Pause machen
Mooooment. Halt mal, halt mal, halt mal. Stop, Schluss, immer mit der Ruhe. Jetzt mal langsam mit die jungen Pferde. Nur nicht hudeln. So schnell schießen die Preußen nicht.
Das Bundesverfassungsgericht, genauer: sein Zweiter Senat, noch genauer: fünf der acht Richter*innen des Zweiten Senats haben dem Bundestag verboten, in dieser Woche das seit Monaten so heftig umkämpfte Heizungsgesetz zu verabschieden. Geklagt hatte der CDU-Abgeordnete Heilmann, der sein Recht aus Art. 38 GG verletzt sieht, an der parlamentarischen Willensbildung über dieses Gesetz gleichberechtigt teilzunehmen. Das Hopplahopp-Verfahren, in dem die Ampelkoalition dieses Gesetz durchs Parlament noch vor der Sommerpause durchs Parlament zu bringen trachtet, beraube ihn der Möglichkeit, sich gründlich zu informieren, was da eigentlich genau zur Abstimmung steht. 94 Seiten hat die Synopse des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, und noch mal 14 Seiten die Begründung. Am Dienstag kommt der eigentliche Änderungsantrag, und am Freitag soll das Gesetz schon durch die zweite und dritte Lesung. Nein, nein, nein. Das geht ja alles viel zu schnell. Um sein Mandat gewissenhaft auszuüben, braucht der Abgeordnete Heilmann mindestens 14 Tage Zeit. Zum Nachdenken. Lesen. Erwägen. Kopf klar kriegen. Er will ja schließlich das Richtige tun als seinem Gewissen verpflichteter Mandatsträger und Vertreter des ganzen Volkes. Nicht dass er das nachher bereut, wie er da abgestimmt hat. Das würde er sich nie verzeihen, wenn er da jetzt dagegen stimmt, obwohl das doch eigentlich gar nicht so unvernünftig ist. Oder umgekehrt.
Verlangt das Recht auf Bedächtigkeit des einzelnen Abgeordneten Heilmann gegen den ganzen Bundestag hier mehr Beratungszeit? Hm, sagt der Zweite Senat in Karlsruhe. Kann sein. Kann aber auch nicht sein. Das will gründlich erwogen sein. Vielleicht verlangt es das? Dann würde der arme Abgeordnete Heilmann womöglich ohne guten Grund um sein Recht gebracht, wenn er trotzdem am Freitag schon abstimmen muss. Vielleicht verlangt es das nicht? Dann müsste, wenn der Abgeordnete Heilmann seinen Willen bekommt, der Bundestag als Verfassungsorgan einen erheblichen Eingriff in seine Autonomie hinnehmen, dessen Auswirkungen er aber selbst in Grenzen halten könnte, indem er noch im Lauf des Juli eine Sondersitzung anberaumt. Was wäre schlimmer?
Ersteres. Also erst mal stopp. Erst mal Pause. Die Abstimmung am Freitag, die machen wir jetzt erst mal nicht. So kann der Abgeordnete Heilmann sich ganz in Ruhe den Kopf darüber zerbrechen, wie gelungen er das Heizungsgesetz der Ampelkoalition denn nun findet, und der Zweite Senat kann ganz in Ruhe darüber nachdenken, welche Bindungen sich nun genau aus dem Grundsatz der gleichberechtigten Teilhabe der Abgeordneten an der parlamentarischen Willensbildung für die Ausgestaltung von Gesetzgebungsverfahren ergeben, und alle miteinander gehen wir zwar ohne verabschiedetes Heizungsgesetz, aber dafür mit der Kraft, die in der Ruhe liegt, in die ohnehin vor uns liegende Sommerpause.
Eine Pause. Brauchen wir die nicht alle? Da wirst du ja im Kopf verrückt, was da draußen alles los ist schon wieder. Der heißeste jemals gemessene Tag war neulich, haben wir irgendwo gelesen, und dabei hat der richtige Hochsommer noch gar nicht begonnen. Man müsste dringend etwas tun, aber je dringlicher das wird, desto schwieriger wird es, politisch überhaupt handlungsfähig zu bleiben. In Deutschland regiert eine Dreiparteienkoalition, für sich genommen schon neu und ungewohnt, von denen zwei eigentlich politische Gegner sind und die dritte immer mehr zu einem Apparat des organisierten In-Ruhe-Gelassen-Werden-Wollens verkieselt. Die das Schwinden der verbleibenden Zeit als Schwinden der eigenen Zukunft spüren, werden darüber immer verzweifelter, machen um so mehr Stress und Lärm und Aufregung, und die in ihrem Ruhe- und Sicherheitsbedürfnis Gestörten reagieren um so gereizter, ressentimentgeladener und extremer, und so steht, in diesem Sommer 2023, die AfD mittlerweile bei 20 Prozent.
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Was das Heizungsgesetz betrifft, so ist nicht leicht zu sagen, wofür die Intervention aus Karlsruhe eigentlich gut sein soll. Die Ampel hatte, wahrhaftig mühsam und langwierig genug, eine Mehrheit organisiert für das Gesetz. Der Abgeordnete Heilmann gehört dieser Mehrheit nicht an, sondern der überstimmten Minderheit. Das ist nicht undemokratisch, sondern das exakte Gegenteil. Dass der Abgeordnete Heilmann durch das Verfahren in einer Weise an der Ausfüllung seiner Oppositionsrolle gehindert wurde, die die Funktionsbedingungen der parlamentarischen Demokratie gefährdet, erschließt sich mir nicht ohne weiteres. Ohnehin hat die Koalition klar gemacht, dass sie im September das Gesetz genau so verabschieden wird, wie sie es jetzt am Freitag verabschiedet hätte. Damit Klarheit herrscht, was ab 1. Januar 2024 nun gelten soll in den Heizungskellern der Republik. Damit wir jetzt zur Ruhe kommen können. Damit dieses Thema uns nicht auch noch den Sommer verdirbt.
Aber vielleicht geht es hier gar nicht nur um das Heizungsgesetz? Wovor der Zweite Senat die überstimmte Minderheit im Bundestag bewahren will, ist eine “rechtsmissbräuchliche Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens”. Missbräuchlich: ich bin sehr gespannt, was der Senat aus diesem Begriff noch machen wird. Zu den Kennzeichen autoritär-populistischer Verfassungspolitik gehört etwas, das ich in Anlehnung an Roman Guski den Missbrauch einer demokratiebeherrschenden Stellung nennen würde: Man macht von seinem demokratisch legitimierten Recht, politische Macht auszuüben, auf eine selbstwidersprüchliche Weise Gebrauch, indem man sie einsetzt, sich gegen rechtsstaatliche Kontrolle und demokratischen Wettbewerb zu immunisieren und so die Legitimationsgrundlage der eigenen Macht durchzustreichen. Das als rechtswidrigen Gebrauch von Recht zu markieren und zu verbieten, halte ich für extrem wichtig in diesen dunklen Zeiten. Ist es das, was der Senat im Auge hat mit diesem Verfahren? Es wäre ja nicht das erste Mal, dass er einen geeigneten anhängigen Fall dazu nutzt, im Maßstäbeteil auszuführen, was er im Ergebnis dann gar nicht unbedingt für gegeben hält. Wenn er das hier im Sinne einer robusten Theorie des Verfassungsmissbrauchs täte, dann wäre mir das die verzögerte Verabschiedung des Heizungsgesetzes dreimal wert.
Und ganz abgesehen davon verdient dieser Karlsruher Eilbeschluss schon deshalb meine Zustimmung, weil wir ja in der Tat jetzt alle mal eine Pause brauchen. Have a break, have a Kit-Kat. Wir kommen jetzt mal runter, fahren an den Badesee, legen uns mit einem kühlen Drink und einem guten Buch in die Hängematte. Man kann nicht immer rödeln, man kann nicht immer streiten. Wir machen Pause. So viel Zeit muss sein.
Wir sehen uns Ende August oder Anfang September!1)
Die Woche auf dem Verfassungsblog
… zusammengefasst von PAULA SCHMIETA:
Welche Reformen sind notwendig, um die – zunehmend heterogene und womöglich fragile – EU auf eine Erweiterung vorzubereiten? CHRISTIAN CALLIESS plädiert dafür, konstruktive Lösungen zu entwickeln, anstatt Probleme zu beschönigen. Er fängt direkt damit an, indem er einige Reformvorschläge formuliert.
Die EU-Kommission arbeitet an einem europäischen Rahmen für die Such- und Rettungsmissionen im Mittelmeer. Laut MARLENE STILLER besteht die Gefahr, dass der Rahmen – der angeblich die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und anderen Akteuren verbessern soll – die zivilen Such- und Rettungstätigkeiten tatsächlich durch einen hohen Verwaltungsaufwand erschwert.
Das Gericht der EU hat die Rechtssache René Repasi/Europäische Kommission abgewiesen, da Repasi, Mitglied des Europäischen Parlaments (MdEP), keine Klagebefugnis besessen habe. PIELPA OLLIKAINEN untersucht die Argumente für und gegen eine besondere Klagebefugnis von MdEPs und die Auswirkungen, die eine solche Befugnis auf die interinstitutionellen (Un-)Gleichgewichte hätte.
Diese Woche hat der EuGH in der Rechtssache Meta Platforms/Bundeskartellamt entschieden, dass Wettbewerbsbehörden bei der Beurteilung einer marktbeherrschenden Stellung die Datenschutz-Grundverordnung berücksichtigen dürfen, um die Auswirkungen auf den Wettbewerb und die Verbraucher zu bestimmen. HANNAH RUSCHEMEIER begrüßt diese Entscheidung und ordnet sie aus datenschutzrechtlicher Sicht ein.
Wäre die Regulierung des Cyberspace durch liberal-demokratische Werte von Vorteil? LEONID SIROTA argumentiert, dass es zwar hilfreich sei, über die Regulierung des Internets in verfassungsrechtlichen Begriffen nachzudenken, dass wir aber versuchen sollten, die derzeitige Verfasstheit des Cyberspace zu verstehen, anstatt uns dem klassischen Konstitutionalismus zuzuwenden.
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Für das neue Forschungsprojekt „Staatliche Eingriffe in private Endgeräte zur Strafverfolgung“ sucht das Bayerische Forschungsinstitut für Digitale Transformation in München wissenschaftliche Mitarbeitende (Predoc/Postdoc, TV-L E 13, Voll-/Teilzeit, Bewerbung bis 23.07.). Das Projekt untersucht in einem interdisziplinären Team über drei Jahre den Umgang mit Schwachstellen, Notwendigkeit des Zugriffs auf das Endgerät, Regulierung von Mitwirkungspflichten und technische Realisierungsmöglichkeiten.
Weitere Informationen finden Sie hier.
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TIL LEICHSENRING kommentiert das Urteil des EuGH zum polnischen Maulkorbgesetz. Er argumentiert, dass das Urteil einen vielversprechenden ersten Schritt als Reaktion auf das gegen die Justiz gerichtete “erweiterte Disziplinarsystem” der polnischen Regierung darstellt.
Die Zerstörung des Kakhova-Staudamms in der Ukraine verstößt möglicherweise gegen Verbote aus mehreren Bereichen des Völkerrechts. Welches Recht soll also gelten? Das vorgeschlagene internationale Verbrechen des Ökozids hier Abhilfe schaffen, da es verschiedene Bereiche des internationalen Rechts in einem System der lex parallelis zusammenführt, sagt MATTHEW GILLETT.
Vor einer Woche entschied der Oberste Gerichtshof der USA in der Rechtssache Biden v Nebraska, dass die Exekutive – gemäß der “Major Question Doctrine” – nicht befugt ist, die Rückzahlung von Studienkrediten zu regeln. MARK BUSE erklärt, wie die sechs konservativen Richter*innen die Major-Question-Doktrin als “Allzweckwaffe” einsetzen, um die Macht des Verwaltungsstaates zu beschneiden.
Ebenfalls vor einer Woche hat das brasilianische Oberste Wahlgericht den Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro von der Kandidatur für ein Wahlamt in den nächsten acht Jahren ausgeschlossen. EMILIO PELUSO NEDER MEYER & THOMAS BUSTAMANTE analysieren den Fall und betonen, dass das Urteil keine juristische Neuerung, sondern die Anwendung bestehender Gesetze sei.
Der kenianische Präsident hat einen herben Rückschlag erlitten, da das Oberste Gericht entschied, dass der Präsident bei der Ernennung von 50 Staatssekretär*innen – gegen die sich die Öffentlichkeit in einem Beteiligungsverfahren ausgesprochen hatte – seine Befugnisse überschritten hat. JOSHUA MALIDZO NYAWA zufolge belegt dies den Wandel vom symbolischen zum wirklichen Konstitutionalismus.
In Australien kann der Minister für Einwanderung unter Berufung auf das “öffentliche Interesse” in Visumentscheidungen eingreifen. MARIA O’SULLIVAN analysiert die jüngsten High-Court-Urteile zu diesem Thema (Davies und ENT), bleibt aber besorgt, dass diese weitreichenden Ermessensspielräume nicht mit grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbar sein könnten.
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Das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht lädt in Kooperation mit der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart zu der Vortragsreihe „Ukraine?!- Völkerrecht am Ende?” ein. Am 12.07.2023, 18h, spricht Dr. Raphael Schäfer zum Thema „Grenzland. Die Ukraine in der Geschichte des europäischen Völkerrechts”.
Informationen zum Programm und zur Teilnahme in der WLB finden Sie hier.
Dies ist der Link zur Online-Teilnahme.
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Die kürzlich vorgestellte Nationale Sicherheitsstrategie bezieht sich immer wieder auf die „freie internationale Ordnung“. STEFAN TALMON erklärt wo der Begriff seinen Ursprung hat und wie er als Kampfbegriff gegen China als „systemischen Rivalen“ eingesetzt wird.
Trotz der notwendigen qualifizierten Minderheit konnte sich die Unionsfraktion mit ihrer Forderung, zu den cum-ex-Geschäften und der Rolle von Kanzler Olaf Scholz darin einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, nicht durchsetzen. Das gab es noch nie, aber die Argumente der Ampelfraktionen gegen den Einsetzungsantrag seien nicht überzeugend, so PAUL J. GLAUBEN.
In einem kürzlich veröffentlichten Urteil des BVerwG übertrug das Gericht EuGH-Rechtsprechung als „Erfahrungssatz“ in den deutschen Kontext, um so empirischen und prognostischen Unsicherheiten in Asylverfahren zu begegnen. Dabei habe es allerdings verpasst diesen „Erfahrungssatz“ weiter zu konkretisieren kritisiert VALENTIN FENEBERG.
Die durch den Berliner Senat in der Sache „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ eingesetzte Expert*innenkommission befand das Vorhaben für verfassungskonform. ANNA-KATHARINA KÖNIG & SOPHIE OERKE erörtern den innovativen Kompromiss der Kommission, der eine Brücke zwischen den bisher unversöhnlichen Rechtsverständnissen des Art. 15 GG schlage. Außerdem kommentieren GEORG FREIß & TIMO LAVEN das durch die schwarz-rote Regierung angekündigte “Vergesellschaftungsrahmengesetz“ – womöglich ein Verzögerungsmaßnahme. Auch DANIEL HAEFKE sieht eine Verschleppungstaktik des Senats, welche auch durch die verfassungspolitische Argumentation der Expert*innenkommission ermöglicht werde.
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Soweit für diese Woche. Ihnen alles Gute und einen tollen Sommer und wir sehen uns, hoffentlich erfrischt und erholt, in ein paar Wochen wieder!
Ihr
Max Steinbeis
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References
↑1 | Der Blogbetrieb läuft natürlich genauso weiter wie das Thüringen-Projekt. Wir haben viel zu wenig Zeit, es hilft ja nichts. |
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“Verfassungsmissbrauch” ist ein Schritt zurück in dunkle Zeiten von Carl Schmitt und Herbert Krüger, die nicht so Recht an die Sinnhaftigkeit von Parlamentarismus geglaubt haben, weil dieser den “Volkswillen” nicht abbilde – will man den wirklich gehen?
nein, ist es nicht. Das ist ja der Witz an dem an Guski und Luhmann orientierten Missbrauchsbegriff, dass man keine materielle Abgrenzung zwischen “echt” und “missbräuchlich” braucht, sondern den Missbrauch an seiner eigenen Selbstexemption festmacht.
Ich halte von der Systemtheorie viel als Theorie der Gesellschaft aber sehr wenig als Theorie der Rechtsdogmatik. Vor 20 Jahren erschien in der JZ ein Aufsatz mit dem Titel “Die systemtheoretische Eisenbahn”, Autor des prägnanten Titels ist mir leider entfallen, der sich mit Recht über eine systemtheoretische Interpretation aus dem AKGG amüsiert, die befreit aus dem systemtheoretischen Jargon im Grunde nichts anderes aussagt, als dass man sich bei der Interpretation der Verfassungsstelle an die historische Entwicklung des Eisenbahnwesens orientieren müsse.
Deswegen verlieren sich auch diese Ansätze, trotz ihrer Loslösung von materiellen, moralisierenden Argumenten, auf einer merkwürdigen Zwischenebene, die einerseits Rechtdsogmatik als Hermeneutik, andererseits Rechtssoziologie als Sozialwissenschaft betreiben will. Paradox wird es eben erst, wenn man diese Ebenen miteinander vermischt, was Luhmann selbst als relativ sattelfester Rechtspositivist in Methodenfragen der Rechtsauslegung in seinen rechtssoziologischen Schriften nie tut und sich deswegen dem Gebrauch der Theorie als hermeneutisches Werkzeug versperrt hat.
Der herkömmliche Methodenkasten reicht für “paradox” wirkende Fälle völlig aus. Man schaue sich beispielsweise nur die “Sperrgrundstück”-Fälle an, in denen auch der Rechtsmissbrauch diskutiert und angenommen wird. Dabei könnte man sich vor dem Rausholen dieser Keule schon fragen, ob jemand tatsächlich in seinem Eigentumsrecht beeinträchtigt ist, wenn er ein Grundstück an einer Umweltgefährdeten Zone erwirbt. Wenn es seine Intention war, ein umweltgefährdetes Grundstück zu kaufen (was ja der Fall ist), fehlt es ja bereits an einer Rechtsverletzung ihm gegenüber, wenn eine Umweltgefährdung eintritt, weil das Grundstück bestimmungsgemäß benutzt wird.
Worin genau soll denn im demokratischen Majoritätsverfahren eine Paradoxie liegen, wenn es die Mehrheit der Minderheit schwer macht? – sie wäre dumm, täte sie es nicht. Nach der nächsten Wahl wird ohnehin mit neuen Karten gemischt und die neue Majorität kann aus der alten Minderheit bestehen. Paradox finde ich daran nix, verfassungsmissbräuchlich auch nicht.
Vorschlag: Sie werfen mal einen Blick in den von mir verlinkten Artikel und in die Habil von Roman Guski, dann haben wir eine Grundlage, worüber wir reden.
Warum nehmen sie an, ich hätte es nicht gelesen? Ich habe mir die Arbeit tatsächlich mal durchgelesen und meine Punkte stehen immer noch – es wird keine klare Trennung durchgezogen zwischen Dogmatik und Rechtssoziologie, was das Konzept im Grunde für beide Kategorien wenig brauchbar macht.
Guskis Arbeit tanzt insbesondere ein bisschen um den Aspekt herum, warum denn genau es sich dabei aus dogmatischer Perspektive nicht um eine teleologische Reduktion handeln solle.
Wie gesagt – Systemtheorie ist toll aber hat wenig mit Dogmatik zu tun, was auch ihr Vater einsah.
“Der Abgeordnete Heilmann gehört dieser Mehrheit nicht an, sondern der überstimmten Minderheit.”
Ist denn das mit Sicherheit so? Der Abgeordnete hat doch betont, er sei je nach Ausgestaltung durchaus für eine Zustimmung zum Gesetz zu haben…
Have a break, have a warning.
So überraschend kommt die aus Karlsruhe verordnete Zwangspause nicht. Schon im Urteil zu Parteienfinanzierung am 24 Januar 2023 diskutiert das Gericht ab Randnummer 90, ob das Gesetzgebungsverfahren nicht mit unnötiger Eile ablief und das Gesetz verfassungsgemäß zustande gekommen ist. Letztlich ohne Ergebnis, weil die Gesetzesvorschrift selbst schon verfassungswidrig war, aber ein paar offene Fragen wurden aufgeworfen und warteten auf eine Gelegenheit zur Beantwortung.
Hatten alle Abgeordneten ausreichend Zeit die Informationen nicht nur zu erlangen, sondern diese auch verarbeiten zu können?
Bei Gesetzentwürfen, die deutlich anders als in der ersten Lesung Mittwochabend aus dem Ausschuss kommen um dann Freitags abgestimmt zu werden, kann man daran den ein oder andern Zweifel haben. Insbesondere dann, wenn man auch die Analyse einer interessierten Öffentlichkeit als Teil dieser Informationsverarbeitung sieht.
Das Gericht nimmt sich nun die Zeit diese Fragen zu beantworten, ohne dies direkt an einem im Eiltempo durch den Bundestag gejagten Gesetz machen zu müssen.
Der Satz “Nicht dass er [Heilmann] das nachher bereut, wie er da abgestimmt hat” verkennt die Substanz des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes. Es geht nämlich nicht um das bloße Abstimmen. Und es geht (inhaltlich) auch nicht um ganz spezifischen Ansichten von Herrn Heilmann, auch wenn das im Artikel immer wieder betont wird. Beides wird in der folgenden Passage sehr deutlich:
“Den Abgeordneten steht nicht nur das Recht zu, im Deutschen Bundestag abzustimmen, sondern auch das Recht zu beraten. Dies setzt eine hinreichende Information über den Beratungsgegenstand voraus. Die Abgeordneten müssen dabei Informationen nicht nur erlangen, sondern diese auch verarbeiten können”.
Wie man sieht, hebt das BVerfG hier nicht auf den Herrn Heilman, ja noch nicht einmal auf die Abgeordneten der Parlamentsminderheit ab, sondern auf alle Abgeordneten. Alle müssen die 100+x Seiten studieren.
Die Frage, wozu die Intervention aus Karlsruhe eigentlich gut sein soll und was mit dem Rechtsmissbrauch überhaupt gemeint ist, beantworten die folgenden Ausführungen:
“Auch wenn der Parlamentsmehrheit bei der Gestaltung der Verfahrungsabläufe ein verfassungsrechtlich garantierter weiter Gestaltungsspielraum zukommt und bei dem dargestellten Geschehensablauf die Fristen, die die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages für die zweite Beratung eines Gesetzentwurfs vorsieht (§ 81 Abs. 1 Satz 2 GO-BT), gewahrt worden sein dürften, bedarf es näherer, im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht leistbarer Prüfung, ob die Beteiligungsrechte des Antragstellers vorliegend ohne ausreichenden sachlichen Grund in substantiellem Umfang beeinträchtigt wurden und sich die durch die Parlamentsmehrheit gewählte Verfahrensgestaltung als eine rechtsmissbräuchliche Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens darstellt”.
Im Klartext: der Ermessensspielraum der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages wurde wohl mit Ach und Krach gewahrt, so dass formal kein Verstoß vorliegt. Der Geist des Gesetzgebungsverfahrens wurde aber verletzt, indem die Möglichkeit eines “Schnellverfahrens”, die für dringende, unaufschiebbare Gesetze offen gehalten wurde, missbräuchlich und ohne sachlichen Grund auf einen Sachverhalt angewendet wurde, der überhaupt keinen Eilbedarf hat, denn die Notwendigkeit der CO2-Reduzierung ist seit Jahren bekannt.
Offensichtlich, und da gebe ich dem Artikel Recht “damit dieses Thema uns nicht auch noch den Sommer verdirbt”, vor allem aber wohl, damit es bei den anstehenden Wahlkämpfe schon vergessen ist.
na – die Opposition hat ja wohl auch nicht Verfassungsbeschwerde eingelegt, weil es komplett gegen das Gesetz wäre: nein, sie wollte anscheinend das hochgekochte Thema auf jeden Fall bis zu den nächsten Wahlkämpfen offen halten…
Zum BVerfG: ja, die rechtsmissbräulichen Möglichkeiten großer Mehrheiten – “demokratiebeherrschende” – sollten wirklich Thema werden und sein. und ja, eine (kurze) Mindestzeit für Beratungen wäre vielleicht gar nicht schlecht.
Aber dann hätte das BVerfG am besten gleich “sagen” sollen, dass es eine Verfassungsänderung vorschlägt – und nicht Tor und Tür öffnen für schwammige Regelungen, die dann tatsächlich wie Steinbeis befürchtet, dazu führen könnten, dass jedes Gesetz erstmal schwebend unwirksam ist bis das BVerfG festgestellt hat, dass die Zeit für den individuellen Fall ausreichend war….
eine ganz andere Frage:
ist die Sommerpause des Parlaments eigentlich gesetzlich festgelegt?
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