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Jetzt also noch ein Impeachment. Auf den allerletzten Metern seiner Amtszeit sorgt das Abgeordnetenhaus dafür, dass Donald Trump dafür, dass er seine Anhänger das Kapitol hat stürmen lassen, noch einmal der parlamentarische Prozess gemacht wird. Wofür die Mühe, wo doch der Präsident, bis der Senat sein Urteil fällt, längst Joe Biden heißt? Warum den Mann noch eines Amtes entheben, das er zum Zeitpunkt der Entscheidung sowieso nicht mehr besitzt? Weshalb den künftigen Senat und den künftigen Präsidenten mit einem Prozess belasten, der in die Vergangenheit gerichtet ist? Wozu, wie die Amerikaner sagen, das Stalltor schließen, nachdem das Pferd eh längst über alle Berge ist?
Die gängigste Antwort lautet, dass eine Amtsenthebung zur Folge hätte, dass Trump 2024 nicht erneut zur Wahl antreten kann. Das ist sicherlich nicht zu unterschätzen, scheint mir aber weder der einzige noch der zwingendste Grund zu sein, warum ein solches Verfahren jetzt noch geboten ist.
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Durch einen wissenschaftspublizistischen Glücksfall ist just in dieser Woche eine ungeheuer interessante Studie zur Amtsenthebung von Präsident_innen im internationalen Vergleich erschienen. Sie stammt von drei Titanen des vergleichenden Verfassungsrechts, Tom Ginsburg, Aziz Huq und David Landau, und kommt auch deswegen wie gerufen, weil das an Nicht-USA zumeist notorisch desinteressierte US-Verfassungsrecht zu vielen Fragen zum Impeachment keine belastbare Auskunft weiß. Schon 2019, und auch da nicht zum ersten Mal, stellte sich die Frage, was genau mit jenen high crimes and misdemeanors gemeint sein soll, für die man nach Art. 2 § 4 der US-Verfassung impeacht und verurteilt und dadurch seines Amts enthoben werden kann. Reicht dafür eine strafbare Albernheit wie eine Falschaussage über Oralsex? Ein nicht strafbarer, aber demokratiegefährdender Amtsmissbrauch, etwa ein ausländisches Staatsoberhaupt zum Eingriff in den US-Wahlkampf aufzufordern? Es gibt ja keine Praxis, keine Gerichtsentscheidungen, wenig Forschung, nur den dürren Verfassungstext, den beide Seiten so lesen, wie sie es politisch für nützlich halten. Das Impeachment, so warnen viele, droht zu einer politischen Steinschleuder zu verkommen, mittels derer künftig jeder politische Gegner des Präsidenten dessen Legitimität nach Lust und Willkür kaputtschießen kann ohne jede Rücksicht darauf, welche Missetat ihm tatsächlich nachgewiesen werden kann. Und in der Tat scheint die Erfahrung der letzten Jahrzehnte in den USA diese Befürchtung zu bestätigen: Seit Jimmy Carter gab es keinen Präsidenten mehr, gegen den nicht mindestens ein Impeachment-Verfahren beantragt wurde.
Die USA sind indessen, wie so oft, auch hier weniger exzeptionell, als sie selber geneigt sind zu glauben. Auch in Brasilien, in Südkorea, in Paraguay, in Südafrika wurden in den letzten Jahren Präsident_innen erfolgreich aus dem Amt geworfen. Dazu kommt weiteres Vergleichsmaterial aus anderen Ländern, die ebenfalls Verfahren kennen, um direkt gewählte Staats- und Regierungschefs vorzeitig von der Macht zu entfernen. Ginsburg/Huq/Landau haben diese Daten zusammengetragen und kommen zu der Erkenntnis: Womöglich ist der Punkt beim Impeachment tatsächlich gar nicht so sehr, high crimes and misdemeanors zu sanktionieren. Vielleicht versteht man dieses Verfahren besser als eine Art politischen Reset-Knopf für den Fall, dass der Präsident, wie viel oder wenig Schuld er auch immer auf sich geladen hat, mangels Unterstützung im Parlament einfach nicht mehr tragbar ist. Als ein Stück parlamentarische Verantwortung im Präsidialsystem, ein balancierender Fremdkörper, der das Risiko der konzentrierten Macht des Präsidentenamtes überhaupt erst tragbar macht.
In Trumps zweites Impeachmentverfahren liegt, was seine Schuld betrifft, so unproblematisch, wie ein Impeachment-Fall nur liegen kann. Er hat vor den Augen der ganzen Welt einen bewaffneten Mob dazu aufgehetzt, die demokratisch gewählte Regierung zu stürzen. Was ist high genug als crime and misdemeanor, wenn nicht das? Dies ist ein Fall, in dem der Kongress parlamentarische Verantwortung zu übernehmen hat. Und zwar der ganze Kongress. Alle Mandatsträger in beiden Kammern sind aufgefordert, Stellung zu beziehen zu diesem beispiellosen Vorgang, diesem Stoß ins Herz der amerikanischen Demokratie. Der Kongress übernimmt Verantwortung und sagt: The buck stops here. So erbittert wir uns auch hassen, so wenig wir jeweils dem anderen über den Weg trauen, so grundverschieden und einander entgegengesetzt unsere politischen Werte und Ziele auch sind und bleiben – hier ist etwas, das einfach nicht geht. Was Trump da gemacht hat, geht nicht. Das ist ein Fall, auf den wir uns verständigen können, ob Republikaner oder Demokraten. Ganz am Ende, in extremis, haben wir dies noch gemeinsam. Unsere Verfassung.
Im Repräsentantenhaus haben die meisten Republikaner diese Chance ausgeschlagen. Aber auf den Senat wird es ankommen. Dort ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig, um Trump zu verurteilen. Was bedeutet: das ist nicht etwas, was die demokratischen Senator_innen als Demokraten alleine tun können. Mindestens 17 ihrer republikanischen Amtskolleg_innen müssen mittun. Wenn sie das tun, ist ein System-Reset möglich. Wenn nicht…
Die Woche auf dem Verfassungsblog
Wir haben ein ganz besonderes Abenteuer hinter uns in dieser Woche, nämlich eine ganze, komplette Konferenz, über drei Tage, mit teilweise parallel laufenden Panels und drei Dutzend Teilnehmer_innen aus der ganzen Welt von Amerika bis Australien, durch sämtliche Zeitzonen, live und in Echtzeit auf dem Verfassungsblog. “Multiple Legalities” lautete das Thema, HANNAH BIRKENKÖTTER und NICO KRISCH waren die Organisatoren, und Zoom und Vimeo haben das technisch möglich gemacht. Und das Coronavirus, wegen dessen diese extrem spannende Veranstaltung beinahe hätte ausfallen müssen.
Was Trump betrifft: Anders als die Institutionen der US-amerikanischen Demokratie müssen sich unser aller digitale Overlords mit den verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten bei Trumps Entfernung aus seiner Position kommunikativer Macht nicht lange aufhalten: Als Herren ihrer respektiven Plattformen können sie dieselbe einfach verfügen. Warum gerade jetzt und nicht schon viel früher? Car tel est leur plaisir. Sie unterliegen keinem Gesetz als ihrem eigenen allerhöchsten Willen. JÖRN REINHARDT untersucht den Fall und hält die Entscheidung von Twitter, Facebook et al. für richtig, rechtmäßig und überfällig.
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Wenn Sie auf eine Konferenz aufmerksam machen möchten, Stellen zu besetzen haben oder für Veröffentlichungen werben möchten, können Sie das beim Verfassungsblog tun. Unser Editorial, das als Newsletter weltweit verschickt wird, erreicht über 9.000 Verfassungsrechtler_innen.
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Beste Grüße
Ihr Verfassungsblog-Team
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Der Digital Services Act, dessen Entwurf die EU-Kommission kürzlich vorgestellt hat, wird uns noch lange beschäftigt halten. Manche vermuten darin eine sogenannte „Good Samaritan“ Klausel, die es sozialen Medien ermöglichen soll, Uploads ihrer Nutzer_innen proaktiver nach illegalen Inhalten zu untersuchen. ALEKSANDRA KUCZERAWY sieht das anders. Der Entwurf enthält zwar einen Artikel, der mehr Initiative ermöglichen soll, doch damit gehen viele ungeklärte Fragen einher.
Fünf Jahre ist es her, dass EU-Kommission den sogenannten „Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips“ für Polen zum ersten Mal aktiviert hat. Die seit dem andauernden Angriffe der polnischen Behörden auf die Rechtsstaatlichkeit bedrohen die gesamte europäische Rechtsordnung. LAURENT PECH, PATRYK WACHOWIEC und DARIUSZ MAZUR berichten über die Entwicklungen in Polen in 2020.
Nach jahrzehntelanger Debatte über den verfassungsrechtlichen Status von Kindern hat eine Arbeitsgruppe der Großen Koaltion sich auf einen Vorschlag für eine Grundgesetzänderung geeinigt. Der Vorschlag würde die Rechte des Kindes in Artikel 6(2) GG einfügen. Dieser Schritt würde zwar ein wichtiges Versprechen aus dem Koalitionsvertrag erfüllen, steht aber in seiner jetzigen Form aber nicht in Einklang mit internationalem und europäischen Recht, findet JAN-PHILLIP GRAF. Auch FRIEDERIKE WAPLER hält nicht viel von der vorgeschlagenen Formulierung. Von dem angestrebten Ziel, Kinder nicht mehr als passive Objekte elterlicher und staatlicher Erziehungsbemühungen zu behandeln, sondern als Subjekte, bleibt ihrer Ansicht rein gar nichts übrig. MICHAEL VON LANDENBERG-ROBERG hingegen sieht den Vorstoß weniger kritisch, macht aber auf die Unklarheiten aufmerksam, die der Gesetzgeber dringend ausräumen sollte, wenn er verfassungsrechtliche Kollateralschäden vermeiden möchte.
Gestern hat der Bundestag festgestellt, dass dass die Durchführung von Versammlungen zur Aufstellung von Kandidaten für die Bundestagswahl 2021 wegen der Pandemie unmöglich ist. FABIAN MICHL kritisiert die Feststellung und die zugrundeliegende Regelung, die der Gesetzgeber im letzten Herbst geschaffen hat.
Der Staatsgerichtshof des Landes Hessen hat bestätigt, dass die Sitzverteilung im Hessischen Landtag nach der Wahl 2018 richtig ist. Das Gericht hat bestätigt, dass das gesetzlich vorgegebene Ziel beim Umgang mit Ausgleichsmandaten die geringste Abweichung von der idealen proportionalen Sitzverteilung ist. BENJAMIN JUNGKIND stimmt dem Urteil zu.
In der Corona-Pandemie laufen viele immer noch ohne Maske herum, teilweise ausgestattet mit einem ärztlichen Attest. Nicht alle dieser Atteste sind, was sie zu sein vorgeben, wogegen der Gesetzgeber in Brandenburg einschritt, sich dabei aber vor dem Oberverwaltungsgericht eine Niederlage einfing. LUKAS MITSCH (der übrigens im Rahmen seines Rechtsreferendariats gerade seine Wahlstation bei uns absolviert) hat sich die Eilentscheidung des OVG Brandenburg näher angeschaut und kommt zu dem Schluss, dass sie dem Gesetzgeber nicht notwendig allen Spielraum nimmt.
In die Debatte um das Recht auf Fortpflanzung schaltet sich JOSEF FRANZ LINDNER ein und fordert, das Embryonenschutzgesetz zu überarbeiten und für ein modernes Fortpflanzungsmedizingesetz zu sorgen.
Soweit zu dieser Woche, die wieder mal mehr verfassungsrechtliche und -politische Aufregung mit sich brachte, als uns allen lieb sein kann. Ihnen alles Gute, zum Erhalt des Verfassungsblogs können Sie dauerhaft hier und einmalig hier Ihren Beitrag leisten, dafür und für Ihre Aufmerksamkeit vielen Dank und bis nächste Woche!
Ihr
Max Steinbeis
Ma ne kurze Frage: Trump hat wozu aufgerufen? Im Artikel steht: “die demokratisch gewählte Regierung zu stürzen”. Falls es ihnen entgangen ist, am 6. Januar war Trump selber noch Präsident, also Chef der Regierung, und Joseph Biden ist President elect, also noch nicht im Amt so zu sagen Anwärter. Hat Trump nun dazu aufgerufen seine eigene Regierung zu stürzen oder die Amtsübergabe zu verhindern. Wenn letzteres gemeint ist könnte der Autor dies auch so schreiben. Ansonsten recht guter Artikel.
Ma ne kurze Antwort: Im Präsidialsystem ist Government nicht die Exekutive im Unterschied zu den anderen Gewalten, sondern die Gewalten sind jeweils branches of government. Insofern ist ein Sturm auf das Kapitol mit dem Ziel, den Kongress an der Feststellung des Wahlsiegers zu hindern, sehr wohl ein Angriff auf die Regierung, selbst wenn nicht obendrein auch noch dabei Trumps eigener amtierender Vizepräsident aufgehängt hätte werden sollen.