Verbotene Vereinsmedien
Zum „Compact“-Verbot durch das Bundesinnenministerium
Selbstschutz der Verfassung ist ein lernender Prozess. Neue Herausforderungen bedürfen neuer Antworten und ggf. neuer Rechtsgrundlagen. Das gilt umso mehr, wenn die Herausforderungen bekannte und etablierte Szenarien oder Drehbücher überschreiten und deshalb nicht einfach auf der Grundlage von Routinen und Erfahrungen abgearbeitet werden können.
Der neue Rechtsextremismus liefert hier zahlreiche Beispiele, die nicht nur die zuständigen Ministerien und Behörden, sondern auch die Gesetze an den Rand ihrer Möglichkeiten bringen. Grenzüberschreitungen zwischen Protest und Gewalt, Aufrufe zu, Banalisierung oder Billigung von Übergriffen, aber auch systematische Untergrabung der organisierten Demokratie mögen eindeutige Fälle sein. Dazwischen gibt es aber immer mehr Graubereiche, welche die etablierten Formen von Extremismus verschwimmen lassen und neue Frage aufwerfen, wie etwa: Ist das noch freie Meinungsäußerung oder schon deren Negation, indem jedenfalls die rechtliche Gleichheit anderer Menschen in Frage gestellt wird und ihr Recht auf Beteiligung an den öffentlichen Diskursen bestritten wird. Und wer hinreichend lange und lautstark zur Bekämpfung von Andersdenken aufruft, nimmt jedenfalls in Kauf, dass Konsumenten solcher Aufrufe auch zu Gewalttaten schreiten können. Wo Grenzen ausgelotet oder verschoben werden, stellen sich neue Herausforderungen auch an das Recht, das solche Grenzen legitimieren, definieren und hinreichend deutlich machen soll. Verfassungsschutzrecht ist so nicht nur Grenze, sondern zugleich eine Gelingensvoraussetzung des demokratischen Rechtsstaats.
Das Verbot des Compact-Magazins nach § 3 Vereinsgesetz (VereinsG) stößt auf wenig bestelltes Terrain vor. Die Bestimmung ist eine der ganz seltenen Regelungen, nach denen die Bundesinnenministerin als Verbotsbehörde zuständig ist. Die danach zulässigen Maßnahmen betreffen nicht nur den Bestand, sondern auch die Betätigung der Organisationen. Ist der Verein selbst verboten, so darf er sich auch nicht mehr betätigen. Zwar eröffnet Art. 9 Abs. 1 GG den Vereinigungen selbst nur wenige Betätigungsmöglichkeiten: Er eröffnet Bestandsschutz, nicht hingegen Handlungsfreiheit; diese folgt regelmäßig aber aus Art. 19 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem jeweiligen Spezialgrundrecht. Wertungswidersprüche folgen daraus jedenfalls dann nicht, soweit der limitierte Gesetzesvorbehalt des Art. 9 Abs. 2 GG auch die Schrankentatbestände der Handlungsfreiheiten umfasst, nach dem Motto: Wenn schon der Bestand des Zusammenschlusses untersagt werden kann, kann dies a maiore ad minus auch für seine Aktivitäten gelten. Das ist spätestens seit der Streichung des früheren Religionsprivilegs aus § 2 Abs. 2 Nr. 3 VersG a.F. im Verhältnis zu Art. 4 GG vertieft diskutiert worden, ohne aber für alle anderen Freiheitsgarantien systematisch ausbuchstabiert zu werden.
Im Falle des Compact-Verbots ist nun der Kontext der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) relevant, die ihrerseits nur unter hohen rechtlichen Hürden einschränkbar ist. Als besondere Ausprägung der Meinungsfreiheit ist sie für die freiheitliche Demokratie „schlechthin konstituierend“ (BVerfGE 7, 198, 208) und daher nur zum Schutz überragender öffentlicher Interessen einschränkbar (zum Schutz privater Rechte, namentlich der persönlichen Ehre, gelten leicht andere Maßstäbe.) Die Abwägung ist dabei besonders sorgfältig vorzunehmen, schützt sich hier doch die Demokratie gegen die Ausübung einer ihrer eigenen rechtlichen Grundlagen, eben der freien Kommunikation. Ob diese Abwägung in Art. 9 Abs. 2 GG bereits hinreichend vorgezeichnet ist oder aber daneben eine eigenständige Verhältnismäßigkeitsprüfung angestellt werden muss, bedarf weiterer Klärung. Der Text des § 3 VereinsG orientiert sich nahezu wörtlich an Art. 9 Abs. 2 GG und ist ersichtlich auf diesen zugeschnitten.
Was besagt das über die Einschränkbarkeit der Vereinsmedien? Das BVerwG (NVwZ 1995, 595, 598; 1998, 174, 177) hat hierzu festgehalten, dass Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG zurücktreten müsse, wo und wenn die Presse in den Dienst der Verwirklichung verbotswidriger Vereinszwecke gestellt wird. Das ist gewiss richtig, wenn die maßgeblichen Presseinhalte den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder sich gegen den Völkerfrieden richten. Geht es um das daneben genannte Schutzgut der „verfassungsmäßigen Ordnung“, wird aber wohl weiter differenziert werden müssen: Immerhin ist auch scharfe Kritik an ihr grundrechtlich garantiert. Daher erscheint eine besondere Abwägung notwendig, die sich nicht allein auf das VereinsG stützen kann: Soweit Art. 5 Abs. 2 GG zusätzliche Anforderungen enthält, müssten sie gleichfalls einbezogen werden. Das ist zunächst eine Rechts- und dann eine Tatfrage des Einzelfalls. Und es bedarf gewiss noch juristischer Vertiefung.
Nur am Rande: Eine der Folgefragen betrifft Zuständigkeitsüberlegungen. Dem Bund steht die Gesetzgebungskompetenz für das Vereins-, nicht für das Presserecht zu. Zeitungsverbote durch Bundesbehörden können also am ehesten als Annexe zu Vereinsverboten ergehen. Selbstständige Betätigungsverbote, die sich allein auf Medien beziehen, dürften hingegen von der Bundeskompetenz nicht erfasst sein. Aber auch das bedarf noch vertiefter Diskussion.
In der Auseinandersetzung mit den Gegnern der Verfassung beweist und bewährt sich der demokratische Rechtsstaat. Auch dort, wo der Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zweifelsfrei festgestellt ist, sind die Voraussetzungen und Grenzen des Grundgesetzes selbst und der Gesetze zum Schutz der Verfassung einzuhalten. Wenig kann den Verfassungsschutz stärker delegitimieren als administrative Maßnahmen, welche rechtswidrig ergehen und später von den Gerichten beanstandet werden.
Sehr geehrter Herr Professor Gusy,
vielen Dank für den sehr lehrreichen Artikel zum “Vereinsverbot”.
Maßgeblicher Anknüpfungspunkt ist doch vor dem Hintergrund der Rspr. des BVerfG und der daraus folgenden gebundenen Entscheidung der Behörde mit Blick auf Art. 9 Abs. 2 GG (§ 3 VereinsG) der Anknüpfungspunkt für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung bzw. die Frage nach einem verfassungsrechtlichen Spielraum für eine solche mangels Ermessen.
M.E. liegt es gerade vor dem Hintergrund des fehlenden Ermessen der Behörde nahe (insb. im Falle der “verfassungsmäßigen Ordnung” als weiteste Alternative) die grundgesetzlichen Wertungen des Art. 5 GG als “schlechthin konstituierend” nicht auf der Rechtsfolgenseite sondern bereits als Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der “verfassungsmäßigen Ordnung” heranzuziehen. Es ließe sich insofern Formulieren: Ein Bestreben gegen die verfassungsmäßige Ordnung i.S.d. Art. 9 Abs. 2 GG liegt dann vor, wenn die Vereinigung “als solche nach außen eine kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber den elementaren Grundsätzen der Verfassung einnimmt” (BVerfGE 149, 160 (161)) und dabei unter Berücksichtigung der ihr gewährten grundrechtlichen Freiheiten nicht schützenswerte erscheint.
Hier ergäbe sich m.E. nach ein möglicher und im Einklang mit der Rspr. des BVerfG stehender Anknüpfungspunkt für eine Prüfung des Art. 5 I GG.
“Dem Bund steht die Gesetzgebungskompetenz für das Vereins-, nicht für da Presserecht zu.” Die Kompetenz für das Pressrecht ist also tatsächlich Ländersache? … (für mich) überraschend.
“Auch dort, wo der Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zweifelsfrei festgestellt ist, sind die Voraussetzungen und Grenzen des Grundgesetzes selbst und der Gesetze zum Schutz der Verfassung einzuhalten.” Das ist wohl richtig.
Aber wie stellt es sich dar, wenn die (ggf. ängstliche) Einhaltung dieser Grenzen und die Gesetze zum Schutz der Verfassung dazu beitragen, diese selbst – sozusagen durch die Hintertür- zu beseitigen? Der “Sturz des Systems” ist ein erklärtes Ziel der Protagonisten um das Magazin Compact und die Eliminierung der Pressefreiheit als Ziel ein wesentlicher Bestandteil der Öffentlichkeitsarbeit sowohl der parteinahen extremen Rechten, aber auch der AfD selbst. Dafür nutzen sie gerade die Werkzeuge, die ihnen das System bietet, das sie bekämpfen.
Die Kontextualität sollte in der letztendlichen Beurteilung des Verbots des BMI eine zentrale Rolle spielen: Das Bestreben die Pressefreiheit und damit einen unabhängigen Journalismus abzuschaffen, findet sich – nachgewiesen und ohne viel Mühe zu beobachten – in allen möglichen Äusserungen und Aktivitäten der Rechtsextremen, der AfD und AfD – nahen Akteuren wie Compact.
Das Gesamtkonzept der extremen Rechten und damit Compact besteht nachweislich aus Angriffen auf die Menschenwürde und damit zusammenhängend aller demokratischer Errungenschaften.
Abschliessend ein Zitat eines AfD- Abgeordneten, Miguel Klauß, einem
Tik-Tok – Aktivisten der AfD, das für sich spricht: „In zehn Jahren werden wir uns fragen: Brauche ich noch Journalisten? Brauche ich noch Pressemitteilungen?“ *
So ein Zitat spiegelt die absolute Sicherheit, unser demokratisches System zu instrumentalisieren und unter Inanspruchnahme der systemimmanenten, unbedingt schützenswerten Bedingungen außer Kraft zu setzen.
*Quelle: SZ, 11. Juli 2024, 13:12 Uhr, https://www.sueddeutsche.de/politik/afd-tiktok-migration-lux.YUzLDVJuaahUDCfg65pe7a?egy_cid=66910cf1a30e752933f81872
Streichung des früheren Religionsprivilegs aus § 2 Abs. 2 Nr. 3 VersG a. F.: Gemeint ist das VereinsG.