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07 March 2022

Die Schlangenbeschwörer

Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt

der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland

dein goldenes Haar Margarete

er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne

er pfeift seine Rüden herbei

er pfeift seine [Muslime] hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde

er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

Diese Zeilen aus Paul Celans Gedicht “Todesfuge” kamen mir in den Sinn, als ich zwei kürzlich auf der Website von Policy Exchange (hier und hier) veröffentlichte Papiere las. Policy Exchange ist ein konservativer Thinktank im Vereinigten Königreich, der auch das Judicial Power Project betreibt, das Publikationsmedium der beiden Hauptautoren John Finnis und Richard Ekins, Rechtswissenschaftler aus Oxford, die die politische Agenda der extremen Rechten in der Konservativen Partei im Vereinigten Königreich mit vorantreiben. Diese Agenda ähnelt im Großen und Ganzen derjenigen der von Trump dominierten Republikanischen Partei in den USA und der Fidesz-Partei von Orbàn: Sie ist feindselig gegenüber Geflüchteten und dem Völkerrecht, insbesondere internationalen Menschenrechtsregelungen. Gleichzeitig ist sie nostalgisch nach einer Vergangenheit, in der eine weiße, männliche und christliche Gruppe die Vorherrschaft hatte.

Finnis, Ekins und ihre Mitautoren argumentieren in diesen Dokumenten, dass das Vereinigte Königreich nach internationalem Recht nicht verpflichtet ist, Geflüchtete aufzunehmen, sondern vielmehr die Marine einsetzen sollte, um sie gewaltsam daran zu hindern, an Land zu gelangen, wo sie die rechtlichen Mechanismen in Gang setzen können, die darüber entscheiden, ob sie Anspruch auf den Geflüchtetenstatus haben. Die Argumente stimmen also mit ihren früheren Behauptungen im Bereich der Verfassungstheorie überein: dass es mit dem Völkerrecht vereinbar ist, wenn die Regierung ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen ignoriert, und dass die Richter zu weit gehen, wenn sie versuchen, die rechtlichen Verpflichtungen der Regierung sowohl nach nationalem als auch nach internationalem Recht durchzusetzen.

Ich hatte schon einmal auf Celans Bild vom Spiel mit den Schlangen angespielt, und zwar in der Einleitung zu meinem Buch Legality and Legitimacy: Carl Schmitt, Hans Kelsen und Hermann Heller in Weimar. In der späten Weimarer Zeit war Schmitt eng mit den rechtsgerichteten Aristokraten verbündet, die die letzten Bundeskabinette von Weimar dominierten. Sie waren zutiefst gegen die Nationalsozialisten eingestellt. Gleichzeitig wollten sie die Demokratie durch die Herrschaft einer machtvollen Exekutive ersetzen und der politischen Gemeinschaft ein starkes Gefühl nationaler, ethnischer und religiöser Identität zurückzugeben, um Deutschland aus dem pluralistischen, kosmopolitischen Strudel der Weimarer Zeit zu retten. Schmitt spielte eine wichtige Rolle bei ihrem erfolgreichen Versuch, Deutschlands erstes Experiment mit der liberalen Demokratie zu zerstören, indem er die “rechtlichen” Argumente lieferte, die ihnen Deckung für ihre politische Agenda gaben. Ich habe “rechtlich” in Anführungszeichen gesetzt, weil diese Argumente zutiefst unredlich waren. Sie boten das, was ein britischer Richter in einer Entscheidung in unserem Jahrhundert als “dünnen Mantel der Legalität” über der “Realität” der “exekutiven Entscheidungsfindung ohne Aussicht auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle” bezeichnete.1)

Die Anspielung auf Celan schien mir damals wie heute treffend, denn seine Zeilen können die faschistischen Intellektuellen wie Schmitt beschreiben, die mit Ideen spielten, die in den Händen der Politiker, die sie in die Tat umsetzten, tödlich wurden. Es gibt nur einen Unterschied, wie ich angedeutet habe, indem ich Celans “Juden” durch “Moslems” ersetzt habe. Es ändert sich das Gefühl dafür, wer der Inbegriff des fremden “Anderen” in unserer Mitte ist, die Vorhut der kommenden Horden, die “unsere Art zu leben” übernehmen wollen, indem sie sich in großem Umfang vermehren und noch mehr von außen einschleppen. Daher müssen wir in Erwägung ziehen, Maßnahmen gegen die bereits Anwesenden zu ergreifen, um ihren verderblichen und heimtückischen Einfluss einzudämmen, idealerweise Maßnahmen, die sie aus unserer Nähe verbannen und natürlich verhindern, dass in der Zwischenzeit noch mehr von ihnen eindringen (siehe diesen Aufsatz von Finnis).

Soweit ich weiß, kommt Schmitt in den Schriften der Juristen, die auf der Website des Judicial Power Project und in Policy Exchange veröffentlichen, überhaupt nicht vor. In der entsprechenden Gruppe in den USA spielt er jedoch eine große Rolle, insbesondere in den Arbeiten des Harvard-Rechtsprofessors Adrian Vermeule, der sowohl Schmitts politische Theorie als auch seine Rechtstheorie mit Inbrunst vertritt. Wie ich jedoch an anderer Stelle dargelegt habe, werden die Argumente von Finnis und Ekins von einer Schmitt’schen Logik angetrieben, die die Exekutive als “Hüterin der Verfassung” betrachtet, die ihrerseits im Wesentlichen als politisches Manifest konzipiert ist, das eine Vision der substantiellen Homogenität “des Volkes” der politischen Gemeinschaft verankert. Diese Argumente verleihen der Exekutive geradezu magische Kräfte, weshalb Tom Poole, ein prominenter Staatsrechtler, vor einiger Zeit vorschlug, dass das Judicial Power Project besser als “Executive Power Project” bezeichnet werden sollte.

Man braucht also nicht Schmitt selbst, um solche Argumente vorzubringen. Es sind die Argumente, die von der Gruppe vorgebracht werden, die ein Historiker der Weimarer Zeit als “reaktionäre Modernisten” bezeichnete, Intellektuelle, die die ihnen in der Moderne zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um gegen sie zu rebellieren und die Wiederherstellung einer Ära anzustreben, in der Herrscher mit göttlichem Recht über von “Anderen” noch nicht beschmutze Gebiete herrschten. Da sie ihre Argumente jedoch in einer Zeit vortragen müssen, in der Lippenbekenntnisse zu demokratischen Wahlen erforderlich sind, und da sie ihren Appell nicht nur an ihre eigene Gruppe richten können, wird das göttliche Recht auf eine starke Exekutive verlagert, von der sie hoffen, dass sie einige der Punkte auf ihrer Agenda durchsetzen und zumindest den Prozess der Aushöhlung der Rechte einleiten wird, die sie als zersetzend für eine soziale Solidarität ansehen, die den “Anderen” ausschließt.

Die Rückkehr des Politischen

Es ist jedoch keine Überraschung, dass Schmitt in einigen Ländern, insbesondere in den USA, eine große Rolle spielt. Dort hat sein Einfluss eine merkwürdige Entwicklung angenommen, die viel mit den Folgen von 9/11 zu tun hat. Vor den 1990er Jahren wurde Schmitt nicht als eigenständige Figur untersucht, außer von einer Handvoll Politikwissenschaftler und Historiker, die Schmitt in apologetischer Weise als aufschlussreichen Kritiker des Liberalismus behandelten. In den 1990er Jahren beteiligte ich mich an einer zweiten Welle der Forschung, in der grundsätzlich Einigkeit darüber herrschte, dass an Schmitts Kritik an der liberalen Demokratie etwas dran ist, wir aber sein Verständnis von Politik auch als zutiefst fehlerhaft entlarvten.

Der Grund für Schmitts Auftauchen aus der relativen Unbekanntheit und damit auch für die dritte Welle der Schmitt-Forschung ist das Hilfsmittel, das er darstellen mag, wenn es darum geht, die Politik der rechtlichen und politischen Situation in den USA nach dem 11. September zu verstehen. Insbesondere scheint Schmitt in der Lage zu sein, die Art und Weise zu erklären, in der außergewöhnliche Maßnahmen oder Notfallmaßnahmen in Instrumente des ordentlichen Rechts umgewandelt werden. Im Gegensatz zum klassischen oder römischen Modell der Notstandsbefugnisse, bei dem die Anwendung des ordentlichen Rechts vorübergehend ausgesetzt wird, um die Exekutive zu ermächtigen, außerhalb des Gesetzes zu handeln, werden die außergewöhnlichen Maßnahmen in die Rechtsordnung aufgenommen. Diese dritte Welle versuchte zu zeigen, dass es in der liberalen Demokratie Mittel gibt, um auf die Bedrohungen der Rechtsstaatlichkeit zu reagieren, die Schmitt als fatale Fehler in ihrer Theorie und ihrem institutionellen Aufbau diagnostiziert hatte.

Vermeule verkörpert die vierte Welle, die der ersten gleicht, mit dem Unterschied, dass sie sich nicht um Apologetik bemüht, sondern Schmitts apokalyptische Vision eines existenziellen Kampfes zwischen Freund und Feind mit voller Wucht wiederbelebt. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die Gelehrten der ersten Welle keine Juristen waren und daher kein Interesse daran hatten, ihre Politik in die Sprache des Rechts zu übersetzen. Schmitt selbst war in dieser Hinsicht notorisch schlecht. Sein wichtigster Versuch, ein Vortrag vor seinen deutschen Verfassungsjuristenkollegen im Jahr 1924, rief bei seinen Zuhörern aufgrund seiner Unfähigkeit, juristisch zu argumentieren, so viel Spott hervor, dass er solche Versuche danach generell vermied. Hier stellt sich etwas Interessantes dar.

Nehmen wir Vermeules neuestes Buch, Common Good Constitutionalism, eine Ausarbeitung des Arguments, für das ich ihn einst im Verfassungsblog kritisiert habe. Das Buch ist auf den ersten Blick rätselhaft, denn es kanalisiert größtenteils auf sophomorische Weise Ronald Dworkins Theorie des liberalen Konstitutionalismus, wonach Richter “schwierige Fälle” anhand der moralischen Prinzipien entscheiden müssen, die das bestehende Recht am besten rechtfertigen. Für Dworkin besteht die Auslegung aus der Interaktion zwischen zwei Dimensionen, der “Rechtfertigung” und der “Angemessenheit”, wobei letztere wichtig ist, weil Richter nicht moralische Urteile treffen sollten, die nicht mit dem relevanten Recht verbunden sind. Aber dann stellt sich heraus, dass Vermeules häufige Verweise auf die katholische Naturrechtstheorie in den Fußnoten hinter seiner Argumentation stehen, die darin besteht, dass Rechtfertigung nicht im Sinne von Übereinstimmung mit dem Gesetz zu verstehen ist, sondern mit einem Korpus von angeblich zeitlosen und universellen Prinzipien, die rechtsgerichtete Katholiken und Evangelikale in den USA beseelen. Auf diese Weise benutzt er Dworkin, um die politische Agenda der religiösen Rechten zu bereinigen.

Ironischerweise steht sein Weglassen der Dimension der Angemessenheit im Einklang mit seiner Kritik an der üblichen Auslegungsmethode der Rechten in den USA, den verschiedenen “originalistischen” Methoden, die sich dem liberalen Konstitutionalismus widersetzen, indem sie vorgeben, illiberale Inhalte zu finden, die im Gesetz zu einer bestimmten Zeit eingefroren wurden. Zumindest behaupten die Originalisten, das Recht ernst zu nehmen, auch wenn der einzige Unterschied zwischen ihnen und Vermeule darin besteht, dass sie die Grundsätze als zeitgebunden betrachten, wenn sie als Richter in ihren Entscheidungen sprechen, während Vermeule sie als zeitlos und somit als Grundsätze ansieht, auf die sich die Richter direkt berufen können.

Im Grunde geht es hier um Taktik, wie die Argumente in den beiden Dokumenten über die völkerrechtlichen Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs gegenüber Geflüchteten zeigen. Im ersten Dokument stützen sich die Autoren auf ein Argument, das der britischen Rechtskultur fremd ist, nämlich dass die ursprüngliche Bedeutung des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung von Geflüchteten und des dazugehörigen Protokolls von 1967 darin besteht, dass das Vereinigte Königreich nach internationalem Recht nicht zur Aufnahme von Geflüchteten verpflichtet ist. Dieses Argument bildet dann die Grundlage für das zweite Dokument, das den Einsatz von Waffengewalt rechtfertigt, um Personen an der Einreise ins Vereinigten Königreich zu hindern, wo sie nach geltendem Recht berechtigt wären, eben die Rechte geltend zu machen, von denen die Anwälte im ersten Dokument behaupten, dass sie die Geflüchteten nicht haben.

In gewisser Weise spielt es keine Rolle, dass diese zynische und grausame Argumentation der Rechtslehre zuwiderläuft, denn ihr Hauptzweck scheint darin zu bestehen, zwei Oxforder Rechtsprofessoren für Punkte zu legitimieren, die bereits auf der Tagesordnung der konservativen Regierung stehen. Dies ist kein neues Phänomen, obwohl es im Widerspruch zum Inhalt ihrer früheren Position steht. In der Vergangenheit haben sie nämlich nicht behauptet, dass internationale Juristen sich über den Inhalt des Völkerrechts irren, sondern dass es, sofern diese Juristen Recht haben, mit der Rechtsstaatlichkeit vereinbar ist, den Inhalt des Völkerrechts zu ignorieren, weil es “fehlerhaftes Recht” ist.

Von den fünf ausführlichen Anmerkungen, die Vermeules Common Sense Constitutionalism zieren, enthält eine Erkenntnis. Sohrab Ahmari, selbst ein prominenter Ideologe der extremen Rechten in den USA, sagt, das Buch sei ein “sofortiger Klassiker der Wissenschaft”, der “uns auf eine bessere Alternative hinweist – eine, die ebenso lebendig und radikal ist wie die westliche Tradition”. Ahmari weist hier auf die eigentliche Botschaft von Vermeule und seinen Mitstreitern jenseits des Atlantiks hin. Als reaktionäre Modernisten lehnen sie sich gegen das säkulare Projekt der westlichen Aufklärungstradition auf und nutzen dabei die Werkzeuge, die ihnen diese Tradition zur Verfügung stellt.

Während russische Panzer in die Ukraine rollen, sollten wir uns vor diesen “Träumern des Absoluten” in unserer Mitte in Acht nehmen. Sie verehren die Exekutive, weil nur eine starke Exekutive in der Lage ist, die kosmopolitischen und menschenrechtlichen Errungenschaften der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zurückzudrehen. Diese Verehrung hängt jedoch davon ab, dass an der Spitze der Exekutive eine Person steht, die zumindest die wichtigsten Grundsätze ihrer Version des “Gemeinwohls” teilt. Dies erfordert nicht nur die Befreiung der Exekutive von den Zwängen der Rechtsstaatlichkeit, sowohl international als auch innerhalb des Nationalstaates. Es erfordert auch, dass die Demokratie ausgehöhlt wird, um sicherzustellen, dass bei regelmäßigen Wahlen die richtige Person an die Macht kommt.

Bei diesem Text handelt es sich um eine Übersetzung des Beitrags “The Snake Charmers” durch Felix Kröner.

References

References
1 Sullivan J. in einer Entscheidung über die Überprüfung von “control orders”: Re MB [2006] EWHC 1000 (Admin) [2006] H.R.L.R. 29 (2006) 150, Rn. 103.