Verfassungsfeindlicher Klimaaktivismus?
Warum die Verdachtsfalleinstufung der Gruppe „Ende Gelände“ rechtswidrig ist
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bearbeitet ausweislich des nun vorgestellten Verfassungsschutzberichts für das Jahr 2023 (S. 165) „Ende Gelände“ als linksextremistischen Verdachtsfall. Die klimaaktivistische Gruppierung wird so öffentlich mit dem Stigma der Verfassungsfeindlichkeit belegt, zukünftig darf sie auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln nach § 8 Abs. 2, § 9 BVerfSchG beobachtet werden. Wie schon zuvor die Einstufung einiger Landesämter (vgl. Berlin 2019, S. 162 und Nordrhein-Westfalen 2023, S. 185), stößt nun die Entscheidung des BfV auf heftige Kritik. Zu Recht: Die Einstufung ist juristisch nicht haltbar. Das BfV verwechselt radikale Systemkritik mit Verfassungsfeindlichkeit.
Verfassungsfeindliche Ziele?
Politische Gruppierungen im Verfassungsschutzbericht zu erwähnen, greift in deren Grundrechte ein. Zwar beschränkt der Staat nicht rechtlich ihre Handlungsmöglichkeiten, die Warnung vor den Gruppen wirkt aber gezielt auf den öffentlichen Diskurs ein. Das ist nur auf einer gesetzlichen Grundlage zulässig. § 16 Abs. 2 BVerfSchG ermächtigt das Bundesministerium des Innern zur Publikation von Berichten über die Bestrebungen, die nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG Gegenstand der Beobachtung des BfV sind. Der Verdacht des BfV gegenüber „Ende Gelände“ dürfte sich darauf beziehen, dass es sich um eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (fdGO) gerichtete Bestrebung handelt (die weiteren in § 3 Abs. 1 genannten Beobachtungsgründe kommen offensichtlich nicht in Betracht).
Die Beobachtung fdGO-widriger Bestrebungen durch den Verfassungsschutz entspricht dem Konzept der wehrhaften Demokratie, das im Grundgesetz mit dem Parteiverbot (Art. 21 Abs. 2), dem Vereinsverbot (Art. 9 Abs. 2) und der Grundrechtsverwirkung (Art. 18) bekannt ist. Der Sinn der Tätigkeit des Verfassungsschutzes ist zumindest auch, die Regierung mit den gesammelten Informationen in den Stand zu versetzen, diese Instrumente zu nutzen. Die entscheidende Frage ist allerdings, wie die fdGO im Einzelnen zu definieren ist. Hier liegt die Gefahr auf der Hand, dass die jeweilige Regierung die wehrhafte Demokratie als Instrument zur Unterdrückung Andersdenkender und damit zur Befestigung ihrer eigenen Macht nutzt. Das BVerfG hat die fdGO in seinen frühen Urteilen in den Parteiverbotsverfahren gegen die SRP und die KPD zunächst im Sinne grundlegender Prinzipien der Ordnung des Grundgesetzes definiert. Diese Prinzipien, zu denen unter anderem demokratische Wahlen einer Volksvertretung und „die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte“ zählten, wurden später in einer Legaldefinition der fdGO in den Verfassungsschutzgesetzen übernommen, so etwa in § 4 Abs. 2 BVerfSchG. Als Verfestigung eines politischen Mainstreams gegenüber radikalen Alternativen stieß diese Definition allerdings auch auf vehemente Kritik (vgl. etwa hier, S. 65). Gruppen der radikalen Linken, die eine grundlegend andere Wirtschaftsordnung und eine andere Demokratie als die im Grundgesetz verwirklichte repräsentative anstrebten, gerieten zunehmend ins Visier des – von politisch rechtsgerichtetem Personal dominierten – Verfassungsschutzes. Dabei blieb es nicht bei der Beobachtung. Nach dem „Radikalenerlass“ wurde zahlreichen Lehramtsanwärter:innen, die der DKP anhingen, die angestrebte Beamtenlaufbahn verwehrt.
Im NPD-Urteil 2017 hat das BVerfG die Kritik aufgegriffen und die fdGO in überzeugenderer Weise deutlich enger definiert (Rn. 529 ff., vgl. dazu hier). Das Urteil stellt klar, dass es nicht um den Schutz der gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Ordnung der Bundesrepublik geht, sondern darum, die für einen freiheitlichen Verfassungsstaat unabdingbaren Prinzipien zu bewahren: Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Dabei betont der Zweite Senat, dass Demokratie unterschiedlich ausgestaltet sein kann und nicht auf die repräsentative Form festgelegt ist, solange überhaupt ein offener politischer Prozess gewährleistet ist. Auch der Grundrechtskatalog gehört nicht insgesamt zum Schutzgut der fdGO, sondern nur in seinem Menschenwürdekern. Nicht umfasst ist namentlich das Privateigentum an den Produktionsmitteln. Bestrebungen, die für eine weitreichende Einschränkung wirtschaftlicher Freiheit eintreten, dürfen daher nicht als fdGO-widrig angesehen werden.
Das BfV begründet die Einstufung von „Ende Gelände“ als verfassungsfeindlich nun mit kapitalismus-, staats- und polizeikritischen Positionen, die in zwei 2022 aus der Gruppierung heraus veröffentlichten Schriften deutlich wurden (S. 165 f.). Unabhängig von der Frage, ob diese Positionierungen überhaupt eine hinreichend konkrete politische Version erkennen lassen und ob sie für „Ende Gelände“ insgesamt sprechen: Dass die Staats- und Wirtschaftsordnung in ihrer gegenwärtigen Gestalt als ungeeignet angesehen wird, um effektiven Klimaschutz zu verwirklichen, kann nach den Maßstäben des NPD-Urteils nicht für die Verfassungsfeindlichkeit genügen. In einer aktuellen Pressemitteilung, die auf die Einstufung reagiert, gibt „Ende Gelände“ an, sich für „Rechte auf ein würdevolles Leben auch in Zukunft“ einzusetzen und insbesondere von der Bundesregierung zu fordern, sich an den Klimabeschluss des BVerfG zu halten. Dass „Ende Gelände“ eine politische Ordnung anstreben würde, in der Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht mehr gelten sollen, lässt sich nicht ernsthaft behaupten.
Die fdGO darf auch nicht für die Zwecke der Verfassungsschutzbehörden weiter definiert werden als bei Art. 21 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 2 GG (dazu bereits hier). Den Grundgesetznormen ist die Wertung zu entnehmen, dass die Exekutive in den politischen Prozess nur eingreifen darf, um dessen Grundlagen zu bewahren. Der Unterschied zu den Verbotsinstrumenten besteht darin, dass für die Beobachtung eine geringere Tatsachenbasis genügt – die Informationserhebung durch den Verfassungsschutz schafft gerade die Grundlage für mögliche Parteiverbotsanträge und Vereinsverbote. Auch der „Verfassungsschutz durch Öffentlichkeitsarbeit“ darf nicht darauf hinauslaufen, jede radikale Kritik an der bestehenden Ordnung kommunikativ zu bekämpfen. Die Legaldefinitionen der fdGO in den Verfassungsschutzgesetzen des Bundes und der Länder, die noch an die Urteile der 1950er-Jahre angelehnt sind, bedürfen dringend der Anpassung an das NPD-Urteil und sind einstweilen im Lichte des neu konturierten grundgesetzlichen fdGO-Begriffs verfassungskonform einschränkend auszulegen.
Verfassungsfeindliche Aktionsformen?
Vielleicht geht es dem BfV bei „Ende Gelände“ aber auch weniger um die politischen Fernziele. Konkrete Aussagen, wie eine alternative Ordnung aussehen sollte, finden sich bei „Ende Gelände“ ohnehin nicht. Im Fokus dürften vielmehr die von der Gruppe selbst als „ziviler Ungehorsam“ bezeichneten Aktionsformen, Blockaden und Besetzungen fossiler Infrastruktur stehen. Tatsächlich kann es unabhängig von der Verfassungsfeindlichkeit der politischen Fernziele für die Beobachtung einer Gruppe durch den Verfassungsschutz genügen, dass sie auf bestimmte Handlungsformen zurückgreift – nämlich dann, wenn sie auf physische Gewalt setzt: Im NPD-Urteil nannte das BVerfG als einen Aspekt des rechtsstaatlichen Elements der fdGO, dass die Anwendung physischer Gewalt staatlichen Organen vorbehalten ist, die an Recht gebunden sind und der gerichtlichen Kontrolle unterliegen (Rn. 547). Wendet eine Gruppe physische Gewalt an, um politische Ziele durchzusetzen, zeigt sich daran, dass sie das staatliche Gewaltmonopol nicht anerkennt (Rn. 580). Selbst wenn die politischen Ziele nicht als solche fdGO-widrig sind – politisch motivierte Gewaltanwendung ist es in jedem Fall. Das hat auch einen demokratischen Grund: Auch radikale Veränderungen bedürfen wie alle politischen Entscheidungen der Legitimation durch demokratische Verfahren, die durch gleichberechtigte Mitwirkungsmöglichkeiten aller Bürger:innen geprägt sind (vgl. NPD-Urteil, Rn. 544).
Auf den politischen Prozess lässt sich nun allerdings auf sehr unterschiedliche Weise einwirken. Dazu zählt neben Wahlen insbesondere auch die Beteiligung an der öffentlichen Meinungsbildung durch Demonstrationen. In der neueren Rechtsprechung zur Versammlungsfreiheit ist anerkannt, dass jenseits der klassischen Demonstration auf der Straße auch unkonventionelle Protestformen am „Ort des Geschehens“, beispielsweise auf Autobahnen und in Wäldern, geschützt sind. Auch dass der fragliche Ort im Privateigentum steht, steht dem Grundrechtsschutz nicht von vornherein entgegen. Erst kürzlich hat das BVerwG klargestellt, dass auch Blockadeaktionen nicht aus dem Schutz des Art. 8 GG herausfallen, solange dabei Meinungen geäußert werden. Eine in Art. 8 Abs. 1 GG explizit benannte Grenze des Grundrechtsschutzes ist erst bei unfriedlichem Handeln erreicht. Dabei wird Unfriedlichkeit nicht schon angenommen, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt, sondern erst, „wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen oder sonstige Gewalttätigkeiten stattfinden“ (BVerfGE 104, 92 [106]). Hier wird also wiederum zwischen kommunikativer Einwirkung auf den politischen Prozess und der Durchsetzung eigener Ziele durch physische Gewalt abgegrenzt. „Ende Gelände“ betont, bei seinen Aktionen ganz im Sinne des gängigen Verständnisses des „zivilen Ungehorsams“ gewaltlos vorzugehen. Die bisherigen Aktionen, im Wesentlichen Besetzungen von Braunkohletagebauen, verliefen ohne physische Gewalt. In der gewaltfreien Ausrichtung unterscheidet sich „Ende Gelände“ gerade von anderen, dezidiert militanten Gruppen des klimaaktivistischen Spektrums. Dass der Verfassungsschutzbericht die „Guerilla Activists Fighting for Anarchy“ (GAFFA) aufführt, die sich zu mehreren Brandanschlägen in Tagebauen bekannt hatten (S. 167), erscheint nachvollziehbar – die Beobachtung von „Ende Gelände“ nicht.
Politisch motivierte Straftaten und die Aufgabe des Verfassungsschutzes
Dass die Aktionen von „Ende Gelände“ unter Verzicht auf physische Gewalt ablaufen, schützt sie allerdings nicht notwendigerweise vor Strafverfolgung. Ein weiterer Aspekt des „zivilen Ungehorsams“ neben der Gewaltlosigkeit ist, dass die Aktivist:innen bewusst zumindest prima facie gegen geltendes Recht verstoßen und etwaige Konsequenzen auf sich nehmen. Die Besetzung von Tagebauen kann tatbestandlich Hausfriedensbruch (§ 123 StGB), die Blockade von Baggern ggf. auch trotz fehlender Substanzschädigung Sachbeschädigung (§ 303 StGB) darstellen. Und die Strafgerichte legen bekanntlich bei der Nötigung (§ 240 StGB) einen entgrenzten Gewaltbegriff zugrunde, der auch ohne eine unmittelbare Einwirkung auf menschliche Körper oder eine Substanzschädigung von Sachen irgendwie geartete physische Wirkungen ausreichen lässt. Der vereinzelt auch in der Rechtsprechung vertretene Ansatz, klimaaktivistische Straftaten mit einem „Klimanotstand“ nach § 34 StGB zu rechtfertigen, hat sich aus Gewaltenteilungserwägungen nicht durchgesetzt – hierauf verweist auch der Verfassungsschutzbericht (S. 163). Demgegenüber kann der Umstand, dass Aktionen unter den Schutz des Art. 8 GG fallen, grundsätzlich zu einer Rechtfertigung führen. Wie jedes staatliche Handeln müssen strafgerichtliche Urteile nach Art. 1 Abs. 3 GG vollumfänglich den Grundrechten entsprechen. Eine Rechtfertigung ist aber nicht stets grundrechtlich geboten. Die Versammlungsfreiheit darf nach Art. 8 Abs. 2 GG auf gesetzlicher Grundlage eingeschränkt werden. Jedenfalls bei längeren Betriebsstörungen, die zu erheblichen Kosten führen, erscheint es auch nicht unverhältnismäßig, von den strafrechtlichen Verboten keine Ausnahme anzuerkennen.
Aber wie auch immer die Strafbarkeit im Einzelnen zu beurteilen sein mag: Selbst wenn sie zumindest für einen Teil der Aktionen im Ergebnis zu bejahen ist, rechtfertigt das für sich genommen nicht die Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Verfassungsfeindliche Bestrebungen können bei politisch motivierten Straftaten nicht automatisch angenommen werden, sondern nach dem Gesagten nur, wenn sich darin entweder das Fernziel einer Abschaffung der elementaren Verfassungsgrundsätze der Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit manifestiert (wie es etwa bei Äußerungsdelikten aus dem rechtsextremistischen Spektrum zulasten von Minderheiten der Fall ist), oder wenn physische Gewalt ausgeübt und damit das staatliche Gewaltmonopol missachtet wird. Wenn das BfV demgegenüber ohne diese Eingrenzung sämtliche politisch motivierten Straftaten erfasst (vgl. S. 26 ff. des aktuellen Berichts; dabei liegt immerhin ein besonderer Fokus auf Gewalttaten), ist das nicht mehr von seiner Aufgabe nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG gedeckt. Das heißt nicht, dass der Staat solche Straftaten nicht verhüten dürfte. Deren Prävention ist jedoch Aufgabe der Polizei, die dabei auch nicht der Zuarbeit eines sich als „Frühwarnsystem“ verstehenden Verfassungsschutzes (vgl. S. 19 des Berichts) bedarf. Sie verfügt nach den Landesgesetzen selbst über Befugnisse zur Informationserhebung auf eher vagen Verdachtsgrundlagen (vgl. etwa § 49 Abs. 1 Nr. 2 PolG BW: Datenerhebung über „eine Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie innerhalb eines überschaubaren Zeitraums auf eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Weise eine Straftat mit erheblicher Bedeutung begehen wird“), wobei eingriffsintensive Überwachungsmaßnahmen aus Verhältnismäßigkeitsgründen nur zur Verhütung schwerer Straftaten in Betracht kommen. Die Datenerhebung ist dabei ganz auf etwaige operative Gefahrenabwehrmaßnahmen bezogen – die erst erfolgen dürfen, wenn sich die Anhaltspunkte zu einer konkreten Gefahr, also einem kurzfristig mit hinreichender Wahrscheinlichkeit drohenden Schadensereignis verdichtet haben. Wenn sich Verdachtsmomente nicht bestätigen, kommt es zu keinem Grundrechtseingriff jenseits der Datenerhebung. Den rechtsstaatlichen Grundsatz, dass nicht-informationelle, real spürbare Grundrechtseingriffe erst bei konkreten Gefahren erfolgen (vgl. etwa hier, S. 496 ff.), durchbricht die Verdachtsberichtserstattung des Verfassungsschutzes. Das lässt sich mit dem Gedanken der wehrhaften Demokratie rechtfertigen, muss aber eben auch darauf begrenzt bleiben.
Fazit
Die Beobachtung von „Ende Gelände“ durch das BfV als „linksextremistischer Verdachtsfall“ ist rechtswidrig. Der Schutz der fdGO umfasst lediglich die im NPD-Urteil 2017 hervorgehobenen elementaren Verfassungsgrundsätze der Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, so dass der Wunsch der Gruppierung nach einer fundamental anderen wirtschaftlichen und politischen Ordnung nicht für die Einstufung genügt. Auch die Aktionsformen rechtfertigen die Einstufung nicht, da sie unabhängig von der Frage der Strafbarkeit im Einzelnen jedenfalls gewaltfrei sind. Dass der freiheitlichen Verfassungsordnung tatsächlich von der anderen Seite des politischen Spektrums Gefahr droht, ist mit den Wahlerfolgen einer sich stetig weiter radikalisierenden AfD offensichtlich. Diese Gefahr wird im aktuellen Verfassungsschutzbericht immerhin deutlich benannt (S. 113 ff.). Solange das BfV jedoch auch Teile des demokratischen Spektrums allein wegen der Forderung nach radikalem politischem Wandel und unkonventionellen Aktionsformen als Verfassungsfeinde diffamiert, verliert es die Glaubwürdigkeit, die es im Kampf um die Bewahrung unserer Demokratie bitter nötig hat.
Der Beitrag lässt eine bedenkliche Verharmlosung der Organisation “Ende Gelände” (im Folgenden: EG) erkennen. Entgegen der Darstellung des Autors vertritt EG nicht nur “polizeikritische Positionen”. Vielmehr wird ausdrücklich die Abschaffung des Polizei gefordert (Verfassungsschutzbericht 2023, S. 166). Das läuft in der Konsequenz auf ein Ende des staatlichen Gewaltmonopols hinaus, denn ohne Polizei kann dieses nicht mehr effektiv durchgesetzt werden. Des Weiteren übersieht der Autor auch, dass EG die Freilassung der linksextremistischen Gewalttäterin Lina E. fordert (Verfassungsschutzbericht 2023, S. 166 f). Hieraus wird deutlich, dass EG offenbar selbst schwere Gewalttaten nicht für strafwürdig erachtet, was den Schluss nahelegt, dass Gewalt als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung angesehen wird. Richtigerweise dürfte schon das hier zutage tretende Verhältnis zum Einsatz von Gewalt genügen, um den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung zu begründen. Zu der Behauptung des Autors, dass die Aktionen von EG (derzeit) unter Verzicht auf physische Gewalt ablaufen, kann man wohl ohnehin nur gelangen, wenn man – entgegen der stRspr im Strafrecht – die Gewalt durch Sitzblockaden uä durch einen restriktiven Gewaltbegriff einfach wegdefiniert. Man wüsste gerne, ob der Autor bei der “gewaltfreien” Besetzung eines Asylbewerberheims durch Rechtsextremisten ähnlich wohlwollend argumentieren würde.
Bemerkenswert ist jedenfalls, wie unterschiedlich die von ihm angelegten Maßstäbe sind: Während er beim rechtsextremistischen Spektrum ausdrücklich schon Äußerungsdelikte als Beleg für die Verfassungsfeindlichkeit genügen lässt, versucht er mit einiger Argumentationskunst in Bezug auf Linksextremisten die fortgesetzte Begehung erheblicher Straftaten samt staatsfeindlicher Rhetorik (zB die Diffamierung von Gerichten als “Repressionsorgane”, Verfassungsschutzbericht 2023, S. 166) als nicht verfassungsfeindlich darzustellen. Das mag man alles als Konsequenz der (wenig konkreten und damit vielfältig interpretierbaren) Neudefinition der FDGO ansehen – man könnte jedoch auch auf die Idee kommen, dass hier aus politischen Gründen zwischen gutem und schlechtem Extremismus unterschieden wird.
Sich für Klimaschutz einzusetzen, ist also linksextremistisch?
Da frage ich mich, in was für einem Land wir leben.
Und wie sie den Bogen von der Forderung nach der Freilassung einer Person (zu welchem politischem Spektrum diese auch immer zuzurechnen ist) zur Verurteilung der Fordernden spannen, ist schon abenteuerlich.
Ein kluger Kommentar zu einem höchst einseitigen und apologetischen Artikel Man ersetze doch einmal den Begriff “Ende Gelände” durch “AfD”, um die Einseitigkeit des Autors zu erkennen. Heuer ist die Grenze zwischen [wissenschaftlicher] Analyse und politischem Aktivismus recht dünne; hier ist sie nicht erkennbar. das aber diskreditiert beide, die Wissenschaft und den Aktionismus.
Glückauf
Sehr geehrter Herr Schneider,
sicherlich ist es problematisch und genau und differenziert zu betrachten, wenn „Ende Gelände“ (oder andere Klimaaktivisten) in der von Ihnen angesprochenen Form Gewalt ausübt oder auszuüben plant. Doch sehe ich in Ihrem Kommentar, in dem Sie dem Autoren des Artikels unterschiedlich angelegte Maßstäbe vorwerfen (und indirekt eine linke politische Haltung – was wiederum Ihre politische Haltung, die hier aber nicht Thema ist, erahnen läßt), daß Sie Dinge in einen Topf werfen, die nicht in einen Topf gehören:
Es gehört zum Kern politisch rechter Positionen, Gewalt auszuüben, das staatliche Gewaltmonopol zu unterlaufen, es sogar zu bekämpfen, es ist der Kern dieser Politik, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu unterlaufen oder eher noch abzuschaffen. Wenn rechte Gruppierungen ein Asylbewerberheim besetzen, ist das nicht einmal ansatzweise damit zu vergleichen, wenn Klimaaktivisten eine Straße blockieren, einen Bagger an seiner Arbeit hindern o.ä. Hier haben wir zwei mit ähnlichen Worten zu beschreibende und äußerlich auf den ersten und oberflächlichen Blick ähnliche Vorgänge: etwas wird besetzt/blockiert. Doch haben wir es mit zwei qualitativ sehr verschiedenen, wenn nicht vollkommen entgegengesetzten Erscheinungen zu tun. Wenn rechte Gruppierungen ein Asylbewerberheim besetzen, dann geht es gegen die darin lebenden Menschen, und zwar aufgrund von etwas, das sie nicht ändern können: ihre Herkunft, ihren Geburtstort, ihre Nationalität usw., und die Vergangenheit hat mehr als einmal eindrücklich und äußerst schmerzlich gezeigt, wie unmittelbar und brutal diese scheinbar so harmlose Blockade in schiere und unbändige Gewalt umschlagen kann und sogar, sein wir ehrlich, auch eingeplant ist/war.
Das Ziel politisch rechter Aktivitäten besteht in Zerstörung, in Ausgrenzung, besteht darin, einer willkürlich definierten Elite auf Kosten aller Menschen, die nicht ihrer Definition entsprechen, optimalen Lebensraum zu verschaffen. Und dazu wird Gewalt bis in extreme Formen explizit gutgeheißen. Diese Gruppierungen äußern es verblümt, wenn sie noch um Anerkennung in der Öffentlichkeit ringen, und unverblümt, wenn sie unter sich sind, aber beide Male eindeutig, „Kampf“ ist eine Art Lebensformel für sie, darin sind Haß gegen ihre „Feinde“ und Zerstörung, Heldentum usw. eingeschlossen. Die Ziele politisch als rechts zu bezeichnender Gruppierungen sind denen des Grundgesetzes diametral entgegengerichtet! Das Grundgesetz gehörte zu dem Ersten, das sie abschaffen würden.
Die Ziele von Klimaaktivisten hingegen sind wiederum denen der Rechten entgegengesetzt: Sie engagieren sich dafür, daß es eine lebenswerte Zukunft für ALLE gibt. Und das ist schon vom Prinzip her nicht nur ein Alptraum für politisch Rechtsgesinnte, sondern vor allem genau das, was unser Grundgesetz auch will.
Also bitte nicht beide in einen Topf werfen. Außer wenn Sie mit verschiedenen Maßstäben messen wollen…
Herrn Michael Schneider ist zu widersprechen: die Abschaffung der Polizei zu fordern ist nicht nur nicht verfassungsfeindlich, sondern eine legitime, Art. 5 GG unterfallende Position, welche nicht den Kernbereich der fdGO berührt: denn wie Menschen soziale Konflikte klären, aufarbeiten und ggf. auch ahnden, gibt die fdGO nicht verbindlich vor.
Zudem muss hier auch an die Unschuldsvermutung in Bezug auf “Lina E.” erinnert werden: sie ist eben keine “linksextremistischen Gewalttäterin”, sondern es gibt ein nicht-rechtskräftiges Urteil eines OLG! Damit gilt sie in rechtlichem Sinne weiterhin als unschuldig.
Das Gerichte als “Repressionsorgane” bezeichnet werden, unterfällt gleichermaßen dem Schutzbereich des Art. 5 GG, und ist auf deskriptiver Ebene ganz offenbar zutreffend, denn was anderes tun und sind Strafgerichte? Sie sollen aben auch repressiv agieren. Das wird auch Herr Schneider kaum in abrede stellen wollen. Hieraus aber eine Verfassungsfeindlichkeit abzuleiten, ist nur bei entsprechend einseitiger und verengender Argumentation möglich.
Die gleiche Argumentation liesse sich in Bezug auf die Einstufung der AfD führen.
Man kann nicht Beides haben. Entweder ist die AfD zu Recht ein Verdachtsfall, dann gilt das auch für “Ende Gelände”. Oder man muss tolerieren, dass “Ende Gelände” unter Annahme eines “höheren Rechts” oder einer dringenden Notwendigkeit Verfassungsgrundsätze in Frage stellt. Dann muss man der AfD das Gleiche zugestehen. Man kann die Fälle nicht schon deshalb unterschiedlich behandeln, weil einem die eine Ideologie gefällt und die andere nicht. Das sollte Herr Dr. Hohnerlein mit seiner Vorbildung eigentlich wissen.
Ganz herzlchen Dank für diesen erhellenden Beitrag! Ich bin kein Jurist, befasse mich allerdings intensiv mit diesem Themenkomplex und finde Ihren Artikel spannender, als es ein Krimi sein kann.
Beste Grüße nach …*
Thomas Peters
*Hier bitte an den Ort denken, an dem Sie sich gerade befinden.
Eine neutrale Analyse sieht eindeutig anders aus! Der Autor hat hier klare politische Präferenzen zugunsten dieser Organisation und sieht den Sachverhalt nicht neutral!
Die von EG vorgeschlagene Abschaffung der Polizei ist eine offensichlich nicht im Sinne des Kommentators Schneider gemeinte Überspitzung, die sich auf die Polizei in ihrer heutigen Form beziehen dürfte: oft unnötig gewalttätig, ideologisch nicht neutral, gegen strafrechtliche Verfolgung gut intern abgeschottet. (Habe ich alles drei persönlich in der BRD erlebt.) Im Rahmen rechtlich erlaubter radikaler Änderugsforderungen lässt sich auch ein “ganz anderes” Gewaltmonopol – durch den Souvereign beschlossen – vorstellen.
Ich bin für die Freilassung von z.B. A. Öcalan (PKK) oder Johannes Weinrich (RZ). Nach Schneider dürfte ich das nicht sein und würde vom BfV dann “rechtmäßig” beobachtbar.
Daß Gerichte Repressionsorgane sein können, ist ja nicht erst durch Freisler bekannt, auch heute hat es immer wieder eklatante Beweise gegeben. (Habe ich auch selbst in der BRD erlebt.) Während EG Freiheit, Demokratie, Umwelterhaltung, Klimaschutz sich auf die Fahnen schreibt, ist die AfD – von Schneider verharmlost als “nur verbal” – expressis verbis eine enorme Gefahr für diese Grundrechte und daher mutmaßlich kriminell.