es ja durchaus etwas Entlarvendes, wenn das BVerfG auf die Widersprüchlichkeit des Agierens der AfD hinweist (in deren Antragsbegründung es lt. Rn. 23 des BVerfG-Beschlusses geheißen haben soll, sie sei „am allerwenigsten“ bereit, entsprechende Gesetze zur Legalisierung des Handelns der Bundesregierung im Bundestag zu initiieren). Wie auch immer, stellt sich mir zumindest aber die Frage, inwiefern genau es in dem dem BVerfG unterbreiteten Organstreit in der Sache überhaupt darauf hätte ankommen können, dass die Dublin III-VO Anwendungsvorrang genießt vor § 18 AsylG und Art. 16a GG. Davon unabhängig sehen Sie selbst ja auch das Problem, dass die AfD sich auch dann bestätigt gefühlt hätte (nämlich in ihrer Ablehnung der Institutionen), wenn das BVerfG in der Sache gegen sie entschieden hätte. Am Ende erscheint mir der BVerfG-Beschluss daher vielleicht doch gar nicht so unweise.
Lieber Herr Rau, vielen Dank erst mal! Was die Relevanz der Dublin-Argumentationskette im Organklageverfahren betrifft, so scheint mir die darin zu liegen, dass man bei der Kompetenzabgrenzung zwischen Gesetzgeber und Exekutive nach dem Vorbehalt des Gesetzes fragt und dieses eben in der Dublin-VO identifiziert, die in ihrem Anwendungsbereich § 18 AsylG und 15 AufenthG überlagert. Könnte sein, dass dann eine Vorlage nach Luxemburg nötig wäre, um dieses Ding mit dem Art. 20 IV Dublin-VO aus der Welt zu schaffen, aber das wäre ja auch ein großer Gewinn für die Menschheit. Oder?
Sehr geehrter Herr Rau,
auch die Rechtsprechung ist der Auffassung, dass bei Einreise aus einem Drittstaat regelmäßig zurückgewiesen werden MUSS. Ich empfehle die Lektüre dieser Entscheidung:
VGH München, Beschluss v. 03.08.2017 – 10 CE 17.1235
Da – wie jeder Jurist im 1. Semester lernt – die Rechtsprechung immer die h.M. ist, kann gar keine Rede von einem „Mythos“ sein. Vielmehr ist es die h.M.
Die hier eigentlich diskutierte Frage, ob die Klage zulässig war, ist für mich als Nicht-Verfassungsrechtler nicht zu beurteilen. Allerdings beschleicht mich der Verdacht, dass – so die Entscheidung richtig ist – es gar keinen Weg gibt ein rechtswidriges Unterlassen oder Handeln der Bundesregierung in „wesentlichen Fragen“ gerichtlich anzugreifen. Das scheint mir ein etwas sonderbares Ergebnis zu sein. Aber vielleicht hat einer der Foristen ja eine Idee, wie rechtswidriges Unterlassen / Handeln angreifen könnte. Ich lausche gespannt.
Wer die Praesentation von Dr Vosgerau – eine Lehrstunde auch fuer die anwesenden Journalisten – angeschaut hat, reibt hier verwundert die Augen.
Der angeblich ‚rassistische Kern‘ spielte dort ueberhaupt keine Rolle, (Nebenbei bemerkt verursachen auch die 2017 ’nur‘ noch Eingetroffenen ca. 300.000 Personen (incl. Familiennachzug) laut Top Experten Prof Raffelhueschen/Hans-Werner Sinn fiskalische Folgekosten von 145 Mrd Euro, also eine versteckte Neuverschuldung, die selbst jene der kaputtesten Pleitestaaten im Euroraum weit uebertrifft.)
Dublin sticht eben nicht das GG, sondern es ist exakt umgekehrt.
Es geht auch um den Bruch bestehenden Rechts und nicht um die Schaffung einer neuen Rechtsgrundlage, Wenn man der (Un)Logik des VGs folgt, und der Bundestag eine neue Rechtsgrundlage schafft, koennte die Regierung diese erneut konsequenzlos brechen.
Absurderweise besagt Rn24 des Urteils, dass die Klage moeglicherweise zulaessig gewesen waere, wenn die AfD an einer Legalisierung des ‚Rechtsbruchs‘ mitwirken wolle, Das ist dann wirklich entlarvend.
Die geringschaetzigen Bemerkungen ueber ehemalige Verfassungsrichter sind glatter Hohn, wenn man sich ‚Qualifikationen‘ von Neubesetzungen anschaut. So unbeschlagene Parteipolitiker oder Fachfremde haetten in Polen oder Ungarn keine Chance auf diese hoechsten Aemter. Solche Urteile wuerden dort sicherlich nicht einstimmig gefaellt. Ausserdem gibt es in Polen und Ungarn noch von der Opposition kontrollierte Medien und bei Wahlen mitunter noch Politikwechsel.
rassistischer Kern: Stimmt, aber Basis dieses Verfahrens ist nicht diese angebliche „Lehrstunde vor Journalisten“, sondern der Schriftsatz, und da finden Sie das alles sehr wohl.
GG sticht Dublin? Begründen Sie das doch mal bitte juristisch.
„Es geht auch um den Bruch bestehenden Rechts…“: Sie finden, mit der Organklage sollte abstrakte Verfassungskontrolle herbeigeführt werden können? Könnte man drüber reden. Sieht das BVerfG halt seit 30 Jahren anders.
Unlogik des VG: welches VG?
Meiner bescheiden Meinung nach können EU-Verordnungen nur mit Ratifizierung durch die natinonale Legislative oder/und mit Umsetzung in nationales Recht bestehendes nationales Recht verändern.
Der angebliche Anwendungsvorrang von EU-Verordnungen gegenüber nationalem Recht halte ich persönlich derzeitig nicht mit unserer Verfassung vereinbar. Die EU hat keine Legislative mit gesetzesgebender Kraft. Die EU-Institutionen sind nicht nach demokratischen Gesichtspunkten gewählt, es fehlt ihnen somit an der Legitimation durch den Souverän – das Volk. Dies widerspricht im Wesen Art. 20 GG.
Weiterhin enthält die Dublin-Verordnung keinen einzigen Passus, welche illegale Migration innerhalb der EU-Staaten legalisiert. Eine Abweisung an den Grenzen wäre nach Schengen und nach Dublin möglich und ist durch nationales, deutsches Recht gefordert.
Bezieht sich Ihre bescheidene Meinung auf die geltende Rechtslage oder auf die nicht geltende Rechtslage, die Ihrer bescheidenen Meinung nach aber die geltende Rechtslage sein sollte?
Anwendungsvorrang verfassungswidrig: Können Sie finden, aber ändert einstweilen nichts an der geltenden Rechtslage. Verwerfungsmonopol des BVerfG. Der am wenigsten unrealistische Weg wäre m.E. Art. 50 EUV.
Dublin regelt die Zuständigkeit im Asylverfahren. Ich vermute, Sie spielen auf den Art. 20 IV Dublin-III-VO an. Da hat mir noch niemand erklären sollen, was den deutschen Transitbereich zu österreichischem Hoheitsgebiet machen soll. Weiterführendes dazu hier: https://verfassungsblog.de/ist-der-deutsche-transit-oesterreichisches-hoheitsgebiet/
Meine bescheidene Meinung bezieht sich selbstverständlich auf das aktuell geschriebene Recht. Um Art. 20 GG zu genügen, müssten die entsprechenden EU-Institutionen gesetzesgebende Kraft haben und selbst durch demokratische Wahlen legitimiert sein. Beides ist derzeit nicht der Fall. Somit spiegelt m.E. die herrschende Meinung bzgl. Anwendungsvorrang mehr den politischen Wunsch als die geschriebene Gesetzeslage wieder.
Politisch bin ich skeptisch, ob es Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gegen den völkischen Autoritarismus hätte helfen können, wenn das BVerfG sich zur Sache geäußert hätte. Vielleicht ist eher Teil des Problems, wie weit sich auch seriöse Stimmen bereits auf den wahnhaften Diskurs über die angebliche „Grenzöffnung“ eingelassen haben. Mit Argumenten/Vernunft ist den Vertretern dieser Dolchstoßlegende 2.0 ja ganz offensichtlich nicht beizukommen.
Juristisch ich neugierig, wie das BVerfG hier im Steinbeis’schen Sinne mit „maximaler Kreativität beim Zulässigmachen unzulässiger Klagen“ genau hätte vorgehen sollen/können. Mir fällt konkret hier nicht ein, wie die Zulässigkeit konstruiert werden könnte.
Lieber Herr Steinbeis,
ich bin immer noch ein wenig skeptisch, muss aber zugeben, dass ich es noch nicht richtig durchdacht habe. Immerhin habe ich zwischenzeitlich einen Blick in die von Herrn Vosgerau verfasste Klageschrift werfen können.
Dort fällt zunächst auf, dass von den 99 Seiten gerade einmal neun auf die Verletzung organschaftlicher Rechte entfallen (S. 85-93); immerhin 21 Seiten widmen sich dagegen der „Objektive[n] Rechts- und Verfassungswidrigkeit der allgemeinen Grenzöffnung für Asylantragsteller“ (S. 64-84; 44 Seiten breiten den „Sachverhalt“ aus, S. 9-52). Die Rechtsverletzung wird in der Tat hauptsächlich über den Parlamentsvorbehalt unter verschiedenen Aspekten der Wesentlichkeit konstruiert (S. 86-92; insoweit konsequent), „[h]ilfsweise“ über „Parlamentsrechte im Hinblick auf Staatlichkeit und Verfassungsidentität“ (S. 92-93) – wobei im Antrag zu 1. ganz vorne allerdings ausdrücklich zugleich auch auf Verstöße gegen „den Gewaltenteilungsgrundsatz sowie Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 Abs. 2 und 3 GG)“ abgehoben wird (S. 7; insoweit wohl nicht konsequent).
Wie auch immer genau sich Herr Vosgerau die Verbindung von objektivem Recht und organschaftlichen Rechten vorstellt, könnte die von Ihnen gesuchte Argumentationskette anknüpfend an den Parlamentsvorbehalt vielleicht so lauten: ( 1) Die Einreise war und ist nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO jedenfalls zum Zwecke der Durchführung des Zuständigkeitsfeststellungsverfahrens zu erlauben (ggf. mit anschließendem Selbsteintritt); Art. 20 Abs. 4 Dublin III-VO ist nicht einschlägig. (2) Auch aus Art. 72 AEUV ergab und ergibt sich keine Befugnis, vom Dublin-Regime abzuweichen (in Anlehnung womöglich u.a. an das Jafari-Urteil des EuGH). (3) Das unionale Asylrecht ist insoweit von Art. 23 GG gedeckt und genießt in jedem Fall Anwendungsvorrang vor dem deutschen Recht. (4) Für eine Befassung des Parlaments war und ist vor diesem Hintergrund kein Raum (keine Abstimmung mehr über das „Ob“ der Einreise).
Das entspricht wohl in etwa dem, was Herr Vosgerau in der Klageschrift als „De-Maizière-Narrativ (Tertiärnarrativ)“ bezeichnet (S. 95), was die Bundesregierung ihm zufolge aber aufgegeben haben soll.
Tatsächlich ist die Argumentationskette jedenfalls wegen Pkt. 3 (Art. 72 AEUV) auch nicht ganz ohne und wäre vom BVerfG in dieser Deutlichkeit vielleicht auch nicht zu erwarten gewesen. Wenn aber diejenigen richtig liegen sollten, die zumindest in der Situation im Herbst 2015 einen Rückgriff auf Art. 72 AEUV für möglich gehalten hätten, wäre mglw. wieder Raum gewesen für eine Beteiligung des Parlaments, da das „Ob“ der Einreise dann durchaus offen gewesen wäre.
@philipp: Ich denke schon, dass man die Zulässigkeit, insbes. die Antragsbefugnis hätte bejahen können – die AfD hat sich auf den Parlamentsvorbehalt als organschaftliches Recht berufen, und man hätte sich vielleicht auch auf den Standpunkt stellen können, dass eine Verletzung auch nicht unter jedem denkbaren Gesichtspunkt von vornherein ausgeschlossen erscheint. Wie schon in meinem ersten Kommentar gesagt: Der Rekurs auf die „wahren Intentionen“ der AfD ist ja schon ein zusätzlicher Begründungsschritt; ihm dürfte vorausgehen, dass ohne diese Intentionen die Antragsbefugnis auch aus Sicht des BVerfG gegeben gewesen wäre.
@Frank: Vielen Dank für den Hinweis auf die Entscheidung des BayVGH, Beschl. v. 3.8.2017 – 10 CE 17.1235 -. Es ist ja durchaus richtig, dass über die Frage der Anwendung von § 18 AsylG gestritten wird. Eine einzelne Entscheidung macht aber noch keine h.M. Mir persönlich erscheint der Beschluss, bei dem es sich um eine Beschwerdeentscheidung im Eilverfahren handelt und die in der hier maßgeblichen Passage ohne jeden Nachweis argumentiert, aus den vielfach auch auf dem „Verfassungsblog“ angeführten Gründen jedenfalls verkürzt.
Danke für die Rückmeldung. Es wäre aus meiner Sicht schon recht sportlich, es für eine mögliche Verletzung von Rechten des 2017 gewählten Bundestags zu halten, dass die Bundesregierung sich 2015 (durch das Unterlassen einer Zurückweis