Scharfes Schwert oder bloßes Gesetzeslametta?
Das Gebot der Verfassungstreue von Landräten auf dem Prüfstand
In einer demokratischen Wahl ist der AfD-Politiker und Landtagsabgeordnete Robert Sesselmann zum Landrat von Sonneberg gewählt worden. Während an der Rechtmäßigkeit des Wahlvorgangs keinerlei Zweifel bestehen, gibt das Ergebnis der Wahl doch Anlass, darüber nachzudenken, ob und wie Personen, die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung feindselig gegenüberstehen, von der Teilnahme an einer Wahl ferngehalten werden können. Das Thüringer Kommunalwahlrecht sieht dafür in § 24 Abs. 3 ThürKWG eine Verfassungstreueprüfung vor, die der AfD-Kandidat Sesselmann jedoch vorläufig bestanden hat. Ist die Norm ernstgemeint oder bloßes Lippenbekenntnis? Der erste Praxistest zeigt: § 24 Abs. 3 S. 1 ThürKWG ist zu dünn, um effektives Instrument der wehrhaften Demokratie zu sein.
Ein Szenario, das sich keiner wünscht …
Man stelle sich vor, Sesselmann wäre in einer ordnungsgemäß durchgeführten demokratischen Wahl zum Landrat gewählt worden, doch nach seiner Wahl wäre das Landesverwaltungsamt zu der Erkenntnis gelangt, dass der Gewählte nicht die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten und hätte ihn deswegen des Amtes enthoben. Der Aufschrei wäre zweifelsohne groß: Sesselmann würde als Märtyrer gefeiert werden, dem sein Wahlsieg „gestohlen“ worden wäre. Seine Partei gewönne weitere Sympathien, könnte in Zukunft vielleicht erhebliche Stimmengewinne für sich verbuchen. Bei einer Wiederholung der Wahl würde möglicherweise ein AfD-Kandidat bereits im ersten Wahlgang mit deutlicher Mehrheit gewählt werden – und müsste ggf. wieder aus dem Amt entfernt werden.
Umso mehr bietet dieses Szenario Anlass, darüber nachzudenken, ob nicht bereits im Vorfeld einer solchen Wahl Sorge dafür getragen werden kann, dass nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehende Personen erst gar nicht erst zur Wahl antreten dürfen. Maßstab einer solchen Prüfung ist das geltende Kommunalwahlrecht.
Die Verfassungstreue kommunaler Wahlbeamter
Und hier richtet sich der Blick zwangsläufig auf § 24 Abs. 3 S.1 ThürKWG, der aufgrund von § 28 Abs. 2 ThürKWG auch für Landräte gilt, die als Wahlbeamte eine Doppelstellung einnehmen, da sie sowohl Mandatsträger als auch Beamte sind. Nach Maßgabe dieser Bestimmung kann diejenige Person nicht gewählt werden, die nicht „die Gewähr dafür bietet, dass sie jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Landesverfassung eintritt.“
Stellt man auf den Wortlaut der Norm ab, so lässt sich schon aus der in die Zukunft weisenden, vor allem aber auf den Wahlvorgang abstellenden Formulierung „… kann nicht gewählt werden …“ schlussfolgern, dass eine Person, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes und der Landesverfassung steht, nicht gewählt werden kann, mithin erst gar nicht zur Wahl antreten darf. Das Gesetz stellt insoweit eine eigenständige Wählbarkeitsvoraussetzung auf, die der Wahlausschuss zu beachten hat. Interpretationshilfe mag auch § 26 Abs. 1 S. 2 BWahlG leisten, wonach der Kreiswahlausschuss Kreiswahlvorschläge zurückzuweisen hat (sic!), wenn sie 1. verspätet eingereicht sind oder 2. den Anforderungen nicht entsprechen, die durch das BWahlG und die BWO aufgestellt sind. Diese bundesrechtliche Formulierung im Blick, lässt sich auch § 24 Abs. 3 S. 1 ThürKWG dahingehend interpretieren, dass ein Wahlbewerber, der nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht, eben gerade nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht, ihm mithin eine zentrale Wählbarkeitsvoraussetzung fehlt.
Da jedoch § 24 Abs. 3 S. 1 ThürKWG im Rahmen der Zulassung von Robert Sesselmann zur Wahl offensichtlich keine weitere Bedeutung beigemessen wurde, lautet die zentrale Frage: Kommt § 24 Abs. 3 S. 1 ThürKWG rechtsverbindlicher Charakter zu oder stellt die Norm lediglich ein leeres und der Umsetzung gar nicht zugängliches Lippenbekenntnis dar? Wollte der Gesetzgeber lediglich unverbindliche Gesetzeslyrik fabrizieren, getreu dem Motto: Ich zolle zwar der Wehrhaftigkeit des Grundgesetzes verbal Respekt, meine es mit dem Kampf gegen Verfassungsfeinde aber dann doch nicht so ernst? Mit einem bloßen Papiertiger, der aber keine Zähne hat, kommt man Verfassungsfeinden kaum bei. Ob § 24 Abs. 3 S. 1 ThürKWG tatsächlich bloßes Gesetzeslametta darstellen soll und in diesem Sinn interpretiert werden kann? Ernstliche Zweifel hieran sind jedenfalls angebracht.
Die Überforderung des Wahlausschusses
Doch selbst wenn man die Norm ernst nimmt, so erscheint doch fraglich, ob das Verfahren zur Aufstellung der Wahlbewerber bei einer Landratswahl nach geltender Rechtslage in einer Art und Weise ausgestaltet ist, dass der Ausschluss eines potenziell verfassungswidrigen Bewerbers – ein überaus weitreichender Eingriff in eine demokratische Wahl – rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. Und auch hier sind erhebliche Bedenken anzumelden.
In dem der Wahl vorgelagerten Verfahren prüft der Wahlleiter zunächst die eingereichten Wahlunterlagen, bevor anschließend der Wahlausschuss, der aus dem Wahlleiter als Vorsitzendem und vier von ihm berufenen Wahlberechtigten als Beisitzern (§ 4 Abs. 1 S. 4 ThürKWG) besteht, über die Zulassung des betreffenden Wahlvorschlags abstimmt und einen entsprechenden Beschluss erlässt. Mit Blick auf die eindeutige Formulierung des § 24 Abs. 3 S. 1 ThürKWG wird man jedenfalls zunächst davon ausgehen müssen, dass das Kriterium der Verfassungstreue neben formalen Aspekten auch zum Prüfprogramm des Wahlausschusses zählt. Mit anderen Worten: Der Wahlausschuss ist gesetzlich verpflichtet, die Wählbarkeit der zur Wahlzulassung anstehenden Bewerber zu prüfen, auch mit Blick auf das Kriterium der Verfassungstreue.
Die Prüfungspflicht mit dem Argument beiseite schieben zu wollen, dass der Ausschuss personell nicht in der Lage sei, diese Aufgabe zu erfüllen, dürfte jedenfalls in den Fällen kaum überzeugen, in denen bereits hinreichende Indizien für eine Verfassungsfeindlichkeit des Wahlbewerbers erkennbar sind, etwa durch entsprechende Pressemeldungen. Fraglos wird man dem Wahlausschuss auf der Grundlage der derzeitigen gesetzlichen Ausgestaltung nicht die Verpflichtung auferlegen können, jeden Bewerber und jede Bewerberin gewissermaßen auf Herz und Nieren zu überprüfen; dafür werden ihm die persönlichen und sachlichen Ressourcen ebenso fehlen wie die notwendige Zeit. Doch für den Fall, dass bereits aussagekräftige Kriterien für eine mögliche Verfassungswidrigkeit erkennbar sind – wie etwa Presseberichte, Hinweise Dritter, Beschwerden oder ähnliches –, wird man durchaus verlangen können, dass der Wahlausschuss genauer hinschaut. Und da seit zwei Jahren bekannt ist, dass der Verfassungsschutz den AfD-Landesverband Thüringen als „erwiesen rechtsextremistisch“ einstuft, war mit Blick auf die Kandidatur von Herrn Sesselmann davon auszugehen, dass zumindest evidente Erkenntnisse vorlagen, die eine genaue Prüfung des Kandidaten erforderlich gemacht hätten – jedenfalls eine genauere als diejenige, die der Wahlausschuss innerhalb lediglich einer Woche vorgenommen hat.
Allein die Mitgliedschaft in dem vom Verfassungsschutz beobachteten Landesverband hätte indes auch bei dieser Prüfung nicht ausgereicht, Sesselmann die Zulassung zur Wahl zu verweigern (zu den beamtenrechtlichen Anforderungen an die Verfassungstreue ausführlicher Nitschke). Der Wahlausschuss wäre über diesen Anfangsbefund hinaus gehalten gewesen, im Rahmen seiner Möglichkeiten und innerhalb der ihm zustehenden Frist weitere Aspekte zu ermitteln und in seine Entscheidung einzubeziehen. Wäre er dann zu dem Schluss gekommen, dass Sesselmann nicht die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten, so hätte er die Zulassung zur Wahl versagen müssen. So der eindeutige Gesetzeswortlaut.
Doch wird man konzedieren müssen, dass der Wahlausschuss bei genauer Betrachtung mit dieser Prüfung wohl in vielfacher Hinsicht überfordert gewesen wäre. Weder hätte ihm hinreichender juristischer Sachverstand zur Verfügung gestanden noch hätte er angesichts begrenzter personeller, sachlicher und zeitlicher Ressourcen eine vertiefte Prüfung hinsichtlich einer möglichen Verfassungsfeindlichkeit Sesselmanns vornehmen können. Sein die Zulassung zur Wahl ausschließendes Votum stünde deshalb stets auf wackeligen Beinen, die eine hinreichende Sachverhaltsermittlung vermissen lassen. Dem Rechtsstaat wäre daher mit einer solchen Entscheidung sicherlich ein Bärendienst erwiesen worden.
Nur ergänzend sei angemerkt, dass Sesselmann, wäre ihm die Zulassung zur Wahl durch den Wahlausschuss verwehrt worden, ja keinesfalls rechtsschutzlos gestellt gewesen wäre. Ihn allerdings auf die Wahlanfechtung und Wahlprüfung nach §§ 31, 32 ThürKWG verweisen zu wollen, vermag nicht zu überzeugen. Davon abgesehen, dass § 31 ThürKWG auf zur Wahl zugelassene Bewerber und § 32 ThürKWG auf die Berichtigung des Wahlergebnisses abstellt – Konstellationen, die sich von der Nichtzulassung zur Wahl unterscheiden –, würde man einem Bewerber effektiven Rechtsschutz i. S. v. Ar.t 19 Abs. 4 GG und insbesondere die ggf. rechtlich gebotene Teilnahme an der Wahl vorenthalten, wollte man keinen gerichtlichen (Eil-)Rechtsschutz ermöglichen. Dann wäre es Aufgabe des angerufenen Verwaltungsgerichts gewesen, neben der Mitgliedschaft in der AfD weitere, in der Person Sesselmanns liegende Aspekte zu ermitteln, die seine Verfassungswidrigkeit hätten begründen können – oder eben nicht. Ein Verfahren vor einem unabhängigen Gericht wäre über den Vorwurf der Parteilichkeit oder Parteinahme erhoben gewesen, auch wenn ein solches Vorgehen im Hinblick auf seine Dauer nicht unproblematisch wäre und den gesamten Wahlvorgang belasten würde.
Erkennbarer Reformbedarf mit Blick auf § 24 Abs. 3 S. 1 ThürKWG
Festzuhalten gilt es daher, dass der in § 24 Abs. 3 ThürKWG enthaltene Satz 1, auch wenn sein Anliegen eindeutig ist, unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten letztlich zu dünn ist, um einem Bewerber die Kandidatur an einer demokratischen Wahl vorzuenthalten – auch im Hinblick darauf, dass bei einer solchen Wahl im Regelfall die Wählerinnen und Wähler das letzte und entscheidende Wort haben sollen. Wollte man daher auf Grundlage der derzeitigen gesetzlichen Ausgestaltung des § 24 Abs. 3 S. 1 ThürKWG einen Bewerber von der Teilnahme an der Wahl ausschließen, so würde man sich unter verschiedenen Aspekten – Rechtsstaatsprinzip, Demokratieprinzip, Normenklarheit – auf äußerst dünnem Eis bewegen. Dies aber bedeutet, dass der Gesetzgeber gefordert ist, das Verfahren zur Aufstellung von Wahlbewerbern schärfer zu konturieren.
Folgende Aspekte wären daher bei einer Neufassung der Norm zu bedenken:
- Die bisher dünnen, in § 4 Abs. 1 S. 4 ThürKWG enthaltenen Vorgaben für die Besetzung des Wahlausschusses müssten konkretisiert werden. Zu denken wäre etwa daran, die Anzahl der Juristen in dem Gremium zu erhöhen. Auch wäre vorstellbar, dass ein Richter dem Gremium zwingend angehören müsste.
- Vorkehrungen müssten auch dagegen getroffen werden, dass der Wahlausschuss selbst mit Personen besetzt wird, die ihrerseits nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Auch die Mitglieder des Wahlausschusses müssen mithin die Gewähr dafür bieten, dass sie auf dem Boden des Grundgesetzes stehen und jederzeit für dieses wie auch für die Thüringer Verfassung eintreten. Mit anderen Worten: Sie dürfen nicht Türöffner für verfassungsfeindliche Wahlbewerber sein.
- Den Mitgliedern des Wahlausschusses muss hinreichend Zeit eingeräumt werden, um ggf. Vorwürfen oder Indizien der Verfassungsfeindlichkeit ausführlich nachgehen zu können. Zu überlegen ist daher nicht nur, die Frist für die Zulassung zu verlängern, sondern auch, dem Wahlausschuss mehr Personal zur Verfügung zu stellen. Beispielsweise könnte man Mitarbeiter des Landesverwaltungsamtes für kurze Zeit abordnen.
- Zu erwägen wäre zudem, die Kriterien für die Nichtzulassung eines Kandidaten zur Wahl transparenter zu machen und gesetzlich festzulegen. Bei dieser Beurteilung werden sämtliche Aspekte heranzuziehen sein, die das Bundesverfassungsgericht als Kennzeichen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung identifiziert hat. Hierzu zählen – mindestens (so ausdrücklich BVerfGE 2, 1/12 f.) – die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Zu eng gefasst erschiene es jedenfalls, den Gewählten einem „Demokratietest“ zu unterwerfen, wie dies in zahlreichen Medien nach der Wahl Sesselmanns zu lesen war. Das Demokratieprinzip ist sicherlich ein wesentlicher Bestandteil unserer freiheitlichen Verfassungsordnung, nicht zuletzt deshalb, weil es durch die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG gegen jegliche Abschaffung gefeit ist. Doch ist der Überprüfung eines Gewählten die ganze Palette der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zugrunde zu legen. Treffender, weil weitaus ausholender und der Sache deutlich besser gerecht werdend wäre es daher gewesen, wenn insoweit von einem „Verfassungstest“ gesprochen worden wäre.
- Zudem müsste eine Überarbeitung des Gesetzes klarstellen, dass die Mitgliedschaft in einer vom Verfassungsschutz als verfassungswidrig eingestuften Partei alleine für die Versagung der Wahlzulassung nicht ausreicht, sondern dass weitere, in der Person des Bewerbers liegende Aspekte bei der Entscheidung berücksichtigt werden müssen. Ausschließlich auf die Mitgliedschaft abzustellen, dürfte nicht zuletzt im Hinblick auf eine nachfolgende gerichtliche Klärung nicht ausreichend sein. Daher müssten weitere Aspekte hinzukommen, die den Schluss der Verfassungsfeindlichkeit untermauern würden, was im Rahmen einer Einzelfallprüfung zu ermitteln wäre. Hat sich der Betreffende explizit verfassungsfeindlich geäußert? Hat er dies in der Öffentlichkeit getan, auf Parteiveranstaltungen, im privaten Umfeld? Hat er sich in schriftlicher Form verfassungsfeindlich geäußert? Wird gegen ihn, etwa wegen Volksverhetzung und wegen der Verherrlichung nationalsozialistischen Gedankenguts, strafrechtlich ermittelt? Es gilt, ein – möglichst gerichtsfestes – Gesamtbild der Person zu zeichnen, aus dem sich erschließt, ob der Vorwurf stichhaltig und die Entfernung aus dem Amt gerechtfertigt ist.
- Schließlich müsste klargestellt werden, dass ein nicht zur Wahl zugelassener Bewerber gegen eine ablehnende Entscheidung des Wahlausschusses Rechtsschutz – selbstverständlich auch einstweiligen Rechtsschutz – vor den Verwaltungsgerichten begehren kann.
Fazit
Abschließend ist festzuhalten, dass der Thüringer Gesetzgeber gut beraten wäre, im Hinblick auf zukünftige Wahlbewerbungen möglicherweise verfassungsfeindlicher Kandidaten das ThürKWG in einer dem Rechtsstaatsprinzip genügenden Weise nachzuschärfen, § 24 Abs. 3 S. 1 ThürKWG aus der Sphäre bloßer Verfassungslyrik herauszuholen und dafür Sorge zu tragen, dass nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehende Bewerber für das Amt des Landrats zukünftig erst gar nicht zur Wahl antreten können. Dies gilt insbesondere mit Blick darauf, dass dem Fall Sesselmann aller Wahrscheinlichkeit nach weitere, ähnlich gelagerte Konstellationen nachfolgen werden.