Policing the Police
Das Smartphone als Werkzeug zur rechtsstaatlichen Kontrolle der Polizei?
„Ihren Namen und Ausweis brauche ich gleich. Sie haben das gesprochene Wort mit aufgenommen. Das ist nicht öffentlich,“ sagt ein Polizeibeamter zu einer Passantin. Diese filmt gerade eine Auseinandersetzung zwischen zwei Beamten und drei jungen Menschen am Münchener Hauptbahnhof. Kurz darauf bekommt die angesprochene Passantin einen Strafbefehl: Sie habe sich gemäß § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes strafbar gemacht. Das Verfahren landet schließlich vor dem Amtsgericht (AG) München, das am 24. Oktober über den Fall entschied. Das AG sprach die Passantin frei. Der Freispruch sendet ein richtiges Signal an die Zivilgesellschaft. Denn Bürger*innen wie Journalist*innen filmen häufig Polizeieinsätze. Dies geschieht meist zur Dokumentation, Beweissicherung und um eine nachträgliche Kontrolle des polizeilichen Handelns zu ermöglichen. Der Fall vor dem Münchener AG stellt daher keine Ausnahmesituation dar, sondern steht exemplarisch für die immer wieder vorkommende Situation, in der Menschen, die Polizeieinsätze filmen, dafür strafrechtlich verfolgt werden.
Das Herstellen von Bildaufnahmen ist zwar grundsätzlich straffrei. Bezüglich der Tonaufnahme ist die Rechtslage jedoch uneindeutig.
Polizeibeamt*innen untersagen regelmäßig das Filmen, fordern die Filmenden zum Löschen der Aufnahmen auf, beschlagnahmen Smartphones, wenden Gewalt gegen Filmende an oder kündigen Strafverfolgung an. Diese in vielen Fällen rechtswidrigen Maßnahmen werden meist mit einer Verletzung des § 201 StGB begründet. Diese Praxis stellt ein großes Problem für die rechtsstaatliche Kontrolle der Polizei dar und hat einen einschüchternden Effekt auf Filmende. Obwohl diese Praxis alltäglich ist, kommt es nur selten zu einer gerichtlichen Überprüfung. Dies mag daran liegen, dass es selten zu Anklagen auf Grundlage des § 201 StGB kommt, Strafbefehle mit geringen Strafen von den Betroffenen akzeptiert werden oder sich die Beschlagnahme durch die Herausgabe der Smartphones erledigt. Aus rechtsstaatlicher Perspektive wünschenswert wäre eine höherinstanzliche Entscheidung, um die derzeitige Rechtsunsicherheit zu beenden. Dabei sollten die Grundrechte und demokratischen Grundsätze Beachtung finden und das Erstellen von Tonaufnahmen von Polizeieinsätzen grundsätzlich für straffrei erklärt werden. In dem Münchener Fall ist die Staatsanwaltschaft nicht in Berufung gegangen und so wird es auch diesmal keine Möglichkeit für eine höherinstanzliche Klärung geben.
Die „faktische Öffentlichkeit“ als ungenaues Merkmal des § 201 StGB
Rechtliche Grundlage für Beschlagnahme von Smartphones und strafrechtliche Verfolgung, wenn Menschen Polizeihandeln filmen, ist in der Regel § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Demnach ist es strafbar, das nicht öffentlich gesprochene Wort unbefugt auf einen Tonträger aufzunehmen. Liegt jedoch ein unüberschaubarer Zuhörerkreis vor, wie inmitten einer Versammlung oder eines belebten Bahnhofsgebäudes, ist das Wort nicht mehr „nicht öffentlich“. Dann besteht eine sog. „faktische Öffentlichkeit“ und die Tonaufnahme ist damit zulässig.
Auch in dem Fall in München nahm das Gericht eine „faktische Öffentlichkeit“ an. Denn auf Überwachungsvideos war gut zu erkennen, wie Passant*innen vorbeiliefen, ihre Köpfe zum Geschehen drehten oder kurz stehen blieben. Die Richterin konnte daher nicht ausschließen, „dass es Mithörmöglichkeiten für andere Personen gab“ (mündliche Urteilsbegründung). Bereits bei einer bloßen Mithörmöglichkeit kann der*die Sprechende nicht mehr darauf vertrauen, dass es sich um eine rein private, und damit strafrechtlich geschützte, Kommunikation handelt. Der Münchener Fall illustriert, wie sehr es mitunter vom Zufall abhängen kann, ob ein Wort strafrechtlich als „nicht öffentlich“ gilt. In der Verhandlung ging es etwa um folgende Fragen: Wie laut haben die Beamten gesprochen? Wie viele Meter entfernt liefen die Passant*innen an dem Geschehen vorbei? Hätten Passant*innen die Äußerungen hören können? Die Staatsanwältin argumentierte, die Beamten hätten „bewusst zurückgezogen an einem Ort“ mit wenig Menschen gehandelt. Sie hätten „acht Meter weg und sichtmäßig abgeschirmt“ gestanden, sodass sie davon ausgehen durften, dass die Maßnahme „in diesem geschützten Zuhörerkreis bleibt“ (Schlussvortrag der Staatsanwältin).
Dabei ist fraglich, wie ein*e normale*r Bürger*in Faktoren wie die Lautstärke der Worte, die „Abgeschirmtheit“ der Polizeimaßnahme und die Anzahl und Entfernung möglicher Zuhörer*innen im Moment des Filmens abschätzen kann. Soweit die Aufnahme dazu dienen soll, polizeiliches Fehlverhalten zu dokumentieren, ist zudem problematisch, dass die Beamt*innen, anders als die filmende Person, Einfluss darauf nehmen können, ob die Situation „abgeschirmt“ ist und Filmende sich daher strafbar machen. In dem Münchener Fall schilderte die Angeklagte, sie habe sich spontan entschieden, die Situation, deren Zeugin sie zufällig wurde, zu filmen. Wie in vielen ähnlichen Fällen, stand das Beweissicherungsinteresse im Vordergrund und die filmende Person hatte weder das juristische noch das tatsächliche Wissen, das Vorliegen einer „faktischen Öffentlichkeit“ zu prüfen. Dies ist problematisch, da sich nach dem Bestimmtheitsgrundsatz aus Strafnormen klar ergeben muss, welches Verhalten strafbar ist und welches nicht. Zu Recht wird daher kritisiert, dass das Merkmal der „faktischen Öffentlichkeit“ für Rechtsunsicherheit sorgt.
Die (Nicht-)Anwendbarkeit des § 201 StGB auf polizeiliche Maßnahmen
Aus rechtsstaatlicher Sicht stellt sich auch ganz grundlegend die Frage, ob polizeiliche Äußerungen über die Androhung von Zwang, die Durchführung einer Durchsuchung oder einer Identitätskontrolle überhaupt als „nicht öffentlich“ im Sinne des § 201 StGB gewertet werden sollten. So vertrat auch in dem Münchener Fall die Strafverteidigerin die Auffassung, dass der § 201 StGB nicht zu polizeilichen Äußerungen im Rahmen von Maßnahmen passe. Schließlich stehe der Paragraph im Abschnitt der „Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs“.
Das Bedürfnis der Dokumentation polizeilicher Maßnahmen zur Ermöglichung einer rechtsstaatlichen Kontrolle besteht häufig gerade in Situationen, in denen keine weiteren Zeug*innen anwesend sind. Zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren daher ganz grundlegend die Anwendung des § 201 StGB auf Polizeimaßnahmen. Polizeibeamt*innen, so die Kritik, handeln im Dienst als Repräsentant*innen des staatlichen Gewaltmonopols und sprechen somit stets öffentlich. Rechtlich wäre es im Münchener Fall möglich gewesen, die Strafbarkeit auch ohne die Annahme einer „faktischen Öffentlichkeit“ abzulehnen. So wird vertreten, die polizeilichen Äußerungen seien nicht vom Schutzzweck der Norm umfasst. Aufgrund des Dokumentationsinteresses und um für Rechtssicherheit zu sorgen, müsse das Merkmal „nicht öffentlich“ teleologisch reduziert werden und § 201 StGB dürfte keine Anwendung auf Polizeimaßnahmen gegenüber Bürger*innen finden.
Andere argumentieren, es bestehe meist ein „berechtigtes Interesse“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit f. der DSGVO an Aufnahmen von der Ausübung hoheitlicher Befugnisse. Es überwiege das Kontrollinteresse der Öffentlichkeit gegenüber den Persönlichkeitsrechten und die Aufnahme sei nicht „unbefugt“ im Sinne des § 201 StGB. Da Videos aufgrund der schwierigen Beweislage zur „effektiven Durchsetzung entsprechender Schadensersatzforderungen und an einer Abwehr unberechtigter Strafanzeigen wegen (angeblicher) Widerstandshandlungen“ unabdingbar sind, liege zudem regelmäßig eine Notstandslage vor und das Filmen sei nach § 34 StGB gerechtfertigt.
Diese Möglichkeiten, eine Strafbarkeit unabhängig von der „faktischen Öffentlichkeit“ abzulehnen, nutzte die Richterin des AG jedoch nicht. Sie ging davon aus, „dass das Wort in einer Polizeikontrolle dem Schutzbereich unterfällt“ (mündliche Urteilsbegründung). Der rechtswissenschaftlich aufgezeigte Weg zur Schaffung von Rechtssicherheit wird von den Gerichten also nicht beschritten. Stattdessen führt die Entscheidungspraxis der Gerichte weiterhin zu Rechtsunsicherheit und öffnet den Raum für willkürliche Maßnahmen gegenüber Filmenden und verunsichert Zeug*innen und Betroffene von polizeilichem Fehlverhalten.
Grund- und menschenrechtliche Argumente für die Straffreiheit
Die Strafbarkeit des Filmens von Polizeieinsätzen ist auch aus grund- und menschenrechtlicher Sicht problematisch.
Zwar sind auch die Grundrechte der gefilmten Beamt*innen zu beachten. Denn durch das Herstellen von Ton- oder Bildaufnahmen wird stets in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Aufgenommenen eingegriffen. Jedoch darf sich der Staat nicht durch das Vorschieben der Persönlichkeitsrechte einzelner Beamt*innen einer rechtsstaatlichen Kontrolle entziehen. Zudem ist das Persönlichkeitsrecht von Amtsträger*innen eingeschränkt, da Bürger*innen die Ausübung staatlicher Aufgaben scharf kritisieren können müssen. Zu diesem Schluss kommt auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), wenn er betont, dass die Meinungsfreiheit bei Machtkritik gegenüber den Persönlichkeitsrechten von staatlichen Akteur*innen besonders schützenswert ist (wie im Falle einer Staatsanwältin, eines Richters oder eines Polizeibeamten). Außerdem dokumentieren Filmende die Beamt*innen bei der Ausübung ihres Berufes. Damit ist die dienstliche Sozialsphäre berührt, welche weniger schützenswert als die Privat- und Intimsphäre ist.
Diesem abgeschwächten Persönlichkeitsrecht der Beamt*innen steht ein ausgeprägtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber. Die Öffentlichkeit hat insbesondere ein Interesse daran, über rechtswidriges Polizeiverhalten informiert zu werden (wie hier, hier oder hier ausgeführt). Ob Befugnisse überschritten wurden, kann jedoch meist erst im Nachhinein bewertet werden. Daher besteht ein generelles Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Transparenz polizeilichen Handelns.
Zudem sind Videoaufnahmen von Polizeieinsätzen relevant für die Ausübung der Grundrechte aus Art. 5 GG. Wenn Pressevertreter*innen fotografieren oder filmen, so ist die Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG betroffen, welche auch die Informationsbeschaffung schützt. Diese Tätigkeit ist besonders schützenswert, weil die Presse als „public watchdog“ eine unabdingbare Rolle für die Demokratie einnimmt. Das Herstellen von Bild- und Tonaufnahmen an sich fällt zwar nicht unter die Meinungsfreiheit, da es keine Kundgabe einer Meinung darstellt. Verhindert die Polizei Aufnahmen, kann dies jedoch Kritik an staatlichem Handeln bereits im Keim ersticken. Auch das Bundesverfassungsgericht mahnte 2015, dass die Kriminalisierung von Filmenden einen abschreckenden Effekt auf Bürger*innen haben könnte, welche „aus Furcht vor polizeilichen Maßnahmen auch zulässige Aufnahmen […] und mit diesen nicht selten einhergehende Kritik an staatlichem Handeln unterlassen“ würden.
Nicht zuletzt erfolgen Videoaufnahmen oftmals zur Beweissicherung. Auch im Münchener Fall ging es der Angeklagten um die Dokumentation eskalativen polizeilichen Handelns. In ihrer gerichtlichen Aussage berichtete sie, sie sei davon ausgegangen, die Situation könne eskalieren und Beweise benötigt werden. Besteht der Verdacht einer Überschreitung polizeilicher Befugnisse oder unverhältnismäßiger polizeilicher Gewaltanwendung, ist dies häufig nur schwer zu beweisen. In Bezug auf polizeiliches Handeln besteht aufgrund der unzureichenden Strafverfolgung ein gesteigertes Bedürfnis an Beweismitteln. Zudem gibt es Fälle, in denen diejenigen, die von polizeilichen Maßnahmen betroffen sind, ungerechtfertigt strafrechtlich verfolgt werden – etwa wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder Körperverletzung. In diesen Fällen sind Videos oft maßgebliche Beweismittel, wenn Bürger*innen freigesprochen werden (wie hier oder hier). Gleiches gilt, wenn Falschaussagen von Beamt*innen aufgedeckt werden (wie hier oder hier). Videos können also die effektive Rechtspflege, deren Notwendigkeit sich aus Art. 19 Abs. 4 GG und dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip ergibt, stärken.
Dem abgeschwächten Persönlichkeitsrecht der Beamt*innen stehen also gewichtige Interessen entgegen, die sich aus Grundprinzipien des Rechtsstaats, der Demokratie, aus Art. 5 GG (bzw. Art. 10 EMRK), der effektiven Rechtspflege und nicht zuletzt der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ableiten.
Das Filmen von Polizeieinsätzen im internationalen Vergleich
Auch in anderen Ländern ist dieses Thema ein umkämpftes Feld. In Frankreich verabschiedete die Nationalversammlung im November 2020 ein neues Sicherheitsgesetz. Art. 24 des Gesetzes sollte das Recht, die Polizei zu filmen, erheblich einschränken. Daraufhin folgten heftige Proteste auf denen die Einschränkung der Informations-, Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit beklagt wurde. Das Verfassungsgericht hob besagten Art. 24 (dann Art. 52) sodann auf. Es ist damit in Frankreich weiterhin zulässig, die Polizei in der Öffentlichkeit zu filmen.
In Spanien erweiterte die Regierung 2015 mit dem „Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit“ eine Reihe von polizeilichen Befugnissen und schränkte die Grundrechte massiv ein. Das umgangssprachlich auch „Maulkorbgesetz“ genannte Gesetz, bestimmt seitdem Bußgelder von 600 – 30.000 € für das Fotografieren oder Filmen von Polizeibeamt*innen, soweit die Aufnahmen die Polizeioperation und die Unversehrtheit der Beamt*innen gefährden.
In den USA wiederum haben einige Berufungsgerichte festgestellt, dass Bürger*innen ein Recht haben, die Polizei in der Öffentlichkeit zu filmen. Dieses leite sich aus dem 1st Amendment der Meinungs- und Pressefreiheit ab (siehe u.a. hier oder hier). Allerdings hat der Supreme Court noch nicht abschließend in dieser Frage entschieden, sodass das Bedürfnis einer höhergerichtlichen Feststellung in den USA weiterhin besteht.
In Deutschland ist die Rechtslage nach wie vor unklar und aus rechtsstaatlicher, grund- und menschenrechtlicher Sicht unzufriedenstellend. Es bedarf klarer Vorgaben für diejenigen, die rechtssicher möglicherweise rechtswidriges Verhalten von Polizeibeamt*innen dokumentieren möchten. Wünschenswert wäre die grund- und menschenrechtsgeleitete Klärung durch ein oberstes Gericht, dass Bürger*innen die Polizei bei der Ausführung polizeilicher Maßnahmen filmen dürfen. Dies wäre nicht nur im Sinne eines starken Grundrechteschutzes zu begrüßen, sondern würde auch die rechtsstaatliche Kontrolle staatlichen Handelns stärken.