Warum das Grundgesetz die Ehe für alle verlangt (II)
1. Es ist auch aus grundrechtlicher Sicht ein Grund zu feiern, dass der Bundestag die Ehe für alle beschlossen hat. Das Grundgesetz steht der Ehe für alle nicht nur nicht entgegen, sondern es verlangt sie sogar. Das folgt aus dem Gleichheitsgrundrecht, dem Verbot der Geschlechterdiskriminierung und dem Menschenwürdekern des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes unterstützt dieses Ergebnis, wenn man nicht nur die konkreten Anwendungsvorstellungen der damaligen Akteure in den Blick nimmt, sondern auch ihren Willen ernst nimmt, Freiheit und Gleichheit als entwicklungsoffene Grundsatznormen zu normieren.
In einem Beitrag kurz vor der Abstimmung habe ich versucht, diese Thesen zu begründen. Erfreulicherweise ist er auf lebhafte Reaktionen gestoßen: Während meine Argumentation bei Wolfang Janisch in der Süddeutschen auf Anklang stieß, hat Uwe Volkmann allerdings daran – mit gewichtigen Argumenten – ebenso scharfe wie grundlegende Kritik geübt: Die Verfassung sei kein „Schrein ewiger Wahrheiten“ von 1949, sondern diene dazu, aktuelle Probleme zu lösen. Es liege in Wahrheit ein Fall des „Verfassungswandels“ vor, den es gelte, ehrlich zuzugeben: „Bekennen wir uns doch einfach dazu.“, so sein Plädoyer (s. auch den zweiten Teil hier). Christian Geyer-Hindemith hat sich Volkmann in der Frankfurter Allgemeinen mit Vehemenz angeschlossen – und auch Renate Künast twitterte Zustimmung: „Lesenswert. Die Verfassung ist kein Schrein.“
Lesenswert. Die Verfassung ist kein Schrein. #EhefürAlle.
— Renate Künast (@RenateKuenast) 2. Juli 2017
Wann schaffen es verfassungsrechtliche Methodenfragen schon mal auf so prominente Plätze in der medialen Tagesdebatte? Grund genug, auf die erhobenen Einwände zu erwidern und die Thesen etwas zu vertiefen.
2. Für die Verfassungsmäßigkeit der Ehe für alle haben sich nach dem Bundestagsbeschluss etwa auch Frauke Brosius-Gersdorf und Christoph Möllers ausgesprochen (s. an früheren Stellungnahmen namentlich Katharina Mangold, etwa hier und hier, und Christoph Goos, S. 39 [44]: „In a society based on ‚equal dignity‘ it is illegitimate to exclude individuals only because of personality traits that are objectively immutable or experienced as being immutable. This is the reason why the exclusion of gays and lesbians from marriage is indeed, as the U.S. Supreme Court rightly points out, a problem of equal dignity.“).
Es ist schön, dass auch Volkmann dem im Ergebnis zuzustimmen scheint, so dass ich mit ihm anscheinend „nur noch“ über den Weg streite, auf dem dieses Ergebnis zu begründen ist. Volkmann prognostiziert zudem auch, man könne sich „nur schwer vorstellen“, dass die Ehe für alle vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert. Matthias Jestaedt geht mit seiner Prognose in der Frankfurter Allgemeinen sogar noch einen Schritt weiter. Obwohl er selbst ein Gleichstellungsverbot (oder Abstandsgebot) „nicht nur von der Entstehungsgeschichte her“ für naheliegend hält, geht er davon aus, das Bundesverfassungsgericht werde die „hundertprozentige Gleichstellung“ der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft nicht nur „nicht beanstanden, sondern womöglich sogar für vom Gleichheitssatz her geboten erachten“.
Natürlich ist Volkmann (wie immer) in vielem zuzustimmen: Die Verfassung ist kein „Schrein ewiger Wahrheiten“, sondern Produkt ihrer Zeit. Sie gilt immer nur „kraft und aus der Anerkennung der Verfassungsgemeinschaft, die aktuell unter ihr lebt“. Es gibt auch keinen „normlogischen, selbstevidenten oder sonst wie zwingenden Vorrang“ einer historischen Interpretation, sondern „immer nur Argumente, die innerhalb der gegenwärtig bestehenden Praxis vorgebracht werden und vor ihr bestehen müssen“.
Nichts davon sollen allerdings meine Thesen zu einem Living Originalism unter dem Grundgesetz und seinen Konsequenzen für die „Ehe für alle“ bestreiten. Das wäre ein grundlegendes Missverständnis. Nein, diese Thesen – die im Kern aus meiner Freiburger Habilitationsschrift stammen und dort näher entwickelt werden – sollen die Sprachabhängigkeit, Wandelbarkeit und Wertebezogenheit der interpretativen Praxis des Rechts nicht leugnen. Sie verstehen sich vielmehr als ein Beitrag zu der Debatte darüber, wie wir uns heute zu dem Verfassungstext von 1949 und zu seiner Geschichte verhalten sollen.
Wenn genug unter uns Menschenwürde, Verfassungsstaat und Demokratie für überholte Ideen halten, dann wird das Grundgesetz seine Verbindlichkeit verlieren. Nur unsere gegenwärtige Überzeugung, mit Vergangenheit verbunden zu sein, kann dem Recht und der Verfassung über die Zeit hinweg ihre Dauer verleihen. Wenn Volkmann (mit Jefferson) fragt, aus welchem Recht die Lebenden an die Entscheidungen von Menschen gebunden sein sollen, die schon lange tot sind, so lautet die Antwort also: Es bindet uns nichts Totes uns an ihre Entscheidungen – sondern unsere lebendige Verbundenheit mit ihnen, unsere eigene Überzeugung, dass wir etwas Wertvolles mit ihnen teilen, dass sie uns ein bewahrenswertes Erbe hinterlassen haben, das wir nicht verschleudern sollten.
Die Verfassung ist zwar kein „Schrein“. Sie ist aber ein Erfahrungsspeicher. Sie speichert historische Unrechtserfahrungen, an die es erinnern und deren Wiederholung es entgegenwirken soll. In Deutschland speichert sie besonders auch die Erfahrung der Verführbarkeit der Gesellschaft. Mit einer demokratischen Verfassung bindet die Gesellschaft sich selbst, so wie Odysseus sich an den Schiffsmast fesseln ließ, um dem Gesang der Sirenen nicht zu folgen. Das Grundgesetz sollte nicht zuletzt die Rechte von Minderheiten vor den wechselnden Augenblicksstimmungen der Mehrheit schützen. Wenn der Wandel der gesellschaftlichen Auffassungen, an dem Volkmann die Verfassung ausrichten will, einmal in die andere Richtung gehen sollte, wenn eine große Mehrheit die „Ehe für alle“ in Umfragen wieder ablehnt, soll sie dann, nachdem sie ihm zufolge erst verfassungswidrig war und dann verfassungsgemäß wurde, erneut verfassungswidrig werden?
Das Grundgesetz normiert wertentscheidende Grundsatznormen und konkretere Regeln, deren Geltung wir nicht ohne Not einfach deshalb in Frage stellen sollten, weil die gesellschaftlichen Auffassungen dazu sich geändert haben.
Zu den konkreteren Regeln, die das Grundgesetz aufstellt, gehören gerade auch die über Verfahren und Form der Verfassungsänderung. Sie stellen, worauf Jestaedt zu Recht hinweist, bereits einen demokratischen Weg dafür bereit, die Verfassung zu „wandeln“. Sie sollen dem Mütchen der Mehrheitsstimmung Gelegenheit geben sollen, sich etwas abzukühlen, bevor seine Stimmungen zu geltendem Verfassungsrecht werden. Wenn uns die Festsetzungen der Verfassung nicht mehr passen, dann kann eine Zwei-Drittel-Mehrheit von Bundestag und Bundesrat (Art. 79 II GG) sie ändern, wobei sie das Textänderungsgebot zu beachten hat (Art. 79 I 1 GG):
Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt.
Für einen Verfassungswandel, wie ihn Volkmann befürwortet, kann deshalb von vornherein nur dort Raum sein, wo das Grundgesetz dadurch gerade nicht „geändert“, sondern lediglich im Rahmen seiner Vorgaben näher konkretisiert wird. Verfassungswandel ist dafür aber ein irreführender Begriff. Verfassungsfortbildung oder rechtsfortbildende Verfassungskonkretisierung wären bessere.
Eine solche schöpferische Verfassungsfortbildung mag in bestimmten Fällen sowohl unausweichlich als auch kraft Delegation durch das Grundgesetz zulässig sein. Sie kann womöglich auch, trotz ihres schöpferischen Charakters, als ein hermeneutisches Unternehmen begriffen werden, wie Ralf Poscher hier im Einzelnen zeigt.
Und ja, wo Verfassungsfortbildung betrieben wird, da sollte sie auch redlich offengelegt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat das etwa mit Blick auf die Grenze von 15 Überhangmandaten getan, zu der es folgendes festgehalten hat:
Der Senat ist sich bewusst, dass die Zahl von 15 Überhangmandaten als Akt richterlicher Normkonkretisierung nicht vollständig begründet werden kann. (BVerfGE 131, 316 [370]; Hervorh. hinzugef.).
Das Gericht hat zwar im Wege der Verfassungsauslegung aus der Wahlgleichheit abgeleitet, dass es eine Obergrenze als solche geben müsse (worüber man streiten kann). Zugleich hat es aber offen gesagt, dass sich die Zahl 15 nicht schon in der Verfassung „finden“ lässt, sondern dass es sie selbst im Wege normkonkretisierender Rechtsfortbildung festgesetzt hat.
Soll das Gericht Vergleichbares auch mit Blick auf die „Ehe für alle“ tun? Etwa in dieser Form:
Der Senat ist sich bewusst, dass der grundrechtliche Schutz der gleichgeschlechtlichen Ehe, den er hiermit in einem Akt richterlicher Normkonkretisierung zu geltendem Verfassungsrecht erhebt, nicht im Wege der Verfassungsauslegung begründet werden kann?
3. Aus Respekt vor dem demokratischen Verfassungsgeber sollte zur Verfassungsfortbildung nur dann Zuflucht genommen werden, wenn sie wirklich unabdingbar wird.
Rechtsfortbildung wird nicht immer schon dann notwendig, wenn die Auslegung kein zwingendes, eindeutiges, nicht mit guten Gründen bezweifelbares Ergebnis ergibt (wie Kelsen meinte) – also in allen schwierigen Fällen. Nein, ein Auslegungsergebnis ist schon dann hinreichend begründet, wenn in der Abwägung die Gründe dafür die Gründe dagegen überwiegen – und sei es auch nur um einen Hauch. Die Verfassungsinterpretin sollte ihre Waffen deshalb nicht strecken, bevor sie das juristische Handwerkszeug der Auslegung nicht (in den Grenzen des Praktikablen) ausgeschöpft hat (Grundsatz der Ausschöpfung der Auslegungsmittel).
In Deutschland ist zu Recht weithin anerkannt, dass zu diesem Handwerkszeug als eines unter mehreren Auslegungsmitteln auch die entstehungsgeschichtliche Auslegung gehört. Sie kann helfen, Zweifel zu klären, wie sie die Auslegung nach Wortlaut und Sinnzusammenhang nicht selten lassen wird. Darin liegt weder ein in die deutsche Rechtskultur nicht passender „Fremdimport“ aus den Vereinigten Staaten noch ein Rekurs auf den Dezisionismus eines Carl Schmitt, für den die existenzielle Notwendigkeit der Verteidigung gegen den Feind stets Vorrang vor Normen jeglicher Art hatte. Gleiches gilt für das subjektiv-historische Auslegungsziel, für das Demokratie und Gewaltenteilung streiten (s. dazu nur Reimer [Rn. 255], Sauer [Rn. 28-32], Jestaedt [S. 349 ff.] und Böckenförde [S. 14-18]).
Volkmann ist zwar darin beizupflichten, dass gegen einen Rückgriff auf die Entstehungsgeschichte solche Gründe sprechen können wie eine drohende „Überschätzung der Leistungsfähigkeit der Methode“ oder die „Manipulationsanfälligkeit der Quellen“. Ich unterliege auch nicht der Täuschung, dass die entstehungsgeschichtliche Auslegung einfacher oder neutraler oder weniger ideologieanfällig wäre als andere Auslegungsmittel. Es geht mir nicht darum, die Dinge zu vereinfachen, sondern gerade um eine möglichst umfassende Ermittlung des historischen Kontextes, in dem eine Norm entstanden ist.
Der Wert entstehungsgeschichtlicher Argumente lässt sich meines Erachtens jedoch nicht pauschal beurteilen. Wie viel die Entstehungsgeschichte zur Auslegung beitragen kann, lässt sich sinnvoll meist erst dann bemessen, wenn das konkret vorhandene Material gesichtet und bewertet wurde. Wer auf entstehungsgeschichtliche Argumente damit antwortet, die entstehungsgeschichtliche Auslegung pauschal in Frage zu stellen, anstatt sich auf die vorgebrachten Indizien konkret einzulassen, der verschenkt womöglich Erkenntnismöglichkeiten.
4. In meinem Beitrag vor der Bundestagsabstimmung habe ich argumentiert, dass stets sorgfältig geprüft werden muss, auf welcher Abstraktionsebene die verfassungsgebende Gewalt ihre Festsetzungen treffen wollte. Es ist dabei zwischen den konkreteren Anwendungsvorstellungen der verfassungsgebenden Gewalt und ihrem abstrakteren Normierungswillen zu unterscheiden.
Wenn der Gesetzgeber weit gefasste Begriffe verwendet, so kann es sein, dass er damit allgemeiner gehaltene Grundsätze normieren wollte, deren Reichweite gerade nicht auf seine eigenen konkreten Anwendungsvorstellungen beschränkt bleiben sollte.
Nach den konkreten Anwendungsvorstellungen der damaligen Zeit sollten die Grundrechte vermutlich für Menschen, die nicht heterosexuell orientiert sind, keinerlei Gleichstellungsansprüche begründen. Wenn man die Mitglieder des Parlamentarischen Rates damals danach gefragt hätte, ob die von ihnen normierten Grundrechte diese konkrete Folge haben sollen, so hätten sie das vermutlich empört von sich gewiesen. Weder werden sie damals die Strafbarkeit sexueller Handlungen zwischen Männern nach § 175 RStGB für verfassungswidrig haben erklären wollen, noch, erst Recht, irgendwelche weitergehenden Ansprüche für gleichgeschlechtliche Paare.
Ihr abstrakter Normierungswille griff jedoch zugleich weiter, wie ich versucht habe zu zeigen: Sie beschlossen weit gefasste Grundrechte auf Freiheit und Gleichheit, ohne deren Reichweite auf ihre eigenen konkreten Anwendungsvorstellungen begrenzen zu wollen – im Gegenteil, sie stellten ausdrücklich klar, dass diese Grundrechte ein gewisse Beweglichkeit besitzen sollten und dass sich ihre Auslegung im Wandel der Zeiten würde verändern können.
Wenn man sie also damals gefragt hätte, ob sie sich vorstellen können, dass spätere Generationen einen Konflikt zwischen ihren konkreten Anwendungsvorstellungen und ihrem allgemeineren Normierungswillen für die Grundsätze der Freiheit und Gleichheit sehen könnten, so hätten sie das vermutlich bejaht. Und wenn man sie gefragt hätte, was im Falle eines solchen Konfliktes Vorrang haben soll, ihre konkreten Anwendungsvorstellungen oder die allgemeinen Grundsätze, dann hätten sie vermutlich das gesagt, was sie im Verfassungstext auch niedergelegt haben: Freiheit und Gleichheit.
Als der Grundsatzausschuss seinen Entwurf der Grundrechte in der Presse veröffentlichte, übersandte der Staatsrechtslehrer Richard Thoma eine ausführliche Stellungnahme. Darin warnte er unter anderem davor, der Satz „Der Mensch ist frei“ könne, wörtlich verstanden, § 175 RStGB verfassungswidrig machen:
Legt man diesen Satz […] wörtlich aus, so hat er juristische Wirkungen von unabsehbarer Tragweite. Er modifiziert z.B. den § 175 RStGB dahin, daß ein zwischen Volljährigen in beiderseitiger Freiwilligkeit stattfindender homosexueller Verkehr fortan nicht mehr strafbar ist. (vgl. hier, S. 595; Hervorh. hinzugef.)
Im Grundsatzausschuss verlas v. Mangoldt dies (ibid.) – ohne dass man daraufhin davon Abstand genommen hätte, das allgemeine Freiheitsrecht zu normieren. Es ist also keineswegs so, dass es bis vor kurzem niemand aufgefallen wäre, dass die Diskriminierung gleichgeschlechtlichen Lebens mit dem Freiheitsgedanken der Verfassung unvereinbar sein könnte.
Man wird sich im Parlamentarischen Rat vermutlich damit beruhigt haben, dass die Schranke des „Sittengesetzes“, die Art. 2 I GG für das Freiheitsrecht vorsieht, § 175 RStGB rechtfertigen werde. Und genau darauf stützte das Bundesverfassungsgericht dann ja auch seine unrühmliches Urteil von 1957: „Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz.“ (BVerfGE 6, 389 [434]).
Aber zum einen ist gerade der Begriff des Sittengesetzes, wie der der guten Sitten (§ 138 I BGB) nicht nur ein denkbar entwicklungsoffener Begriff, sondern auch ein Begriff, dessen Missbrauchspotential schon damals diskutiert wurde und auf den das Bundesverfassungsgericht deshalb heute zu Recht praktisch nicht mehr zurückgreift. Ludwig Bergsträsser warnte schon damals vor dem „engstirnigen Sittenrichter“:
Man wir den Begriff ‚Sittengesetz‘ so weit auslegen, daß alle möglichen harmlosen Handlungen gegen das Sittengesetz verstoßen. Wir hatten früher in Deutschland solche Auseinandersetzungen. (hier, S. 608; s. auch S. 606)
Und zum anderen hat der Parlamentarische Rat gleichzeitig den Satz von der Gleichheit aller Menschen (Art. 3 I GG) und das Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechts (Art. 3 III GG) normiert, die, wie gesagt, einer Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare entgegenstehen und gegen die auch Freiheitsbeschränkungen, die auf das Sittengesetz gestützt werden sollen, nicht verstoßen dürfen: Die Gleichheitssätze sind gerade nicht unter die Schranke des Sittengesetzes gestellt.
5. Im Parlamentarischen Rat, so habe ich argumentiert, wird ein Abstandsgebot, wenn überhaupt, dann allenfalls gegenüber der „wilden“ Ehe zwischen Mann und Frau (dem „Konkubinat“) gewollt gewesen sein – gerade weil man sich damals vermutlich noch nicht konkret hat vorstellen können, dass sich eines Tages auch gleichgeschlechtliche Paare auf das Ehegrundrecht berufen würden.
Auch in Art. 6 I GG lag also schon deshalb „nicht eine bewusste Entgegensetzung“ zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare, weil eine solche Anerkennung damals „schlicht außerhalb des damaligen“ – konkreten – „Vorstellungshorizonts“ lag (vgl. zum Elternrecht aus Art. 6 II GG: BVerfGE 133, 59 [79] – Sukzessivadoption [2013]).
Aber selbst mit Blick auf die „wilde“ Ehe oder das „Konkubinat“ bleibt zu fragen, ob der besondere Schutz wirklich ein Abstandsgebot bedeuten sollte. Sollte Art. 6 I GG überhaupt eine Norm zur Verhinderung anderer Rechte – oder gar eine „Grundrechteverhinderungsnorm“ sein?
Das Bundesverfassungsgericht hat schon im Urteil zur Lebenspartnerschaft von 2002 die Entstehungsgeschichte mit Blick darauf näher untersucht und zu Recht festgehalten, dass sich daraus ein Abstandsgebot nicht herleiten lässt (BVerfGE 105, 313 [348-350]). Es hat dafür unter anderem darauf verwiesen, wie v. Mangoldt auf den Vorschlag des Deutschen Sprachvereins reagierte, statt vom „besonderen“ Schutz schlicht von „Schutz“ zu sprechen. Von Mangoldt sagte dazu im Grundsatzausschuss:
Zu Art. 7 a haben wir eine Forderung des Deutschen Sprachvereins, der diese Bestimmung nur anders formuliert haben will. Sachlich hat sein Vorschlag genau den gleichen Inhalt. Er hat das nur meiner Ansicht nach besser formuliert. […] Man könnte höchstens noch sagen, wie wir getan haben: ‚… stehen unter dem besonderen Schutz der Verfassung‘. Im Vorschlag des Sprachvereins heißt es: ‚… stehen unter dem Schutz der Verfassung.‘ Inhaltlich ist es genau dasselbe, aber in der Formulierung besser.“ (hier, S. 935, Hervorh. im Original kursiv)
Das spricht deutlich dafür, dass mit der Rede vom „besonderen Schutz“ schlicht der verfassungsrechtliche Schutz der Ehe betont, nicht aber ein Schlechterstellungsgebot für andere Gemeinschaften normiert werden sollte.
6. Was ist aber mit dem Argument, dass ein Mann und eine Frau häufig zu zweit ein Kind zeugen können, während gleichgeschlechtliche Paare dies nicht können? Muss es aufgrund dieses biologisch bedingten Unterschieds nicht für einen engen verfassungsrechtlichen Ehebegriff und für ein Abstandsgebot sprechen, dass Art. 6 I GG „Ehe und Familie“ in einem Atemzug nennt?
In der Bundestagsdebatte am 30. Juni 2017 hat Gerda Hasselfeldt, die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, sich genau auf dieses Argument gestützt, als sie ihre Ablehnung des Gesetzes mit den Worten begründete: „Die Achtung, die Toleranz, die rechtliche Absicherung sind gegeben. Aber Ungleiches ist nun einmal nicht gleich.“ (s. hier, S. 25114; Hervorh. hinzugef.)
Sicherlich wird sich doch wenigstens diese Argumentation aus der fehlenden Fähigkeit gleichgeschlechtlicher Paare, zu zweit ein Kind zu zeugen, auf die Entstehungsgeschichte stützen können? Auch das ist zu verneinen. Denn man wollte im Parlamentarischen Rat kinderlose Ehen gerade nicht als Ehen „minderen Rechts“ verstanden wissen. Die Formulierung „Die Ehe … und die aus ihr wachsende Familie“ wurde genau deshalb abgeändert zu „und die mit ihr gegebene Familie“, woraus dann später schlicht „Ehe und Familie“ wurde.
Als v. Mangoldt erwog: „Oder wir können sagen: ‚mit ihr entstehende Familie‘.“, entgegnete Theodor Heuss, der spätere erste Bundespräsident, darauf:
Das ist falsch. Es gibt Ehen die keine Kinder haben. Sagen wir: ‚die mit ihr gegebene Familie‘.“ (s., auch für die beiden folgenden Zitate, hier, S. 828; Hervorh. jeweils hinzugef.)
Heuss setzte nach:
Es ist so, daß die Ehe, die kinderlos geblieben ist, sozusagen als solche minderen Rechts erscheinen könnte.
Und Otto Heinrich Greve pflichtete dem bei:
‚Mit ihr gegeben‘ ist deshalb besser, weil eine Familie gegeben sein kann, ohne daß die Familie aus der Ehe wächst. Ich denke an das Zusammenleben der Eltern mit Adoptivkindern. Auch das muß man als Familie bezeichnen, ohne daß die Familie aus der Ehe gewachsen ist. Ich glaube, daß es richtiger ist, zu sagen, ‚die mit ihr gegebene Familie‘, weil das umfassender ist.
Sicherlich sah man im Parlamentarischen Rat die Bedeutung der Ehe auch in ihrer Rolle für den Fortbestand der Gesellschaft. Jedoch wollte man kinderlose Ehen und Ehen mit Adoptivkindern gerade unabhängig davon unter den gleichen verfassungsrechtlichen Schutz stellen. Auch das Argument, es disqualifiziere gleichgeschlechtliche Paare von vornherein für die Ehe, dass sie zu zweit keine Kinder zeugen können, findet also in der Entstehungsgeschichte, sieht man näher hin, keinen Halt.
7. Die Idee, dass alle Menschen gleich geschaffen und mit universellen Menschenrechten begabt sind, wurde auch dieses Jahr wieder in den Vereinigten Staaten – jedenfalls von einem Teil des Landes – am 4. Juli gefeiert. Sie hatte schon 1776 ein enormes Entwicklungspotential, wie Thomas Jefferson sehr genau wusste, dessen erste Entwürfe zur Unabhängigkeitserklärung noch eine ausdrückliche Verurteilung des Sklavenhandels enthielten. Dass sein eigenes Verhalten als Sklavenhalter dieser Idee zutiefst widersprach, mag er reflektiert, er mag es aber auch vor sich selbst geleugnet haben (s. zu ihm und Sally Hemings die Arbeiten von Annette Gordon-Reed, v.a. hier, hier [darüber: hier] und hier). Gl