27 August 2024

Nichts weniger als ein Formenmissbrauch

Verfassungsschutz, Pressefreiheit und der „Compact“-Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts

Das Bundesinnenministerium hat am 16. Juli 2024 die rechtsradikale Zeitschrift „Compact“ verboten, da sie aggressiv-kämpferisch gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sei. Das „Vereinsverbot“ erging auf Grundlage von Art. 9 Abs. 2 GG i. V. m. § 3 Abs. 1 des Vereinsgesetzes und wurde für sofort vollziehbar erklärt. Die Entscheidung wirft eine Reihe von praktischen wie grundsätzlichen Fragen der Stellung der Presse im Verfassungsstaat des Grundgesetzes auf. Die Herausgeberin des Magazins, die Compact GmbH, hat, wie zu erwarten war, gegen das Verbot nicht nur eine Anfechtungsklage bei dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) erhoben, sondern auch den Antrag gestellt, die Anordnung des sofortigen Vollzugs aufzuheben. Eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren wird sicher nicht so bald ergehen, doch hat das BVerwG mit Beschluss vom 14. August 2024 dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz im Wesentlichen stattgegeben (vgl. hierzu Paula Rhein-Fischer).

Ausschlaggebend dafür waren Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Verbots: „Zahlreichen Beiträgen“, in denen eine „kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber elementaren Verfassungssätzen“ zu Tage träte, stünden Beiträge gegenüber, die „mit Blick auf die Meinungs- und Pressefreiheit in weiten Teilen“ nicht zu beanstanden seien. Angesichts dessen sei an den Einsatz milderer, insbesondere medienrechtlicher Mittel zu denken. Den Grundrechten der Meinungs- und Pressefreiheit komme ein ausschlaggebendes „besonderes Gewicht“ zu, das gegen die sofortige Vollziehbarkeit des Vereinsverbots spreche. Die Entscheidung in der Hauptsache wird damit noch nicht vorweggenommen.

Im Ergebnis ist die Entscheidung plausibel. Bedenklich erscheint aber, dass das BVerwG ohne Not schon im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bejaht hat, dass ein Vereinsverbots nach Art. 9 Abs. 2 GG i. V. m. § 3 Abs. 1 Vereinsgesetz grundsätzlich zulässig ist. „Besonderes Gewicht“ erhalte die Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG nur als materieller Abwägungsposten in der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Vereinsverbots, nicht aber als eigene Form, die auch deren Schranken in den „allgemeinen Gesetzen“ prägt, aber eben kein „Presseverbot“ impliziert – anders als Art. 9 Abs. 2 für Vereinigungen.

Diesen Gesichtspunkt betont auch Christoph Gusy. Die von ihm zitierten Entscheidungen des BVerwG bestätigen die Notwendigkeit, zwischen Fällen einer relativ selbständigen Pressetätigkeit und einer Presse, die sich ganz der Zielsetzung einer politischen Organisation (hier: der PKK) unterordnet, zu differenzieren. Dies belegt das BVerwG differenziert und überzeugend in den von Gusy zitierten Entscheidungen (BVerwG, NVwZ 1995, 598; 1998, 174). In diesen Fällen hat die Pressefreiheit gegenüber der Vereinigungsfreiheit eine sekundäre Bedeutung: Vorrangig trifft das Verbot die politische Organisation. Ähnlich war auch die Konstellation in BVerfGE 25, 44, 69, wo das Gericht ebenfalls darauf abgestellt hat, ob Meinungsäußerungen den „organisatorischen Zusammenhalt der verbotenen politischen Partei“, hier der KPD, unterstützen sollten. Es wäre widersprüchlich, wenn ein verbotener Verein weiter propagandistisch tätig sein könnte. Das ist aber im Fall Compact ganz anders. Der Fall ist ein Exempel für die Bedeutung der Form als Schutz der Grundrechte, hier insbesondere der Pressefreiheit.

Verfassungsschutz durch Presseverbot? Der Fall „Compact“

Das Verbot der rechtsradikalen Zeitschrift „Compact“ erging in der Gestalt eines Vereinsverbots, bezogen auf die die Zeitschrift herausgebende Gesellschaft, eine GmbH. Dies ist nichts weniger als ein Formenmissbrauch: Die zuständige Bundesinnenministerin hat unvorsichtigerweise ausdrücklich erklärt, dass die Zeitschrift „Compact“ verboten werde, und dies dann auf eine Kompetenz nach dem bundesrechtlichen Vereinsgesetz gestützt.

Der Bund ist für das Presserecht nicht zuständig. Das Verbot des Innenministeriums wird ausschließlich im Rekurs auf den Inhalt der Zeitschrift „Compact“ begründet, also einen presserechtlich relevanten Sachverhalt. Daneben ist für vereinsrechtliche Argumente kein Raum mehr: Dies ist unschwer daran zu erkennen, dass das Verbot der Zeitschrift – bei einer Argumentation, die sich ausschließlich auf den Inhalt stützt – jedenfalls dann nicht auf § 3 Abs. 1 VereinsG zu stützen gewesen wäre, wenn der Verlag eine Einzelfirma gewesen wäre. Die Form der Trägerschaft des Verlages ist für die Reichweite der Pressefreiheit unbedeutend. Ein „Vereinsverbot“ könnte aber nicht gegen den Betrieb einer Zeitschrift durch eine Einzelfirma gerichtet werden.

Die Form der Freiheit als Grenze des Schutzes der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“

Die staatliche Intervention in die öffentliche freie Meinungsbildung wird im Rekurs auf das Prinzip der „wehrhaften Demokratie“ begründet. Dies darf aber nicht bedeuten, dass das Prinzip über alle formalen rechtsstaatlichen Grenzen hinaus eingesetzt werden darf. Verfassungssystematisch ist zu beachten, dass die Schranken der Pressefreiheit nach dem Grundgesetz in den „allgemeinen Gesetzen“ bestehen, Art. 5 Abs. 2 GG. Die gesetzliche Einführung eines Presseverbots wäre aber ein besonderes, ausdrücklich gegen die „rein geistige Freiheit“ (Helmut Ridder) gerichtetes Gesetz, das vom Grundgesetz nicht zugelassen wird. Systematisch ist auch Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG zu beachten: „Eine Zensur findet nicht statt“ – aber die ganze Zeitung soll von der Exekutive verboten werden können? Auch im Hinblick auf die Presse hat das Grundgesetz durchaus ein Instrument der „wehrhaften Demokratie“ bereitgestellt: Die Erklärung der Verwirkung dieses Grundrechts im Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (Art. 18 GG) – dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten – und selbstverständlich das Strafrecht wegen einzelner Meinungsdelikte.

Wenn die Länder die Einführung eines Zeitungsverbots für erforderlich gehalten hätten, so wäre dies sicher in den Landespressegesetzen ausdrücklich geregelt worden. Dies ist aber nicht der Fall. Genauer gesagt: Es ist nicht mehr der Fall. Ein solches Verbot war in § 4 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über die Berufsausübung von Verlegern, Verlagsleitern und Redakteuren von 1949 in der Gestalt eines ad personam adressierten Berufsausübungsverbots enthalten. Das BVerfG hat diese Bestimmung in seinem Beschluss vom 6.10.1959 (BVerfGE 10, 118) für verfassungswidrig erklärt, weil sie unvereinbar mit der Verwirkungsregelung des Art. 18 GG sei. Das gesetzliche Verbot sei „verwirkungsähnlich“ und deshalb nichtig.

Ob dies auch gegen die Möglichkeit spricht, ein Berufsverbot als Nebenstrafe nach § 70 StGB zu verhängen, kann dahingestellt bleiben. Dies ist in der Literatur umstritten gewesen (früher bejahend čopić JZ 1963, 494, 497; offengelassen in BVerfGE 28, 88, 95ff.).

Systematische Überlegungen zu den formalen Grenzen eines Zeitungsverbots nach dem Vereinsgesetz und einer möglichen landesrechtlichen Regelung

Ein Zeitungs- oder Zeitschriftenverbot zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung lässt die Ambivalenz des Instrumentariums zum Schutz der Verfassung besonders gut erkennen: Damit wird immer ein Teil des Prozesses der öffentlichen Meinungsbildung zu einem „Gegenstand“ verdichtet, der verboten wird. Was aber ist eine Zeitung oder eine Zeitschrift anderes als das Netzwerk von Redakteuren, Autoren, Personen, Archiven und Ideen, das die Pressearbeit ermöglicht? Das BVerwG hat in seiner Entscheidung vom 14. August 2024 auf die auch in der Zeitschrift „Compact“ zutage tretenden unterschiedlichen Inhalte abgestellt. Der „Gegenstand“ eines Presseverbots ist noch schwieriger zu bestimmen als der eines Vereins. Deshalb wurde in der Vergangenheit das personenbezogene Berufsverbot für Verleger u. ä. als Mittel des Schutzes der Verfassung gewählt – wenn überhaupt Presseverbote ermöglicht worden sind. So war es in § 4 des genannten nordrhein-westfälischen Gesetzes. Das BVerfGG sieht in §§ 39 f. zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit Möglichkeiten einer zeitlichen Beschränkung des Berufsverbots in der Form der Verwirkung des Grundrechts der Pressefreiheit nach Art. 18 GG vor, die für ein Organisationsverbot allenfalls bei enger Befristung gelten können. In § 21 Abs. 1 S. 1 des Republikschutzgesetzes von 1922 war eine Befristung des Verbots von Zeitschriften auf höchstens sechs Monate vorgesehen.

Problematisch wäre auch, die Folgen eines bestandskräftig gewordenen Presseverbots (oder eine dessen Muster folgende presserechtliche Regelung) auf Grundlage des Vereinsgesetzes zu bestimmen: § 8 Abs. 1 des Vereinsgesetzes verbietet es, den Verein „fortzuführen“ oder „Ersatzorganisationen“ zu bilden. Was sollte das für eine „Ersatzzeitschrift“ bedeuten? Das Republikschutzgesetz von 1922, das die Form des „Zeitungs-/Zeitschriftenverbots“ gewählt hat, hat zur Verhinderung der Umgehung des Verbots in § 21 Abs. 2 vorgesehen, dass sich das Verbot auf „jede angeblich neue Druckschrift“ erstreckt, „die sich sachlich als die alte darstellt“. Das wäre rechtsstaatlich bedenklich. Auch die Folgen des Verbots erfordern eine gesetzliche Regelung – soweit dies überhaupt zulässig wäre. Das ist ein Gebot der Orientierung der Dichte der gesetzlichen Regulierung am Kriterium der „Wesentlichkeit“ einer Beschränkung für die Ausübung der Grundrechte.

Dies ist aber nicht das einzige Problem, das eine pressespezifische Regelung erfordern würde: Die Beschlagnahme von Dokumenten einschließlich des Pressearchivs liefe bei einer Anwendung der Regelung des Vereinsverbots (oder einer daran angelehnten neuen landesrechtlichen Regelung) auf einen schweren Eingriff in das Redaktionsgeheimnis, ja, dessen Aufhebung hinaus: Die zur Durchsetzung des Vereinsverbots erfolgenden Maßnahmen der „Beschlagnahme“, z. B. von Dokumenten, und der „Einziehung“ des Vermögens nach §§ 10, 11 Vereinsgesetz würden ohne pressespezifische Begrenzung praktisch alle Daten des Presseunternehmens erfassen. Das BVerfG hat vor allem im CICERO-Urteil (BVerfGE 117, 244, im Anschluss an das SPIEGEL-Urteil, BVerfGE 20, 162, 199ff.) festgehalten, dass das Redaktionsgeheimnis bei Durchsuchungen über die ausdrückliche Regelung in der StPO hinaus durch ein enges Verständnis des Verhältnismäßigkeitsprinzip zu schützen ist. Dementsprechend müsste eine presserechtliche Regelung eines Zeitungsverbots auch den Schutz des Redaktionsgeheimnisses spezifizieren.

Selbst wenn man den hier vorgetragenen Bedenken gegen jegliche „Zeitungsverbote“ nicht folgen wollte (obwohl dies schon in § 4 des Reichspreßgesetzes von 1874 so geregelt war), wäre dafür nach der „Wesentlichkeitstheorie“ eine pressespezifische Regelung eines solchen Verbots erforderlich, die das unspezifische Vereinsverbot nicht ersetzen kann.


SUGGESTED CITATION  Ladeur, Karl-Heinz: Nichts weniger als ein Formenmissbrauch: Verfassungsschutz, Pressefreiheit und der „Compact“-Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts, VerfBlog, 2024/8/27, https://verfassungsblog.de/nichts-weniger-als-ein-formenmissbrauch/, DOI: 10.59704/050919b196cc1f73.

3 Comments

  1. Johannes Baum Wed 28 Aug 2024 at 09:37 - Reply

    Sehr geehrter Herr Ladeur,

    vielen Dank für den Beitrag!

    Wenn ich es richtig erfasse, stützt sich Ihre Argumentation im Kern auf die Annahme, die Pressetätigkeit einzelner dürfe nicht anders behandelt werden als die Pressetätigkeit von Gruppen (“Die Form der Trägerschaft des Verlages ist für die Reichweite der Pressefreiheit unbedeutend.”).

    Gerade diese Annahme scheint mir aber keineswegs zwingend. Das Recht behandelt ein koordiniertes Zusammenwirken mehrerer wegen der damit einhergehenden Gefahren (Gruppendynamik, Bündelung von Ressourcen) häufig strenger als (ansonsten identisches) Verhalten Einzelner.

    Das gilt bspw. für das Parteienverbot: Ein einzelner darf – in den Grenzen des Strafrechts – “darauf ausgehen” die fdGO zu beseitigen. Wenn eine Partei dies – ebenfalls in den Grenzen des Strafrechts – macht, wird sie verboten.

    Es scheint mir auf den ersten Blick plausibel, das bei Vereinsverboten mit Auswirkungen auf Medien genauso zu handhaben: Als Individuum darf ich in den Grenzen des Strafrechts aggressiv-kämpferisch mittels eines Mediums gegen die fdGO agitieren; als Organisation mit gemeinsamer Willensbildung i.S.d. Vereinsgesetzes eben nicht.
    Anders ausgedrückt: Das Veröffentlichen ein- und derselben aggressiv verfassungsfeindlichen, aber strafrechtlich irrelevanten Schrift einmal durch eine Einzelperson und einmal durch einen Verein i.S.d. VereinsG ist im ersten Fall nicht tauglicher Anknüpfungspunkt für staatliche Eingriffe, im zweiten Fall hingegen Anlass für ein Vereinsverbot nach Art. 9 II GG.

    • Karl-Heinz Ladeur Thu 5 Sep 2024 at 13:10 - Reply

      Vielen Dank für den Kommentar! In der Sache haben Sie recht, aber ich finde im Verfassungsrecht sollte mehr auf Formen geachtet werden, die ihre eigene Rationalität haben. Sie tragen zur Unterscheidung von Problemen und zur Ausdifferenzierung sowohl ihrer Beschreibung als auch ihrer rechtlichen Bewältigung bei. “Abwägung” kann demgegenüber leicht zu einer Methode der Entdifferenzieren werden. Jedes Recht und jedes Interesse wird zum Abwägungsposten. Art. 5 Abs. 2 GG sieht nun einmal keine Presseverbote vor
      (dafür könnte das Verfahren der Erklärung der Verwirkung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG eingesetzt werden, das aber eben auch eine besondere Form vorsieht, Art. 18 GG). Für di