Waffenlieferungen als Staatsräson?
Rüstungsexporte nach Israel dürfen nicht genehmigt werden. Das ist der Tenor eines Urteils des niederländischen Berufungsgerichts in Den Haag vom 12. Februar diesen Jahres, das der niederländischen Regierung aufträgt, den Export von Bauteilen für F-35 Kampfjets nach Israel zu untersagen (dazu hier und hier).
Auch deutsche Kriegswaffenexporte nach Israel verstoßen gegen völkervertragsrechtliche Normen. Sie sind außenpolitisch bedenklich und sollten im Einklang mit nationalem Außenwirtschaftsrecht nicht aufrechterhalten werden.
Während Waffenausfuhren nach Saudi-Arabien und auch die Exporte in die Ukraine weitgehend medial beachtet und problematisiert werden (stellvertretend hier und hier), findet ein entsprechender Diskurs über Israel nur rudimentär statt. Das verwundert angesichts des Rekordhochs, das der Rüstungsexport nach Israel im vergangenen Jahr erlebte.
Der überwiegende Teil der Genehmigungen erging in Reaktion auf den menschenverachtenden Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023. Während jedoch der Waffenexport nach Israel aus Deutschland zunimmt, hat das Ausmaß der israelischen Reaktion in anderen europäischen Staaten für eine restriktive Haltung gesorgt. Die Entscheidung des Berufungsgerichts Den Haag steht hier nicht allein: Eine belgische Regionalregierung hat unter Hinweis auf den Beschluss des IGH vom 26.01.2023 Waffenexporte nach Israel suspendiert. Italien liefert aus „Sorge vor Kriegsverbrechen“ seit Kriegsbeginn keine Waffen mehr. Und selbst der Hohe Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell hatte jüngst (wenn auch kryptisch) gefordert, dass in Anbetracht der unverhältnismäßigen Kriegsführung weniger Waffen nach Israel gelangen müssten.
Deutschland sollte sich hier einreihen, um seine völkerrechtliche und außenpolitische Glaubwürdigkeit zu bewahren. Das Außenwirtschaftsrecht erlaubt und gebietet eine zurückhaltende Genehmigungspraxis.
Wann werden Waffenexporte genehmigt…
Ob Waffenexporte aus Deutschland zulässig sind, hängt vorbehaltlich weiterer Abstufungen innerhalb der jeweils anzuwendenden Vorschriften zuvorderst von der Unterscheidung zwischen Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern ab. Für alle Rüstungsgüter, also auch für Kriegswaffen, sind bei der Ausfuhr zunächst die Bestimmungen des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) und der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) zu beachten. Das hier errichtete präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt wird für Kriegswaffen zu einem repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt verschärft. Mit anderen Worten: Der Kriegswaffenexport ist im Grundsatz nicht nur genehmigungsbedürftig, sondern verboten und nur im atypischen Ausnahmefall zu gestatten. Dem entspricht das Kriegswaffenkontrollgesetz (KrWaffKontrG) (s. auch Rn. 41), das den Verfassungsauftrag des Art. 26 Abs. 2 GG umsetzt und einen Genehmigungsvorbehalt der Bundesregierung – in der Praxis vornehmlich das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), § 11 Abs. 2 Nr. 4 KrWaffKontrG, oder aber der Bundessicherheitsrat – für die Ausfuhrgenehmigung zugunsten eines Exporteurs vorsieht. Die speziellen Regelungen zu Kriegswaffen stehen im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen.
…und wann müssen sie versagt werden?
6 KrWaffKontrG regelt die Versagung der Exportgenehmigung von Kriegswaffen. Da ein Anspruch auf die Genehmigung (aus guten Gründen) nicht vorgesehen ist, kann der Antrag eines Exporteurs jederzeit abgelehnt werden. § 6 Abs. 2 KrWaffKontrG stellt mit exemplarischen Fallbeispielen klar, wann eine Versagung dem Ermessen der Behörde überlassen wird. Im Gegensatz dazu formuliert § 6 Abs. 3 KrWaffKontrG zwingende Versagungsgründe. Wenn die Gefahr besteht, dass die Kriegswaffen bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg, verwendet werden (Nr. 1), Grund zu der Annahme besteht, dass die Erteilung der Genehmigung völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik verletzen oder deren Erfüllung gefährden würde (Nr. 2) oder Grund zu der Annahme besteht, dass eine der in Absatz 2 Nr. 2 genannten Personen die für die beabsichtigte Handlung erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt (Nr. 3), müssen die Genehmigungen versagt werden.
Was bedeutet das für den konkreten Anwendungsfall?
Von den Rüstungsgütern, die Deutschland 2023 nach Israel ausgeführt hat, waren Güter im Wert von 20 Millionen Euro (Panzerabwehrwaffen und Munition) den Kriegswaffen i.S.d. KrWaffKontrG zuzuordnen. Angesichts der wachsenden Zweifel an der Völkerrechtskonformität der israelischen Militärkampagne in Gaza stellt sich nun die Frage: Hätten die entsprechenden Genehmigungen eigentlich versagt werden müssen? Oder müssten zumindest zukünftige Kriegswaffenexporte an Israel versagt werden?
6 Abs. 3 Nr. 2 KrWaffKontrG spricht von Verletzungen völkerrechtlicher Verpflichtungen der Bundesrepublik oder der Erfüllungsgefährdung. Die Norm erfasst damit alle vertraglichen Pflichten ebenso wie universell geltendes Völkergewohnheitsrecht, Art. 25 GG, Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut. Eine solche Verpflichtung könnte sich, parallel zum Urteil des Berufungsgerichts Den Haag, insbesondere aus dem Arms Trade Treaty (ATT) ergeben. Deutschland ist, wie die Niederlande, Vertragspartei.
Gescheiterte Risikoabwägung
Art. 7 ATT, auf den das niederländische Urteil abhebt, statuiert eine Untersuchungspflicht: Der exportierende Staat muss unter Berücksichtigung „aller relevanter Faktoren“ prüfen, ob „Potential“ besteht, dass mit den Waffen bestimmte Völkerrechtsverletzungen wie schwerwiegende Verletzungen des humanitären Völkerrechts oder der Menschenrechte begangen oder erleichtert werden, Art. 7 Abs. 1 (b) ATT. Ergibt die Risikoanalyse das „eindeutige Risiko“ („overriding risk“) einer Verletzung, muss jegliche Genehmigung versagt werden, Art. 7 Abs. 3 ATT. Die Bewertung des Risikos bemisst sich dabei anhand einer objektiven, auf das „betreffende Risiko“ abstellenden Analyse. In die Bewertung werden nach deutscher und wohl auch europäischer Lesart folglich keine äußeren „Kompensationsfaktoren“, etwa die antizipierte Herstellung von Frieden und Sicherheit, einbezogen (Rn. 7.92 f.; S. 9 f.). Dass eine regelmäßige Neubewertung bei sich ständig ändernden Konfliktsituationen unausweichlich ist, hat das niederländische Gericht unter Hinweis auf Art. 7 Abs. 7 ATT sowie Art. 2 Abs. 2 lit. c) des Gemeinsamen Standpunktes der EU zu Rüstungskontrollen, der ebenfalls eine Risikoabwägung vorsieht, entschieden (sehr informativ dazu León Castellanos-Jankiewicz).
Ob die deutsche Regierung eine derartige Analyse anhand „aller relevanter Faktoren“ durchgeführt hat, kann bezweifelt werden: Zu den Faktoren zählen nicht nur Beteuerungen der Israeli Defense Forces, sondern in gleichem Maße UN-Berichte, wie sie auch der IGH oder das niederländische Gericht herangezogen haben und die ein erschreckend konkretes Bild zeichnen. Die hohen Opferzahlen in Gaza, eine nahezu vollkommen zerstörte Infrastruktur, Berichte über Angriffe auf zivile Einrichtungen und Zivilisten sowie die Behinderung von und Angriffe auf Hilfskonvois legen nicht nur nahe, dass grundlegende Prinzipien des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte in Gaza kaum noch Beachtung finden; sie sind Symptome eines eindeutigen Risikos i.S.d. Art. 7 Abs. 3 ATT. Der pauschale Verweis auf die Hamas-Taktik „menschlicher Schutzschilde“ kann nicht über das Erfordernis verhältnismäßiger Zielauswahlen im humanitären Völkerrecht hinweghelfen. Auch wenn je nach Einzelfall entschieden werden muss, ist die Risikoabwägung davon unabhängig und setzt gerade keine abschließende Feststellung voraus. Die Bewertung eines „eindeutigen Risikos“ bezieht sich auf das „Potential“ gem. Art. 7 Abs. 1 ATT und damit auf die Wahrscheinlichkeit, dass mit den gelieferten Waffen die aufgeführten Völkerrechtsverstöße begangen oder erleichtert werden.
Deutsche Waffenlieferungen orientieren sich nicht an diesem Risiko und verstoßen gegen Art. 7 Abs. 1, 3 & 7 ATT und Art. 2 Abs. 2 c) des Gemeinsamen EU-Standpunktes. Solange das Risiko fortbesteht, müssen Genehmigung für künftige Exporte gem. § 6 Abs. 3 Nr. 2 KrWaffKontrG versagt und bereits erteilte Genehmigungen gem. § 7 Abs. 2 KrWaffKontrG zwingend widerrufen werden.
Nicht besser gewusst?
Während Art. 7 ATT die Pflicht zur objektiven Untersuchung festlegt, die in einem Exportverbot münden kann, bestimmt Art. 6 Abs. 1 ATT ein unbedingtes Ausfuhrverbot. Voraussetzung ist das „Wissen“ („knowledge“) über Völkerrechtsverletzungen, die mit den Waffen begangen werden. Inwieweit Wissen hier als reine Informationserkenntnis und ihre (korrekte) Verarbeitung verstanden werden muss ist nicht eindeutig. Jedenfalls dürfte sich empirischer Evidenz nicht wissentlich verschlossen werden, um den Tatbestand zu umgehen; dafür spricht etwa, dass sich entgegen früherer Vertragsentwürfe gegen ein explizit doloses Verhalten des exportierenden Staates entschieden wurde (Rn. 6.11 ff.). Vor einer abschließenden Feststellung überlässt das Wissenselement den Vertragsstaaten allerdings einen relativ großen Raum zur Vermeidung der Tatbestandserfüllung. Es lässt sich jedoch mit guten Gründen interpretieren, dass dieser Raum um so kleiner wird, je mehr sich die öffentlichen und glaubhaften Hinweise auf Völkerrechtsverstöße durch Israel verdichten. Sollte die Bundesrepublik z.B. gesicherte Kenntnis von individuellen Angriffen auf zivile Objekte haben, so bliebe kein Platz mehr für völkerrechtmäßige Waffenexporte – Der Tatbestand des § 6 Abs. 3 KrWaffKontrG wäre damit ebenfalls erfüllt.
Falls sich solche Feststellungen im Einzelfall treffen ließen, könnte auch eine Beihilfe Deutschlands zu den durch Israel begangenen Verstößen diskutiert werden. Art. 16 der Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ASR) setzt für den Beihilfe-Tatbestand ebenfalls Wissen hinsichtlich der durch einen anderen Staat begangenen Verstöße voraus. Die herrschende Meinung geht aber davon aus, dass das subjektive Element des Art. 16 ASR mehr als nur Erkenntnis meint und „Absicht“ („intent“) bezüglich der Beihilfehandlung fordert. Dass Deutschland Waffen an einen anderen Staat gerade mit dem Ziel des Völkerrechtsverstoßes liefert, ist fernliegend. Der Weg über den Beihilfetatbestand ist also noch weniger vielversprechend als der über Art. 6 ATT.
Das außenpolitische Dilemma
Ein zwingendes Exportverbot ließe sich also vorzugswürdig über § 6 Abs. 3 Nr. 2 KrWaffKontrG i.V.m. Art. 7 Abs. 1, 3 ATT begründen. Voraussetzung ist allerdings, dass vor der Ausfuhr das „eindeutige Risiko“ einer Völkerrechtsverletzung festgestellt wird. Im o.g. Urteil hat das niederländische Berufungsgericht eine entsprechende Bewertung an sich gezogen. Wer aber ist nach deutschem Recht befugt, eine solche Kontrolle durchzuführen? Der Gesetzgeber hat der Exekutive bzw. Gubernative ein erhebliches Vorabermessen eingeräumt, indem gem. § 6 Abs. 3 Nr. 2 KrWaffKontrG „Grund zu der Annahme“ bestehen muss, dass eine Pflichtverletzung oder -gefährdung vorliegt – insoweit wird die gebundene Einzelfallentscheidung nur angedeutet und durch einen denkbar weiten Spielraum bei der Entscheidungsfindung zur Mimikry. Der Umfang einer gerichtlichen Kontrolle scheint dadurch erheblich eingeschränkt. Die Entscheidungsfreiheit über den „Grund zur Annahme“ muss indes an bestimmten Rahmenbedingungen gemessen werden, wenn eine Genehmigung auf dem Prüfstand des § 6 Abs. 3 Nr. 2 KrWaffKontrG steht. Das BMWK verweist auf den Gemeinsamen Standpunkt der EU ebenso wie auf die Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern und bezeichnet beide Instrumente als „wichtige Kriterienkataloge“. Wenn dort ein restriktives Exportverhalten gegenüber Drittstaaten (ergo, nicht NATO- oder NATO-gleichgestellte Staaten) unter der Berücksichtigung von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht besonders hervorgehoben wird, ließe sich ein absoluter Entscheidungsfreiraum der Behörden damit nicht vereinbaren. Begrifflich deuten „politische“ Grundsätze und „wichtige Kriterienkataloge“ jedoch an, dass das BMWK von einer rechtlichen Bindungswirkung nicht ausgeht. Der Gemeinsame Standpunkt der EU ist allerdings nach Art. 29 EUV, 288 Abs. 4 AEUV verbindlich. Gem. Art. 2 Abs. 2 lit. c) des EU-Standpunktes muss eine Genehmigung zwingend versagt werden, wenn das Risiko schwerer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht besteht. Begreift man die politischen Grundsätze als Konkretisierung dessen, lässt sich ihnen ebenfalls mehr als nur eine politische Bedeutung beimessen. Berücksichtigt man die Grundrechtsrelevanz der Genehmigungsentscheidung, ließe sich sogar erwägen, ob von ihnen eine Selbstbindung der Bundesregierung ausgehen kann. Auch wenn man dies wegen des komplexen politischen Entscheidungskontexts verneinen wollte, bliebe die Direktivkraft des Verfassungsrechts zu beachten: Art. 26 GG gliedert sich in eine Reihe von Vorschriften ein, in denen die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes eine völkerrechtsfreundliche Auslegung bei Konflikten zwischen innerstaatlichen und völkerrechtlichen Normen gebietet.
Waffenlieferungen um jeden Preis?
Dass die verfassungsrechtlichen Regelungsaufträge in Art. 26 GG nur unvollkommen umgesetzt wurden, darf nicht dazu führen, dass die Bundesregierung sich bei der Genehmigung von Waffenexporten nicht mehr an Völkerrecht gebunden fühlt. Dies sollte erst recht gelten, wenn man Versprechungen im Koalitionsvertrag ernst meinte (S. 146).
Die Krux ist offensichtlich und exemplarisch für die Ambivalenz zwischen außenpolitischen Interessen und wertegeleiteter Außenpolitik: Auf dem Papier ist die deutsche Rüstungsexportkontrolle von dem außen- und sicherheitspolitischen Wunsch beseelt, Frieden und Sicherheit ebenso wie Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht als oberste Handlungsmaximen zu verfolgen. Dass Waffenlieferungen in Konfliktgebiete eben diesen Grundsätzen entsprechen können, hat sich am Beispiel der Ukraine eindrücklich gezeigt. Die von der deutschen Staatsräson getragene Entscheidung, Waffenexporte nach Israel zu genehmigen, fügt sich in dieses Muster ein und ist nur logisch, wenn man den außenpolitischen Beziehungen und Bekundungen gegenüber Israel Nachdruck verleihen und es nicht bei bloßen Lippenbekenntnissen belassen möchte. Demgegenüber müssen sich Behörden, die den verfassungsrechtlichen Genehmigungsauftrag ausführen auch die Frage gefallen lassen, ob Israel um jeden Preis unterstützt werden muss – dies um so mehr, je eindeutiger die Anzeichen für schwere Verstöße gegen das Völkerrecht werden.
Fazit
Deutschland verstößt mit momentanen Kriegswaffenexporten nach Israel nicht nur gegen Völkerrecht, sondern begibt sich in eine außenpolitisch missliche Lage. Nicht umsonst hat Nicaragua beim IGH jüngst beantragt, Deutschland zur Beendigung der Waffenexporte zu bewegen. Ob es generell tunlich ist, Kriegswaffen an einen Staat zu liefern, dessen Spitzenpolitiker eine Rhetorik verwenden, die den IGH bewogen hat, den Vorwurf des Genozids für „plausibel“ zu halten, bleibt eine außenpolitische Entscheidung. Dass Deutschland seinem Selbstverständnis als Völkerrechtsapologet so gerecht werden kann, ist aber zumindest zweifelhaft. Eine streng wertegeleitete Außenpolitik sieht anders aus.
Vielen Dank für die gute juristische Darstellung!
Ich stimme Dir zu, dass Israel nicht „um jeden Preis unterstützt werden muss – dies um so mehr, je eindeutiger die Anzeichen für schwere Verstöße gegen das Völkerrecht werden.”
Allerdings sehe ich diese Anzeichen derzeit nicht:
1. Die Klage Nicaraguas ist ein zweifelhafter Ausdruck unserer „außenpolitischen Isolation“. Nur am Rande will ich auf die schweren Repressionen gegen die eigene Zivilbevölkerung und politische Gefangene in Nicaragua hinweisen, weshalb Deutschland schon 2021 seine bilaterale Entwicklungshilfe eingestellt hat.
2. Auch eine weitere „plausible“ Klage aus dem Globalen Süden ist kein Beweis für das zwingende Risiko aus § 6 Abs. 3 Nr. 2 KrWaffKontrG i.V.m. Art. 7 Abs. 1, 3 ATT. Eine Klage kann statthaft sein und später dann in der Begründetheit mit Pauken und Trompeten abgelehnt werden. Die bloß „glaubhaft gemachte Möglichkeit“ sollte nicht für uns handlungsleitend sein.
3. Und auch die pauschal vorgeschlagenen UN-Berichte sind nicht immer neutral. Das UNRWA hat sich für objektive Berichte disqualifiziert. Die Buchstaben „UN“ werden allzu oft als Legitimitätsbeweis missbraucht. Und auch das Abstimmungsverhalten über Berichte und Resolutionen der UN legen die Interessen der Länder offen.
4. Die in der Überschrift genannte Staatsräson ist international sicher einzigartig. Insofern folgere ich aus ihr auch einen – vielleicht einzigartig – erweiterten Entscheidungsspielraum für Waffenlieferungen. Denn in der Staatsräson findet ein weicher Faktor Ausdruck: Vertrauen. Berichte über Angriffe auf Hilfskonvois sollten untersucht werden. Man erinnere sich an den vermeintlichen israelischen Angriff auf das Gaza-Krankenhaus im Oktober. Damals hätten Zweifel an der Darstellung der Hamas (einer Terrororganisation) und Vertrauen gegenüber Israel (einer Demokratie) gut getan.
Auch politisch sehe ich die Forderung nach einer Einstellung von Waffenlieferungen kritisch. Gerade die juristisch zwingende Entscheidung „wegen des Verdachts von Völkerrechtsverletzungen“ wäre ein weiterer Orden, den sich die Hamas an die Brust heften würde, um zu sagen: Seht her, hier ist der Beweis für Israel’s Bösartigkeit. Und abschließend: Noch sind Geiseln im Gaza-Streifen, noch verteidigt sich Israel gegen die Folgen des Angriffs.
Vielen Dank und absolut d’accord!
unabhängig von vielen anderen Aspekten nur dies: den “Orden”, den sich die Hamas in diesem Falle anheften könnte, hat leider Israel selbst …verliehen durch ihr völlig ausartendes Verhalten im Gaza.
Herr v. Quistorp,
meiner Ansicht nach machen Sie es sich in dieser Sache sehr einfach. Die von Ihnen angesprochenen Punkte zur Glaubwürdigkeit von Verdachtsmomenten, Israel könnte Kriegsverbrechen begangen haben, sind nur ein Bruchteil der verfügbaren Evidenz.
Nicht von Ihnen angesprochen werden die durch SoldatInnen des IDF in Eigenregie veröffentlichte Kurzfilme auf sozialen Portalen (welche durchaus tatbestandserfüllende Handlungen abbilden), Berichterstattungen der globalen Medien, Augenzeugenberichte (nicht nur der Opfer und der Angehörigen von Opfern von möglichen Kriegsverbrechen, sondern auch von humanitären Hilfsorganisationen wie MSF et al.) und nicht zuletzt die vorliegenden Einlassungen israelischer Kabinettsmitglieder (besonders in Bezug auf intentionale Aushungerung und Kollektivbestrafung).
Zusätzlich lassen Sie außer Acht, dass bestimmte Tatsachen wie beispielsweise die Verwendung besonders sprengkräftiger ungelenkter Bomben in eng besiedelten Gebieten, prominenterweise Jabalia, auch schon für sich sprechen.
Zusammenfassend kann ich nicht nachvollziehen, warum sie die Schlussfolgerungen des Autors anhand sehr weniger “herausgepickter” Punkte diskreditieren wollen.
Abschließend möchte ich zu einer granulareren Betrachtung der causa UN ermutigen. Die Anschuldigungen gegen UNRWA, welche Sie hier unreflektiert als wahr annehmen, sind bisher nicht belegt. Die Dokumente, welche der israelische Staat den westlichen Partnern inklusive Deutschland vorgelegt hatte, enthält keine Beweise. Dies haben Investigativjournalisten (bspw. Channel 4 u.a. ) nachgewiesen. Auch die durch unsere US-amerikanischen Partner angestrengten nachrichtendienstlichen Untersuchungen untermauern die Vorwürfe bei Weitem nicht ansatzweise in dem Maße, das eine generelle Diskreditierung der Vereinten Nationen zulassen würde. Die Vorwürfe werden durch eine externe Beauftragte untersucht, was wichtig und richtig ist. Bevor Sie ein so generalisierendes Urteil über die Vereinten Nationen fallen, können Sie den Bericht der Untersuchungskommission abwarten.
Dies verdeutlicht auch einen sehr verbreiteten “double standard”, der in Ihren wolkigen Ausführungen zum Thema “Vertrauen” Ausdruck finden. Eine nicht belegte Anschuldigung reicht den meisten Menschen hierzulande, die Vereinten Nationen zu diskreditieren. Ähnliches gilt für die nicht mehr zählbaren Augenzeugenberichte von Menschen in Gaza, die durch Medien weitergetragen werden, und für Menschenrechtsorganisationen die vor Ort in Gaza sind. Diese Berichte sind schnell als “Propaganda” abgehandelt, als “Fake News” oder werden mit einem “diese Angaben können nicht unabhängig überprüft werden” abgewürgt.
Das Netanyahu-Regime genießt jedoch einen Vertrauensvorschuss, die Beweislast wird umgekehrt und politisch motivierte Aussagen werden als “Fakten” übernommen und in der Berichterstattung rezipiert. Lassen sich Aussagen der israelischen Regierung unabhängig überprüfen? Hier erkennen Sie den “double standard”. Hilfreich ist natürlich nicht, dass die israelische Regierung regelmäßig Falschbehauptungen aufstellt, die eigentlich zur Verwirkung jeglichen Vertrauensvorschusses führen müssten. Beispielhaft seien hier einige prominente Beispiele genannt:
Shireen Abu Aklehs Ermordung, die Behauptungen zu vierzig enthaupteten Säuglingen, die immer noch nicht nachgewiesenen “Hamas Kommandozentrale” in Al-Shifa, die Falschbehauptungen diverser israelischer Diplomaten zum Beispiel zum “Pallywood”-Verschwörungsmythos (Gendelman) oder zu Hilfslieferungen/Grenzkontrollen (Levi).
Dies sind nur einige Beispiele
Mein Plädoyer: Es ist mittlerweile zwingend notwendig, israelische Aussagen wie die einer jeden anderen Kriegspartei auf der Welt zu behandeln. Ohne pauschale Zurückweisung, aber auch ohne pauschalen “Vertrauensbonus”. Also als Aussagen, die sich, wie man so oft hört, “nicht unabhängig bestätigen lassen”.
Und bitte, Herr v. Quistorp, denken Sie bitte noch einmal über Ihre Einschätzung im Sinne von “Waffenlieferungen dürfen schon alleine nicht eingestellt werden, weil es der Optik Israels schaden könnte” nach. Das kann so nicht gemeint gewesen sein.
F. Mensch,
ganz richtig erkennen Sie, dass es mir im Kern um Vertrauen geht.
Vertrauen in die UN als neutralen, handlungsfähigen „ehrlichen Makler“.
Vertrauen in die Hamas (kann es nicht geben).
Das Ziel Israels ist nicht die Auslöschung Palästinas oder Gaza. Es ist die Zerschlagung der Terrororganisation Hamas. Zu der verlieren Sie leider kein einziges Wort (von einer Erwähnung in „“ abgesehen). Der Grund für Israels Handeln ist für eine Bewertung dessen aber von entscheidender Bedeutung.
Ja, Israel ist Kriegspartei. Ihm gegenüber steht aber keine andere gewöhnliche Kriegspartei.
Mir ist wichtig: Man kann darüber politisch (!) nachdenken, Waffenlieferungen bestimmter Gattungen, die unmittelbar zur Anwendung kommen, zum jetzigen Zeitpunkt auszusetzen. Aber ja, ich bleibe dabei: Dabei muss auf die von Ihnen interpretierte „Optik“ geachtet werden. Es ist eben keine rein juristische 1 oder 0 Entscheidung, sondern primär eine politische. Zumindest solange, wie die Völkermordvorwürfe nicht evidenter zu Tage treten.
@ Philipp von Quistorp
Danke für diese Klarstellung.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie oft der Hamas-Narrativ wie eine feststehende Tatsache behandelt wird, während Gegendarstellungen Israels als “nicht neutral nachprüfbar” (ab-)qualifiziert werden.
Ob es bei diesen Auseinandersetzungen tatsächlich zu Kriegsverbrechen auch durch Israel gekommen ist, kann letztlich nur nach Ermittlung und Analyse der Tatsachen beurteilt werden.
Die buchhalterische Gegenüberstellung nicht nachprüfbarer Opferzahlen reicht dafür jedenfalls ebensowenig wie Photos/ Videos von Grausamkeiten.
Israel verteidigt sich gegen eine Terrororganisation, die sich seit vielen Jahren die Vernichtung Israels und der Juden, d.h. einen Genozid, öffentlich auf die Fahnen geschrieben hat und ständig betreibt. Insoweit frage ich mich, ob nicht eher die Unterstützer der Hamas Beihilfe zu einem Genozid leisten, als zB Deutschland, das dem mit Genozid bedrohten. angegriffenen Israel Waffen liefert.
Hallo Frau Paetzold,
wenn Sie in der deutschen Medienlandschaft und dem allgemeinen politischen Diskurs die Bewertung von Aussagen der israelischen Regierung und auf der anderen Seite von Aussagen der menschenverachtenden Hamas-Miliz betrachten, erkennen Sie schnell das alle Aussagen der Terrormiliz Hamas (dankenswerterweise) als “nicht überprüfbar” bewertet werden, und die israelischen Äußerungen (wie ein anderer Kommentarschreiber weiter oben darstellte) mit einem “Vertrauensvorschuss” begünstigt werden. Ich weiß ja nicht, welche Medien Sie konsumieren bzw. welche Diskurskreise sie beobachten.
Ich bin dazu jetzt mehrere Taz-Artikel und Tagesschau-Berichte durchgegangen und in keinem davon wurden die Berichte der Israelischen Armee mit einem „Vertrauensvorschuss“ begünstigt.
Im Gegenteil: die Berichte der Israelischen Armee wurden erstens als „die Armee sagt“ markiert und zweitens in Zweifel gezogen: ihnen wurden z.B. Berichte von Anwohnern gegenübergestellt (teils widersprüchlich, aber nicht als widersprüchlich thematisiert). Berichte der Hamas wurden dagegen nur als „Hamas sagt“ markiert.
Für mich als promovierter Kulturwissenschaftler, kritischer Beobachter des Konflikts und als interessierter Laie in Rechtsfragen waren dieser Beitrag und die Diskussion in den Kommentaren ungemein informativ und erhellend, vielen Dank dafür!