Scheuers missglückte PKW-Maut
Haftet nur der beamtete Staatssekretär?
Der Haftung des Bundes gegenüber den Betreiberfirmen der missglückten PKW-Maut hat die Frage aufgeworfen, ob das Ministergesetz anzupassen sei, um Regressansprüche zu ermöglichen. Der Status von Ministern soll nach Auffassung von Jörg Berwanger1) und Patrick Heinemann zu Haftungsfreiräumen führen. Dafür gibt es jedoch keine überzeugenden Gründe. In alle Abläufe des Vertrages war neben dem früheren Minister Scheuer auch sein beamteter Staatssekretär Dr. Schulz eingebunden. Die im Bericht des Untersuchungsausschusses beschriebenen Tatsachen legen eine gemeinschaftliche Haftung nach § 826 BGB bzw. § 75 BBG nahe.
Als Bundesminister hatte Scheuer die Unterzeichnung von Verträgen mit dem Betreiberfirmen veranlasst, die er nach dem Urteil des EuGH kündigen musste. Am 05.07.2023 stimmte der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages einem Vergleich zu, der die Zahlung von 243 Mio. € vorsieht. Der Schaden des Bundes umfasst zudem Gutachter- und Prozesskosten, die vom Ministerium gegenüber dem MdB Victor Perli im November 2022 mit 26,4 Mio. € beziffert wurden.
Haftet der frühere Verkehrsminister?
Eine Haftung nach § 839 BGB setzt die Verletzung einer Amtspflicht voraus, die gegenüber einem Dritten besteht, also im Außenverhältnis und nicht gegenüber dem Dienstherrn. Soweit Verstöße gegen Haushaltsrecht vorlagen, genügen sie also nicht. Es ist daher unerheblich, dass ein Ersatzanspruch gegen den früheren Minister aus § 839 BGB zudem gem. Art. 34 Satz 1 GG durch eine gesetzliche Schuldübernahme des Bundes verloren ginge.
823 Abs. 1 BGB hilft auch nicht weiter, weil die Vorschrift keine Vermögensschäden schützt. Zu einem Ersatzanspruch käme der Bund daher nur bei einem Delikt im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Die Maut-Verträge könnten den Untreuetatbestand des § 266 StGB erfüllen,2) jedoch fehlt aktuell ein entsprechendes Ermittlungsverfahren.
Wider das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden
Die im Bericht des Untersuchungsausschusses festgestellten Umstände legen jedoch einen Ersatzanspruch aus § 826 BGB nahe: Die Vorschrift setzt nicht voraus, dass Pflichten gegenüber „Dritten“ verletzt wurden, kann also auch vom Dienstherrn Bundesrepublik Deutschland geltend gemacht werden. Für die Innenhaftung wird sie auch nicht von § 839 BGB verdrängt.3)
Mit „Sittenwidrigkeit“ meint die Vorschrift einen Verstoß gegen das „Anstandsgefühl“ aller billig und gerecht Denkenden (ständige Rechtsprechung). Vorliegend stellt sich die Frage, ob die Voraussetzung der Sittenwidrigkeit neben dem Vorsatz Relevanz hat. Wäre nicht jede vorsätzliche Schädigung des Bundesvermögens durch einen Minister automatisch ein Verstoß gegen das Anstandsgefühl? Tatsächlich leitet die Rechtsprechung die Sittenwidrigkeit aus dem Verschulden ab: Der Schädiger muss zusätzlich ein besonderes Vertrauen genießen.4) Bei einem Bundesminister ist dies der Fall. Der Amtseid nach Art. 56, 64 Abs. 2 GG führt nach allgemeiner Meinung zwar grundsätzlich nur zu der Selbstverständlichkeit einer Bindung an Gesetz und Recht, jedoch darf man dem Eid auch eine ethische Verantwortung zumessen.5) Das ethische Versprechen „Pflichten gewissenhaft zu erfüllen“ führt regelmäßig dazu, dass eine vorsätzliche Schädigung des Bundes gegen das „Anstandsgefühl“ verstößt.
Zu einer anderen Einschätzung wird man nur gelangen können, wenn die Motivation das Verhalten rechtfertigen kann, der Minister also subjektiv davon ausging, sich an den Amtseid zu halten. Der Untersuchungsausschuss beklagte, dass die Gründe für den Vertragsschluss unzureichend dokumentiert sind (aaO. S. 496). Der frühere Minister selbst nannte als Grund die von der Umsetzung des InfraAG zu erwartenden Mauteinnahmen (aaO. S. 208, 333). Diese Motivation ist jedoch in den Akten des Ministeriums scheinbar nicht ausreichend belegt und prima facie nachgeschoben. Zudem ist die Behauptung dieser Motivation inhaltlich nicht plausibel, weil die zu erwartenden Einnahmen in keinem Verhältnis zum Risiko des Vertragsschlusses standen; in diesem Sinne hatten der Bundesrat und der Normenkontrollrat in Stellungnahmen zum Gesetzentwurf ausgeführt, dass der Verwaltungsaufwand der Umsetzung die Einnahmen aufzehren könnte.
Eine Haftung nach § 826 BGB hängt demnach ausschließlich davon ab, ob Vorsatz nachzuweisen ist. Die Rechtsprechung hat Anforderungen an den Vorsatz relativiert. Es genügt wie im Allgemeinen bedingter Vorsatz, also die „billigende Inkaufnahme des Schadens“. Diesen leiten Literatur und ständige Rechtsprechung schon aus „Leichtfertigkeit“ ab, die auf Gleichgültigkeit und Gewissenlosigkeit schließen lässt.6) Für eine Leichtfertigkeit des Ministers spricht, dass er auf ein Angebot der Betreiberfirmen zur Verschiebung des Vertragsschlusses nicht einging.7) Entscheidend für die Annahme von Leichtfertigkeit ist jedoch, dass der Höhe des Schadens kein besonderes Gewicht bei der Entscheidung über den Vertragsschluss zukam. Der Untersuchungsausschuss hatte festgestellt, dass „keine Bemühungen unternommen wurden“, zu berechnen, welche Schäden den Betreiberfirmen im Falle einer Kündigung zur ersetzen wären (aaO., S. 470). In anderem Zusammenhang wird Vorsatz angenommen, wenn sich Verantwortungsträger über erkennbare Bedenken hinwegsetzen8) oder durch unterlassene Aufklärung vermeiden, dass aus einem Verdacht Gewissheit wird.9) Es spricht für Gleichgültigkeit, dass der Minister das Schadensersatzrisiko des Bundes und realistische Chancen auf Maut-„Gewinne“ nicht ins Verhältnis setzen ließ; vermutlich hätten hierbei nur entgangene „Gewinne“ für die Zeit einer Vertragsverschiebung angesetzt werden dürfen. Der Untersuchungsausschuss monierte insoweit, dass der „Risikoabwägung“ bei Vertragsschluss „eine höhere Bedeutung hätte zukommen müssen“ (aaO., S. 496-497), tatsächlich wird man von einem Abwägungsausfall sprechen müssen. Dem Vorwurf des bedingten Vorsatzes kann nicht entgegenhalten werden, dass ein Spruch des EuGH auch zugunsten des InfrAG hätte ausfallen können. Denn auf den Grad der Wahrscheinlichkeit eines EU-Rechtsverstoßes kommt es nicht an, nachdem der Schaden in Folge eines bewussten Abwägungsdefizits eingetreten ist.
Regelungsbedarf für künftige Fälle
Zunächst gilt es festzustellen, dass der Status von Ministern eine Haftung für Vermögensschäden nicht ausschließt. Das ergibt sich schon aus Art. 34 GG, der einen Rückgriff für alle Amtspflichtverletzungen anspricht und damit den haftungsrechtlichen Beamtenbegriff aufgreift, der auch Minister umfasst.
Das geltende Ministergesetz und seine Vorläufer (Reichsministergesetz vom 27.03.1930 und Deutsches Beamtengesetz vom 26.01.1937) lassen sich nicht als bewusste Privilegierung in Haftungsfragen verstehen, weil sie finanzielle Ansprüche nur behandeln, soweit sie aus dem regulären Dienstverhältnis erwachsen. Es bleibt die Frage, ob es tunlich ist, Minister einem Haftungsrisiko zu unterwerfen.
Wegen der Garantenstellung von Ministern (s.o. zum Amtseid) würde eine Regelung analog § 75 BBG regelmäßig nur dazu führen, dass die Haftung bei grober Fahrlässigkeit eintritt und nicht erst bei Vorsatz. Ferner lohnt auch ein Blick darauf, für welche Aufgaben des Regierungsamtes eine Haftung überhaupt in Betracht kommt. Wichtige Aufgaben veranschaulicht § 15 der Geschäftsordnung der Bundesregierung (GO BReg) mit der Vorbereitung von Gesetzen und Verordnungen, die kaum ein Haftungsrisiko mit sich bringt. Erst Recht gilt dies für Beschlüsse im Kollegium der Bundesregierung. Selbstverständlich gibt es auch Einzelfallentscheidungen, die zum Regierungsamt gehören (ein Beispiel nennt Art. 84 Abs. 5 GG; vgl. auch § 15 GO BReg). Einzelfallentscheidungen wird ein Minister jedoch tunlich mit der Administration seines Ministeriums beraten. Wo Entscheidungsgrundlagen dokumentiert werden und plausibel bleiben, ist das Haftungsrisiko gering. Eine Ministerhaftung schadet der Entscheidungsfreiheit und -freude von Kabinettsmitgliedern daher nur bedingt.
Betrachten wir den Ausgangsfall, so würde sich eine grobe Fahrlässigkeit analog § 75 BBG nicht aus dem politischen Ziel einer Abgabe ergeben oder aus dem Verstoß gegen EU-Recht. Vielmehr stünden handwerkliche Mängel im Fokus, nämlich die Frage des Zeitpunkts eines Vertragsschlusses und der unzureichenden Ermittlung von Entscheidungsgrundlagen, also aus Standards der Administration.
Wenn Minister sich konkreten Vollzugsaufgaben annehmen ist das Haftungsrisiko eine natürliche Kehrseite im Ausgleich zu den Interessen des Gemeinwesens. Jörg Philipp Terhechte sieht eine Haftung von Ministern gar geboten, um Befugnisse mit Verantwortung zu legitimieren. Joachim Wieland leitet eine Haftung aus dem verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnis des Ministers ab.
Muss der beamtete Staatssekretär Dr. Schulz für den Schaden aufkommen?
Die PKW-Maut gibt allen Anlass auch die Haftung von Beamten zu prüfen. Die Präsidenten des Bundesamtes für Güterverkehr und des Kraftfahrt-Bundesamtes unterzeichneten die Verträge auf Veranlassung des Ministeriums10) und waren in die Vorverhandlungen mit den Betreibergesellschaften und in Abwägungsprozesse nicht ersichtlich eingebunden. Eine Remonstrationspflicht nach § 63 Abs. 2 BBG lag daher nicht nahe und daher auch keine grob fahrlässige Verletzung von Amtspflichten.
Anders verhält es sich bei Dr. Gerhard Schulz, dem früheren beamteten Staatssekretär des Ministers. Dieser war ausweislich des Untersuchungsberichtes in beinahe alle Vorgespräche mit den Bertreibergesellschaften eingebunden wie auch in die Frage, ob ein Vertragsschluss noch im Jahr 2018 erfolgen solle (aaO, S. 496). Der Staatssekretär könnte sich auch nicht damit exkulpieren, dass der Wille oder eine Weisung des Ministers bestanden haben mögen, denn er hatte aufgrund der Umstände des Risikogeschäftes eine aus § 7 BHO resultierende Remonstrationspflicht, zumal er in Verwaltungsangelegenheiten regelmäßig ohne den Minister entscheidet (§ 6 Abs. 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien). Eine mangelnde Fürsorge des Ministers gegenüber seinem Staatssekretär – etwa durch Instrumentalisierung gegenüber den Präsidenten der nachgeordneten Behörden – würde daher nicht dazu führen, dass dieser sich beim Minister bzw. bei seinem Dienstherrn nach § 839 BGB/Art. 34 GG wieder schadlos halten kann. Eine Haftung aus § 75 BBG kommt in Betracht, weil es zu den Kernaufgaben des Staatssekretärs gehörte, auf die Korrektur des Abwägungsdefizits hinzuwirken.
Fazit
Schwierige rechtliche Bewertungen zu Sittenwidrigkeit und Vorsatz gefährden das Vertrauen in die Politik stärker als ein erweitertes Haftungsrisiko die Aufgabenerfüllung der Regierung beeinträchtigen kann. Rechtssicherheit durch eindeutige Regularien würde dem Gemeinwesen dienen. Eine Ergänzung des Ministergesetzes analog § 75 BBG wäre geboten.
References
↑1 | Berwanger, Deutsche Pkw-Maut – Ein Fall für die Staatshaftung, NJOZ 2019, 1521 ff.. |
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↑2 | Siehe zur Bewertung der Maut-Verträge: Krüger, wistra 2020, S. 401 ff.. |
↑3 | A.A. oder missverständlich Teichmann in Jauernig, § 826, Rnr. 1-3. |
↑4 | Nachweise bei MüKoBGB/Wagner, § 826, Rnr. 31-33. |
↑5 | Dürig/Herzog/Scholz GG , Art. 64, Rnr. 26-38. |
↑6 | MüKoBGB/Wagner aaO. mit Nachweisen. |
↑7 | vgl. die Zeugenaussagen zum Untersuchungsbericht, die mit Nichtwissen bestritten werden aaO. S. 74, 324-325, 515 ff.. |
↑8 | BGH WP 1987, 258; OLG Karlsruhe WM 1985, 941. |
↑9 | Schüppen/Schaub Münchener Anwaltsbuch Aktienrecht, § 24 AktG, Rnr. 138 |