19 January 2024

Mehr Sicherheit für den Sicherheitsapparat

Thüringen will die Zahl der politisch besetzten Führungspositionen in der Verwaltung verringern. Die Präsidenten von Verfassungsschutz und Polizei sollen aber sogenannte „politische Beamte“ bleiben. Dabei ist die Politisierung gerade bei ihnen besonders problematisch: Zukünftige Regierungen könnten darüber die Sicherheitsbehörden gegen politische Gegner einsetzen.

Björn Höcke hat auf dem Landesparteitag der AfD in Thüringen im November einen Fünf-Punkte-Plan für eine Regierungsbeteiligung in Thüringen vorgestellt. In diesem Sofortprogramm findet sich auch, dass die AfD den Präsidenten des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, austauschen möchte. Zum Amtsantritt bestimmte Posten mit Leuten aus den eigenen Reihen zu besetzen, ist das Recht einer neuen Regierung und etablierte Gewohnheit. Der Verfassungsschutzpräsident gehört zu diesen Posten dazu, denn er ist in Thüringen nach dem Beamtenstatusgesetz ein sogenannter politischer Beamter. Er kann damit ohne Angabe von Gründen von seiner Dienstherrin, der Ministerin, in den einstweiligen Ruhestand versetzt und durch jemand ihrer Wahl ersetzt werden. Gleiches gilt für den Polizeipräsidenten.

Das unterscheidet sie von normalen Beamten, für die Artikel 33 des Grundgesetzes vorgibt, dass sie allein nach „Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung“ sowie den „hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums“ auszuwählen sind. Einer dieser Grundsätze ist das sogenannte Lebenszeitprinzip: Beamte können nicht ohne guten Grund entlassen oder zurückgestuft werden, so dass sie – so zumindest das Ideal – die geltenden Gesetze korrekt und ohne politische Beeinflussung auf den Einzelfall anwenden können. Das Grundgesetz sieht also eine Art Gewaltenteilung innerhalb der Exekutive vor: Die Minister auf der einen Seite, die mit ihrem Weisungsrecht die politischen Programme durchsetzen können, für die sie gewählt sind, während auf der anderen Seite die sachkundigen Beamten neutral die technische Gesetzesanwendung gewährleisten.

Dazwischen sind in fast allen Bundesländern die politischen Beamten als Schnittstelle gedacht: Die Ministerin braucht einige politische Vertrauenspersonen um sich herum, die als Bindeglied zu den Behörden auftreten. Sie sind zwar Beamte, aber können jederzeit entlassen werden. Auch das Leistungsprinzip bei der Ernennung ist zugunsten politischer Präferenzen abgeschwächt. Vertrauen sticht Fachexpertise.

Die Zahl der Führungsposten in den Behörden, die als derartige Beamte auf Abruf ausgestaltet sind, ist in den letzten Jahren aber immer weiter gewachsen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich schon 2008 gegenüber dieser Entwicklung skeptisch gezeigt und die Einsetzung von politischen Beamten allenfalls in „eng begrenztem Kreis“ dort für zulässig erklärt, wo „besonderes politisches Vertrauen“ erforderlich ist. Bei Staatssekretärinnen also, oder dem Regierungssprecher. Sonst aber hält es die politische Unabhängigkeit der Verwaltung hoch, die abseits weniger Transformationsämter zwar der Regierung dienen, sich aber nicht für politische Partikularinteressen instrumentalisieren lassen soll.

++++++++++Anzeige++++++++

The University Center for Human Values at Princeton University invites practitioners, faculty members of any discipline, independent scholars, and lawyers to apply for visiting residential fellowships for AY24-25. Fellows will devote the full academic year to research, discussion, and scholarly collaboration on topics related to law and normative inquiry.

For more information please click here.

++++++++++++++++++++++++

In Thüringen stand die Landesregierung bereits im Frühjahr dafür in der Kritik, zahlreiche politische Beamte eingesetzt und diese auch noch besonders intransparent ausgewählt zu haben. Als Zugeständnis liegt derzeit ein Gesetz im Innenausschuss des Thüringer Landtags, nach dem mehrere Positionen zukünftig keine politischen, sondern wieder normale Beamte sein sollen, darunter die Integrationsbeauftragte und der Chef des Landesverwaltungsamts.

Nicht von der Gesetzesänderung umfasst sind aber der Polizeipräsident und der Präsident des Verfassungsschutzes. Es wäre ein Leichtes, die beiden ebenfalls aus dem Kreis der politischen Beamten auszunehmen, jetzt, wo die Liste ohnehin gerade neu gefasst wird. In Schleswig-Holstein etwa ist dies bereits der Fall. Bayern verzichtet sogar komplett auf politische Beamte.

Die Leitung der Sicherheitsbehörden ist kein Transformationsamt wie das einer Staatssekretärin, die an politischen Lösungen tüfteln soll. Die Polizei hat die Aufgabe, Rechtsbrüche zu verhindern und zu verfolgen, rechtsstaatliche Verfahren anzustoßen und Grundrechtseingriffe im Rahmen des Erforderlichen zu halten. Gerade hier hat oberste Priorität, dass sich die Behörde stets an die gesetzlichen Aufgaben und Regeln hält – im Zweifel auch gegen eine Anordnung aus dem Ministerium. Die Verantwortung dafür kommt allen voran dem Polizeipräsidenten und entsprechend dem Präsidenten des Verfassungsschutzes zu.

Im normalen Tagesgeschäft spielt das bislang kaum eine Rolle. Die Neubesetzung der Behördenleitung dient den politischen Verantwortlichen bislang eher dazu, ihre Prioritäten aufzuzeigen und frischen Wind in der Behörde zu verbreiten. Da kann die Forderung, den Einfluss demokratisch gewählter Politikerinnen zugunsten althergebrachter Beamtengrundsätze zu verringern, verstaubt, wenn nicht sogar leicht autoritär erscheinen. Aus ihr folgt nämlich auch, dass eine neue Ministerin sich gegebenenfalls mit einem Behördenleiter streiten muss, der die Türen seiner Behörde für den im Wahlkampf versprochenen frischen Wind keinen Spalt öffnen möchte.

Bedeutung gewinnt die Unabhängigkeit der Leiter erst, wenn es einmal systematisch auf deren Widerspruch ankommen sollte. Polizei und Verfassungsschutz laufen besondere Gefahr, von einer Regierung mit antidemokratischen Absichten zu ihrem eigenen Machterhalt missbraucht zu werden. Hier geht es nicht nur darum, Postenschieberei zu verhindern oder die besten Köpfe für die Behörden zu gewinnen. Die Sicherheitsbehörden verfügen über die schärfsten Mittel, die das staatliche Gewaltmonopol bietet.

Gibt das Innenministerium einer neu gewählten Regierung etwa vor, schärfer gegen bestimmte oppositionelle Bündnisse oder Protestbewegungen vorzugehen, so geht die Weisung durch die Büros der Präsidenten von Polizei und Verfassungsschutz. Diese haben weitgehende Möglichkeiten, finanzielle und personelle Ressourcen von der einen in die andere Abteilung zu schieben und den Fokus in der Landespolizeidirektion oder im Landesamt für Verfassungsschutz damit nahezu beliebig zu verrücken. Zudem könnten sie sogar im Einzelfall per hausinterner Weisung anordnen, die Pläne einer aktivistischen Gruppe schon für einen strafrechtlichen Anfangsverdacht oder gar eine verfassungswidrige Bestrebung ausreichen zu lassen. Diese Feststellungen verschaffen Zugang zu einem Arsenal von Ermittlungsmaßnahmen wie Hausdurchsuchungen und Handyüberwachungen. Gewonnene Informationen können für Versammlungs- und Vereinsverbote genutzt werden. Selbst wenn die Gerichte im Nachhinein feststellen, dass der Verdacht doch nicht ausreichend war, eine Durchsuchung etwa kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Wenn eine Regierung den eigenen Machterhalt über die Gesetze stellt, zeigt sich die Bedeutung der widersprechenden Behördenleiterin für einen funktionierenden Rechtsstaat. Ist der Posten hingegen politisch besetzt, kann dadurch eine Regierung, die die Grenzen von Recht und Gesetz nicht achtet, die Behörde zu ihrem verlängerten Arm machen. Nicht umsonst hat in der Slowakei der im November wiedergewählte autoritär-populistische Präsident Robert Fico als erste Amtshandlung den Polizeipräsidenten ausgetauscht, um sich damit lästiger Korruptionsermittlungen gegen ihn zu entledigen.

Die Liste der politischen Beamten in Thüringen zu kürzen, ist ein richtiger Schritt. Aber er reicht nicht aus. Um Rechtsstaat und Demokratie zu schützen, muss auch der Polizeipräsident und der Verfassungsschutzpräsident von dieser Liste gestrichen werden. Das kostet zukünftige Regierungen zwar etwas von ihrem Gestaltungsspielraum. Der Gewinn an Resilienz der Sicherheitsbehörden gegenüber ihrer demokratiefeindlichen Instrumentalisierung wiegt diesen Verlust aber mehr als auf.

Dieser Artikel ist ein Teilergebnis des Thüringen-Projekts und wurde zuerst auf SPIEGEL online veröffentlicht.

Die Woche auf dem Verfassungsblog

… zusammengefasst von MORITZ SCHRAMM:

In Großbritannien stand diese Woche die Abstimmung zum umstrittenen sogenannten Ruanda Plan an. Die Idee der Sunak-Regierung ist, entgegen einem Supreme-Court-Urteil von November, Ruanda zu einem sicheren Drittstaat zu erklären, um Geflüchtete dorthin abzuschieben. Dies umfasst wohlgemerkt auch jene Personen, die gar nicht aus Ruanda kommen. ALICE DONALD und JOELLE GROGAN sind hiervon nicht überzeugt.

In Gaza geht Israels Militär weiterhin mit kaum verminderter Härte vor. Inzwischen muss sich Israel in Den Haag dem Vorwurf des Genozids stellen. ITAMAR MANN meint, dass umfassende ‚provisional measures‘ angesichts der im Palais de la Paix vorgetragenen Argumente eher unwahrscheinlich sind.

++++++++++Anzeige++++++++

Nominations and Self-Nominations Sought for the Position of Director

at the Max Planck Institute

for Comparative Public Law and International Law,

Heidelberg, Germany

The MPG and the MPIL, Heidelberg, invite nominations for a director for a third and complementary research department.

Candidates should have a strong record of innovative research in international and comparative public law, EU law or comparative law and the ability to devise a long-term strategy for excellent research. Management and leadership skills and a spirit of collaboration are required to lead the academic and non-academic staff of over 150 persons.

Nominations should be sent to nomination@mpil.de until 31/3/2024.

Please click here for more information.

++++++++++++++++++++++++

Auch wenn die Pandemie glücklicherweise hinter uns liegt, bleiben doch viele drängenden Fragen der eigenartigen Zeit der Lockdowns, Kontaktbeschränkungen und Triage unbeantwortet. Die gemachten Erfahrungen nun nicht aufzugreifen wäre jedoch ein großer Fehler. Das rächt sich spätestens bei der nächsten Pandemie. NORBERT PAULO plädiert daher für eine Neuregelung pandemiebedingter Triage.

Die Nachwehen des Haushaltsbeschlusses halten das politische Berlin weiterhin in Atem. Inwieweit die Auslegung der Schuldenbremse durch das Bundesverfassungsrecht in einem Spannungsverhältnis mit Deutschlands Verpflichtungen aus dem internationalen Klimaschutzrecht steht, erörtert PHILIPP SAUTER.

Bemerkenswertes tut sich im Bereich des Sexualstrafrechts. Auf europäischer Ebene gibt es Pläne den Straftatbestand der Vergewaltigung zu harmonisieren. Deutschland hat sich diesen Plänen im Rat entgegengestellt. DILKEN ÇELEBI, LISA MARIE KOOP und LEOKADIA MELCHIOR setzen sich detailliert und kritisch mit den von der Bundesregierung vorgebrachten Argumenten auseinander.

In Belgien werden Geflüchtete, insbesondere alleinstehende Männer, regelmäßig vom Zugang zu menschenrechtlich grundierten Sozialleistungen ausgeschlossen. Dies hat inzwischen zu massiven Problemen mit Obdachlosigkeit geführt. SARAH GANTY und EVA SEVRIN mit einer kritischen Analyse zum Zustand des belgischen Asylrechts.

Die Europäische Union will grüner und digitaler werden. Um beide Ziele zu erreichen, verabschiedete Brüssel nunmehr den Critical Raw Materials Act, der den Abbau und Import seltener Erden reguliert. IOANNIS KAMPOURAKIS ist nicht überzeugt.

Dass ein Nexus zwischen Klimawandel und Menschenrechtsschutz besteht ist klar. Aber wie genau sieht der aus und inwiefern ist er justiziabel? Anlässlich eines Aufsehen erregenden Verfahrens vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte leuchten LENA RIEMER und LUCA SCHEID diese Frage aus.

Dreht sich die Stimmung? Wird es doch noch etwas mit einem Parteiverbotsverfahren gegen die AfD? Die Zeiten sind düster und stürmisch, doch die Debattenlage scheint sich angesichts offen völkischer Umtriebe und nationalsozialistisch anmutender Deportationsphantasien hochrangiger AfD-Kader doch etwas in Richtung AfD-Verbot zu verschieben. ANDREAS FISCHER-LESCANO befürwortet dies nachdrücklich.

Ein wichtiger Zwischenruf kommt von YVES-J. MANZANZA LUMINGU und LENA RUDKOWSKI. Die Europäische Union ist die Meisterin der Regelsetzung – ob die gesetzten Regeln immer wie geplant funktionieren ist eine andere Frage. Erste praktische Erfahrungen mit dem europäischen Lieferkettengesetz weisen auf weiterhin bestehende massive Durchsetzungsschwierigkeiten in Räumen fragiler Staatlichkeit hin.

Die Datenschutzgrundverordnung gilt bekanntlich (fast) überall. Vom lokalen Kegelverein bis zu Ihren Emailadressen in diesem Newsletter, werte Leser*innen. Nun hat der EuGH klargestellt, dass selbst parlamentarische Untersuchungsausschüsse die in der DSGVO festgehaltenen Grundsätze beachten müssen. KEVIN FREDY HINTERBERGER erläutert neueste Rechtsprechung.

Die Proteste der Landwirte halten das Land in Atem. Unter dem Eindruck zwischenzeitlicher Trecker-Belagerung fordert Landwirtschaftsminister Cem Özdemir nun eine ‚Tierwohlabgabe‘. TILL VALENTIN MEICKMANN ist jedoch skeptisch angesichts verfassungs- und europarechtlicher Hürden.

Wenig steigert den politischen Blutdruck so zuverlässig wie Debatte über Sprache, wahlweise im Dienste der Geschlechtergerechtigkeit oder zum Schutz tradierter Sprachmuster. Manche Bundesländer wollen ‚geschlechtergerechteSprache vorantreiben, Bayern will das ‚Gendern‘ verbieten. Doch inwieweit ist die Art und Weise wie wir sprechen rechtlicher Regelung überhaupt zugänglich? YANNIK BREUER und MADELINE TRAPPMANN plädieren für einen weiten Spielraum des Gesetzgebers – in beide Richtungen.