Streumunition und Völkerrecht
Zur Verwendung von Streumunition durch die Ukraine und die Folgen für verbündete Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland
In den zurückliegenden Wochen ist intensiv über die Lieferung von Streumunition durch die Vereinigten Staaten von Amerika an die Ukraine und den nachfolgenden Einsatz dieser Munition diskutiert worden. Der Begriff der Streumunition bezeichnet unterschiedliche Formen von Munition, die nicht sofort als Ganzes explodieren, sondern eine Vielzahl von kleineren Sprengkörpern freisetzen. In der technischen Sprache des Osloer Abkommens von 2008 wird Streumunition definiert als „konventionelle Munition, die dazu bestimmt ist, explosive Submunitionen mit jeweils weniger als 20 Kilogramm Gewicht zu verstreuen oder freizugeben“.
Der Einsatz solcher Munition kann ein wirksames militärisches Mittel darstellen, weswegen die Ukraine gezielt bei ihren Verbündeten nach der Lieferung solcher Munition nachgesucht hat, um ihre Verteidigung gegen den völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg effektiver zu gestalten. Insbesondere kann sie ein wirksames Mittel zur Überwindung von russischen Verteidigungslinien in den völkerrechtswidrig besetzten Gebieten der Ukraine darstellen. Ein Nebeneffekt des Einsatzes von Streumunition kann dabei auch darin bestehen, dass ihr Einsatz helfen kann, von Russland dort verlegte Minen zur Detonation zu bringen. Der Einsatz von Streumunition birgt aber zugleich das Risiko, dass Teile von ihr nicht explodieren und noch lange nach Ende eines Konfliktes ein Risiko für die Zivilbevölkerung in dem Einsatzgebiet darstellen. Auch deshalb hat der ukrainische Verteidigungsminister am 7. Juli eine Reihe von Leitlinien zum Einsatz von Streumunition formuliert, die insbesondere betonen, dass die Streumunition nicht in urbanen Gebieten eingesetzt werden wird und nach Ende des Krieges Gebiete, in denen solche Munition eingesetzt wurde, bei der Minenräumung Priorität eingeräumt werden wird. Russland hat nach vorliegenden Informationen bereits seit dem Beginn seiner auf das gesamte Territorium der Ukraine ausgedehnten Gewaltanwendung Streumunition eingesetzt und ist dabei ohne vergleichbare Vorsichtsmaßnahmen vorgegangen.
In der politischen Diskussion ist die Frage nach der völkerrechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes dieser Munition durch die Ukraine gestellt worden, gerade weil die Verwendung von Streumunition als „international geächtet“ gilt. Dies ist zwar zutreffend, gilt als umfassendes Verdikt aber nur für die Vertragsparteien des Osloer Abkommens über Streumunition von 2008. Das Abkommen ist seit dem Jahr 2010 in Kraft, hat allerdings nur 111 Vertragsparteien. Weder die Ukraine noch Russland zählen dazu und auch die Vereinigten Staaten von Amerika haben diesen Vertrag nicht ratifiziert. Diese Staaten sind an die Regeln des Osloer Abkommens mithin nicht gebunden.
Dies bedeutet nicht, dass diese Staaten Streumunition ohne jede Begrenzung verwenden dürfen. Sie sind in Situationen des bewaffneten Konflikts an die Regeln des humanitären Völkerrechts gebunden. Eine Verwendung von Streumunition etwa in bewohnten Gebieten kann gegen das Verbot unterschiedsloser Angriffe verstoßen, welches sowohl im vertraglichen als auch im völkergewohnheitsrechtlich garantierten humanitären Völkerrecht verankert ist. Ähnliche Erwägungen gelten im Hinblick auf das Verbot der Verursachung unnötigen Leidens, worauf auch die Bundesregierung in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage im Mai 2023 hingewiesen hat. Es kann aber auch nach den für eine Abwägung zwischen militärischer Notwendigkeit und Schutzstandards offenen Regeln des humanitären Völkerrechts Situationen geben, in denen Streumunition völkerrechtskonform von Staaten eingesetzt werden darf, die nicht Vertragsparteien des Osloer Abkommens sind. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn der Einsatz der Streumunition in einem Kontext erfolgt, bei dem zivile Opfer praktisch ausgeschlossen werden können. Die Vorgaben des humanitären Völkerrechts gelten dabei für den Aggressor genauso wie für den angegriffenen Staat.
Die konkrete Zulässigkeit der Verwendung von Streumunition kann somit nur im Lichte des jeweiligen Einzelfalls ihrer Verwendung bestimmt werden. Öffentlich zugängliche Informationen zu den ukrainischen und russischen Einsätzen dieser Munition legen nahe, dass die ukrainische Seite wesentlich stärker bemüht ist, die negativen Konsequenzen des Einsatzes von Streumunition wirksam zu begrenzen. Dies ist auch nur plausibel, da die Ukraine diese Munition auf ihrem eigenen Territorium einsetzt. Die Ukraine hat ein genuines Interesse daran, dass ihre eigene Bevölkerung nach der Befreiung dieser Gebiete von den russischen Besatzungstruppen dort wieder ungefährdet leben kann.
Was folgt aber nun aus dem Einsatz von Streumunition durch die Ukraine für Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland, die Vertragsparteien des Osloer Abkommens sind und zugleich in umfassender Form die Ukraine in ihrer Verteidigung gegen die russische Aggression unterstützen? Hier haben die Regeln des Osloer Abkommens stärkere Beachtung verdient. Art. 1 Abs. 1 c) des Abkommens bestimmt, dass jeder Vertragsstaat verpflichtet ist, unter keinen Umständen jemals „irgendjemanden zu unterstützen, zu ermutigen oder zu veranlassen, Tätigkeiten vorzunehmen, die einem Vertragsstaat aufgrund dieses Übereinkommens verboten sind.“ Diese Vorschrift kann zwar theoretisch so ausgelegt werden, dass sie sich nur auf die Unterstützung von Vertragsparteien bei verbotenem Handeln nach der Konvention bezieht. Der systematische Zusammenhang des Abkommens spricht aber dafür, dass hier auch das Verhältnis zu Nicht-Vertragsparteien erfasst ist. Dies ergibt sich insbesondere aus der gesonderten und von erheblicher Komplexität geprägten Vorschrift des Art. 21 des Osloer Abkommens, die sich mit Fragen der sog. Interoperabilität beschäftigt. Dieser aus dem militärischen Kontext stammende Begriff bezieht sich auf das Zusammenwirken zwischen Streitkräften verschiedener Staaten. Die Bestimmung des Art. 21 ist in sich nicht widerspruchsfrei und war bei der diplomatischen Konferenz, die zur Aushandlung des Abkommens führte, Gegenstand von kontroversen Diskussionen zwischen unterschiedlichen Staatengruppierungen (siehe etwa hier, S. 203-207). In ihrer letztlich im Abkommen verankerten Form bestimmt die Vorschrift zunächst, dass Vertragsparteien Staaten, die nicht Partei des Abkommens sind, ermutigen, das Übereinkommen zu ratifizieren. Es gibt eine konkrete Verpflichtung, sich „nach besten Kräften zu bemühen“, Staaten, die nicht Vertragsparteien sind, „vom Einsatz von Streumunition abzubringen“. Zugleich bestimmt Art. 21 Abs. 3, dass militärische Zusammenarbeit mit Staaten weiterhin möglich ist, die nicht Vertragspartei sind und „die möglicherweise Tätigkeiten vornehmen, die einem Vertragsstaat verboten sind“. Dies darf, eine erneute Rückausnahme, aber nicht dazu führen, dass eine Vertragspartei selbst Streumunition einsetzt oder um den Einsatz solcher Munition nachsucht.
Nach dem Inhalt dieser Vertragsnormen ergeben sich für die Bundesrepublik Deutschland und andere europäische Verbündete der Ukraine, die ebenfalls Vertragspartei des Osloer Abkommens sind, einige Schlussfolgerungen: Erstens ist es auch für Vertragsparteien des Osloer Abkommens erlaubt, mit der Ukraine militärisch zusammenzuarbeiten, auch wenn diese Streumunition einsetzt. Die Ukraine darf in der Ausübung ihres Selbstverteidigungsrechts unterstützt werden, auch wenn sie dabei Munition einsetzt, die von Vertragsparteien des Osloer Abkommens nicht mehr verwendet werden darf. Zweitens legen es Sinn und Zweck der Bestimmungen des Osloer Abkommens nahe, dass konkrete Unterstützungshandlungen für militärische Verteidigungsmaßnahmen für Vertragsparteien des Osloer Abkommens nicht mehr völkerrechtskonform sind, wenn ein enger Kooperationszusammenhang der Unterstützungsleistung mit dem Einsatz von Streumunition besteht. Es kommt auf die spezifische Hilfsleistung an. Während die allgemeine Unterstützung der ukrainischen Verteidigung durch Waffenlieferungen nicht durch den Einsatz von Streumunition in Frage gestellt wird, sind Vertragsparteien des Osloer Abkommens gut beraten, darauf zu dringen, dass von ihnen zur Verfügung gestelltes militärisches Material in solchen Einsätzen nicht verwandt wird. Dies wird besonders Situationen betreffen, in denen militärisches Gerät geliefert und unter Umständen auch gemeinsam gewartet wird, welches in der Lage dazu ist, Streumunition zu verschießen. Drittens besteht eine Verpflichtung der Bundesregierung, die Ukraine möglichst vom Einsatz von Streumunition abzubringen. Wie diese Verpflichtung zu erfüllen ist, wird vom Osloer Abkommen allerdings nicht vorgegeben, da die Verpflichtung, sich „nach besten Kräften zu bemühen“ ein äußerst unbestimmter Rechtsbegriff ist, der jedenfalls einen erheblichen politischen Einschätzungsspielraum eröffnet, was diese „besten Kräfte“ im Einzelfall darstellen. Am wirksamsten dürfte hier der Verweis auf die denkbaren mittelfristigen Auswirkungen des Einsatzes von Streumunition auf den politischen Rückhalt der Ukraine in verbündeten Staaten sein. Völkerrechtspolitisch würde viel für einen Verzicht auf den Einsatz solcher Munition sprechen. Ob man dies der Ukraine angesichts der existenziellen Bedrohungslage, in der sie sich befindet, aber guten Gewissens raten kann, steht auf einem anderen Blatt. In der Summe verbleibt auch für Vertragsparteien des Osloer Abkommens ein erheblicher Einschätzungsspielraum, wie sie ihre auf die Zusammenarbeit mit Nichtvertragsparteien bezogenen Verpflichtungen aus diesem Abkommen verstehen.
Jeder deutsche Amtsträger, der mit Waffenlieferungen an die Ukraine zu tun hat, ist im übrigen gut beraten, einen Blick in das Kriegswaffenkontrollgesetz zu werfen. Hier drohen erhebliche Strafbarkeitsrisiken, namentlich durch die verselbstständigte Beihilfe nach § 20a Abs. 1 Nr. 3 KWKG. Denn nach dieser Vorschrift macht sich strafbar, wer den Umgang mit Streumunition fördert. Und dies gilt (gerade) auch dann, wenn der „Haupttäter“ (etwa ein ukrainischer