Diskriminierung und juristische Ausbildung
Dieser Beitrag beleuchtet einige Aspekte von Diskriminierung und juristischer Ausbildung und stellt Überlegungen vor, wie eine inklusive und möglichst diskriminierungsfreie juristische Ausbildung aussehen könnte und wie diskriminierende Strukturen in der juristischen Ausbildung verhindert werden könnten. Jura ist wie wenig andere Studiengänge geprägt von starken Exklusionen in der Auswahl von Lehrpersonal und Studierenden. Eine inklusivere personelle Auswahl könnte sich auf die Inhalte in der juristischen Ausbildung auswirken, der es bisher weitgehend an vertiefter thematischer Auseinandersetzung mit Rechtsfragen von Diskriminierung mangelt.
Die hier vorgestellten Überlegungen beruhen auf dem Essay „Diversität in Rechtswissenschaft und Praxis“, den ich gemeinsam mit Michael Grünberger, Nora Markard, Mehrdad Payandeh und Emanuel Towfigh verfasst habe. Dort haben wir auch verfügbare einschlägige empirische Nachweise zusammengetragen. Eine viel genauere empirische Erkundung ist aber dringend notwendig. So gibt es sonderbarerweise so gut wie keine Verbleibstudien: Was wird aus den Jurastudierenden? Was wird aus jenen, die das Studium abbrechen? Warum brechen sie es ab? Die Möglichkeiten quantitativer wie qualitativer Erforschung von Diskriminierung und Exklusion in der juristischen Ausbildung sind noch nicht ansatzweise ausgeschöpft, hier besteht eine krasse Forschungslücke.
Jurastudium als Elitenreproduktion
Im Jurastudium reproduziert sich eine gesellschaftliche Elite. First Generation Studierende, also solche Studierende, deren Eltern nicht selbst bereits Akademiker:innen waren, haben es in diesem Studiengang besonders schwer. Das hat zuallererst mit den Zulassungsverfahren juristischer Fakultäten zu tun, die in Deutschland regelmäßig Diversität nicht als Rekrutierungsziel verfolgen. Während sich gerade Elite-Universitäten im anglo-amerikanischen Raum immerhin in Outreach-Veranstaltungen darum bemühen, Zugänge für weniger privilegierte Schüler:innen zu eröffnen, die für das Studium geeignet sind, und sie aktiv zu Bewerbungen zu animieren, sind solche Vorstellungen in Deutschland noch nicht verbreitet. Hier besteht unzweifelhaft noch Raum, besonders vielversprechende Schüler:innen für das Jurastudium zu gewinnen und sie zu ermutigen, ihre Potentiale mit einem juristischen Abschluss zu entfalten, der in Deutschland viele Türen öffnet.
Eine von Lehrenden und Ausbildungsliteratur imaginierte sozio-ökonomische Homogenität der Jurastudierenden lässt das Jurastudium derzeit besonders unzugänglich erscheinen. Regelmäßig wird vorausgesetzt, dass Studierende die „Regeln des Spiels“ bereits kennen oder sich über private Kontakte aneignen können. Das betrifft sowohl die Regeln des Spiels „Universität“ als auch die Regeln einer privilegierten sozialen Klasse, die in Sachverhalten und universitären Diskussionen als bekannt vorausgesetzt werden. Nicht alle verfügen über soziales und ökonomisches Kapital von Beginn an, aber das Jurastudium kann den Zugang zu solchem Kapital eröffnen.
Soziologische Forschung zu Bildungszugängen hat schon lange und wiederholt gezeigt, wie voraussetzungsvoll und exklusiv ein Universitätsstudium an sich bereits ist, speziell in Deutschland. Die „Regeln“ eines Universitätsstudiums sind komplex – sie beginnen bei den Formen der akademischen Kommunikation mit ihren Titeln und Nuancen (ungewollt lustig hier), betreffen Fragen akademischen Arbeitens und nicht zuletzt vorausgesetztes inhaltliches Wissen über die Studiengegenstände. Wer sich schon auskennt oder Personen im sozialen Umfeld hat, die helfen können, ist klar im Vorteil. Da geht es noch nicht einmal darum, dass die Kinder einer Rechtsanwältin erklärt bekommen, wie juristische Kommentare funktionieren, sondern schon basal um praktische Tipps zur Selbstorganisation.
Weichere Faktoren wie Selbstvertrauen haben ebenso Einfluss wie harte ökonomische Zwänge, wenn Studierende neben dem Studium arbeiten müssen, um ihr Studium überhaupt zu finanzieren. Das sonderbare Phänomen der Repetitorien verschärft monetäre Disparitäten auf eine Weise, die andere Studiengänge in diesem Ausmaß nicht kennen. Dass die Repetitorien, einst entstanden zur Vorbereitung auf das preußische Assessorexamen, alle Wandlungen des juristischen Staatsexamens überlebt haben, ist ein Hinweis auf die Unfähigkeit oder Unwilligkeit juristischer Fakultäten, ihre Studierenden angemessen auf das Staatsexamen vorzubereiten und/oder ihnen die Angst davor zu nehmen. Während die objektive Aussagekraft der Examensnote angesichts empirischer Erkenntnisse über diskriminierende Effekte gewaltig überschätzt wird, dient die Examensnote in der juristischen Welt gleichwohl als eine Art Quantifizierung von Menschen und ihrem Wert.
Statt sich darüber zu mokieren, wenn Studierende Emails mit „Hi Professor“ beginnen, wäre es eher angezeigt, die impliziten Regeln akademischer Kommunikation explizit zu machen, also zu erklären, wie es richtig geht, und zwar auf eine inkludierende Weise, die Einzelne nicht demütigt. Fremdwörter sind Teil der juristischen Fachsprache, sie müssen erlernt werden als Teil des professionellen Handwerkszeugs. Hier treffen sich Fragen exkludierenden Strukturen mit didaktischer Reflexion des Rechtsunterrichts. Die Lösung ist deshalb nicht, keine Fremdwörter mehr zu verwenden, sondern sie zu erklären und damit Zugänge zum Verständnis zu eröffnen – eigentlich eine vornehme Aufgabe von höheren Lehranstalten.
Explikation impliziter „Regeln des Spiels“
Die Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses und des Lehrpersonals funktioniert in der Rechtswissenschaft nach wenig nachvollziehbaren Mechanismen. Schon studentische Hilfskräfte werden handverlesen oder müssen selbst den Mut zu einer Initiativbewerbung an einem Lehrstuhl aufbringen. (Wenn Sie sich mit dem Gedanken tragen, sich an einer Professur zu bewerben – tun Sie es! Im schlimmsten Fall bekommen Sie den Job nicht, aber Sie haben sich getraut!)
Promotionen sind vielfach davon abhängig, dass geeignete Studierende von Professor:innen ermutigt werden. Doch was heißt „geeignet“? Wer besonders gute Noten in den Staatsexamina errungen hat, kann mit Stolz darauf hinweisen, ausgesprochen stressresilient zu sein. Doch befähigt allein das bereits zu einer juristischen Promotion? (Rechts-)Wissenschaftliches Arbeiten ist etwas ganz anderes als Klausurfälle innerhalb einer unausweichlich zu knapp bemessenen Zeit zu „lösen“. Ist also die Examensnote ein guter Indikator zu bestimmen, wer sich für rechtswissenschaftliche Forschung „eignet“? Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, wenn noch in manchen Berufungsverfahren für Professuren die Examensnote als Kriterium ins Feld geführt wird, als seien die seither erbrachten Forschungsleistungen einer Person ganz zweitrangig.
Denkbar wäre, die in anderen Staaten übliche strukturierte Promotion auch in der Rechtswissenschaft zu befördern. Dabei werden Promovierende in ein Graduiertenkolleg aufgenommen und erhalten Betreuungspersonen, die sie bei der Doktorarbeit unterstützen. Quotenregelungen könnten den Zugang zu diesen kompetitiven Stellen gerechter verteilen als es bislang der Fall ist, also auch Frauen, Erstakademiker:innen und Personen aus Einwanderungsfamilien berücksichtigen. Bewertet werden die Doktorarbeiten am Ende von externen Mitgliedern einer Promotionskommission, um Abhängigkeitsverhältnisse zu minimieren.
Angesichts der auch in der Rechtswissenschaft inzwischen bedeutsameren Qualifikation über das Tenure-Track-Verfahren gewinnt die Promotion an Bedeutung, so dass sich auch die Prognose über künftige wissenschaftliche Leistungen nach vorne verlagert. Dies lässt es angezeigt erscheinen, bereits die Zugänge zur Promotion inklusiver auszugestalten. Am Ende könnten dann womöglich sogar die Professuren an juristischen Fakultäten endlich diverser besetzt werden.
Diskriminierung als Thema im Jurastudium
Es steht zu hoffen, dass eine diskriminierungssensible juristische Ausbildung irgendwann einmal auf die Verwendung diskriminierender Sachverhalte verzichten kann, wie sie die in ihrer Drastik eindrückliche Studie zu Hamburger Examensklausurfällen von Dana-Sophia Valentiner und anderen aus dem Jahr 2017 nachgezeichnet hat und leider noch immer, wenn auch in amüsanter Form auf dem vom Arbeitsstab Ausbildung und Beruf des Deutschen Juristinnenbundes (djb) betriebenen Instagram-Kanal Üble Nachlese nachzulesen sind. Hilfreich sind Meldestellen für diskriminierende Sachverhalte wie etwa in Münster. Eine gesonderte Form von Exkludierung betreiben Sachverhalte, die bestimmtes Klassenwissen voraussetzen und jene von der Falllösung von vornherein ausschließen, die leider nicht wissen, was „korkiger Wein“ ist. Die Antwort kann hier nicht lauten, dafür zu sorgen, dass nur solche Studierende die Klausuren schreiben können, denen derartiges Wissen in die Wiege gelegt ist.
Weniger homogene Lebenserfahrung der Professor:innen brächte voraussichtlich insgesamt ein größeres Interesse an Diskriminierung als didaktisches wie inhaltliches Thema mit sich. Basal fragte sich dann bereits, an welchen Stellen Zugänge zum Recht unter verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen unterschiedlich verteilt sind. Marc Galanter hat diese Frage bereits 1974 in seinem bahnbrechenden Aufsatz „Why the Haves come out ahead“ auf den Punkt gebracht: Das Rechtssystem ist für jene bespielbar, die Geld haben und die sich deswegen häufig in ihm bewegen. Unlängst hat Ronen Steinke nachgezeichnet, dass nicht alle vor dem deutschen Strafgesetz gleich sind. Und feministische Rechtswissenschaft befasst sich schon lange mit der Unterscheidung zwischen formaler Gleichheit einerseits, die immerhin Unterscheidungen nicht mehr explizit an gewisse kategoriale Einordnungen von Menschen knüpft (Geschlecht, Religion, Rasse etc.), und materialer Gleichheit andererseits, die auf die unterschiedlichen Auswirkungen ein und derselben Norm auf unterschiedliche Personengruppen fragt und so erlaubt, diskriminierende Strukturen als Ergebnisse vergangener Entscheidungen und daraus resultierende „Zustände“ zu adressieren.
Es ist ein nachdenklich stimmender Befund, dass die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG in Grundrechtsvorlesungen für gewöhnlich ein kümmerliches Dasein fristen, wenn sie überhaupt behandelt werden. Denn „Freiheitsrechte werden zuerst geprüft“, und dann ist leider keine Zeit mehr im Semester für Gleichheit und Gedöns. Dabei gibt es dogmatisch noch so viel zu entdecken, ungeklärte Fragen und Raum für innovative Argumentationen, viel mehr als bei den Freiheitsrechten.
Ähnliches gilt für die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Diskriminierungsverbote durch das Antidiskriminierungsrecht. Eine rein rechtstechnische Vorlesung zum Antidiskriminierungsrecht, die allein das AGG behandelt, ohne auch auf die theoretischen Prämissen von Antidiskriminierungsrecht einzugehen, verfehlt den Kern dieses Rechtsgebietes, soziale Exklusionspraktiken zu adressieren. Umgekehrt kann eine kontextbewusste Vorlesung zu diesem Thema Auswirkungen weit jenseits dieser einzigen Veranstaltung haben und Jurastudierende auf eine höchst diverse und von Diskriminierungsstrukturen durchzogene Rechtspraxis vorbereiten, jedenfalls aber für deren Herausforderungen sensibilisieren.
Zentrale Bedeutung diskriminierungsbezogener Lehr- und Forschungsinhalte
Auch jenseits spezialisierter, dezidiert antidiskriminierungsrechtlicher Vorlesungen bietet sich in nahezu jedem Themenfeld juristischer Veranstaltungen ein Blick auf mögliche Diskriminierungskonstellationen an: im Polizeirecht auf racial profiling, im allgemeinen Verwaltungsrecht auf diskriminierungsfreien Zugang zu staatlichen Infrastrukturen, im Strafrecht zu hate crimes, im Vertragsrecht zu gestörter Vertragsparität auch jenseits der berühmten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, im Arbeitsrecht zu Lohngleichheit und gläsernen Decken, im Schulrecht zu ungleichen Bildungschancen in Deutschland, im Staatsorganisationsrecht zu Inklusion von beeinträchtigt werdenden Menschen oder zu Parität im Wahlrecht.
Es ist vermutlich kein Zufall, dass gerade jene juristischen Disziplinen, die sich im Schwerpunkt mit Diskriminierung und Exklusion befassen, an den juristischen Fakultäten ein randständiges und wenig renommiertes Dasein führen oder gleich gänzlich an Fachhochschulen abgeschoben sind: Sozialrecht, Migrationsrecht, in Teilen sogar das Familienrecht, feministische Rechtswissenschaft. Und wo bleiben postkoloniale Perspektiven im Rechtsunterricht? Forschende, die sich mit Recht gegen Rassismus befassen, sollten dringend an juristische Fakultäten geholt werden, wo das Lehrangebot ergänzt werden kann, um dieses Thema im Jurastudium präsent zu platzieren. Das sind wir in Deutschland schon unserer Geschichte schuldig. Hier ist noch viel Luft nach oben.
Die thematische Liste ließe sich problemlos fortsetzen. Es wäre ein ganz praktischer Anfang, wenn sich Lehrende vor Beginn des Semesters das Ziel setzten, in mindestens einer Vorlesungseinheit zentral über Diskriminierung zu sprechen. Auf geht’s!