01 February 2024

Maschinengewehre und Handgranaten für die Polizei

Mit Urteil vom 25.01.20241) hat der sächsische Verfassungsgerichtshof im Rahmen einer von den Landtagsfraktionen der Linken und Grünen angestrengten Normenkontrolle verschiedene Regelungen des Sächsischen Polizeivollzugsdienstgesetzes und des Sächsischen Polizeibehördengesetzes für verfassungswidrig und nichtig erklärt. In seiner Entscheidung hat der Gerichtshof sich überzeugend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu heimlichen Überwachungsbefugnissen angeschlossen, das Erfordernis der Normenklarheit grundrechtsstärkend ausgelegt  und – dies ist das Kernproblem der Entscheidung – die polizeiliche Aufrüstung zu weit zugelassen. Damit ergeht fast vier Jahre nach dessen Inkrafttreten, eine Entscheidung zu einem weiteren novellierten Landespolizeigesetz.

Dort, wo das Gericht sich über die Überwachungs- und Ermittlungsbefugnisse hinaus mit gefahrbeendenden Eingriffsbefugnissen (§ 21 SächsPVDG) der Polizei beschäftigt, überträgt es die Wertungen bezüglich der Vorverlagerung der Eingriffsschwelle. Dass gefahrbeendende Maßnahmen regelmäßig mit tieferen Eingriffen einhergehen, berücksichtigt das Gericht, indem es die Anforderungen an die Gefahr wiederum erhöht, und eine hinreichend konkretisierte Gefahr, die auf Tatsachen beruht, fordert (S. 133). Begrüßenswert ist außerdem die Präzisierung des Gerichts, das für die Normadressat*innen aus den polizeilichen Befugnisnormen ersichtlich sein muss, wann Daten über sie erhoben werden könnten.

Im letzten Komplex des Verfahrens hatte sich das Gericht mit der Aufrüstung der Polizei zu befassen. Das Gesetz sieht vor, dass Spezialkräfte der Polizei mit Waffen ausgerüstet werden, die sie bisher noch nicht tragen durften. Der im Jahr 2018 angeschaffte Polizeipanzer „Survivor R“ sollte jedoch nach der Änderung des Polizeigesetzes ursprünglich mit neuen Maschinengewehren ausgestattet werden. Inwiefern eine solche Möglichkeit zur Aufrüstung erforderlich ist, wenn konkret gar kein Bedürfnis nach anderer Ausrüstung der Polizei besteht, erschließt sich nicht. Es handelt sich also um eine „Aufrüstungsermächtigung auf Vorrat“ die der Verfassungsgerichtshof weit in die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers gerückt hat. Dies wird der potenziellen Gefährdung von Unbeteiligten durch diese Gesetzesänderung nicht gerecht. Für den neu eingeführten § 59 SächsPVDG, die nur in Sachsen normierte intelligente Videoüberwachung, fehlte das objektive Klarstellungsinteresse, weil diese Vorschrift mit Wirkung vom 31.12.2023 außer Kraft getreten ist, § 108 SächsPVDG.

Maßstab für die Verhältnismäßigkeit von Eingriffsbefugnissen

Den beanstandeten Normen (§§ 60 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 sowie Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2, § 63 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3, § 64 Abs. 1, 5, § 66 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und 3, § 67 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, § 68 Abs. 1, § 74 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SächsPVDG) gemein ist, dass sie verdeckte Überwachungs- und Ermittlungsbefugnisse enthalten, die in Art. 27 Abs.1, das Fernmeldegeheimnis und Art. 33, das Grundrecht auf Datenschutz SächsVerf eingreifen.

Durch diese Befugnisnormen können tiefgreifende Grundrechtseingriffe durch die Polizei vorgenommen werden. Diese tief eingreifenden Maßnahmen sind nur mit der Verfassung vereinbar, wenn sie dem Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter dienen (S.52). Neben dem Gewicht einzelner Rechtsgüter kann ein Eingriff auch dadurch gerechtfertigt werden, dass das Gemeinwesen durch die besondere Art einer Tatbegehung bedroht wird, etwa wenn sie der Verhinderung von Vergehen, die sich gegen bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte richten und auf eine den Rechtsfrieden besonders störende Art begangen werden (S.52). Die Ausführungen zu § 63 Abs. 2 S.1 Nr.1 und 2 SächsPVDG sind dabei exemplarisch für die Argumentation des Gerichtshofes bezüglich der weiteren für verfassungswidrig erklärten Normen des sächsischen Polizeirechts.

Der Gerichtshof erklärte die § 63 Abs. 2 S.1 Nr.1 und 2, die längerfristige Observation und den Einsatz besonderer technischer Mittel für verfassungswidrig, insoweit die Norm die Eingriffsschwelle zu weit absenkt. Der Verfassungsgerichtshof sah dies als gegeben an, wenn die Eingriffsnormen an Straftatbestände, die bereits Vorbereitungshandlungen sowie bloße Rechtsgutgefährdungen umfassen, anknüpfen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass polizeiliche Maßnahmen nur auf die Abwehr konkreter bestehender Gefahren beschränkt sind. Vielmehr muss in jedem Einzelfall ermittelt werden, ob es Anzeichen dafür gibt, dass ein Sachverhalt zu einer konkreten Gefahr für ein Schutzgut wird. Es müssen Tatsachen vorliegen, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten, dass eine bestimmte Person eine bestimmte Gefahr für ein wichtiges Rechtsgut in zeitlich absehbarer Nähe verursacht (S.53).  Diese besonderen Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der beanstandeten Normen begründete der Verfassungsgerichtshof damit, dass die Eingriffe typischerweise ohne die Kenntnis der Betroffenen erfolgen und von ihnen nicht angegriffen werden können.

Den Anforderungen an die so konkretisierte Verhältnismäßigkeit nicht gerecht wird jedoch ein Grundrechtseingriff, der an Umstände anknüpft, die noch überwiegend im Vorfeld einer tatsächlich entstehenden Gefahr für ein Rechtsgut liegen. Daraus ergibt sich für die Normen, in denen der sächsische Gesetzgeber auf außerhalb des PVDG liegende Straftatbestände verwiesen hat, dass diese nicht solche Geschehen pönalisieren dürfen, die lediglich Vorbereitungshandlungen oder bloße Rechtsgutsgefährdungen umfassen. Wenn ein solcher Tatbestand vorliegt, bedeutet, dass nicht bereits, dass die Gefahr für ein geschütztes Rechtsgut tatsächlich konkretisiert (genug) ist.

Über die Verweisungen des Definitionskatalogs des § 4 Nr.4, 5a) und b) und SächsPVDG werden auch Delikte (z. B. §§ 129a und 129b StGB) mit in den von § 63 SächsPVDG erfassten Bereich einbezogen, bei denen es sich um abstrakte Gefährdungsdelikte ohne Vorliegen einer konkreten Gefahr für ein Rechtsgut handelt. Es wird weder durch die Verweisung noch durch die Norm selbst eine Konkretisierung der Gefahr für ein Rechtsgut verlangt und die Norm ist deshalb unverhältnismäßig.

Anders verhält es sich bei der darauffolgenden Verweisung auf terroristische Straftaten aus § 4 Nr.5 c) SächsPVDG. Der Verfassungsgerichtshof zieht hier die Grenze, wann die Verhältnismäßigkeit noch eingehalten ist. § 4 Nr.5 c) SächsPVDG verweist auch auf § 129a StGB, stellt aber über den Tatbestand hinaus weitere Anforderungen daran, wann ein polizeilicher Eingriff erfolgen darf. Demnach muss die Tat eine terroristische Zwecksetzung und Eignung haben. Sie muss also bedeutende Rechtsgüter konkret gefährden (S.58f.).

Argumentation folgte das Gericht auch bezüglich der neuen Standardermächtigungen des Aufenthaltsge- und verbots sowie dem Kontaktverbot, § 21 Abs.2, Abs.3 SächsPVDG. An diese Maßnahmen, die, im Unterschied zu den oben aufgeführten gefahrenbeendend wirken sollen, werden höhere Anforderungen gestellt. Diese Maßnahmen gehen regelmäßig mit tieferen Grundrechtseingriffen einher als bloße Gefahrerforschungseingriffe. Durch diese Maßnahmen wird das Verhalten der Betroffenen unmittelbar eingeschränkt (S. 133). Die Eingriffsvoraussetzungen werden von § 21 SächsPVDG so präzisiert, dass jeweils besondere Tatsachen, die die Gefahrprognose stützen, erforderlich sind. Diesen Anforderungen wird die Norm dort nicht gerecht, wo sie an Vorfeldstraftaten und Rechtsgutgefährdungen anknüpft.

Bessere Normenklarheit erforderlich

Hinsichtlich ihrer Bestimmtheit und Normenklarheit, die der Gerichtshof als einheitliches Postulat versteht, befand er § 30 Abs.1 Nr.2 SächsPBG und § 80 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 4 SächsPVDG als nicht mit der sächsischen Verfassung vereinbar.

30 Abs.1 Nr.2 SächsPBG enthält die Befugnis, personenbezogene Daten in öffentlich zugänglichen Räumen durch den offenen Einsatz technischer Mittel zur Bildaufnahme und -aufzeichnung zu erheben, wenn dies zum Schutz gefährdeter öffentlicher Anlagen oder Einrichtungen erforderlich ist. Zu klären, um welche Anlagen und Einrichtungen es sich dabei handeln soll, bleibt der Gesetzgeber schuldig. Auch wann sie gefährdet sind und was für eine Art der Gefahr bestehen muss, verrät § 30 Abs. 1 Nr.2 SächsPBG nicht. Begrenzt wird der Tatbestand nur von einer Erforderlichkeitsklausel. Dies genügt dem Bestimmtheits- und Klarheitsgebot insofern nicht, als das für den Adressaten der Norm aus dieser heraus erkennbar sein muss, wann Daten von ihm erhoben werden könnten. Außerdem bietet der Wortlaut nicht genügend Anhaltspunkte, um die Rechtmäßigkeit einer solchen Überwachung zu überprüfen. Die Ermächtigung genügt also dem Bestimmtheits- und Klarheitsgebot nicht und ist deshalb verfassungswidrig.

Ebenso wie § 80 Abs. 2 SächsPVDG, bei dem der Gerichtshof beanstandet, dass „sich (…) selbst für den mit den Techniken juristischer Auslegung vertrauten Rechtsanwender nicht (erschließt), ob § 80 Abs. 2 SächsPVDG einen Unterfall der Weiterverarbeitung innerhalb polizeilicher Informationssysteme gemäß § 80 Abs. 1 SächsPVDG darstellt oder aber als eigenständige Rechtsgrundlage für die zweckändernde Weiterverarbeitung von Daten aus repressiven Maßnahmen selbstständig neben § 80 Abs. 1 SächsPVDG steht“(S.122).

Kein Problem mit Maschinengewehren und Granaten

Zur Prüfung standen auch §§ 40 Abs. 4 S.3, 46 SächsPVDG die Spezialeinheiten des Polizeivollzugsdiensts den Einsatz von Maschinengewehren und Handgranaten erlauben. Der sächsische Verfassungsgerichtshof sah insofern keine geschriebenen oder ungeschriebenen Grundsätze in der Sächsischen Verfassung, nach denen eine Ausstattung der Landespolizei mit Maschinengewehren und Handgranaten verfassungsrechtlich zu beanstanden sei. Zu dem von den Antragstellern gerügten Gebot der Trennung von Militär und Polizei äußerte sich der Gerichtshof nur insofern, als er keine Anhaltspunkte dafür sieht, dass sich aus Art. 28 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 35 Abs. 2, 3 GG oder Art. 87a Abs. 4 GG ein Verbot der Ausstattung mit den entsprechenden Waffen ergäbe. Die Überprüfung dessen sei dem Verfassungsgerichtshof sowieso kompetenziell nicht möglich.

Auch hinsichtlich dessen, dass diese Waffen, wenn sie eingesetzt werden, eine Vielzahl von Menschen verletzen oder töten können, sah der Gerichtshof keine verfassungsrechtlichen Probleme.

Die Antragssteller*innen hatten darüber hinaus gerügt, dass die gesetzlichen Vorgaben, um Handgranaten und Maschinengewehre einzusetzen in Art. 14 Abs.1 (Menschenwürde) und Art. 16 Abs.1 SächsVerf (das Recht auf Leben) eingreifen. Bei ihrem Einsatz könne nicht sicher genug ausgeschlossen werden, dass auch Unbeteiligte sterben (S.31). Der Gerichtshof hält polizeiliche Maßnahmen grundsätzlich für unzulässig, sofern sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Tod Unschuldiger bzw. Unbeteiligter führen (S. 148). Unbeteiligte in diesem Sinne sind jene, gegen die im konkreten Fall die Voraussetzungen für den Schusswaffengebrauch nicht vorliegen.

Das Gericht sah diese Gefahr durch zwei als Einschränkungen gebannt an.

Zunächst dadurch, dass der Einsatz in Menschenmengen gemäß § 46 Abs.2 S.2 SächsPVDG ausgeschlossen ist und dadurch, dass ihr Einsatz nur zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für das Leben einer anderen Person rechtmäßig ist, § 43 Abs.4 S.2 SächsPVDG.

Die Argumentation des Gerichtshofs ist insofern inkonsistent, als dass diese Regelungen den von ihm aufgestellten Maßstäben an die Verhältnismäßigkeit nicht zwingend gerecht werden. Auch bei Einsätzen zur Abwehr einer Gefahr für das Leben einer Person können Unbeteiligte gefährdet werden. Durch das Verbot, die besonderen Waffen in Menschenmengen einzusetzen, wird dieser Gefahr nicht hinreichend begegnet.

Der Gerichtshof rechtfertigt dies damit, dass ausschließlich so der staatlichen Schutzpflicht für das menschliche Leben nachgekommen werde und die Einschränkung in § 43 Abs.4 S.2 den Einsatz auf Fälle reduziere, in denen der Einsatz das letzte verbleibende Mittel ist (S. 149).

Durch die prozessuale Regelung, dass nur Spezialkräfte nach Freigabe des Polizeipräsidenten oder seines Vertreters die besonderen Waffen einsetzen dürfen, würde der Einsatz auch formell hinreichend eingeschränkt.

Ausblick

Mit dem Urteil vom 25.01.2024 hat der sächsische Verfassungsgerichtshof die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu heimlichen Ermittlungs- und Überwachungsbefugnissen fortgeführt und ohne wesentliche Veränderungen auf das novellierte sächsische Polizeirecht angewendet. Gegen den Einsatz von Handgranaten und Maschinengewehren hatte der Gerichtshof keine Bedenken.

Damit reiht sich das Urteil in die sicherheitsrechtliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein. Es erklärt Regelungen, die den im SOG-MV-Beschluss aufgestellten Maßstäben nicht genügen, für nicht mit der sächsischen Verfassung vereinbar. Es bleibt zu beobachten, wie sich hier die Verfassungsrechtsprechung (etwa die bereits für 2022 und 2023 angekündigte Entscheidung zu § 20c PolG-NRW) zu den anderen novellierten Polizeigesetzen der Polizeigesetze entwickelt. Am Bundesverfassungsgericht ist eine bisher zurückgestellte Verfassungsbeschwerde zu den gleichen Normen des neuen Polizeirechts anhängig. Hier wird besonders interessant sein, ob sich das Bundesverfassungsgericht der Bewertung des SächsVerfGH zur Aufrüstung der sächsischen Polizei anschließt. Jedenfalls ist es wünschenswert, dass sich das BVerfG ausführlicher mit dem Gebot der Trennung von Militär und Polizei auseinandersetzt und Klarheit in Frage bringt, wo die Grenze zwischen den beiden verläuft.

References

References
1 Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen Urteil vom 25.01.2024 – Vf. 91-II-19; nachfolgende Klammerzusätze mit Hinweisen auf Seitenzahlen beziehen sich auf diese Entscheidung.

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