02 February 2024

Kein Geld ist auch eine Lösung

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet erstmalig über den Ausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung

Viereinhalb Jahre nach dem Antrag von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung auf Ausschluss der NPD (heute „Die Heimat“) von der staatlichen Parteienfinanzierung hat das Bundesverfassungsgericht am 23. Januar 2024 entschieden: Die „Heimat“ ist für sechs Jahre von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 23. Januar 2024 – 2 BvB 1/19 –). Das Verfahren ist das erste seiner Art nach Verankerung des Finanzierungsausschlusses im Grundgesetz im Jahr 2017. Dessen Voraussetzungen hat das Bundesverfassungsgericht nunmehr erstmals konkretisiert und dabei den engen Zusammenhang zwischen Finanzierungsausschluss und Parteiverbot betont.

Das Urteil hat angesichts der öffentlichen Debatte um ein Verbot der AfD viel Aufmerksamkeit erregt. Die Idee, die AfD von der staatlichen Parteienfinanzierung auszuschließen, statt sie zu verbieten, fand dabei schnell einige Befürworterinnen und Befürworter. Ein solcher Ausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung wäre jedoch nicht leichter umzusetzen als ein Parteiverbot.

Finanzierungsausschluss als Folge des gescheiterten NPD-Verbotsverfahren

Man kann wohl festhalten: Es wäre nicht zum Ausschluss der „Heimat“ von der Parteienfinanzierung gekommen, wenn ein Verbot der NPD nicht zuvor gescheitert wäre. Denn das Bundesverfassungsgericht stellte im zweiten NPD-Verbotsverfahren 2017 zwar eindeutig fest, dass die NPD nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger die Beseitigung der demokratischen Grundordnung anstrebt. In einer Neuinterpretation des Verbotstatbestands führte das Gericht jedoch aus, dass Art. 21 Abs. 2 GG verlange, dass gewichtige Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass eine Partei ihre verfassungsfeindlichen Ziele auch erreichen  könne („Potentialität“). Dies sei bei der NPD nicht der Fall (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, Rn. 633, 845 ff.).

Als Reaktion auf diese Rechtsprechung und auf Anregung des Bundesverfassungsgerichts selbst (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 -, Rn. 527) beschloss der Bundestag daraufhin eine Änderung des Grundgesetzes. Der Staat soll keine Parteien fördern müssen, die darauf hinarbeiten, ihn abzuschaffen – auch wenn sie keine reale Möglichkeit haben, dieses Ziel zu erreichen. Nach dem neu geschaffenen Art. 21 Abs. 3 GG sind Parteien von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen oder zu beeinträchtigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden.

Kein verfassungswidriges Verfassungsrecht

Das Bundesverfassungsgericht wendete die Neuregelung nun erstmals an. Bevor es die Tatbestandsvoraussetzungen konkretisiert, geht es im materiell-rechtlichen Teil des Urteils dabei zunächst auf die grundsätzliche Frage ein, ob der in Art. 21 Abs. 3 GG neu geschaffene Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der staatlichen Parteienfinanzierung überhaupt verfassungsgemäß ist. Dem liegt folgende Problematik zugrunde: Die Chancengleichheit politischer Parteien ist Teil des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG), dessen Grundsätze die „Ewigkeitsgarantie“ nach Art. 79 Abs. 3 GG schützt. Die politische Chancengleichheit ist jedoch berührt, wenn eine Partei im politischen Wettbewerb finanziell benachteiligt wird. Allerdings schützt die Ewigkeitsgarantie nicht jede konkrete Ausprägung des Demokratieprinzips, sondern nur dessen „prägende Substanz“ (Rn. 216). Das Bundesverfassungsgericht hatte sich also zur Frage zu verhalten, ob die Chancengleichheit der Parteien eine bloße änderbare Ausgestaltung des Demokratieprinzips oder ein unabänderlicher prägender Grundsatz ist.

Nach Auffassung des Zweiten Senats ist Art. 79 Abs. 3 GG bei einem Eingriff in die Chancengleichheit nur berührt, wenn die gleichberechtigte politische Teilhabe so substanziell eingeschränkt wird, dass hierdurch die demokratische Ordnung an sich infrage gestellt wird. Dies sei beim Finanzierungsausschluss jedoch nicht der Fall, da trotz der Verfassungsänderung weiterhin ein grundsätzlich gleichberechtigter Wettbewerb zwischen den Parteien möglich sei (Rn. 217, 225). Denn lediglich Parteien, die die grundgesetzliche Ordnung abschaffen wollen, würden durch den Finanzierungsausschluss benachteiligt. Dies stelle aber nicht die demokratische Ordnung infrage, sondern diene vielmehr deren Erhaltung (Rn. 219 f., 220).

Hiermit verweist das Bundesverfassungsgericht auf das grundgesetzliche Konzept „wehrhafter Demokratie“, nach dem zum Schutz der Demokratie etwa das Verbot verfassungsfeindlicher Parteien möglich ist. Der Finanzierungsausschluss ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts dann lediglich eine weitere zulässige Fortentwicklung der wehrhaften Demokratie unterhalb der Schwelle des Parteiverbots (Rn. 223 f.).

Das überzeugt. Wenn das Grundgesetz als Teil seiner wehrhaften Verfassung die Möglichkeit einschließt, Parteien zu verbieten, kann es nicht gegen Art. 79 Abs. 3 GG verstoßen, sie von der staatlichen Parteienfinanzierung auszuschließen. Denn ein Ausschluss von der Parteienfinanzierung ist eine mildere Maßnahme als ein Parteiverbot. Daneben wäre es auch verwunderlich gewesen, wenn das Gericht das Instrument nicht für verfassungsgemäß gehalten hätte, hatte es diese Möglichkeit im zweiten NPD-Urteil doch selbst ins Spiel gebracht.

Das neue Merkmal des „Daraufausgerichtetseins“

Im Rahmen der Tatbestandsinterpretation von Art. 21 Abs. 3 GG konnte das Gericht weitgehend auf seine Parteiverbotsrechtsprechung aus dem Jahr 2017 zurückgreifen. Denn Verbot und Finanzierungsausschluss sind nahezu identisch ausgestaltet. Parteien müssen in beiden Verfahren nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstreben oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gefährden wollen.

Die 2017 vorgenommenen Konkretisierungen des Verbotstatbestands sind damit weitgehend auf dem Finanzierungsausschluss übertragbar. Insbesondere gilt, dass auch Art 21 Abs. 3 GG restriktiv auszulegen ist, um den grundsätzlich offenen Willensbildungsprozess nicht zu gefährden. Das Schutzgut von Art. 21 Abs. 3 GG – die freiheitliche demokratische Grundordnung – erfasst deshalb nur zentrale Grundprinzipien und findet ihren Ausgangspunkt in der Menschenwürde, ausgestaltet durch das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip. Die Partei muss darauf hinarbeiten, diese Prinzipien abzuschaffen bzw. jedenfalls spürbar zu gefährden. Dies muss sich aus ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger ergeben, wobei das Verhalten der Anhänger der Partei zugerechnet werden muss (Rn. 240 ff.).

Als einziger Unterschied zwischen Parteiverbot und Finanzierungsausschluss verbleibt: Ein Parteiverbot erfordert, dass eine Partei darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen oder beeinträchtigen, während die Partei beim Finanzierungsausschluss hierauf ausgerichtet sein muss. Das Merkmal des „Darauf Ausgerichtetseins“ war damit erstmals zu konkretisieren. Das macht das Gericht anhand einer teleologischen und historischen Auslegung (Rn. 277 ff.).

Insbesondere stellt der Zweite Senat darauf ab, dass die Neuregelung nach Art. 21 Abs. 3 GG eine unmittelbare Reaktion des Gesetzgebers auf das im NPD-Urteil 2017 erstmals für ein Verbot geforderte Kriterium der „Potentialität“ war (Rn. 288). Parteien, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, aber nicht die Schwelle der Potentialität erreichen, sollten nicht staatlich gefördert werden müssen (BT-Drucks. 18/12357, S. 1).

Eine Partei ist deshalb „darauf ausgerichtet“, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen bzw. zu beeinträchtigen, wenn sie aktiv und planvoll im Sinn einer qualifizierten Vorbereitungshandlung gegen die Schutzgüter des Art. 21 GG vorgeht – nur auf die Überschreitung der Schwelle der Potentialität kommt es nicht an (Rn. 286, 292). Auch wenn der Finanzierungsausschluss nicht voraussetzt, dass die Partei eine Chance hat, ihre Ziele zu erreichen, müssen ihre verfassungsfeindlichen Bestrebungen im Sinn eine eines Bekämpfens der Grundordnung jedoch zumindest nach außen treten. Die verfassungsfeindliche Gesinnung allein sanktioniert das Grundgesetz nicht (Rn. 291).

Ausschluss der AfD von der staatlichen Parteienfinanzierung?

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts steht fest, dass der Finanzierungsausschluss als Instrument der wehrhaften Demokratie zur Bekämpfung verfassungsfeindlicher Parteien eingesetzt werden kann. Für die ehemalige NPD halten sich die Folgen des Urteils jedoch in Grenzen. Da sie die erforderlichen Mindesthürden nicht erreicht, nimmt sie bereits seit 2021 nicht mehr an der staatlichen Parteienfinanzierung teil. Einzige Konsequenz ist deshalb der Wegfall steuerlicher Begünstigungen. Die Bedeutung des Urteils über die „Heimat“ hinaus ergibt sich vor allem aus der aktuellen Debatte darüber, ob die in Teilen gesichert rechtsextreme AfD nicht nur politisch, sondern auch mit den zur Verfügung stehenden Mitteln des Rechts bekämpft werden soll.

Ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD betrachten die meisten politischen Akteure bislang mit Skepsis. Ein Ausschluss von der Parteienfinanzierung scheint für einige Akteure nunmehr eine mögliche Alternative zum Parteiverbot dazustellen. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder bezeichnete das NPD-Urteil etwa als „Blaupause“ für die AfD.

Ganz so einfach ist es aber nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 23. Januar 2023 vielmehr bestätigt, dass die Voraussetzungen von Parteiverbot und Finanzierungsausschluss nahezu identisch sind. Es müsste im gleichen Maß wie beim Parteiverbot nachgewiesen werden, dass die AfD nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger aktiv und planvoll die freiheitliche demokratische Grundordnung bekämpft. Allein das Kriterium der Potentialität wird für einen Finanzierungsausschluss nicht benötigt. Wann die Schwelle der Potentialität überschritten ist, ist dabei in einer wertenden Gesamtbetrachtung zu prüfen, bei der etwa die Anzahl der Mitglieder, ihr Mobilisierungsgrad, ihre Wahlergebnisse und ihre Vertretung in Ämtern und Mandaten zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 -, Rn. 587). Allein angesichts ihrer Umfragewerte von bundesweit ca. 20 Prozent dürfte die AfD (längst) die Schwelle der Potentialität überschritten haben.

Aus der Entstehungsgeschichte der Norm ergibt sich, dass der Antrag nach Art. 21 Abs. 3 GG nach Vorstellung des verfassungsändernden Gesetzgebers vor allem für Parteien unterhalb der Potentialitätsgrenze in Betracht kommen sollte. Der Finanzierungsausschluss soll im Bestfall verhindern, dass eine Partei die Potentialitätsschwelle überschreitet (vgl. auch Rn. 237). Auch die einfachgesetzliche prozessuale Ausgestaltung legt ein solches Verständnis nahe: Gem. § 43 Abs. 1 S. 2 BVerfGG kann der Antrag auf Parteienfinanzierung hilfsweise zum Parteiverbot für den Fall gestellt werden, dass die Potentialität im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht (mehr) vorliegt.

Die Vorstellungen des verfassungsändernden Gesetzgebers hindern die antragsberechtigten Organe jedoch nicht, einen Antrag auf Finanzierungsausschluss einer Partei zu stellen, die die Potentialitätsschwelle deutlich überschreitet. Art. 21 Abs. 3 GG ist insbesondere nicht in dem Sinne zu verstehen, dass der Antrag nur für Parteien in Betracht kommt, die keine Möglichkeiten haben, ihre Ziele zu erreichen. Es steht im politischen Ermessen der Antragsberechtigten, ob sie keinen Antrag, einen Antrag auf Verbot oder auf Ausschluss einer Partei aus der staatlichen Parteienfinanzierung stellen.

Warum aber sollten einige Akteure trotz vorhandener Potentialität einen bloßen Antrag auf Ausschluss von der Parteienfinanzierung für einen besseren Weg als ein Parteiverbot halten? Die Antwort hierauf dürfte vor allem politischer Natur sein. Ein Parteiverbot ist umstritten und zuletzt bei der NPD zweifach gescheitert. Es ist zu erwarten, dass sich die AfD im Rahmen eines Verbotsverfahrens als Opfer staatlicher Repression stilisiert. Diese Gefahr bestünde jedoch bei einem Finanzierungsausschlussverfahren sogar in gesteigerter Form, denn die Partei kann im Falle eines erfolgreichen Ausschlusses von der Parteienfinanzierung weiterhin im Parteienwettbewerb teilnehmen. Sie behält ihre Mandate und kann gewählt werden. Die Partei erhält damit in jedem Wahlkampf, in jeder politischen Auseinandersetzung die Möglichkeit, den Finanzierungausschluss als vermeintlich rechtsstaatswidrige Benachteiligung durch das „Establishment“ zu instrumentalisieren.

Fazit

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Ausschluss der „Heimat“ aus der staatlichen Parteienfinanzierung ist zu begrüßen. Das Bundesverfassungsgericht hat unter anderem klargestellt, dass ein Finanzierungsausschluss ein zulässiges Instrument wehrhafter Demokratie ist und hat die Voraussetzungen für einen solchen Ausschluss erstmals konkretisiert. Die enge Auslegung von Art. 21 Abs. 3 GG am Tatbestand des Parteiverbots ist angesichts des nahezu identischen Wortlauts und der Entstehungsgeschichte der Norm überzeugend. Das Urteil kommt zudem zur „richtigen Zeit“ und demonstriert, dass Verfassungsfeinde mit Mitteln des Rechts bekämpft werden können. Allerdings sollte aus dem erfolgreichen Ausschluss der ehemaligen NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung nicht vorschnell geschlossen werden, dass ein Finanzierungsausschluss das richtige Mittel zur Bekämpfung der AfD ist – insbesondere, da es nicht leichter umzusetzen ist als ein Parteiverbot.


SUGGESTED CITATION  Jores, Malaika: Kein Geld ist auch eine Lösung: Das Bundesverfassungsgericht entscheidet erstmalig über den Ausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung, VerfBlog, 2024/2/02, https://verfassungsblog.de/kein-geld-ist-auch-eine-losung/, DOI: 10.59704/b38704b09816025e.

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